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OECD Bildungsbericht: Geprägte Verhaltensmuster begründen unterschiedliche Leistungen von Jungen und Mädchen

Andreas Schleicher, OECD
Andreas Schleicher, OECD

Deutschland gehört zu den Ländern mit dem größten Geschlechtergefälle in der OECD, wenn Mädchen und Jungen ihre Einstellung der Mathematik gegenüber angeben:  Gefragt, ob sie mathematische Aufgaben schnell begreifen, antworten Jungen wesentlich häufiger mit Ja als Mädchen. Andersherum stimmen Mädchen eher der Aussage zu: “Ich bin einfach nicht gut in Mathe” – und das auch dann, wenn sie im PISA-Test genauso erfolgreich abschneiden wie ihre männlichen Alterskameraden.

Der erste OECD-Bildungsbericht mit Fokus auf den Geschlechtern, The ABC of Gender Equality in Education: Aptitude, Behaviour and Confidence, stellt fest, dass die Einstellung gegenüber Mathematik und Naturwissenschaften, und damit einhergehend auch das Interesse an Karrieren in einem naturwissenschaftlichen oder technischen Feld, sich zwischen Jungen und Mädchen fundamental unterscheidet. Im OECD-Schnitt kann sich weniger als eines von 20 Mädchen im Alter von 15 Jahren vorstellen, später in einem sogenannten MINT-Fach (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zu arbeiten. Bei den Jungen sind es immerhin 4 von 20. Dieses Ergebnis ist erstaunlich, weil beide Geschlechter im PISA-Test Naturwissenschaften ähnliche Leistungen erbringen. Und es ist problematisch, weil es gerade die MINT-Berufe sind, die zu den bestbezahlten Karrieren führen. Gleichzeitig ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen in kaum einem OECD-Land so groß wie in Deutschland.

 

 

Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse des PISA-Tests die Geschlechter-Präferenzen zu bestätigen: In vielen Teilnehmerländern schneiden Jungen bei den mathematischen Aufgaben besser ab, während die Mädchen ihre Altersgenossen beim Lesen in allen Ländern hinter sich lassen. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass Mädchen in besonders leistungsstarken Volkswirtschaften in Mathematik mit den Jungen gleichauf sind und weit bessere Ergebnisse erbringen als die Jungen der meisten anderen Länder. Ebenso ist das Leseverständnis der Jungen in diesen, zumeist asiatischen, Ländern höher als das der Mädchen in schwächeren Teilnehmerstaaten. Die Geschlechterdifferenzen begründen sich also nicht durch angeborenes (Un)Vermögen, sondern vielmehr durch eine erworbene Haltung gegenüber der Materie, der Schule, beziehungsweise dem Lernen ganz allgemein.

„Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Unterschiede in der Bildung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen enorm verringert. Aber wir dürfen nicht aufhören, unsere Kinder dazu zu motivieren, ihr ganzes Potenzial auszuschöpfen”, sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei der Vorstellung des Berichts. “Die gute Nachricht ist, dass wir dazu weder langwierige noch teure Bildungsreformen brauchen – es reicht, wenn Eltern, Lehrer und Arbeitgeber an einem Strang ziehen.”

Gerade die Eltern tragen nach Erkenntnissen des Berichts oft bewusst oder unbewusst dazu bei, dass das Interesse für Mathe und Naturwissenschaften bei den Geschlechtern so unterschiedlich ausgeprägt ist: So können sich in Chile, Ungarn und Portugal etwa 50 Prozent der Eltern vorstellen, dass ihr Sohn später einen MINT-Beruf ergreifen wird, für ihre genauso leistungsstarken Töchter können das nur 20 Prozent. In Korea gibt es hingegen kaum geschlechterspezifische Unterschiede bei den Berufserwartungen der Eltern.

Für die Jungen schlägt sich das Geschlechtergefälle dahingehend nieder, dass ihnen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Mädchen in allen PISA-Bereichen die grundlegenden Kompetenzen fehlen: Von der Gesamtheit der besonders leistungsschwachen Schüler in Lesen, Mathe und Naturwissenschaften sind 60 Prozent Jungen. Ihr Risiko, die Schule abzubrechen, ist dementsprechend höher als das von Mädchen.

Laut Bericht ist es besonders wichtig, die Lesefähigkeiten der Jungen zu verbessern. Um das zu erreichen, sollten Eltern und Lehrer das unterschiedliche Lese- und Freizeitverhalten der Jungen berücksichtigen und ihnen den Einstieg ins Lesen durch passende Lektüre erleichtern. So begeistern sich Jungen häufiger für Comics, während Mädchen eher zu Romanen oder Magazinen greifen. Selbst ein gemäßigter Konsum von Videospielen, für die Jungen eher Interesse zeigen als Mädchen, kann die digitalen Lesekompetenzen verbessern.

Eine weitere Möglichkeit, Jungen und Mädchen zu hohen Leistungen anzuspornen, besteht in Lehrstrategien, die darauf ausgerichtet sind, dass die Schüler erklären, wie sie zum Beispiel eine Matheaufgabe gelöst haben. Erhalten die Schülerinnen und Schülern darüber hinaus noch Gelegenheit, das Gelernte in einem anderen Kontext oder in der Praxis anzuwenden, verbessert das die Ergebnisse für beide Geschlechter, vor allem aber bei Mädchen.

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