Wie die Bundesregierung den IT-Fachkräftemangel verschärft und dabei auch noch Steuergelder mit unnützen Praktikums-Jobbörsen verschwendet
Bad Soden. [ghk] Der 28. Oktober 2010 war sicherlich ein Tag der stillen Genugtuung für die Macher der Arbeitsagentur-Jobbörse in Nürnberg. Der Bund der Steuerzahler publizierte nämlich das aktuelle Schwarzbuch 2010 mit den zahlreichen Versuchen der Verschwendung von Steuergeldern und den erfolgreichen Versuchen der Bürokratie, die eigentlich notwendige Transparenz mit Füßen zu treten. Im aktuellen Schwarzbuch 2010 fand der Bund der Steuerzahler (BdSt) einige faule Eier – eine Praktikumsbörse des Bundesbildungsministeriums ist auch unter den kritisierten Beispielen.
Nach den Turbulenzen um die Kostenexplosion der Jobbörse der Arbeitsagentur ist es heuer eher ruhiger geworden um dieses Thema. Frank-J. Weise, Nachfolger des glücklosen Florian Gerster an der Spitze der Mammutbehörde, hatte den gordischen Knoten der permanenten Kostensteigerungen durchschlagen und bei einem Stand von 162 Millionen Euro kurzerhand „gedeckelt“.
Man kann den Entwicklern der Arbeitsagentur-Jobbörse keine Untätigkeit vorwerfen, sie haben mit dem aktuellen Relaunch der Jobbörse vieles für die Benutzerfreundlichkeit getan. So steigerte die Arbeitsagentur den Zufriedenheitsgrad der Stellensuchenden mit ihrer Jobbörse von 2,22 auf 2,13 (auf einer Skala von 1=sehr gut bis 4=überhaupt nicht zufrieden), wie die Online-Umfrage von Crosspro-Research.com ergab. Zwar bemängeln viele Stellensuchende, daß es zahlreiche Stellenangebote von Zeitarbeitsfirmen und Personalvermittler gibt, die man bei der Trefferanzeige nicht ausblenden kann – doch dieses Manko liegt eher in der Natur der Arbeitsvermittlung begründet. Andere privatwirtschaftlich betriebene Jobbörsen kämpfen mit ähnlichen Problemen und nicht alle gehen soweit wie das Karriereportal „Laufbahner.de“ der Süddeutschen Zeitung, die kategorisch die Publikation von Stellenanzeigen der Personalvermittler nicht zulässt.
Wieviele Jobbörsen braucht die Öffentliche Hand?
Zwar leistet sich die Bundesregierung immer wieder mal einen Ausreißer in die Neuentwicklung von eigentlich überflüssigen Jobbörsen wie z.B. www.bund.de, aber das dürften vermutlich nur Testballone der Bürokraten sein, die die Sensibilität der Journalisten testen wollen, ob solch ein Thema noch einen gewissen Stellenwert in der Berichterstattung hat.
Gelegentlich findet man natürlich auf der Jobbörse der Bundesbürokraten eine sinnvolle Stellenausschreibung. Gesucht wird aktuell – Ironie zum Trotz – ein/eine Sachbearbeiter/in in der Gruppe A3 – Bürokratiekostenmessung – (196/10). Die Stelle wird nach der Entgeltgruppe 9 des TÖV bezahlt, was monatlich bei Neueinstellung in Stufe 1 einem Verdienst von Euro 2.264,23 entspricht. Allerdings ist der Arbeitgeber davon überzeugt, das Thema „Bürokratiekostenmessung“ bald im Griff zu haben: Die Stelle ist auf 24 Monate befristet.
Sack voll Flöhe hüten
Wahrscheinlich ist es leichter, einen Sack voller Flöhe zu hüten als die Recruiting-Projekte der Bundesbürokraten zu koordinieren oder gar auf eine einzige Plattform zu konsolidieren. Es ist nicht klar, ob es an der zeitlichen Doppelbelastung des Arbeitsagenturchefs Weise mit dem Lieblingsreformthema des Verteidigungsministers von Guttenberg liegt oder ob die Bundesministerien zu ideenreich bei der Mehrfachentwicklung von Jobbörsen sind. Tatsache ist nun einmal, daß das Bundesbildungsministerium die Internet-Praktikantenbörse „Technikum“ in die Arena der Arbeitsvermittlung geschickt hat. Und in der Arena war gähnende Leere.
Und so ganz nebenbei haben die Bundesbildungsbürokraten mit der Entwicklung einer unnötigen Jobbörse den vielfach beklagten Fachkräftemangel speziell im IT- und Software-Entwicklungsbereich verschärft – denn die dafür eingesetzten Experten hätten sicherlich auf anderen Projekten sinnvoller eingesetzt werden können. Wer den Einzelfall einer unnützen Jobbörsen-Entwicklung betrachtet, mag es mit Blick auf den IT-Fachkräftemangel nur als einen Tropfen auf dem heißen Stein ansehen – resourcenmässig dürfte es nicht so sehr ins Gewicht fallen. Es könnte schnell zum Arbeitsmarkt-Hype werden, die Rufe „Fachkräftemangel“ gehen ganz schnell über die Lippen der Opportunisten. Schwieriger ist es hingegen, kühl zu analysieren, wo Mehrfachentwicklung, übermässige Komplexität, personalintensive oder veraltete IT-Technologien eingesetzt werden. 20 Jahre nach dem Erscheinen der ersten HTML-basierten Webseite bejubelt der BITKOM-Verband zwar dieses historische Ereignis – aber auch nach 20 Jahren ist es der Software-Industrie immer noch nicht gelungen, das Web vor den grauen Mächten der Hacker sicher zu machen. Der Rest ist Schweigen – und Zehntausende IT-Experten müssen sich im Tagesgeschäft mit der zeitraubenden Arbeit der IT-Sicherheit abgeben. Wieder einmal geht es nicht nur um die Frage, wie man eine IT-Entwicklung effektiv umsetzt, sondern ob man die richtige (oder unnütze) IT-Entwicklung realisiert und die Resourcen von knapp gewordenen Experten verschenkt.
Zahlengrube
Der Bund der Steuerzahler verpackt in seinem Verschwendungsbericht auch noch ganz geschickt die Kritik an der Bundesbildungsbehörde, die angefallenen Kosten dieser Entwicklung nicht publik zu machen. Hier wird wieder einmal mehr die berechtigte Forderung nach Transparenz mit Füssen getreten, die aufgelaufenen Kosten werden in eine Zahlengrube geworfen und zugeschüttet. Die Diskussionen um Stuttgart 21 und die fehlende Transparenz der Wirtschaftlichkeitsberechnungen aus dem Hause des Bahnchefs Grube lassen grüssen – aber Schlichter Heiner Geissler kann ja nicht überall sein.
So bereichtet der Bund der Steuerzahler über diese Verschwendung:
Jetzt ist die Bundesregierung auch noch für Praktikantenbörsen zuständig! Seit Mai 2009 existiert „Technikum“, eine Internet-Praktikantenbörse. Auftraggeber ist das Bundesbildungsministerium. Was „Technikum“ kostet, wollte uns das Ministerium „zu diesem Zeitpunkt“ nicht sagen. Der Bund der Steuerzahler schätzt, dass bislang rund 4 Mio. Euro in das Projekt geflossen sind. Und dann das: Bis Mitte 2010, also nach einem Jahr „Technikum“, sind ganze 18 Praktikumsverträge über diese Börse abgeschlossen worden. Trotz bunter Flyer, gebührenfreier Telefonhotline und Hannover- Messe-Präsenz usw. hatten sich bis dato lediglich 536 Jugendliche und nur 114 Betriebe auf www.technikum. de registriert. Dabei sind die finanziellen Konditionen – dank der Steuergelder im Rücken – durchaus üppig.
Für die Bezahlung eines „Technikum“-Praktikanten erhalten Betriebe einen Zuschuss von monatlich 350 Euro. Dennoch ist das Interesse der Jugendlichen und der Betriebe an „Technikum“ niederschmetternd gering. Das kann nicht überraschen, denn Praktikumsplätze können längst online gesucht werden – sowohl über www.arbeitsagentur.de als auch über zahllose von privaten Anbietern organisierte Internetbörsen. Es existiert einfach kein ausgeprägter Bedarf an einer neuen, staatlich organisierten Praktikantenbörse.
Das Problem ist der ausgeprägte Bedarf in den Ministerien an immer neuen Aktivitäten. Im Bundesbildungsministerium widmet sich eine ganze Abteilung ausschließlich dem Thema „Lebenslanges Lernen“. Solch ein Thema bietet natürlich zahllose Spielwiesen, um alle möglichen Zielgruppen mit neuen Programmen auf Steuerzahlerkosten zu beglücken.
Zielgruppe bei „Technikum“ ist der MINT-Nachwuchs. MINT steht für Mathematik-Informatik- Naturwissenschaften-Technik. Und da nach Auffassung des Bildungsministeriums behördliche Unterstützung bei der Studienwahl unerlässlich ist, steht „Technikum“ nicht allein. „Komm, mach MINT“ heißt zum Beispiel das Motto des nationalen Pakts für mehr Frauen in MINT-Berufen. Diesen Pakt bezuschusst das Bildungsministerium mit weiteren 3 Mio. Euro pro Jahr. Die Steuerzahler begleichen die Rechnung – lebenslang.
Projektgala und Fördergelder
Das Bundesbildungsministerium erklärt auf ihrer Webseite die mit der Projektgala verbundenen Förder-Rosinen:
Überregionales pädagogisches Begleitprogramm
Das Begleitprogramm für die Praktikantinnen und Praktikanten besteht aus Veranstaltungen und webbasierten Angeboten. So findet u.a. eine Vorbereitung auf mögliche Aufgaben und Einsatzfelder während des Praktikums statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden zudem bei der Studienwahl- und Berufsorientierung unterstützt und im technisch-naturwissenschaftlichen Verständnis trainiert. Sie erhalten Zugang zu einer webbasierten Lernplattform, über die sie sich präsentieren, vernetzen und austauschen sowie branchenspezifische Trainingseinheiten und Eignungstests absolvieren können und weiterführende Informationen erhalten (u.a. durch etablierte Angebote der Arbeitgeber).
Innerhalb der einführenden Phase ist eine einwöchige Einführungsveranstaltung, u.a. mit Kompetenzmessung, vorgesehen; innerhalb der projektbezogenen Phase sind Seminare zu „MINT-Themen“ und zur Studiengangwahl sowie eine „Projektgala“ geplant. Das pädagogische Begleitprogramm wird regional organisiert und angeboten.
Für eine Handvoll Euros
Die Förderung besteht in der Gewährung eines zweckgebundenen Zuschusses in Höhe von 350 EUR monatlich zur Förderung eines Praktikumsplatzes (Festbetragsfinanzierung) und wird in der Regel für einen Zeitraum von mindestens 5 Monaten bis höchstens 8 Monaten gewährt.
Mit der Abwicklung dieser Fördermaßnahme hat das BMBF beauftragt: Service- und Programmstelle „Technikum“ im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.
Bildungsforschung, Integration, Genderforschung
Heinrich-Konen-Straße 1
53227 Bonn
Fax.: 0228-3821-604
Homepage: http://www.technikum.de
Ansprechpartnerin ist Frau H. Zeisig, Telefon: 0228 3821 680 E-Mail: technikum@dlr.de
Weitere Informationen zur Durchführung von Praktika bietet auch die „StuB-Praktikumsbörse“ der Länder der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesagentur für Arbeit unter http://www.berufswahl.de/ oder www.studienwahl.de.
Weiterführende Links
Storm: „Wir wollen Schüler für ein MINT-Studium begeistern“ – Pressemitteilung des BMBF
Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung der Richtlinie zur Förderung des Technikums – das Orientierungspraktikum für technisch-naturwissenschaftliche Studiengänge
Webseite Technikum
Das besondere Stellenangebot: Sachbearbeiter/in für die Bürokratiekostenmessung
Aktuelle CrossPro-Nutzerumfrage: Über 10.000 Stellensuchende beurteilen Jobportale