OECD-Bericht: Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz immer wahrscheinlicher
Paris/Berlin – Jeder fünfte Arbeitnehmer leidet unter psychischen Erkrankungen. Drei Viertel der Betroffenen geben an, dieser Zustand beinträchtige ihre Produktivität und das Arbeitsklima. Zu diesem Ergebnis kommt ein heute veröffentlichter Report der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sick on the Job? Myths and Realities about Mental Health and Work wertet Daten aus zehn OECD-Ländern aus (darunter Österreich und die Schweiz) und kommt zu dem Schluss, dass es neuer Ansätze bedarf, um psychisch labile Arbeitnehmer zu entlasten.
Psychische Probleme äußern sich häufig in Depressionen und Angstzuständen, und viele Betroffene haben noch keinen geeigneten Weg gefunden, mit ihrer Krankheit umzugehen. Die Studie belegt aber auch, dass die verbreitete Annahme, Menschen mit psychischen Problemen könnten nicht am Arbeitsmarkt teilhaben, falsch ist: Zwar liegt die Beschäftigungsquote psychisch Kranker etwa 10 bis 15 Prozentpunkte unter jener von Menschen ohne Erkrankung, aber 55 bis 70 Prozent gehen dennoch einem Beruf nach. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass psychisch gestörte Menschen arbeitslos sind, doppelt so hoch wie bei gesunden Menschen.
Auch fällt auf, dass mittlerweile zwischen einem Drittel und der Hälfte aller neuen Invaliditätsansprüche auf psychische Krankheiten zurückzuführen sind. Wachsende Jobunsicherheit und Druck am Arbeitsplatz könnten dazu beitragen, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren noch verschärft. In vielen Ländern beziehen junge Menschen bereits nach wenigen Jahren im Berufsleben Invaliditätsleistungen. Einmal von diesen Leistungen abhängig, ist es für sie schwer, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden.
Der Bericht benennt eine Reihe von Maßnahmen, die dabei helfen können, psychisch kranke Menschen besser in die Arbeitswelt zu integrieren: hoch auf der Liste stehen dabei gute Arbeitsbedingungen, die dazu beitragen, Stress zu vermeiden oder besser damit umzugehen. Die systematische Beobachtung von Krankheitsmustern und die Unterstützung der Arbeitgeber beim Konfliktmangagement könnten unnötige Entlassungen wegen psychischer Probleme verhindern.
Die meisten geistigen Störungen lassen sich durch fachgerechte Behandlung mindern. Die Gesundheitssysteme vieler Länder sind allerdings primär darauf eingerichtet, Menschen mit schweren psychischen Störungen, wie etwa Schizophrenie, zu behandeln. Auf diese Weise bleiben rund 70 Prozent aller Menschen mit moderaten psychischen Problemen ohne Behandlung. Ein stärkerer Fokus der Medizin auf verhältnismäßig schwächer ausgeprägte Krankheiten würde die Arbeitschancen der Betroffenen erheblich verbessern.
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(Quelle: OECD)