BA-Vorstand Heinrich Alt zur „Klageflut Hartz IV“
Nürnbereg. Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit und zuständig für den Bereich Grundsicherung, zu den aktuellen Diskussionen um die �Klageflut Hartz IV�.
Klagen und kein Ende, auch sechs Jahre nach Hartz IV? Das Sozialgericht Berlin spricht von einer anhaltenden Klageflut.
�Ich verstehe Berlin. Aber wie sieht es denn bundesweit aus: Die Jobcenter versenden jährlich rund 25 Millionen Leistungsbescheide, gegen drei Prozent davon gehen Kunden in den Widerspruch. Dreht man die Argumentation um, vertrauen 97 Prozent unserer Kunden den Entscheidungen ihrer Sachbearbeiter. Im letzten Jahr wurden bundesweit rund 150.000 Klagen vor Gericht gebracht, der Hälfte davon wurde durch die Sozialrichter stattgegeben, oftmals wegen nachgereichter Unterlagen oder wegen einer geänderten Rechtslage.�
Also alles übertrieben?
�Nein. Ich verstehe Jeden, der Entscheidungen einer Verwaltung anzweifelt und Wege sucht, um sein Recht zu streiten. Dafür leben wir in einem Rechtsstaat. Man muss auch sehen, dass es bei Hartz IV um die existenzielle Grundsicherung geht, mit der eine Familie von Monat zu Monat klar kommen muss. Da ist ein Euro mehr oder weniger wichtig. Es muss uns in den Jobcentern gelingen, Bescheide zu erstellen, die zum einen verständlich und natürlich zum anderen in der Berechnung und in der Transparenz der Entscheidung verlässlich sind.�
Aber was läuft denn nun schief? Warum die Klagen?
�Wir haben in der Gesetzgebung rund um Hartz IV eine hohe Dynamik. In den letzten sechs Jahren gab es über 50 Gesetzesänderungen. Die muss eine Verwaltung auch erst mal verarbeiten, angefangen von der IT bis hin zu permanenten Schulungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jeder fünften Klage wird stattgegeben, weil sich vom Zeitpunkt des Bescheides bis hin zum Gerichtsverfahren die Gesetzeslage geändert hat. Hier würde ich mir auch mehr Kontinuität wünschen.�
Sie müssen vor Ort Rechtsbegriffe wie �angemessen�, �zumutbar� oder �wichtigen Grund� interpretieren und auslegen. Entstehen dort Fehler?
�Man kann in einem Gesetzbuch nicht alle Lebensumstände beschreiben und definieren. Es gibt unterschiedlichste Biografien und die kann man nicht in Paragrafen packen. Daher auch die unbestimmten Rechtsbegriffe, um der Verwaltung Spielraum zu geben. Wenn man einer Verwaltung Ermessen einräumt, sollte man aber auch der Verwaltung den Rücken stärken, wenn sie das Ermessen ausübt.�
Sind die Mitarbeiter überfordert?
�Die Kollegen in den Jobcentern arbeiten tagtäglich mit einer höchst komplexen Rechtsmaterie. Wo gearbeitet wird, passieren leider auch Fehler. Davor ist auch eine Bundesagentur nicht gefeit. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir um die Brisanz und um die Bedeutung unserer Entscheidungen wissen. An jedem Bescheid hängt ein Einzelschicksal, oftmals eine ganze Familie. Dessen sind wir uns bewusst. Wir hatten in der Vergangenheit zu viele Personalfluktuationen. Darunter leidet auch die Qualität. Künftig bekommen wir hier mehr Stabilität rein.�
Ärgert Sie die aktuelle Diskussion?
�Ich würde mir wünschen, dass wir nicht so viel Zeit darauf verwenden, über fehlerhafte Bescheide oder über eine Klageflut zu diskutieren. Das macht die Arbeit der Jobcenter nicht leichter. Wir wollen mit den Menschen über Ausbildung und Arbeit reden, darüber wie sie aus dem Hartz IV-Bezug kommen. Dann brauchen wir auch nicht mehr über die Größe einer angemessenen Wohnung zu streiten.�
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