Bewerben zwecklos: Der beste Job Deutschlands
Die cleveren Tourismusmanager der australischen Insel Hamilton Island in Queensland haben der ganzen Welt vorgeführt, wie man mit einer pfiffig formulierten Stellenanzeige ein weltweites Publikum erreicht: Die Ausschreibung zum besten Job der Welt liest sich wie ein Ausflug ins sagenumwobene Shangri-La, die Aufgabenbeschreibung könnte nicht attraktiver dargestellt werden und der Bewerbungsprozess wird wie DWSDS zelebriert: Die Welt sucht den Superstar. Die erste Stellenbesetzung nach dem DWSDS-Auswahlverfahren wurde zwar schon an den US-Präsidenten Obama vergeben, doch für den Traumjob auf Hamilton Island gibt es noch gute Chancen.
Der beste Job in Deutschland
Angestachelt von der weltweiten Publicity über den besten Job der Welt? Stressbehaftete Bewerberauswahlverfahren? Alles Fehlanzeige, wenn es um den besten Job in Deutschland geht. Hier liegen die Dinge ganz anders.
Arbeitgeber ist die Deutsche Gesundheits-Bürokratie, vertreten durch den Bundesverband der Innungskrankenkasse in Bergisch Gladbach, Ortsteil Moitzfeld, in Nordrhein-Westfalen. Die Aufgabenbeschreibung könnte nicht kürzer formuliert werden: Nix tun. Die Arbeitszeitregelung: Flexibel. Befristete Tätigkeit: bis Ende 2012. Jobgarantie durch gesetzliche Regelung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Stelleninhaber müssen in der Lage sein, den Arbeitstag mit einer frei wählbaren sinngebenden Tätigkeit, auch durch die Beschäftigung mit privaten Hobbies, zu gestalten.
So beschrieb Spiegel-Redakteur Alexander Neubacher in „Tollhaus“ (SPIEGEL 15/2009) die Situation:
„Wenn die Beschäftigten des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen in Bergisch Gladbach morgens ins Büro kommen, beginnt für sie die geruhsamste Zeit des Tages. Die einen machen es sich mit der Tageszeitung und einer Tasse Kaffe gemütlich; andere gehen ihren Hobbys nach, suchen im Internet nach einem Nebenjob oder sitzen mit den Kollegen zusammen, bis es Zeit fürs Mittagessen wird. Eine Führungskraft schreibt ihren ersten Kriminalroman; sie kommt gut voran.
Reguläre Arbeit gibt es nicht. Zu Jahresbeginn hat der Verband alle Aufgaben abgetreten und seinen Sonderstatus als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren. Für Verhandlungen mit Ärzten, Apothekern und der Politik ist jetzt eine neue Einrichtung namens ‚Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen‘ im fernen Berlin zuständig.
Doch obwohl es nichts zu tun gibt, müssen die noch fast 80 verbliebenen Beschäftigung keine Kündigung fürchten. Bis Ende 2012, also noch fast vier Jahre lang, darf es keine betriebsbedingten Entlassungen geben, so hat es die Bundesregierung im Gesetzt verfügt. Die Zombie-Behörde ist ein Abfallprodukt der Gesundheitsreform.“
Risiken und Nebenwirkungen
Zombie Job hin, Monotonie her: Die Unter-Beschäftigten in Bergisch Gladbach setzten sich auch Risikon und Nebenwirkungen aus – vermutlich traut sich aber niemand, die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt oder einen Arzt zu fragen.
Der Philosoph Martin Heidegger, der sich zum Nachdenken gerne vom Trubel der Universitätsstadt Freiburg in die Abgeschiedenheit des Schwarzwalddorfs Todtnauberg zurückzog, hat sich ebenfalls mit dem Thema „Langeweile“ befasst und unterschied drei signifikante Phasen: (1) Die Langeweile kann einem Grund zugeschrieben werden, (2) Die Langeweile kommt sowohl von innen als auch von außen, (3) die anonyme Langweile kommt grundlos und ist ohne Bezug.
Langeweile kann gesundheitsschädlich sein
Die Nebenwirkungen der Job-Langeweile haben auch die Autoren Philippe Rothlin und Peter R. Werder analysiert und mit dem griffigen Terminus Technicus „Diagnose Boreout“ bezeichnet. Daß die Diagnose „Boreout“ durchaus mit guten Chancen im Arbeitsleben bekämpft werden kann, dienen drei im Büroalltag einfach umzusetzende Strategien:
Die Dokumentenstrategie: Der Arbeitnehmer sitzt vor seinem Computer, starrt in den Bildschirm und plant z. B. seine nächsten Ferien. Kommt der Chef vorbei, wechselt er einfach die Bildschirmansicht mit einem einfachen Tastenbefehl auf ein geschäftliches Dokument.
Die Komprimierungsstrategie: Bei dieser Strategie versucht der Mitarbeiter, eine ihm übertragene Aufgabe so schnell wie möglich zu erledigen. Ist er fertig, kommuniziert er dies jedoch nicht, sondern nutzt die gewonnene freie Zeit für private Dinge. Der Chef denkt weiterhin, er sei mit der Aufgabe völlig ausgelastet.
Die Lärmstrategie: Wenn der Arbeitnehmer merkt, dass er wieder einmal ein Lebenszeichen von sich geben sollte, öffnet er eine E-Mail und tippt wahllos auf seiner Tastatur umher. Das macht Lärm und hinterlässt den Eindruck, man sei fleißig am Arbeiten.
Natürlich können Beschäftigte auch andere, eher subtilere Strategien umsetzen. Hierzu gehört die „fiktive To-do-Liste:“ Schreiben Sie jeden Tag sieben Dinge auf, die bei Ihrem Job zu erledigen wären. Säuberlich und gut lesbar lassen Sie die Liste (am besten auf einem DIN A4 Blatt) gut sichtbar auf ihrem Schreibtisch liegen. Im Tagesverlauf haken Sie einige Punkte als erledigt ab. Falls sie nicht am Schreibtisch anzutreffen sind, weil Sie mit Kollegen eine Raucherpause machen, kann sich der zufällig vorbei gehende Chef mit einem schnellen Blick auf die To-do-Liste überzeugen, wie beschäftigt Sie sind.
Das „eindimensionale Telefongespräch“ funktioniert allerdings nur in Grossraumbüros und auch nur dann, wenn viele zuhören können: Wählen Sie die Nummer der Zeitansage und führen mit der freundlichen Uhrzeitansagerin ein fiktives Telefongespräch, das sich um knifflige Probleme bei einem Ihrer Projekte dreht. Vergessen Sie nicht, das Gespräch mit einer verbindlichen Zusage zu beenden: „Ja, ich melde mich wieder bei Ihnen, sobald ich diese Details näher recherchiert habe….“
Für die Beschäftigten der Bundesverbands der Innungskrankenkassen sind solche Strategien kein Thema. Sie können offen und für alle sichtbar ihr Boreout-Syndrom zur Schau tragen. Und wenn der Feierabend naht, sind sie in Null komma nix von ihrem Arbeitsplatz im Technologiepark Moitzfeld auf der Autobahn A4 und können sich in ihrer Freizeit um die wichtigen Dinge des Lebens kümmern.
[10.4.2009/ghk]
Quellen und Weiterführende Links:
FOCUS: Besser als jede Werbekampagne – der beste Job der Welt
SPIEGEL 15/2009: Das Tollhaus. Die Gesundheitsreform wirkt – aber anders als von der Koalition geplant. Milliardenbeträge versichern im Nirgendwo, die Bürokratie treibt bizarre Blüten, und die medizinische Versorgung unterliegt einer absurden Prämisse: Je kranker ein Patient, desto besser. Von Alexander Neubacher.
Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Carl Hanser Verlag, 1994.
Wikipedia: Diagnose Boreout
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2 Comments
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Ein Super-Artikel, ganz vielen Dank. Unglaublich, was es alles gibt. Ich frage mich allerdings, wie glücklich und zufrieden die Beschäftigten bei ihrer Arbeit sind. Aber viele Angestellte anderer Unternehmen würden sicherlich gerne tauschen.