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Experten-Interview zum Thema Gender Pay Gap mit Henrike von Platen

Henrike von Platen (c) Oliver Betke

 

Zu Beginn des Jahres 2018 geht das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Nicht für Alle. Nicht Jederzeit. Vielleicht. 

Das „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“ soll vor allem Frauen dabei unterstützen, ihren Anspruch auf gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit künftig besser durchzusetzen. Dafür sieht es folgende Bausteine vor: Einen individuellen Auskunftsanspruch für Beschäftige, die Aufforderung von Arbeitgebern zur Durchführung betrieblicher Prüfverfahren sowie eine Berichtspflicht zu Gleichstellung und Entgeltgleichheit.

Henrike von Platen war bis 2016 Präsidentin des Frauennetzwerks Business and Professional Women Germany und gehört zu den Begründerinnen des Aktionstags Equal Pay Day. Mit ihrer frauenpolitischen Verbandstätigkeit setzte sie sich insbesondere für eine paritätische Besetzung von Frauen und Männern in Führungspositionen und Entgeltgleichheit ein.

Im Interview mit Viking nimmt Henrike von Platen Stellung zu wichtigen Fragen rund um den Gender Pay Gap Stellung.

1. Viking: Deutschland schneidet im europäischen Vergleich im Bezug auf den Lohnabstand zwischen Männern und Frauen eher schlecht ab. Woran liegt es, dass Frauen für eine vergleichbare Tätigkeit im Schnitt ganze 21% weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen?

Henrike von Platen:.

Für den Gender Pay Gap gibt es nicht den einen Grund – leider! Sonst wäre die Lohnlücke sicher viel einfacher zu schließen. Tatsächlich sind die Ursachen komplex: Statistisch gesehen starten Frauen heute besser ausgebildet in den Arbeitsmarkt als Männer, wählen aber oft weniger gut bezahlte Branchen und Berufe. Im weiteren Verlauf ihres Arbeitslebens werden sie weniger oft befördert, übernehmen seltener Verantwortung und unterbrechen die Erwerbstätigkeit erstens häufiger und zweitens länger, um Kinder zu erziehen oder Angehörige zu pflegen.

No to Gender Pay Gap

So kommt es, dass Frauen am Ende seltener in Führungspositionen zu finden sind und überdurchschnittlich oft in Teilzeit arbeiten. Und noch andere Faktoren verstärken das Lohngefälle, beispielsweise die Verhandlungskultur. Es heißt ja oft, Frauen würden schlechter verhandeln – dabei wird schlicht anders bewertet, wenn Frauen mehr fordern. Inzwischen fragen Frauen genauso oft nach Gehaltserhöhungen, bekommen sie aber seltener als Männer – die obendrein eher nach Potential entlohnt werden, während Frauen eher nach erbrachter Leistung bezahlt werden.
Das Fatale daran ist, dass das ein Teufelskreis ist: Oft ist es Frage der ökonomischen Vernunft, wer in Elternzeit geht, wenn das erste Kind kommt. Wer weniger verdient, bleibt zuhause. Und wer zuhause bleibt, verdient auch weniger.
Eine zweite Krux ist, dass die Lohnlücke zwar statistisch belegbar ist, im Einzelfall aber oft gar nicht sichtbar wird, da es an Gehaltstransparenz mangelt. Und so beträgt die reale Lohnlücke in Deutschland noch immer 21 Prozent.

2. Viking: In Italien beträgt die Lohnlücke knapp 5%. Was können die Deutschen sich von den Italienern abgucken?

Henrike von Platen:

Das klingt natürlich erstmal gut – nur 5 Prozent! Allerdings ist der Gap in Italien deshalb so niedrig, weil nur sehr wenige Frauen überhaupt berufstätig sind. Viele verlassen den Arbeitsmarkt nach der Heirat und tauchen in keiner Statistik mehr auf – das ganz klassische Versorgermodell. Die traditionellen Rollenbilder helfen nicht weiter, Vorbild sind eher die skandinavischen Länder, die für Transparenz und Vereinbarkeit sorgen: Verlässliche Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeit in Teilzeit oder im Home Office, das alles trägt zur Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt bei.

3. Viking: Können auch Männer vom Gender Pay Gap betroffen sein?

Henrike von Platen:

Natürlich sind auch Männer vom Gender Pay Gap betroffen! Vereinbarkeit ist immer auch finanzielle Frage. Solange Männer und Frauen ungleich bezahlt werden, hat kaum ein Paar die Möglichkeit, frei zu entscheiden oder auf Augenhöhe zu verhandeln, wie es Erwerbstätigkeit und Familienarbeit aufteilen möchte. Gerade junge Väter würden aber gern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Aber nicht nur das: Männer sind auch insofern vom Gender Pay Gap betroffen, als die Bezahlung in „frauentypischen“ Berufen wie Pflege oder Erziehung eher niedrig ist – Männer in diesen Branchen würden davon profitieren, wenn diese Berufe aufgewertet würden. Es gibt nur eine einzige Branche, in der Männer signifikant weniger verdienen als Frauen: Die Porno-Industrie.

4. Viking: In unsere Studie wurden 1000 Frauen befragt, die im Büro arbeiten. Fällt die Lohnlücke geringer oder höher aus, wenn man nach Berufen unterscheidet?

Henrike von Platen:

Die Höhe des Gender Pay Gaps variiert von Beruf zu Beruf und von Branche zu Branche sehr. Wo viel verdient und viel verhandelt wird, ist der Gap am größten, wenn es wenig Spielraum gibt, fällt der Gap niedriger aus. In der Finanz- und Versicherungsbranche etwa gibt es große Verhandlungsspielräume, für Abschlüsse von Verträgen werden häufig Boni gezahlt. Dort liegt der Gender Pay Gap bei 28 Prozent.

5. Viking: Gibt es andere (vielleicht auch) langfristige Auswirkungen, über das monetäre Einkommen hinaus, die der Lohnabstand auf die Geschlechter hat?

Henrike von Platen:

Das richtige Gehalt finden (Grafik: jova-nova.com)
Das richtige Gehalt finden (Grafik: jova-nova.com)

Die fatalste Auswirkung hat die Lohnlücke auf die Rentenlücke: Der Unterschied in der Bezahlung potenziert sich bei den späteren Rentenbezügen. Der Pension Pay Gap liegt bei rund 53 Prozent. Wer das Erwerbsleben familienbedingt unterbricht oder reduziert, hat oft große Schwierigkeiten, in den Arbeitsmarkt oder eine Vollzeitbeschäftigung zurückzufinden. Das größte Armutsrisiko in Deutschland haben alleinerziehende Mütter, aber auch vielen anderen Frauen droht Altersarmut.
Und natürlich bedeutet wirtschaftliche Unabhängigkeit immer auch Freiheit in der Lebensgestaltung. Die von Ihnen befragten Frauen schätzen Geld zu Recht als den Schlüssel zur Verbesserung ihrer beruflichen Situation ein.

 

6. Viking: Im nächsten Jahr soll das Lohntransparenzgesetz in Kraft treten. Allerdings wird dieses erst für Unternehmen greifen, die mindestens 200 Mitarbeiter haben. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Henrike von Platen:

Das neue Entgelttransparenzgesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung: Nur wer weiß, wie er im Vergleich mit seinen Kollegen und Kolleginnen da steht, kann herausfinden, ob es Anlass zur Nachverhandlung oder nicht viel mehr Grund zur Zufriedenheit gibt. Aber ein Gesetz ist immer nur so gut wie seine Anwendung, es muss mit Leben gefüllt werden. Sehr viele Betriebe in Deutschland sind von der Auskunftspflicht ausgenommen. Der Auskunftsanspruch gilt ab dem 6. Januar 2018 in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten – und muss erst einmal gestellt werden. Das ist extrem wichtig: Nur wenn Männer wie Frauen ab Januar auch tatsächlich nachfragen, kann das Gesetz einen Beitrag zum Kulturwandel leisten. Jeder und jede ist gefragt, über Geld zu sprechen und auf Transparenz nicht zu verzichten, sondern diese einzufordern, wie es das neue Gesetz vorsieht. In Schweden ist jedes Unternehmen berichtspflichtig. Dagegen ist das deutsche Gesetz nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

7. Viking: In unsere Studie fragten wir ob die Frauen der Meinung sind, dass ihr Arbeitgeber genug tut, um das geschlechtsspezifische Lohngefälle abzubauen. Für uns waren die Antworten überraschend gleich verteilt (je 33,3% für „ja“/ „nein“/ „vielleicht“) Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Henrike von Platen:

Nach meinem Eindruck ist das Thema noch nicht präsent genug. Bei Ihrer Umfrage fragen Sie ja auch danach, was Frauen im Vorstellungsgespräch schon so alles gefragt wurden – zum Beispiel in Bezug auf die Familienplanung oder der Religion. Keine einzige dieser Fragen ist erlaubt, nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind sie ausnahmslos verboten. Ich vermute, das wissen die wenigsten. Bei der Bezahlung ist das ähnlich: Viele wissen gar nicht, wo sie stehen, nehmen die Bewertungen hin und hinterfragen die Einstufungen nicht. Insofern ist es erschütternd, dass 17 Prozent der von Ihnen befragten Frauen angeben, schlechter bezahlt worden zu sein als männliche Kollegen in ähnlicher Rolle. Denn in den allermeisten Fällen erfahren die Betroffenen nichts von der Gehaltsdiskriminierung. Wer nichts sehen kann, sieht auch nichts.
Die Unternehmen wiederum sind oft so fest davon überzeugt, niemanden ungleich zu behandeln, dass sie ihre Einkommensstrukturen erst gar nicht überprüfen. So bleiben die Unterschiede oft unerkannt – und werden erst in der Statistik sichtbar. Im Grunde ist das aber eine gute Nachricht: Ich habe noch kein Unternehmen getroffen, dass den Gender Pay Gap gewollt hätte. Alle wollen Lohngerechtigkeit. Das Gesetz hilft den Unternehmen dabei, sie umsetzen.

8. Viking: Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach nötig, um die Lohnlücke zu schließen?

Henrike von Platen:

Wir müssen lernen, über Geld zu sprechen! Eine FORSA-Umfrage hat kürzlich ergeben dass 41 Prozent der Deutschen noch nicht einmal wissen, was ihre Partner oder ihre Partnerin verdienen. Wir brauchen mehr Transparenz, im Privaten wie im Geschäftlichen. Unternehmen brauchen transparente Einkommensstrukturen und nachhaltige Entgeltstrategien. Die Politik muss geeignete Voraussetzungen schaffen. Wir alle müssen die Klischees in unseren Köpfen, die überholten Rollenbilder und Stereotypen, hinterfragen. Unsere Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Der Kulturwandel ist angesichts der Digitalisierung und Globalisierung dringend notwendig. Dazu brauchen wir keine Präsenz- sondern eine Ergebniskultur, flexible Arbeitszeitmodelle, die 32-Stundenwoche als neue Vollzeit, mehr Frauen in Führung und auch sonst mehr Diversität in Entscheidungspositionen. Lohngerechtigkeit selbst ist einfach umzusetzen – wenn alle sie wollten, wäre sie schon morgen möglich.

9. Viking: Sie haben die „Equal Pay Day“- Initiative vorangetrieben. Bitte erzählen Sie uns ein bisschen über Ihre Beweggründe.

Henrike von Platen:

Mein Ziel ist Lohngerechtigkeit für alle. Ich bin der festen Überzeugung, dass gleiche Bezahlung der entscheidende Schlüssel zur Gleichstellung ist: Wo Geld, Macht und Einfluss zusammenkommen, lässt sich die Welt verändern – auch im Privatleben. Wenn Frauen gerecht bezahlt werden, werden sich viele andere Probleme von alleine lösen.
Als Präsidentin der Business and Professional Women Germany e.V. habe ich mich von 2010 bis 2016 für die Equal Pay Day Kampagne engagiert. Der Aktionstag ist eine amerikanische Erfindung und markiert das Datum im Jahr, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten – während Männer vom 1. Januar an für ihre Arbeit bezahlt werden. Im nächsten Jahr ist das der 18. März 2018. Die Kampagne ist sehr erfolgreich: Inzwischen gibt es den Aktionstag in über 20 europäischen Ländern, eine große Aufmerksamkeit für die Lohnlücke und die Ursachen für den Gap sind erforscht und benannt. Allerdings hat er sich seit 2008 um nur 2 Prozentpunkte geschlossen – entschieden zu langsam. Schließlich möchte ich Entgeltgleichheit noch erleben! Die Aufmerksamkeit allein genügt nicht: Um Unternehmen bei der praktischen Umsetzung von Lohngerechtigkeit zu unterstützen, habe ich deshalb 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab gegründet.

10. Viking: Was ist für Sie persönlich Ihr bisher größter persönlicher Erfolg in Bezug auf Ihre Arbeit zur Lohngerechtigkeit?

Henrike von Platen:

Ich hoffe, dass ich den größten Erfolg bald feiern kann: den Equal Pay Day an Silvester! Ich peile dafür 2020 an.

 

 

 

Quelle: Viking

 

 

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