Recruiter: Ahnungslos am Arbeitsmarkt
Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide
Das Dilemma der klugen Köpfe hatte schon Johann Wolfgang von Goethe mit seinem unsterblichen Faust-Zitat beschrieben: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Wer sich die jüngsten IAB-Arbeitsmarktdaten anschaut wird feststellen, dass das Faust-Syndrom sich auch auf die Gilde der Recruiter anwenden lässt.
In den unaufgeregten Zahlen und Charts der Nürnberger Arbeitsmarktforscher verbirgt sich ein signifikante, explosive Erkenntnis. Die Besetzungsdauer als Indikator der Recruiting-Effektivität – und noch schlimmer – die Abweichung zwischen geplanter und tatsächlicher Besetzungsdauer.
Die Entwicklung der durchschnittlichen Besetzungsdauer
So schaut’s aus: Die durchschnittliche tatsächliche Besetzungsdauer in Deutschland ist von 70 Tagen im Jahr 2010 auf 85 Tage in 2015 gestiegen, eine Zunahme von 21%. Diese Verzögerung muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 21% – die Ammenmärchen der agilen Digitalisierung der HR-Funktionen können getrost abgehakt werden – sie entpuppen sich als Heißluftsprechblasen.
Ahnungslos am Arbeitsmarkt
Die Differenz zwischen der geplanten Besetzungsdauer und der tatsächlichen Besetzungsdauer zeigt einen weiteren Offenbarungseid: Mit ihren Einschätzungen der Arbeitsmarktsituation liegen Recruiter gehörig daneben. Im Jahr 2010 ergab sich eine Differenz zwischen der geplanten Besetzungsdauer von 70 Tagen und der tatsächlichen Besetzungsdauer von 70 Tagen von 46%. Das ist fast doppelt so viel wie erwartet. Und es kommt noch schlimmer: Im Jahr 2015 stieg diese Lücke im Realitätscheck bei geplanter Besetzungsdauer von 58 Tagen im Verhältnis zur tatsächlichen Besetzungsdauer (85 Tage) auf 47%.
Eine weitere, bedrückende Erkenntnis: Die Dauer der durchschnittlichen Vakanzzeit von 85 Tagen entsprechen in etwa 39% der Jahresarbeitstage (geschätzt: 220 Tage). Nicht besetzte Arbeitsplätze wirken sich direkt auf den Unternehmensumsatz aus, erhöhen die Arbeitsbelastung der verbleibenden Belegschaft und sind eigentlich in dieser langen Dauer ein Offenbarungseid der Personalführung. Reduktion der Fluktuation, Mitarbeitereinsatz mit abwechslungsreichen, herausfordernden Tätigkeiten, Verkürzung der Besetzungsdauer insgesamt sollten eigentlich das Gebot der Stunde sein. Das geht auch ohne agile Digitalisierung in HR.
Weiterführende Links:
Besetzungsdauern: Die interaktive Grafik des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB)
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