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Die 110%-Lüge: Warum Perfektionismus nicht weiterhilft

Simone Janson
Simone Janson

Sie geben immer alles, nehmen auch Routine-Aufgaben nicht auf die leichte Schulter und durchdringen jedes Problem bis ins kleinste Detail – Perfektionisten gelten gemeinhin als besonders leistungsfähig. Zu unrecht. Denn das stete Streben nach 110-Prozent ist eher kontraproduktiv. Die Journalistin Simone Janson, selbst Perfektionistin auf Entzug, erläutert die Ursachen und die Folgen von übertriebenem Leistungsanspruch im Job und zeigt Wege aus der Perfektions-Falle.

Perfektionismus kommt deutsche Unternehmen teuer zu stehen: Wie die Produktivitätsstudie der amerikanischen Unternehmensberatung Proudfoot-Consulting jährlich wieder aufs neue zeigt, ist übermäßiger Arbeitseifer nämlich alles andere als produktiv: Allein in Deutschland werden im Schnitt 26 Arbeitstage pro Jahr und Mitarbeiter verschwendet – und zwar vor allem durch unnötige Wartezeiten und Doppelarbeit – blinder Aktionismus also, der durch besonneneres Handeln vermieden werden könnte und der deutsche Unternehmen 135 Milliarden Euro im Jahr kostet, weil die Mitarbeiter überflüssige oder sogar falsche Dinge tun.

Schuld daran ist vor allem die Neigung von Perfektionisten, Fehler um jeden Preis vermeiden zu wollen: Denn verantwortlich für die mangelhafte Arbeitsorganisation sind Führungskräfte, die die Arbeitsabläufe Ihrer Mitarbeiter ja eigentlich regeln sollten. Zur Mitarbeiterführung gehört es allerdings auch, Entscheidungen darüber zu fällen, wer welche Arbeit macht, welches Budget zur Verfügung steht und wann ein Projekt beendet sein soll. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Denn statt die Sache aktiv und tatkräftig anzugehen, hoffen viele Entscheider in den Chefetagen lieber, dass sich das Problem schon von alleine lösen wird.

Jede Entscheidung birgt eben auch das Risiko, auf das falsche Pferd zu setzen und sich unbeliebt zu machen. Und entscheiden bedeutet auch, sich festzulegen und auf alle andere Möglichkeiten zu verzichten. Perfektionisten möchten sich hingegen lieber alle Optionen offen halten; nicht auszudenken, wenn sie später noch Informationen bekommen würden, die es ihnen erlaubt hätten, eine bessere, richtige, ja perfekte Entscheidung zu treffen. Aus Angst, die falsche Wahl zu treffen, versuchen sie daher lieber, die Entscheidung so lange wie möglich hinauszuzögern, sie zu umgehen oder sogar auf andere abzuwälzen – teilweise mit absurden Ergebnissen: Da entscheidet nicht etwa der Leiter der Marketingabteilung über einen Werbetext, sondern der Buchhalter hat das letzte Wort. Und bei der Vergabe eines Auftrags darf auch die Leiterin des firmeneigenen Kindergartens (als Betriebsratsmitglied) nicht fehlen, denn der Chef will auch ja niemanden übergehen. Das mag auf den ersten Blick sympathisch und demokratisch wirken, in Wirklichkeit zeugt das aber von einer tiefsitzenden Unsicherheit des Entscheiders.

Klar ist jeder mal unsicher, selbst Spitzenmanager. Das Problem ist jedoch, das die Angst vor Fehlern im Berufsalltag taburisiert wird: Fehler gelten als peinlich, ja wir sind fest davon überzeugt, dass uns jeder kleine Fehltritt Ansehen und Status kosten kann. Missgünstige Kollegen scheinen nur darauf zu warten, uns für unsere Verfehlungen an den Pranger zu stellen. Der Chef winkt vielleicht gleich mit einer Abmahnung. Und bei der nächsten Entlassungswelle könnte man ja auch auf der Abschussliste stehen. Die aktuelle ökonomische Situation, besser bekannt als Wirtschaftskrise, verstärkt diese Ängste noch. Genau dadurch wird aber die Chance verspielt, sich konstruktiv mit Fehlern auseinanderzusetzen und daraus für die Zukunft zu lernen.

Kurzvita:

Simone Janson ist Journalistin, Buchautorin, und Bloggerin mit den Themenschwerpunkten Beruf und Bildung. Seit 1996 arbeitet sie im In- und Ausland als Journalistin und schreibt u. a. für stern.de, die Financial Times Deutschland und changeX.  Sie studierte Geschichte und Linguistik an den Universitäten Heidelberg, Siena und Bonn.

Veröffentlichungen (u.a.):

• 30 Chancen für Existenzgründer – Geschäftsfelder mit Zukunft. Erfolgreich selbständig auch in schwierigen Zeiten Die sichersten Branchen und Berufe – Mit Tipps und 30 Berufsfeldern (Redline Verlag Herbst 2009)

• Die 110-%-Lüge. Wie Sie mit weniger Perfektion mehr erreichen (Redline Verlag 2009)

• Selbstorganisation und Zeitmanagement.  Weniger Stress mit strukturiertem Arbeitsablauf – Mehr Motivation durch gute Organisation – Mit Praxistipps und Checklisten (Redline Verlag 2007)

Internet:

http://www.berufebilder.de/

http://www.simone-janson.de/

Lieber verwenden nicht wenige Mitarbeiter aller Hierachiestufen kostbare Arbeitszeit darauf, gemachte Fehler zu verleugnen, zu vertuschen, zu beschönigen oder diese sogar anderen unterzuschieben. Das eigentlich Ziel, gemeinsam etwas Produktives zu erreichen wird sekundär, ja tritt manchmal sogar völlig in den Hintergrund. Viel mehr ist in einigen Unternehmen eine regelrechte Wettbewerbskultur herangereift, in der es einzig nur noch darum geht, die lieben Kollegen an Fehlerlosigkeit zu übertrumpfen: Und die geht so weit, dass ganze Branchen die interne Revision mehr fürchten als die Konkurrenz.

Perfektionistisches Denken wird auf diese Weise zur Unternehmenskultur und Fehlervermeidung – wenn auch unbewusst – zum erklärten Unternehmensziel. Da bleibt kaum Platz für Innovationen und unternehmerisches Handeln. Denn statt ihre gesamte Energie daran zu setzen, einen Erfolg zu erreichen und dafür auch Risiken einzugehen und Rückschläge in Kauf zu nehmen, verhalten sich solche Misserfolgsvermeider entsprechend vorsichtig und defensiv. Vielleicht schaffen sie es sogar, nichts Falsches zu tun, aber zu einem hohen Preis: Wer der Vermeidungsstrategie folgt, vermeidet es dabei auch, jene wichtigen Entscheidungen zu treffen, die für das persönliche Vorankommen, aber auch für die gesamte Wirtschaft so wichtig sind.

Simone Janson: Die 110%-Lüge
Simone Janson: Die 110%-Lüge. ISBN-10:3-86881-027-7 EAN:9783868810271 Veröffentlichungsdatum:Februar 2009 Einband:kartoniert/broschiert Verlag:Redline Wirtschaft Seiten:208

Wie groß die Angst, mal etwas Neues zu riskieren, vor allem in Deutschland ist, zeigt sich besonders gut am Beispiel berufliche Selbständigkeit: Der GLOBAL ENTREPRENEURSHIP MONITOR bewertet jährlich die Existenzgründungsbedingungen in 42 Ländern und stellt den Deutschen ein echtes Armutszeugnis aus: Gerade was die gesamtgesellschaftliche Haltung zur Selbständigkeit angeht, liegen wir aktuell auf Platz 34. Nur in Ländern wie Urquay, Slowenien oder Ungarn ist die Skepsis, sich selbständig zu machen, noch größer. 46,5 % der befragten Deutschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren würden den Schritt in die Selbständigkeit gleich ganz sein lassen – aus Angst, es könnte schief gehen. Ein echtes Dilemma also für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Doch nicht nur für Unternehmen, auch für den Einzelnen kann der Wunsch, immer alles richtig machen zu wollen, zum Bumerang werden. Denn langfristig überfordert man sich durch Perfektionismus und zu hohe Ansprüche nur selbst und verliert am Ende jegliche Motivation. Paradoxerweise kann also eine besonders hohe Strebsamkeit dazu führen, dass man am Ende viel weniger erreicht. Wie das?

Menschen arbeiten einfach besser, wenn sie motiviert und mit Freude bei der Sache sind. Denn wer seine Arbeit einfach nur gut machen will, denkt in der Regel vorwärtsgerichtet, positiv und optimistisch. Er geht davon aus, dass er die anstehenden Aufgaben gut bewältigen kann, ist motiviert – und damit besonders produktiv. Der Psycholge Mihály Csikszentmihályi spricht in diesem Zusammenhang von Flow, der Lust des Neugiertriebes und dem völligen Aufgehen in einer Aufgabe, der Menschen dazu bringt, mit Begeisterung voranzugehen und Probleme zu lösen. Grund dafür sind die biochemischen Abläufe in unserem Körper: Die Euphorie, die wir empfinden, wenn wir eine stressige Arbeit befriedigend abgeschlossen haben, verdanken wir unter anderem den Hormonen Noradrenalin und Serotonin. Diese rufen positive Gefühle hervor, die wie eine Belohnung für die vorherige Anstrengung wirken. Wenn dieser sogenannte Eustress regelmäßig und dosiert auftritt, stimuliert er das Immunsystem und wirkt motivierend. Neuere Ergebnisse der Hirnforschung zeigen sogar, dass Stress die schnellere Vernetzung von Hirnzellen fördert. Und weil die Fähigkeiten wachsen, je mehr man die Tätigkeit ausübt, wird man sich neuen Herausforderungen stellen müssen, wenn sich das Flow-Erlebnis weiterhin einstellen soll. Auf diese entstehen neue Ideen, die Menschen voran bringen.

Das klappt allerdings nur, wenn man zielgerichtet arbeitet und die Herausforderung zu den eigenen Fähigkeiten passt. Sind die Anforderungen zu niedrig, stellt sich Langeweile ein, sind sie zu hoch, Frustration und Überforderung. In beiden Fällen leidet die Motivation.

Perfektion führt zu Überforderung

Genau hier liegt aber das Problem von Menschen, die um jeden Preis perfekt sein wollen: Indem Sie sich krampfhaft bemühen, Fehler um jeden Preis zu vermeiden, überfordern sie sich völlig. Denn niemand kann eben immer 110% geben und die meisten Menschen wissen das auch. Dadurch gehen sie aber von vornerein negativ an die Sache heran, weil ihnen zumindest unbewusst völlig klar ist, das Problem eigentlich nicht lösen zu können; die Furcht vor dem Scheitern ist dann größer als der Wille zum Erfolg. Das Problem dabei: Wenn man sich überfordert fühlt und Angst zum Antriebsmotor des eigenen Handelns wird, entsteht negativer Distress. Dieser tritt immer dann auf, wenn man keinen Ausweg weiß, weil das menschliche Gehirn aufgrund fehlender Erfahrungen auf die Schnelle keinen Lösungsmechanismus für dieses Problem bereithält. Im Gegensatz zum Eustress erleben wir in solchen Situationen keinen Flow, sondern fühlen uns häufig hilflos und ausgeliefert. Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass dieser Distress sogar unser Gedächtnis trübt. Denn aus der Nebennierenrinde wird Cortisol ausgeschüttet, das den Körper vor Überanstrengung schützen soll. Es blockiert unter anderem die Gedächtnisleistung, führt zu einem hohen Blutzuckerspiegel und einer Übersäuerung des Blutes und zu einer Schwächung der Schilddrüsenfunktion. Daher wird in besonders stressigen Situationen klares Denken immer unmöglicher.

Dadurch schafft man es dann immer weniger, klar zu denken, sondern dreht sich viel mehr akribisch im Hamsterrad, blockiert sich selbst und übersieht dabei im Eifer des Gefechts, dass es in vielen Situationen auch einfachere Wege geben würde. Man müsste es dazu nur schaffen, die Sache etwas lockerer anzugehen, statt in blinden Aktionismus zu verfallen. Doch viele Perfektionisten laufen Gefahr, so lange über eine Sache nachzudenken, eine Entscheidung regelrecht zu zergrübeln und sich darüber in Ängste und Sorgen derart hineinzusteigern, dass sie schließlich nicht mehr in der Lage sind zu handeln. Eine experimentelle Studie, die die Psychologen Neil J. Roese und J.R. Kuban an der Universität von Illinois durchführten, zeigt: Je länger man grübelt, desto mehr muss das Gehirn sich anstrengen und desto schwieriger erscheint am Ende eine Lösung des Problems. Das ist gerade da von Nachteil, wo es im Berufsalltag auf Entscheidungsfreude und Führungsstärke ankommt. Und es wird zu einem richtigen Problem, wenn dadurch wichtige Arbeiten immer wieder aufgeschoben oder vernachlässigt werden. Oder wenn Handlungen kopflos und panisch statt wohlüberlegt und in Ruhe erfolgen.

Strebsamkeit als Kardinaltugend

So betrachtet ist perfektionistische Strebsamkeit, die ja in unserer Gesellschaft als Kardinaltugend gilt, alles andere als gut für die Karriere. Einmal davon abgesehen, dass Sie den einzelnen in einen gefährlichen Teufelskreis treiben kann, der nicht selten zum Burnout führt, behindert sie paradoxerweise häufig sogar den beruflichen Aufstieg. Überraschenderweise kommt Perfektionismus nämlich nicht gut an bei Vorgesetzen. Denn die freuen sich zwar über die fleißigen Arbeitsbienen, die jeden Handgriff sofort erledigen, haben aber gleichzeitig keinen Respekt vor ihnen. Eine Studie der RespectResearchGroup (RSG) an der Universität Hamburg, zeigt, warum das so ist: Menschen haben einfach bestimmte Vorstellungen davon, wie kompetente und respektable Personen sein sollten: Nämlich unter anderem vertrauenswürdig, verlässlich und fair.

Auf der Suche nach dem perfekten Blau: Der Maler Yves Klein und sein Werk "Monochrome Blue". Foto: Wikipedia
Auf der Suche nach dem perfekten Blau: "Monochrome Blue" von Yves Klein. Der von Klein perfektionierte blaue Farbton ging als "International Klein Blue 191" in die Kunstgeschichte ein. Foto: Wikipedia

Ein Perfektionist sendet leider ganz andere Signale an seinen Chef:  Statt souverän durch seine Kompetenzen zu punkten, zeigt er mit seinem Bestreben, alles richtig und es jedem recht machen zu wollen, dass er von sich selbst gar nicht überzeugt ist. Warum sollte der Chef also seinen Fähigkeiten Vertrauen schenken? Und auch verlässlich sind solch Menschen trotz aller Bemühungen nicht wirklich, denn der Schuss geht nach hinten los:Wer ständig aus Angst vor negativen Reaktionen jede Arbeit von Kollegen und Vorgesetzen klaglos übernimmt, hat schon aus zeitlichen Gründen bald ein Problem, all die anfallenden Arbeit zu erledigen. Wichtige Aufgaben werden dann immer weiter hinausgeschoben oder gar nicht mehr fertig. Das ist nicht besonders Produktiv: Der Wirtschaftsforscher Winfried Panse, Professor an der Fachhochschule Köln, hat sogar errechnet, dass angstgesteuerte Mitarbeiter mindestens 20 Prozent weniger Leistung erbringen.

Doch selbst wenn es Perfektionisten gelingt, ihren Aufgabenberg akribisch abzutragen: Eine Studie vom IBM zeigt, dass es darauf gar nicht ankommt. Nur zu zehn Prozent hängt der Erfolg überhaupt von der Leistung ab. Stärker wiegt das Image, das jemand hat, nämlich 30 Prozent. Und ganze 60 Prozent werden durch den Bekanntheitsgrad im Unternehmen bestimmt. Fleißarbeiter, die von früh bis spät still in Ihrem Kämmerlein von sich hinwerkeln, haben daher schlechte Karten, denn niemand sieht, wie sie schuften. Der Chef, der erst um 9 Uhr kommt, merkt gar nicht, dass man schon um 7 Uhr da war, um das Projektkonzept pünktlich fertig zu bekommen . Er übersieht, dass man keine Mittagspause macht, weil man noch die E-Mail-Liste durcharbeiten muss. Und wenn er um 18 Uhr geht, bekommt er auch nicht mehr mit, wie sich der Perfektionist die Nacht um die Ohren schlägt, weil er noch die Akten bearbeitet.

Selbstdarsteller auf der Karriereleiter

Wie wichtig positive Selbstdarstellung in Unternehmen ist, erkennen Perfektionisten häufig erst, wenn Kollegen auf der Karriereleiter an ihnen vorbeiziehen und sie selbst beruflich ins Hintertreffen geraten; denn während andere kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darum geht, ihre guten Leistungen in Szene zu setzen, schweigen viele Perfektionisten brav, weil ihnen diese Form der Selbstdarstellung unangebracht erscheint. Statt dessen arbeiten sie stets am Leistungslimit und hoffen, dass die anderen von selbst ihren Einsatz und ihr Talent bemerken. Insgeheim aber träumen sie oft Stillen davon, etwas wirklich Großes zu vollbringen, das alle anderen überrascht und in den Schatten stellt. Doch es passiert eher selten, dass der erhöhte Einsatz auch wahrgenommen wird, denn die Leistung gilt für die meisten Chefs als Selbstverständlichkeit.

Was Vorgesetzte hingegen wahrnehmen, sind die negativen Seiten des Perfektionismus, denn die sind leider viel offensichtlicher. Perfektionisten haben nämlich häufig nicht nur an sich selbst sondern auch an andere hohe Ansprüche und halten, da sie extrem wahrheitsliebend sind, mit ihrer Meinung nur ungern hinterm Berg. Außerdem befinden sich ehrgeizige Menschen praktisch in einem ständigen Konkurrenzkampf mit anderen fallen schon deshalb unangenehm auf. Wer aber zum Beispiel im Meeting ständig Kollegen und sogar den Chef offen kritisiert und zeigt, dass er alles besser weiß, braucht sich nicht zu wundern, wenn er bald als rechthaberisch und unbequem verschrien ist und seine Sympathiepunkte aufbraucht. Statt solcherart den Finger auf brennende Wunden zu legen, wäre es manchmal viel bequemer, das Spiel um den schönen Schein einfach mitzuspielen.

Denn häufig steigt eben auf der Karriereleiter schneller nach oben, wer einen guten Draht zu den richtigen Leuten hat. Das hängt damit zusammen, dass der Mensch von Natur aus weniger auf Konkurrenzverhalten als auf Kooperationen ausgelegt ist. Der Neurobiologe und Arzt Joachim Bauer hat das in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren“ sehr einleuchtend begründet. Demnach ist die menschliche Grundmotivation, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben – und nicht etwa nach dem Motto  survival of the fittest die Konkurrenz auszuschalten. Und auch das Verhältnis zum Chef wird gleich besser, wenn man sich, statt ständig Kritik zu üben, mit ihm kooperiert. Das bedeutet nicht, dass man sich ständig für ihn aufopfert: Viel mehr geht es darum, den Chef und das Unternehmen bei seinen Zielen zu unterstützen, indem man sich in seine Lage versetzt und weiß was er will, bevor er es ausspricht. Es geht darum, über die Abläufe im Unternehmen stets informiert zu sein, um bei Bedarf richtig agieren zu können. Und es geht darum, die eigenen Kompetenzen dahingehend zu erweitern, dass sie für das Unternehmen nützlich sind. Wer so handelt, macht seinem Chef das Leben leichter und sich selbst unentbehrlich – Karriere garantiert!

Doch viele Perfektionisten haben gerade im Umgang mit anderen Menschen Probleme. Denn auch wenn sie nach außen selbstbewusst und rechthaberisch wirken, sind Perfektionisten in Wirklichkeit sehr unsichere Menschen mit einem starken Hang zur Selbstkritik. Das lässt sie übertrieben empfindlich auf Druck oder Kritik von außen reagieren, weswegen sie sich versuchen entsprechend abzuschotten und ihr Vertrauen in andere Menschen begrenzt ist. Und es führt dazu, das Perfektionisten möglichst alle Dinge im Griff haben wollen, da unkontrollierbare Ereignisse ihre Furcht nur verstärken.

Das Hamsterrad in Perfektion

Harte Zeiten im Hamsterrad. Foto: Dreamstime
Harte Zeiten im Hamsterrad. Foto: Dreamstime

Die Ursachen für die meist tiefsitzende Ängstlichkeit und das manchmal sogar zwanghafte Streben nach Perfektion liegen tief in der Kindheit: Wer als schon früh viel Lob erfährt, wird später auch eher selbstbewusst und optimistisch von sich denken. Wer jedoch häufig kritisiert wird, tendiert dazu, sich selbst und seine eigenen Fähigkeiten negativer zu beurteilen, als es manchmal notwendig wäre. Und wer schon früh gelernt hat, dass er gelobt oder zumindest nicht bestraft wird, wenn er stets Höchstleistungen bringt, wird dieses Verhaltensmuster vermutlich beibehalten.

Der kleine Max beispielsweise, der bislang in der Schule fast nur Fünfen in Mathematik geschrieben hat, schreibt plötzlich eine Drei. Eine deutliche Verbesserung. Max könnte nun von sich denken: „Hey super, das lernen hat etwas gebracht“ und sich damit für seine Anstrengungen gedanklich belohnen. Doch sein Vater ist nicht zufrieden: „Da habe ich dir die teure Nachhilfe bezahlt und dann schreibst du wieder nur eine schlechte Note“, schimpft er. Max denkt nun automatisch auch: „Mensch, bin ich blöd, dass ich nur eine Drei geschrieben habe.“

Durch seine negative Selbstwahrnehmung schafft er sich negative Gefühle und bestraft sich dadurch selbst. Je älter er wird, desto unabhängiger wird Max vermutlich von der Meinung seines Vaters werden, weil er lernen wird, sich selbst zu bestrafen und belohnen. Aber die Auffassung, dass eine Drei immer noch nicht gut genug ist, wird ihm vermutlich erhalten bleiben. Denn auch wenn die negativen Selbstbewertungen anfangs noch die eigenen Erfahrungen wiedergeben: Verfestigen sich solche Denkmuster, so wird man sich auch dann negativ beurteilen, wenn die Wirklichkeit inzwischen weitaus positiver ist.

Was aber kann man dagegen tun? Die Lösung des Problems beginnt im Kopf: Man muss sich zunächst einmal klar machen, dass man sich in einem Hamsterrad dreht, das schnell zum Teufelskreis werden kann: Wer aus Angst, Fehler zu machen, nur immer weitere Höchstleistungen zu bringen versucht, gelangt schnell an die Grenzen seiner Motivation und Leistungsfähigkeit. Um dem vorzubeugen, muss man sich davon überzeugen, dass weniger meist mehr ist. Und das geht am besten, in dem man kleine Versuchsballönchen startet: Statt also morgens gleich loszulegen mit dem durchackern, sollte man sich zunächst ruhig überlegen, welche Aufgaben wirklich wichtig sind. Die unwichtigeren Arbeiten sollte man ruhig mal mit etwas weniger Perfektion angehen lassen. Dabei hilft es, sich realistisch vor Augen zu führen, was im schlimmsten Fall passieren könnte, wenn man diese oder jene Arbeit nicht vollkommen perfekt erfüllt. Oder dem Chef, der mit dem nächsten Extraauftrag um die Ecke biegt, einfach mal freundlich, aber bestimmt „Nein“ sagt.

Meist ist das Ergebnis weit weniger dramatisch, als man es sich in seinem Horrorszenario ausgemalt hat. Und der Chef wird auch nicht gleich ausflippen, wenn man sein „Nein“ vernünftig begründet, sondern einen nur etwas mehr respektieren. Wer aber mal einen Gang zurückschaltet und dabei die positive Erfahrungen macht, dass es gar nicht nötig ist, immer 110 Prozent zu geben, wird solcherart motiviert, auch schwierigere Aufgaben mutig anzugehen. Wer einsieht, dass Fehler unvermeidlich sind und daraus lernt statt sie beklagen, dem wird es leichter fallen, Entscheidungen zu treffen. Und wer seine Arbeit weniger gestresst und nervös erledigt, dem bleibt auch mehr Zeit für den Aufbau von Netzwerken. Weniger Perfektionismus ist also ein dickes Plus für die Karriere.

Ein Gastbeitrag von Simone Janson.

Perfektionismus – Das Buch: http://perfektionismus.berufebilder.de

Aus dem Inhalt

Raus aus der Vereinfachungsfalle • Was gut genug ist, bestimme ich! • Pessimismus und andere Katastrophen • Perfektionismus – ein ökonomisches Problem? • Das Märchen von der Effizienzsteigerung • Fehlerkultur – mehr als eine hohle Phrase? • Erwischt – und jetzt? • Mehr Selbstbewusstsein bitte! • Manipulatoren am Werk • Hamsterrad statt Karriereleiter • Mehr Schein als Sein? • Der perfekte Mitarbeiter • Wenn der Schuss nach hinten losgeht • Der Bumerangeffekt • Ein bisschen Show muss sein • Warum Perfektionisten beim Chef schlecht ankommen

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