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Lebensbrüche: Vom Wert des Scheiterns

  • Roger Willemsen (Foto: Mathias Bothor)
    Roger Willemsen (Foto: Mathias Bothor)

    Erfahren und Überwinden einer Niederlage gehört zum Bauprinzip einer geglückten Arbeitsbiographie

  • Wann beginnt Scheitern? Schleichende Prozesse können zu Motivationslosigkeit und Ausgebranntsein führen

Köln. Aus Fehlern kann man lernen. Diese Volksweisheit kommt in der Arbeitswelt bislang nur bedingt zum Tragen. Misserfolge und Fehlschläge gelten häufig als Makel oder werden bei der Darstellung der eigenen Karriere schlichtweg unterschlagen. Der bekannte Publizist Roger Willemsen, unter anderem Autor des Bestsellers „Der Knacks“, ging deshalb in einem Keynote-Vortrag am Donnerstag, 16. Oktober, auf der Messe Zukunft Personal in Köln der Bedeutung des Misslingens für eine geglückte Biographie nach.

 

„Wir haben lange Zeit all das verdrängt, was Misserfolg, Scheitern, Lebensbruch angeht und aus dem linearen Prinzip des Karrierismus ausscherte“, so der Buchautor. „Doch es sind die Zeiten gekommen, in denen wir festgestellt haben, dass das Erfahren und Überwinden einer Niederlage zum Bauprinzip einer geglückten Arbeitsbiographie gehören kann.“ Wer beruflich oder privat Scheitern kennenlerne, werde ein Mensch mit anderer Grundierung, empfinde etwa eher Empathie für diejenigen, die an ihre Leistungsgrenzen kommen. „Das Scheitern schärft auch den Blick für Talente und Begabungen.“

Der Erfolgsautor blieb zweimal hängen

Roger Willemsen spricht aus eigener Erfahrung: „Ich bin vielfach gescheitert und zwar früh.“ Der Erfolgsautor blieb in der Schule zweimal sitzen, in der Zeit als sein Vater schwer erkrankte und starb. Dieses Scheitern verarbeitet der ehemalige Fernsehmoderator in seinem Buch der „Knacks“. Darin unterscheidet er zwischen Lebensbrüchen und einem Knacks und verdeutlicht dies an zwei Symbolen: „Das eine wäre die Narbe: ein Scheitern, bei dem ich mich immer an den Tag erinnere – zum Beispiel an den Tag, an dem ich das Zeugnis bekam mit dem Hinweis, Roger Willemsen wird nicht versetzt.“ Es handle sich um einen konkreten Zeitpunkt, an dem man von seinem Scheitern erfahre oder ein Dokument dafür bekomme. Das tue weh und sei über die Narbe immer erinnerbar.

Vom Lebensbruch bis zum Knacks

„Das andere wäre die Falte, die sich irgendwann in die Haut einprägt, die irgendetwas verrät, die eine Form von Ermüdung, Bitterkeit oder Enttäuschung haben kann.“ Die Falte vertiefe sich ganz leise und werde von Tag zu Tag markanter und prägender bis sie das Gesicht zeichne. Dieser schleichende Prozess, der durch ein „irgendwann irgendwo irgendwas“ bestimmt sei, werde selten identifiziert. „Wir denken eher bürokratisch. Wann bin ich eingeschult worden, wann bin ich hängengeblieben, wann habe ich geheiratet, wann habe ich die ärztliche Diagnose bekommen?“ Doch häufig wüssten die Menschen nicht, wann ein Prozess angefangen habe und wann er abgeschlossen sei.

Ausgebrannt und unmotiviert: Wie hat das begonnen?

Als ein Beispiel für einen Knacks sieht Willemsen Motivationslosigkeit am Arbeitsplatz. Auch bei jungen Menschen in der Ausbildung könne er schon häufige Anzeichen von Ausgebranntsein erkennen. „Bei meinen Studenten beobachte ich mit Schrecken eine Reihe psychosomatischer Erkrankungen, Depressionen und Panikzustände, die sich in einer geringen Konzentrationsspanne und einer frühzeitigen Antriebslosigkeit niederschlagen. Da ist ein starkes Phlegma – nicht unbedingt dem Gegenstand gegenüber, sondern dem gesamten Leben gegenüber“, so Willemsen. Zum Teil sei dies darin begründet, dass ein berufliches Motivationsloch bestehe. Viele Geisteswissenschaftler erhielten heute keine Stelle auf Höhe der eigenen Begabung.

Der Mensch als Maschine? Grenzen der Leistungsfähigkeit

Gerade in der Arbeitswelt müsse man heimliche, schleichende Prozesse mitbetrachten. „Wo Unternehmen allein das Leistungsprinzip verfechten, bringen sie ihre Mitarbeiter an die Grenzen der Belastbarkeit.“ Deshalb seien Phänomene wie Burnout, Leistungsfunktionsstörungen, Depressionen, Erschöpfungssyndrome die Krankheiten der Zeit. Das habe nicht nur mit der reinen Arbeitsüberforderung zu tun, sondern auch mit Entfremdung. Viele Mitarbeiter könnten ihre Arbeitsabläufe nicht mehr überblicken und erlebten sich wie eine riesige funktionierende Einheit in einem großen Komplex. „Wo der Mensch selbst maschinenförmig wird und die Effizienz einer Maschine haben soll, jederzeit leistungsfähig, ohne Reibung, ohne Störung, da kommt er an seine Grenzen.“

Vor diesem Hintergrund sei es für Unternehmen erfolgsentscheidend, sich mit dem Thema Scheitern zu befassen. In seinem Keynote-Vortrag auf Europas größter Messe für Personalmanagement ging der Publizist der Bedeutung des Misslingens nach, bebildert von kulturgeschichtlichen Episoden, die den Erfolg dialektisch begreifbar machen: als ein Gelingen durch Scheitern, als ein Scheitern im Gelingen.

Über Roger Willemsen
Roger Willemsen, 1955 in Bonn geboren, war Autor, Universitätsdozent, Übersetzer, Herausgeber und Korrespondent, ehe er 1991 zum Fernsehen kam, wo er in den folgenden 15 Jahren gut zweitausend Interviews führte, Kultursendungen produzierte, Filme drehte. Er interviewte unter anderem Audrey Hepburn, Yassir Arafat, Michail Gorbatschow, Madonna, Yehudi Menuin, Pierre Boulez, Margaret Thatcher und den Dalai Lama. Willemsen wurde mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Grimme-Preis in Gold. Inzwischen steht er mit Stand Up-Programmen auf deutschen Bühnen. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen „Afghanische Reise“, „Hier spricht Guantánamo“, das mit dem Rinke-Preis ausgezeichnete Buch „Der Knacks“, sowie „Bangkok Noir“ und das in diesem Jahr (2014) veröffentlichte Buch „Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament“, das wochenlang die Bestsellerlisten anführte.

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