Arbeitsmarkt Management Nachrichten

Kippt die Work-Life-Balance? Mehrheit der Berufstätigen nach Büroschluss erreichbar

Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, BITKOM
Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, BITKOM

Zwei Drittel sind in der Freizeit per Handy oder Internet erreichbar

Grenzen zwischen Arbeit und Privatem sind fließend geworden

Die meisten Beschäftigten haben eine Absprache mit dem Arbeitgeber

Berlin, 30. März 2010 Zwei Drittel der Berufstätigen in Deutschland sind außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder Vorgesetzte per Internet oder Handy erreichbar. Ein Drittel der Erwerbstätigen ist jederzeit erreichbar, also auch am Abend oder am Wochenende. Ein weiteres Drittel ist zu festgelegten Zeiten per Internet oder Telefon auch außerhalb der Arbeitszeit für den Arbeitgeber da. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Hightech-Verbands BITKOM ergeben.

32 Prozent der Berufstätigen sind in ihrer Freizeit nur in Ausnahmefällen oder gar nicht per Internet oder Handy erreichbar. Unterschiede bei der Erreichbarkeit gibt es bei Männern und Frauen. Während fast drei Viertel (73 Prozent) der berufstätigen Männer außerhalb der normalen Arbeitszeiten per Handy oder E-Mail erreichbar sind, sind es bei den Frauen 59 Prozent.

„Die neuen Kommunikationsmittel bringen es mit sich, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen“, sagte BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. Forciert werde dieser Trend durch den Erfolg von modernen Smartphones, die an praktisch jedem Ort die Bearbeitung beruflicher E-Mails und das Surfen im Internet ermöglichen.   „Internet und Handy beschleunigen die betrieblichen Prozesse und bringen mehr Flexibilität und Mobilität“, sagte Scheer. So könnten dringende Arbeiten auch schnell im Home-Office oder unterwegs erledigt werden.

Zur Erreichbarkeit außerhalb der Bürozeiten sollten aber klare Regelungen zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern vereinbart werden. Unter anderem sollte festgelegt werden, wann und aus welchem Anlass der Mitarbeiter erreichbar sein sollte. Nach den Ergebnissen der Umfrage existieren bei der Mehrheit der Befragten (56 Prozent) bereits entsprechende Vereinbarungen. Bei 34 Prozent der Berufstätigen gibt es Vereinbarungen im Rahmen einer individuellen Absprache mit dem Vorgesetzten. Bei 22 Prozent existiert eine Vorgabe des Arbeitgebers für alle Mitarbeiter. Allerdings gibt es bei immerhin bei 41 Prozent der Berufstätigen keine klaren Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber.   Arbeitsrechtlich besteht keine Verpflichtung für den Arbeitnehmer, während der Freizeit per E-Mail oder Handy für den Arbeitgeber erreichbar zu sein.

Anders verhält es sich, wenn eine so genannte „Rufbereitschaft“ vereinbart wurde. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer auf Abruf zur „unverzüglichen Arbeitsaufnahme“ in der Lage sein. Das kann im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder auch mündlich vereinbart werden. Bei vielen ist eine Rufbereitschaft Teil des Jobs, zum Beispiel im technischen Support. Bei normalen Bürotätigkeiten kommt es auf die Art der Tätigkeit und die Bezahlung an.

In den Arbeitsverträgen von gut bezahlten Experten sowie Führungskräften kann eine Rufbereitschaft pauschal abgegolten werden.   Das Thema der Erreichbarkeit sollte aus Sicht des BITKOM möglichst bereits bei Bewerbungsgesprächen, aber auch im Rahmen von Personalgesprächen diskutiert werden. Scheer: „Zwischen ‚Dienst nach Vorschrift‘ und einer ständigen Verfügbarkeit müssen die Beteiligten einen gesunden Mittelweg finden.“

Zur Methodik: Die Daten wurden in einer repräsentativen Befragung der ARIS Umfrageforschung im Auftrag des BITKOM erhoben. Dabei wurden 1.000 Personen in Privathaushalten ab 14 Jahre befragt.  

Ansprechpartner

Maurice Shahd Pressesprecher Konjunktur und Wirtschaftspolitik Tel. +49.30.27576-114 Fax +49.30.27576-51-114 m.shahd@bitkom.org

.

2 Comments

  • […] die Work-Life Balance?” fragt eine Erhebung der BITKOM. An sich seltsam. Gehört denn Arbeit nicht zum Leben? Ist es immer noch so, dass tariflich […]

  • Vor mehr als 10 Jahren war das Thema Telearbeit en vogue. In den Jahren danach wurde aus Telearbeit, Flexible Work, oder andere Begrifflichkeiten sollten die diese Flexibilsierung der Arbeit unter einem passenden Oberbegriff zusammenfassen. Viele Studien wurden dazu durchgeführt, Diplomarbeiten geschrieben, Gelder zur Verfügung gestellt und mehr.

    Damals ging es auch um die rechtlichen Bestimmungen, die man nicht aus dem Auge lassen wollte. Es ging um den Zugang zum Arbeitsplatz Zuhause, um die Übernahme von Kosten für zusätzlichen Büroraum oder Büromöbel, um Kommunikationskosten und vieles mehr. Man erarbeitete Betriebsvereinbarungen, Personalvertretungen wurden eingebunden, es ging um Ergonomie am Arbeitsplatz, um Datensicherheit und, und, und…

    Heute spricht davon niemand mehr. Heute geht es um die Entgrenzung der Arbeit. Und parallel dazu um den Information Overflow, der damit einhergeht und untrennbar damit verbunden ist. Das Internet und der überbordende E-Mail Verkehr, gepaart mit fehlenden griffigen Konzepten im Umgang mit dieser Informationsbeschleunigung, tragen einen großen Anteil dazu bei. Und es fehlt an Organisations- und Arbeitsformen, mit dieser neuen Art des Arbeitens umzugehen. Ein zunehmend schärferer Wettbewerb in allen Branchen kommt hinzu. Nicht von ungefähr ist die Anzahl der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz in den letzten ca. 25 Jahren um etwa 450% gestiegen. Und diese Krankheiten kosten sehr viel Geld, weil sie langwierig sind.

    Manche, wie bspw. Intel, versuchen irgendwie diese Arbeitsbelastung wenigstens etwas zu entschärfen und richten deshalb beispielsweise einen „e-mail free friday“ ein – die Mailsverver werden einfach am Freitag abgeschaltet und die Angestellten aufgefordert, direkt miteinander zu kommunizieren.

    Gleichzeitig spricht man mehr und mehr von Work Life Balance – das Thema bzw. die Problematik scheint erkannt. Soll doch die Arbeitskraft, das Humankapital (Unwort des Jahres 2004, wer erinnert sich?) erhalten bleiben. Doch der Druck wächst. Talente brauchen die Unternehmen – der demografische Faktor kündigt sich an. Es geht um Talente, die in den Schulen und Hochschulen garnicht mehr ausgebildet werden können, weil derart differenzierte Qualifikationen gesucht werden, für die es gar keine spezifischen Ausbildungsgänge gibt. Das Rad oder die Räder drehen sich immer schneller. So ziemlich jeder wird das bestätigen.

    Aber was tun? Wie Einhalt gebieten? Welche Werkzeuge und Konzepte gibt es, um der zunehmenden Geschwindigkeit und Komplexität der Strukturen noch Herr zu werden? Lippenbekenntnisse helfen da leider nicht. Auch keine Aufrufe zum vernünftigen Umgang mit der zunehmenden Arbeitslast. Sicher, die Flexibilisierung der Arbeit hat eine Menge Vorteile – für alle an diesem Prozess Teilnehmenden.

    Auf der einen Seite spricht man davon, die Mitarbeiter behalten zu wollen, sie zu fördern (und zu fordern), auf der anderen Seite wächst der Druck auf sie.

    Vielleicht ist das ein natürliches Symptom am Ende einer Phase des Handelns in der Arbeitswelt – und vor dem Anfang einer neuen. Der Ballon ist bis an seine Grenzen aufgebläht. Ein wirklich neues Denken in der Arbeitswelt ist ganz, ganz dringend erforderlich – doch das darf nicht auf altbekannten Denkmustern aufbauen – und es sollte sich nicht marktschreierischen und inflationären Trends unterwerfen. Das geht schief – garantiert! Könnte der BITKOM oder ähnliche Organisationen hier Lösungen anbieten oder gemeinsam mit allen am Arbeitsprozess Beteiligten entwickeln?

    up

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert