Im Schicksal der Jobkrise vereint: Die Schöne und das Biest
4. März 2009/ghk.
Nicht viele Werke der klassischen Musik können Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ das Wasser reichen, wenn es um die melodramatische Untermalung menschlicher Schicksale geht. So setzte Regisseur Roman Polanski 1994 in seinem Film „Der Tod und das Mädchen“ mit Schuberts Musik sowie Ben Kingsley und Sigourney Weaver einen Polit-Thriller in Szene. Dieser Film behandelte auf dramatische Weise die schon klassische Täter-Opfer-Umkehrung.
Zur Zeit der Militärherrschaft war Paulina (Sigourney Weaver) inhaftiert und glaubt in dem zufällig in ihrem Haus aufgetauchten Dr. Miranda (Ben Kingsley) ihren damaligen Peiniger wieder zu erkennen. Damals wurde sie mit verbundenen Augen auf einen Stuhl gefesselt und zu den Klängen von Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ ausgepeitscht. Das ehemalige Opfer sieht eine Chance auf Rache am vermutlichen Täter.
Auch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise liefert ein Szenario des Schicksals und bringt Opfer und Täter zum Vorschein.
Da sind zunächst einmal die Schönen der Modemessen und Laufstege. Auch an ihnen ist die Wirtschaftskrise nicht spurlos vorübergegangen, wie Bamrung Amnatcharoenrit und Piyaporn Wongruand in der Bangkok Post vom 1. März berichten. Die Wirtschaftskrise schlägt sich auch in der Model-Branche nieder, und das nicht nur in Thailand, sondern in der gesamten Region Südostasien. So haben einige Agenturen in Hongkong einen Rückgang der Aufträge um über 50% zu verzeichnen.
Die Zahlen der Beschäftigungslage in der Fashion Industrie sind ernüchternd und schockierend zugleich.
- Umsatz der Top-Agenturen: Rückgang von 60 Millionen auf 32 Millionen Baht
- Top-Model Honorar: Rückgang um 20%
- Job-Angebote: Rückgang um 50%
- Neueinstellungen von Models: Rückgang um 60%.
Während Models sich ohne große Schwierigkeiten in eine Rolle als Krisenopfer projizieren könnten, fällt es einem anderen Berufsstand zusehends schwieriger, breite Sympathien für ihre zunehmend missliche Lage zu finden.
Die Rede ist von den Führungskräften der nationalen und internationalen Konzernen, allen voran den Unternehmen in den USA.
CEOs, Firmenbosse und Bankvorstände haben derzeit schlechte Karten, wenn es um ihre aktuellen Berufschancen und ihre Reputation in der Öffentlichkeit geht. So äussert sich John Challenger, Chief Executive der Outplacement-Firma Challenger, Gray & Christmas in einem Bericht von Michael J. de la Merced in der New York Times vom 28. Februar 2008 über die Zukunftsaussichten dieses Berufsstands: „CEOs sind in der derzeitigen Situation durch äussere Einflüsse, die aus jeder Richtung auf sie einwirken, sehr gefährdet“. Sie seien beschuldigt, so Challenger weiter , berechtigterweise oder nicht, für viele Probleme der von ihnen geführten Firmen. Im New York Times Artikel werden auch Zahlen genannt:
- In 2008 wurden 1484 CEOs entlassen oder haben ihren Job freiwillig verlassen
- Dies sind mehr als in den drei vorhergehenden Jahren
- 13 der entlassenen 113 CEOs, die im letzten Monat ihren Job verloren, kamen aus dem Finanzsektor
- Die durchschnittliche Verweildauer der CEOs in ihrem Job ist von 10 Jahren auf 8 Jahre zurück gegangen.
Der Trend zum Stellenabbau in der US-Finanzwirtschaft zeigt sich auch im Zahlenwerk, das von Challenger, Gray & Christmas zusammengestellt wurde. Demzufolge wurden in der US-Finanzwirtschaft in den letzten zwölf Jahren über 1 Million Jobs abgebaut. Die meisten Jobs wurden im Jahr der Dot.com-Krise in 2001 (116.000) sowie in 2007 (153.000) und 2008 (260.110) abgebaut.
http://www.challengergray.com/press/Financial%20Cuts%20Breakdown.pdf
Vom Stellenabbau wurden Banken und Investmentfirmen betroffen, deren Händler einst als „Master of the Universe“ galten. Die angekündigten Entlassungen der Wall Street Firmen (August 2007 – Dezember 2008) im Detail:
Finanzinstitut |
Anzahl Stellen |
Citigroup |
50.000 |
Merrill Lynch (Bank of America) |
35.000 |
Citigroup |
19.859 |
Lehman Brothers |
16.000 |
Wachovia |
11.250 |
JPMorgan Chase (Washington Mutual) |
9.200 |
JPMorgan Chase (Bear Stearns) |
9.000 |
Bank of America (Countrywide) |
7.500 |
American Express |
7.000 |
Merrill Lynch |
5.150 |
GMAC LLC (ResCap LLC) |
5.000 |
Morgan Stanley |
4.100 |
Goldman Sachs |
3.260 |
Citigroup (75000 total for the year) |
3.141 |
Lehman Brothers (Barclays) |
3.000 |
Lehman Brothers |
2.900 |
JPMorgan Chase |
2.019 |
Bear Stearns |
1.942 |
Goldman Sachs |
1.500 |
HSBC North American Holdings, Inc. |
1.350 |
Morgan Stanley |
1.300 |
Bank of America |
928 |
Credit Suisse |
750 |
Merrill Lynch (Trading division) |
500 |
E-Trade Financial Corp. |
278 |
Deutsche Bank AG (New York) |
250 |
So leiden die Schönen und die Biester unter einem gemeinsamen Schicksal namens „Wirtschaftskrise“. Eine Berufsgruppe als Opfer, eine andere als Mischung von Täter oder Opfer. Und wenn zum Ende der New York Börsensitzung die Glocke ertönt, erscheint sie nicht selten als Totenglocke, um wieder einmal mehr einen neuen historischen Tiefststand des Dow Jones Index zu signalisierten. Vielleicht sollten die Börsianer anstelle der Glocke einmal Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ erklingen lassen – trotz aller Schicksalsschläge ist in Schuberts Musik ein Hoffnungsschimmer zu erkennen.