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PISA-Fortschritt in Deutschland: Auch die Schwachen werden besser

Prof. Dr. Barbara Ischinger, OECD
Dr. Barbara Ischinger

Paris/Berlin – Schülerinnen und Schüler in Deutschland liegen mit ihren Leistungen im internationalen Schulleistungstest PISA das erste Mal in allen Bereichen deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Das Programme for International Student Assessment (PISA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überprüfte 2012 zum fünften Mal die Fähigkeiten 15-Jähriger in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Mathematik.

Mit durchschnittlich 514 Punkten erzielten die Schüler hierzulande in Mathematik 20 Punkte mehr als der OECD-Durchschnitt, sie haben also einen Vorsprung von etwa einem halben Schuljahr. Im Vergleich zu 2003, dem letzten Mal als Mathematik im Zentrum des Tests stand, hat sich das Ergebnis um elf Punkte verbessert. Vor allem leistungsschwache und sozial benachteiligte Schüler schnitten 2012 um Einiges besser ab, als noch 2003.

18 Prozent der Schüler in Deutschland, erreichen in Mathematik weniger als Level 2, können also nur einfache Formeln und Schritte zur Lösung einer Aufgabe anwenden. Vor zehn Jahren waren es noch beinahe 22 Prozent. Gleich geblieben ist dagegen der Anteil der Mathe-Asse: 17 Prozent der Schüler in Deutschland sind in der Lage, strategisch zu denken und Modelle für die Lösung komplexer Aufgaben zu finden (Level 5 und 6) – im OECD-Durchschnitt sind es nur 13 Prozent.

Problematisch ist allerdings der große Geschlechterunterschied in den Leistungen, aber auch hinsichtlich der Einstellung zur Mathematik. In Deutschland erzielten die Jungen in Mathematik durchschnittlich 14 Punkte mehr als die Mädchen. Seit 2003 hat sich dieser Abstand ausgeweitet, damals betrug er neun Punkte. Im OECD-Mittel schneiden Mädchen elf Punkte schlechter ab als Jungen. Besonders stark ist das Gefälle bei den mathematischen Spitzenleistungen: 20 Prozent der Jungen in Deutschland sind in Mathe top, bei den Mädchen sind es nur 15 Prozent.

Selbst da, wo Jungen und Mädchen gleiche Ergebnisse haben, sind Mädchen der Mathematik gegenüber negativer eingestellt. Ihr Vertrauen in die eigenen mathematischen Fähigkeiten ist geringer, ebenso ihre Motivation und ihre Ausdauer beim Lernen. Insgesamt geben sie häufiger an, Angst vor Mathematik zu haben, als Jungen.

„Der jüngste OECD-Test zu den Kompetenzen Erwachsener (PIAAC) hat uns gezeigt, dass mathematische Fähigkeiten einen wesentlichen Einfluss auf den beruflichen Erfolg und andere wichtige Faktoren im Leben haben“, sagte OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger bei der Vorstellung der PISA-Studie in Berlin. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch gesund ist, sich ehrenamtlich betätigt und sich eher als Gestalter, denn als Subjekt politischer Prozesse empfindet, steigt mit seinen Mathe-Kompetenzen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders heikel, wenn Mädchen die Mathematik als Buch mit sieben Siegeln empfinden. Auch in Hinblick auf Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit sollten Politiker, Lehrer und Eltern alles daran setzen, das Interesse der Mädchen zu wecken und ihre Potenziale voll auszuschöpfen.“

Ungenutzte Potenziale konstatiert PISA 2012 in Deutschland aber auch an anderer Stelle. So liegt der Anteil der Schüler, die im Mathe-Test trotz schwieriger sozio-ökonomischer Verhältnisse gut oder sehr gut abschnitten – sogenannter resilienter Schüler – in Deutschland bei sieben Prozent. Das sind zwar 1,3 Prozentpunkte mehr als noch 2003, das Land befindet sich damit aber nur unwesentlich über dem OECD-Durchschnitt (6,5%). In vielen asiatischen Ländern und Gebieten (etwa Hong-Kong, Korea, Macao, Singapur oder Vietnam) zeigten mindestens 13 Prozent aller Schüler weit bessere Leistungen, als mit Blick auf ihren sozialen Hintergrund zu erwarten gewesen wäre.

Insgesamt sind bei PISA 2012 gute und schlechte Resultate gleichmäßiger verteilt als bei vorhergehenden Tests. Die Unterschiede (Varianz) in den Ergebnissen für Mathematik sind in Deutschland zu 17 Prozent auf den sozio-ökonomischen Status der Schüler zurückzuführen – noch immer stärker als im OECD-Durchschnitt (15%), aber wesentlich weniger ausgeprägt als noch vor zehn Jahren (24%). Deutschland ist neben Mexiko und der Türkei das einzige Land, das es seit 2003 geschafft hat, sowohl seine Ergebnisse in Mathematik zu verbessern als auch die Chancengleichheit bei der Bildung zu erhöhen. Allerdings erzielten sozio-ökonomisch begünstigte Schüler auch 2012 noch 43 Punkte mehr als benachteiligte Klassenkameraden (OECD-Schnitt:39).

Ein ähnliches Bild bietet sich für Schüler mit Migrationshintergrund: Lagen ihre Matheergebnisse im Jahr 2003 noch 81 Punkte unter denen von Schülern ohne Migrationshintergrund, so verringerte sich der Abstand 2012 auf 54 Punkte (was knapp anderthalb Schuljahren entspricht). Allerdings verfehlt noch immer fast jeder dritte in Deutschland geborene Jugendliche aus Migrantenfamilien in Mathematik das Grundkompetenzniveau 2. Der Anteil ist damit gut doppelt so hoch wie bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (14%).

Weitere Ergebnisse für Deutschland

Lesen: In Deutschland erzielten die Schülerinnen und Schüler im Bereich Lesekompetenz im Durchschnitt 508 Punkte. Dies ist mehr als der OECD-Mittelwert (496) und setzt das Land in eine Liga mit Belgien, Macao (China), den Niederlanden oder auch der Schweiz. Deutschlands Durchschnittsergebnis beim Lesen hat sich seit dem ersten PISA-Test stetig verbessert, von 484 im Jahr 2000 auf 496 im Jahr 2009, als der Schwerpunkt auch auf der Lesekompetenz lag. Wie in der Mathematik holten vor allem die leistungsschwachen Schüler auf. In der Gruppe ohne grundlegende Lesekompetenz (unterhalb Niveau 2) sind 2012 noch 14 Prozent der Schüler, acht Prozentpunkte weniger als im Jahr 2000. Und selbst bei den leistungsschwächsten zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler gibt es Fortschritte: sie erreichten 2012 fast 50 Punkte mehr als die entsprechende Gruppe in PISA 2000.

Naturwissenschaften: Der deutsche Durchschnittswert in Naturwissenschaften lag 2012 bei 524 Punkten, also über dem OECD-Mittel von 501 Punkten. Diese Ergebnisse sind vergleichbar mit jenen in Australien, Irland, Liechtenstein, den Niederlanden und Polen. Auch hier hat sich das Land seit dem ersten Mal, da Naturwissenschaften einen Schwerpunkt des Tests bildeten, beständig verbessert: Im Jahr 2006 kamen die Schüler nur auf 516 Punkte. Vor allem unter den leistungsschwachen Mädchen gab es Bewegung. Elf Prozent der Schülerinnen kommen noch immer nicht auf Niveau 2, können also bestenfalls naheliegende naturwissenschaftliche Erklärungen liefern, das sind aber vier Prozentpunkte weniger als noch 2006. Bei den Jungen verfehlen 13 Prozent die Grundkompetenzstufe.

» Ländernotiz für Deutschland (PDF)

Internationale Ergebnisse

Ostasiatische Länder sind die klaren Spitzenreiter bei PISA 2012. Unter den Top-Ten bei Mathematik finden sich sieben Länder und Gebiete aus Asien. Die mit Abstand höchste mittlere Punktzahl (613) verzeichnet Shanghai – hier sind die Schüler den Gegenwert von fast drei Schuljahren besser als ihre Altersgenossen im OECD-Durchschnitt. Zur Spitzengruppe gehören aber auch andere chinesische Gebiete, Singapur, Korea und Japan. In Europa belegen Liechtenstein und die Schweiz die vorderen Plätze.

Zwischen den mittleren Ergebnissen der besten und der schlechtesten Länder liegen in Mathematik 245 Punkte, also das Äquivalent von sechs Schuljahren. Noch größer als die Unterschiede zwischen den Ländern sind in der Regel jene innerhalb der Länder. Häufig trennen die besten und die schlechtesten Schüler eines Landes 300 Punkte und mehr. PISA 2012 zeigt erneut, dass sich gleiche Bildungschancen und exzellente Ergebnisse nicht ausschließen. In den meisten ostasiatischen Ländern, aber auch in Australien, Kanada, Estland, Finnland und Liechtenstein haben Schüler aus benachteiligten sozialen Schichten ähnlich gute Ergebnisse wie sozio-ökonomisch begünstigte Schüler.

Wie die Studie belegt, haben viele der erfolgreichsten Bildungssysteme eine Reihe von Eigenschaften gemein. So legen die Spitzenländer großen Wert auf die Auswahl und Ausbildung ihrer Lehrer. Sie investieren in die Qualität der Lehrkräfte, die Klassengröße spielt eher eine untergeordnete Rolle. Lehrer in diesen Ländern werden ermuntert, zusammenzuarbeiten, sie erhalten klare Zielvorgaben, haben dann aber viel Autonomie bei der Umsetzung.

Auch die Einstellung der Eltern beeinflusst die Lernerfolge der Kinder. Schüler, deren Eltern hohe Erwartungen in sie setzen, schneiden beim PISA-Test besser ab als jene, die unter ähnlichen Bedingungen aufwachsen, deren Eltern aber weniger ehrgeizig sind: Sie strengen sich mehr an, sind motivierter und in Bezug auf ihre Fähigkeiten selbstbewusster. Wichtig ist auch die Lernkultur. In manchen Ländern sind die Schüler davon überzeugt, dass Erfolg hauptsächlich aus Anstrengung und Arbeit erwächst, nicht aus vermeintlich vererbter oder nicht vererbter Intelligenz. Diese Überzeugung hilft ihnen dabei, hohe Leistungen zu erringen und ihr Potenzial vollauf zu nutzen.

» Weitere Informationen zur PISA-Studie

 


(Quelle: OECD)

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