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OECD: Erstes ‚PISA‘ für Erwachsene: Deutschland und Österreich im Mittelfeld

Prof. Dr. Barbara Ischinger, OECD
Dr. Barbara Ischinger

Paris/Berlin – Lesen, Rechnen, Probleme mithilfe von Computern lösen – Erwachsene in Deutschland und Österreich schneiden bei diesen Schlüsselkompetenzen im internationalen Vergleich durchschnittlich ab. Das geht aus dem heute veröffentlichten „Skills Outlook 2013“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten Erwachsene haben und wie sie sie nutzen. Der Ausblick präsentiert die Ergebnisse des ersten „PISA für Erwachsene“, der sogenannten PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies), die 16- bis 65-Jährige aus 24 Ländern auf verschiedene Alltagskompetenzen getestet hat.

Die Ergebnisse: Lesen und Rechnen

Im Aufgabenfeld Lesen – also dem Verstehen, Interpretieren und Bewerten von Texten – erzielten die Teilnehmer in Deutschland im Mittel 270 und in Österreich 269 Punkte (OECD: 273). Das beste mittlere Leseverständnis haben der Erhebung zufolge die Menschen in Japan (296 Punkte) und Finnland (288). Sieben Punkte auf der Kompetenzskala entsprechen dabei etwa einem Schuljahr. 10,7 Prozent der Testpersonen in Deutschland und 8,5 Prozent in Österreich erreichen die höchsten Kompetenzstufen (4 und 5). Der OECD-Schnitt liegt bei 11,8 Prozent. Gleichzeitig sind 17,5 Prozent der Menschen in Deutschland und 15,3 Prozent in Österreich maximal in der Lage, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu lesen und ihnen in stark begrenztem Maße Informationen zu entnehmen (Stufe 1 oder niedriger). Der OECD-Schnitt beträgt hier 15,5 Prozent.

 

Alltagsaufgaben, die mathematisches Verständnis erfordern, lösen Deutsche wie auch Österreicher im Schnitt etwas besser als die internationale Vergleichsgruppe: 14,2 Prozent in Deutschland und 13,6 Prozent in Österreich meistern die Stufen 4 und 5 (OECD: 12,5%). Aber auch hier gelangen 18,5 Prozent der Testpersonen in Deutschland nicht über das grundlegendste Niveau hinaus, das einfaches Zählen, Sortieren und die Verwendung der Grundrechenarten erfordert. Im OECD-Durchschnitt befinden sich sogar 19 Prozent auf der Stufe 1 oder niedriger. Besser sieht es in Österreich aus, wo die Gruppe der mathematischen Wenigkönner mit 14,3 Prozent deutlich kleiner ist als in anderen Ländern. Die besten mittleren Ergebnisse erreichen auch in diesem Aufgabenfeld Japan (288 Punkte) und Finnland (282). Der Abstand zu Deutschland (272) und Österreich (275) ist jedoch weniger ausgeprägt als beim Leseverständnis.

 

Herausforderung digitale Welt

Vor die größten Herausforderungen stellte PIAAC die Teilnehmer aller Länder bei der dritten Komponente des Tests, der Problemlösung mittels Computer. Ein beträchtlicher Teil der Erwachsenen hat Schwierigkeiten, digitale Technik und Netzwerke zu nutzen. Bis zu 27 Prozent der Testpersonen haben keinerlei Erfahrung mit Computern oder scheitern an grundlegenden Anforderungen – sie können zum Beispiel keine Maus bedienen (in Deutschland 12,6%; Österreich 13,6%). Daneben lehnte eine Vielzahl von Teilnehmern die computerbasierte Problemlösung trotz vorhandener Computerkenntnisse ab. Von den Erwachsenen, die den Test bearbeitet haben, können die meisten lediglich mit vertrauten Anwendungen umgehen. So schaffen sie es, Probleme zu lösen, die nur wenige Schritte benötigen, etwa das Einsortieren von E-Mails in bereits angelegte Ordner. Komplexere Aufgaben, wie das Navigieren über Webseiten und die eigenständige Problemlösung in mehreren Schritten, bewältigt nur ein Drittel der Erwachsenen (Deutschland: 36%; Österreich 32,4%; OECD: 34%).

 

Der Abstand zwischen dem besten und dem schlechtesten Land beträgt bei der Lesekompetenz 46 Punkte und bei den mathematischen Fähigkeiten 42 Punkte. Größer noch als die Unterschiede zwischen den Ländern, sind häufig jene zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. So verfügen jüngere Erwachsene gegenüber den ältesten Testteilnehmern ihres Landes zumeist über höhere Fertigkeiten in allen drei Bereichen. Auch in Deutschland und Österreich ist der Abstand zwischen der jüngsten und der ältesten Gruppe beträchtlich (Tab. A.3.2 (L)/(N)). Die besten Leistungen verzeichnen, wie fast überall, die 25- bis 34-Jährigen. „Die Bewegung zwischen den Generationen beweist: Kompetenzen sind gestaltbar“, sagte die Bildungsdirektorin der OECD, Barbara Ischinger, bei der Vorstellung der Studie in Berlin. „Länder wie Korea und Finnland haben in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte erzielt. Sie zeigen uns, was mit gezielter politischer Förderung möglich ist.“

Sozialer Hintergrund prägt Kompetenzen in Deutschland stark

Ein Zusammenhang, der in Deutschland über alle Altersgruppen hinweg gleichmäßig stark besteht, ist jener zwischen sozialem Hintergrund und Lesevermögen. In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab wie hierzulande: Testpersonen, deren Eltern weder Abitur noch Berufsausbildung haben, erzielen im Mittel 54 Punkte weniger als jene, bei denen mindestens ein Elternteil einen (Fach)Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief vorweisen kann. Nur in den USA ist der Abstand noch größer (Tab. A3.8, 4/4). Dabei gehen gleiche Chancen und ein hohes Kompetenzniveau durchaus zusammen: Japan zum Beispiel vereint überdurchschnittliche Leistungen mit einer hohen Chancengerechtigkeit. In geringerem Maße gilt das auch für Australien, die Niederlande, Norwegen und Schweden.

 

Bemerkenswert ist, in welcher Weise der formale Bildungsstand mit dem Kompetenzniveau korreliert. Dass Erwachsene mit Tertiärabschluss im OECD-Schnitt erheblich bessere Lesefähigkeiten haben als solche ohne Sekundarabschluss, liegt nahe. Erstaunlich aber sind die Unterschiede von Land zu Land: In Kanada und in den Vereinigten Staaten beispielsweise ist der Abstand zwischen unterem und oberem Bildungsniveau um mehr als ein Drittel größer als in Österreich, Australien, Estland, Finnland und weiteren Ländern. Die Erhebung zeigt aber auch, dass der Anteil formal höher Gebildeter nicht immer auf die tatsächlich vorhandenen Kompetenzen schließen lässt. Die USA, Spanien und Italien etwa haben unter den 25- bis 34-Jährigen verhältnismäßig viele Akademiker, die Kompetenzen dieser Generation liegen jedoch unter dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig haben japanische und niederländische Teilnehmer mit Sekundarabschluss derselben Altersgruppe im Durchschnitt merklich bessere Ergebnisse als gleichaltrige italienische oder spanische und etwa gleich gute Ergebnisse wie deutsche Hochschulabsolventen.

Individuum und Gemeinschaft profitieren von gleichmäßig verteilten Fähigkeiten

PIAAC bietet nicht nur eine Bestandsaufnahme über die Kompetenzen Erwachsener, die Studie erfasst auch, wie und wo spezifische Fähigkeiten im Leben der Menschen eine Rolle spielen. Was Menschen können und wie sie ihr Können umsetzen, beeinflusst ihre Lebensqualität entscheidend. So ist etwa der mittlere Stundenlohn von Arbeitskräften, die in der Lage sind, beim Lesetest komplexe Schlussfolgerungen zu ziehen und Argumente zu prüfen (Stufe 4/5), im OECD-Schnitt über 60 Prozent höher als der von Arbeitskräften, die lediglich die Kompetenzstufe 1 oder weniger erreichen. In Deutschland und Österreich ist dieser Zusammenhang sogar noch stärker ausgeprägt als in vielen anderen Teilnehmerländern (Abb. 6.4). Auch die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen eine Arbeit haben, steigt mit den Kompetenzen. Für Testpersonen, die im Lesen Stufe 4 oder 5 erreichen, ist sie im OECD-Schnitt fast doppelt so hoch wie für jene auf Stufe 1, in Deutschland liegt sie fast vier Mal höher.

Ein ähnliches Bild bietet sich für ganze Staaten. Länder, in denen größere Anteile von Erwachsenen Spitzenkompetenzen aufweisen, haben in der Regel auch ein höheres Pro-Kopf-Einkommen (BIP pro Kopf). Die Art und Weise, wie Fähigkeiten in einer Gesellschaft verteilt sind, spiegelt zudem oft die finanzielle Lage ihrer Bürger: Wo die Abstände zwischen Menschen mit den höchsten und den niedrigsten Fertigkeiten groß sind, klaffen die Einkommen weiter auseinander als in Ländern mit relativ homogener Kompetenzverteilung.
Auch jenseits von Einkommen und Beschäftigung beeinflussen die Fertigkeiten der Menschen die Gesellschaft. Probleme mit der Gesundheit etwa melden Personen mit niedriger Lesekompetenz in Deutschland häufiger als in allen anderen Ländern. Auch fühlen sie sich eher als Objekt, denn als aktive Gestalter politischer Prozesse. Zudem beteiligen sich Testpersonen mit geringem Leseverständnis seltener an Vereins- oder ehrenamtlicher Arbeit und begegnen ihren Mitmenschen öfter mit Misstrauen. OECD-Bildungsdirektorin Barbara Ischinger: „Selbst wenn ein Kausalzusammenhang zwischen diesen Ergebnissen schwierig zu beweisen ist, machen sie doch eines klar: Gleichmäßig verteilte Kompetenzen nützen der Gemeinschaft und dem Einzelnen. Vertrauen und Engagement sind die Bindemittel moderner Gesellschaften und die Triebfedern wirtschaftlichen Handelns. Es ist im ureigensten Interesse der Regierungen, dafür zu sorgen, dass die Menschen in ihrem Land Kompetenzen erwerben und erhalten können. Das gelingt am besten, wenn die Chancen auf Bildung gerecht verteilt sind und zwar nicht nur in der Schule oder der Uni, sondern auch am Arbeitsplatz.“

Hintergrund PIAAC

Zehn Jahre nach den ersten Ergebnissen der Internationalen Schulleistungsstudie (PISA) präsentiert die OECD mit PIAAC ihre erste Erhebung über die Fähigkeiten und Fertigkeiten Erwachsener. Das Augenmerk der Erhebung gilt ähnlichen Fertigkeiten – Lesen, Alltagsmathematik und Problemlösung –, wie sie auch in PISA untersucht werden. Die Testaufgaben tragen jedoch dem unterschiedlichen Lebenskontext älterer Erwachsener Rechnung. Versucht PISA Wege zu identifizieren, wie Schülerinnen und Schüler besser lernen, Lehrkräfte besser unterrichten und Schulen effektiver arbeiten können, so untersucht PIAAC vor allem, wie Erwachsene ihre Fähigkeiten ausbilden, wie sie diese nutzen und welche Vorteile sie aus ihrer Nutzung erzielen.

 

An dem Test nahmen rund 166 000 Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren und aus 24 Ländern und Regionen teil. Aus der OECD waren das Australien, Belgien (Flandern), Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Japan, Kanada, Korea, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, die Slowakische Republik, Spanien, die Tschechischen Republik, das Vereinigte Königreich (England und Nordirland) und die Vereinigten Staaten. Außerhalb der OECD beteiligten sich Zypern und die Russische Föderation.

 

Befragt wurden Erwachsene, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung in dem Teilnehmerland lebten, unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Muttersprache. Der Test erfolgte in der Amtssprache des entsprechenden Landes, bei den Teilnehmern zu Hause, je nach Computerkenntnissen an einem Laptop oder in gedruckten Testheften.
Der Stichprobenumfang hing in erster Linie von der Zahl der untersuchten Bereiche sowie der Zahl der Testsprachen ab und reichte von etwa 4 500 bis 27 000. In Deutschland nahmen 5465 Personen teil, in Österreich 5130.

 

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