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Aufsichtsratsvorsitzende des DAX160 akzeptieren verschärfte Haftung und plädieren für den gleichen Qualitätsstandard in öffentlichen Unternehmen

Dr. Jürgen Kunz, Kienbaum
Dr. Jürgen Kunz, Kienbaum

Gummersbach. 78 Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden im DAX160 stimmen den heutigen verschärften Überwachungspflichten für Aufsichtsräte durch die Rechtsprechung in Unternehmenskrisen sowie den erhöhten Sorgfaltspflichten für Experten im Aufsichtsrat (55 Prozent) zu. Aber: Noch bedeutsamer sind für die Chefkontrolleure scheinbar die Maßnahmen zur Haftungsvermeidung im Vorfeld. Hier hat ein deutliches Umdenken bei der Auswahl kompetenter Aufsichtsräte stattgefunden.

Während noch vor fünf Jahren lediglich 29 Prozent der Nominierungsausschüsse mit dezidierten Anforderungsprofilen gearbeitet haben, sind es heute satte 83 Prozent. Dies sind Ergebnisse der vierten Corporate-Governance-Studie der Managementberatung Kienbaum, an der sich 65 Aufsichtsratsvorsitzende des DAX160 beteiligt haben.

 

„Das ist ein echter Qualitätssprung in der Aufsichtsratsbesetzung, mit dem Ziel in einem transparenten und strukturierten Prozess der Hauptversammlung möglichst optimale Kandidaten präsentieren zu können. Gleichzeitig reduziert dies natürlich ein etwaiges Haftungsrisiko durch personenbedingte Effizienzhindernisse. Ferner können die teuren – und wie die Studie zeigt, unter den Aufsichtsratsvorsitzenden recht umstrittenen – externen Gutachten zur Haftungsvermeidung verringert werden“, erläutert Jürgen Kunz, stv. Vorsitzender der Geschäftsführung der Managementberatung Kienbaum Consultants International.

 

Auch im öffentlichen Bereich wird der Ruf nach mehr Kompetenz im Aufsichtsrat aufgrund der Vorgänge um den neuen Berliner Großflughafen, die Elbphilharmonie oder die WestLB immer lauter.  So sind 83 Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden mit großer Mehrheit dafür, dass die geltenden Qualitätsstandards für Aufsichtsräte privatwirtschaftlicher Unternehmen auch für Unternehmen im öffentlichen Sektor gelten sollen.

 

„Die Politik darf nicht Standards vorgeben, wie beispielsweise in den Public Corporate Governance Kodizes (PCGK), die sie selbst unterläuft. Wer vorrangig wegen seines Amts in das Mandat gelangt, vielleicht dorthin delegiert wird, muss sich noch fehlende Kompetenz durch intensive Schulungen und Fortbildungen aneignen – was bisher viel zu selten geschieht. Auch bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen kann sich kein Aufsichtsrat damit entschuldigen, mit seiner Überwachungsaufgabe überfordert gewesen zu sein oder schlicht keine Zeit gehabt zu haben. Denn, was immer wieder vergessen wird: Das Mandat ist höchstpersönlich, es ist zwingend, dass jedes Aufsichtsratsmitglied alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen kann. Diese Grundsätze gelten gleichermaßen in öffentlichen wie privaten Unternehmen“, sagt Jürgen Kunz.

 

„Dem ‚Club der Spezialisten im Aufsichtsrat‘, d.h. Personen mit nur einer (Teil-)Qualifikation, hat die Rechtsprechung damit eine eindeutige Absage erteilt. Erforderlich ist bei allen Aufsichtsratsmitgliedern eine breit gefächerte Basiskompetenz als Mindestqualifikation für das Verstehen aller Geschäftsvorfälle. Das muss jeder Aufsichtsrat leisten. Zusätzlich sind im Sinne einer optimalen Zielzusammensetzung des Gesamtaufsichtsrats bei einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern unterschiedliche Spezialkenntnisse erforderlich, beispielsweise für die Ausschussbesetzungen aus der Mitte des Aufsichtsrats. Gelöst werden diese Besetzungsfragen neuerdings vielfach mit einer maßgeschneiderten Kompetenzmatrix“,  sagt  Corporate-Governance-Experte Jürgen Kunz.

 

Transparenz der Kompetenz und langjährige Erfahrung als wesentliche Erfolgsfaktoren effizienter Aufsichtsratsarbeit

Neben  der fachlichen Qualifikation und der Persönlichkeit –  wie Mut, auch unbequeme Fragen zu stellen – wird die langjährige berufliche Erfahrung als das entscheidende Kriterium für die Aufsichtsratsbesetzung angesehen. Die befragten Aufsichtsratsvorsitzenden halten die umfassende berufliche Erfahrung, die im DAX gerade auch das Führen großer Organisationen umfassen sollte, für sehr wichtig (81 Prozent) bzw. wichtig (19 Prozent). Neu ist, ob und wie die Aufsichtsratsvorsitzenden die Aktionäre vor der Wahl der Aufsichtsratskandidaten darüber informieren, denn dies ist keine Pflichtangabe. Gelöst wird dies mit „freiwilligen Angaben“. 81 Prozent stellen den beruflichen Werdegang des zu wählenden Aufsichtsratskandidaten den Aktionären vor der Wahl zur Verfügung und 67 Prozent stellen den Kandidaten persönlich in der Hauptversammlung vor. „Zu empfehlen ist, dass der Aufsichtsratsvorsitzende auf der Hauptversammlung zumindest bei Kandidaten, die erstmals in den Aufsichtsrat gewählt werden, immer die Vorschläge auch unter Nennung der Kompetenzkriterien gegenüber der Hauptversammlung begründet“, rät Kienbaum-Geschäftsführer Kunz. Denn ohne diese Kenntnis ist eine substantiierte Wahl des Aufsichtsratskandidaten durch die Aktionäre nicht möglich.

 

„Die Zeiten, in denen die Hauptversammlung Kandidaten kritiklos durchgewunken hat, sind vorbei.  Für den Aufsichtsrat beziehungsweise den Nominierungsausschuss bedeutet dies, dass er diese Anforderungen im Vorfeld der Hauptversammlung analysieren muss. Es gilt nicht mehr als ‚unfein‘, die Kompetenz von Aufsichtsratskandidaten vor der Wahl auf den Prüfstand zu stellen. Im Gegenteil ist diese professionelle Auswahl mit Blick auf den Gesamterfolg eines Unternehmens unerlässlich geworden. Dabei wird regelmäßig, 86 Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden geben dies an, eine angedachte spätere Ausschusstätigkeit im Vorfeld der Nominierung zu Recht mit einbezogen“, sagt Kienbaum-Partner Kunz.

 

Personalausschuss als Königsdisziplin

Die Bedeutung der Personalkompetenz für Vorstandsangelegenheiten im Aufsichtsratsplenum bzw. im Personalausschuss des Aufsichtsrats ist sehr hoch anzusiedeln. 79 Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden sehen zwei Kompetenz-Schwerpunkte, die die Personalprofis für den Personalausschuss des Aufsichtsrats mitbringen sollten. Der eine ist mit 79 Prozent die erwiesene Erfahrung/Kompetenz in der (Gesamt-) Zusammensetzung des Vorstands, der Feststellung der Größe des Vorstands, Ressortzuschnitt, Geschäftsverteilung, Vorsitz und Stellvertretung, sowie Veränderungen im Vorstand. Der zweite  Kompetenzschwerpunkt ist mit 74 Prozent die erwiesene diagnostische Erfahrung/Kompetenz für Vorstandsbeurteilungen, Vorstandsentwicklungen, Nachfolgeplanungen im Vorstand und Gesamtevaluierung des Vorstands.

 

Prüfung zum „Qualifizierten Aufsichtsrat“ gewinnt an Bedeutung

Immer mehr Aufsichtsratsvorsitzende stehen einer Prüfung der Kompetenz von Aufsichtsratskandidaten durch Dritte wie etwa durch die Deutsche Börse AG in Kombination mit nachgewiesener langjähriger beruflicher Erfahrung positiv gegenüber. Mit 38 Prozent liegen die Befürworter knapp vor den Skeptikern mit 35 Prozent, während 27 Prozent neutral stimmen. Zwei Jahre nach der Einführung gibt es nunmehr insgesamt 34 durch die Deutsche Börse geprüfte Aufsichtsräte/-kandidaten. Die Prüfung gilt als anspruchsvoll.

 

Aufsichtsräte halten Berichterstattung für unnötig kompliziert

DAX-Konzerne wollen einfacher Rechenschaft über ihre Corporate Governance ablegen können: 95 Prozent der befragten Aufsichtsratsvorsitzenden befürworten eine Vereinfachung der Corporate-Governance-Berichterstattung, wie sie etwa der  Deutsche Juristentag fordert. Konkret geht es darum, das Nebeneinander von Entsprechenserklärung, Erklärung zur Unternehmensführung im Lagebricht und Corporate-Governance-Bericht zu verschlanken. „Die neue Bundesregierung sollte diesen Wunsch  nach Vereinfachung der Corporate-Governance-Berichterstattung in Abstimmung mit der Corporate-Governance-Kommission aufgreifen. Es geht aber auch darüber hinaus insgesamt in Zukunft um eine Neujustierung von nicht unbedingt notwendigen Gesetzesvorhaben zugunsten flexibler Kodex-Empfehlungen“, regt Kienbaum- Partner Jürgen Kunz an.

 

Immer mehr Unternehmen bieten Online-Hauptversammlung an

Die digitale Revolution macht sich auch in der Form der Hauptversammlungen von DAX-Konzernen bemerkbar: Zwei Drittel der befragten Aufsichtsräte gehen davon aus, dass die Online-Übertragung der jährlichen Hauptversammlung an Bedeutung gewinnen wird. Aktuell übertragen bereits 47 Prozent der befragten Unternehmen ihre Hauptversammlung online im Internet, um allen Aktionären die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben. Ein Drittel der Befragten hat mit diesem Instrument eher positive Erfahrungen gemacht, 60 Prozent bewerten es als neutral.

 

Viele Aufsichtsräte befürworten Möglichkeit der vorzeitigen Verlängerung von Vorstandsverträgen

Die Mehrheit der Aufsichtsräte wollen bei Bedarf erfolgreiche Vorstände frühzeitig an das Unternehmen binden. Drei Viertel aller Aufsichtsräte stehen der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorständen positiv gegenüber. Der Bundesgerichtshof hatte 2012 mit einer Grundsatzentscheidung die vorzeitige Wiederbestellung von Vorständen grundsätzlich für zulässig erklärt und damit die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt. „Vorzeitig“ bedeutet, dass früher als ein Jahr vor Auslaufen der ursprünglichen Laufzeit eine erneute Bestellung des Vorstands für bis zu fünf Jahre möglich ist. 71 Prozent aller befragten Aufsichtsratsvorsitzenden gehen davon aus, dass die vorzeitige Wiederbestellung von Vorständen zunehmen wird, wenn auch nicht wesentlich.

 

Die SE als Rechtsform ist nicht mehr im Trend

Nur jeder zehnte Aufsichtsrat gibt an, dass sein Unternehmen über eine Umwandlung zur Rechtsform SE nachdenkt. Für 65 Prozent der Befragten ist diese Rechtsform, die in vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen hatte, zurzeit kein Thema – dieses Meinungsbild könnte sich künftig jedoch im Zuge der Einführung einer gesetzlichen Frauenquote wieder ins Gegenteil verkehren.

 

Sehr große Zustimmung zu begründeten Kodex- Abweichungen

Die Klarstellung im Kodex, dass eine gut begründete Abweichung von einer Kodex-Empfehlung durchaus im Interesse einer guten Unternehmensführung liegen kann, hat zu einer 97-prozentigen Zustimmung bei den Aufsichtsratsvorsitzenden geführt. Dieser Erfolg trägt noch die Handschrift von Klaus-Peter Müller als Vorsitzendem der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex bis zum 31.08.2013.

 

Der Ergebnisbericht der Corporate-Governance-Studie 2014/2015 ist kostenlos erhältlich bei Ursula Esser (Fon: +49 2261 703-587; ursula.esser@kienbaum.de). Für weitere Informationen steht Ihnen Erik Bethkenhagen (Fon: +49 2261 703-579; erik.bethkenhagen@kienbaum.de) gern zur Verfügung.

 

Kienbaum ist in Deutschland Marktführer im Executive Search und im HR-Management und gehört zu den führenden Managementberatungen. Mit seinem integrierten Beratungsansatz begleitet Kienbaum Unternehmen aus den wesentlichen Wirtschaftssektoren bei ihren Veränderungsprozessen von der Konzeption bis zur Umsetzung. Kienbaum verbindet ausgewiesene Personalkompetenz mit tiefem Wissen in HR, Organisation und Kommunikation.

 

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