Fachkräftemangel im Handwerk lässt die Betriebe über neue Wege der Mitarbeiterrekrutierung und -bindung nachdenken
Intensiver Praxisaustausch auf Branchenforum des Projektes Lebensphasenorientierte Per-sonalpolitik (LOP)
Trier. Das siebte Branchenforum des vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium initiierten Projekts „Strategie für die Zukunft – Lebensphasenorientierte Personalpolitik“ beschäftigte sich mit Personalentwicklung im Handwerk. Der Arbeitsmarkt dieser Branche wandelt sich grundlegend: Während durch den demographischen Wandel die Zahl der verfügbaren Fachkräfte stetig sinkt, erhöht sich der Bedarf an qualifiziertem Personal durch steigende Kundenansprüche. Wollen die Betriebe im Wettbewerb um gutes Personal bestehen, müssen sie verstärkt werben, aus- und weiterbilden.
In seiner Eröffnung betonte Dr. Ulrich Link, Vorstand der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), dass eine zukunftsfähige Personalpolitik den Mitarbeitern mehr bieten muss als Rücksicht auf Kinderbetreuung.
Herbert Zahnen, Geschäftsführer der Zahnen Technik GmbH, zeigte in seinem Vortrag Möglichkeiten auf, über gezielte Ausbildungs- und Rekrutierungsmaßnahmen den wachsenden Herausforderungen zu begegnen. Prof. Dr. Jutta Rump, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE), hob in ihrem Beitrag einen wichtigen Vorteil des Handwerks gegenüber anderen Branchen hervor: Die überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen können im Gegensatz zu Großkonzernen flexibler auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingehen.
„Personalpolitik muss zukünftig mehr als nur die Elternzeit berücksichtigen“
Einleitend unterstrich Dr. Ulrich Link, Vorstand der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), wie wichtig es für Unternehmen ist, sich an der Lebenssituation der Arbeitnehmer zu orientieren. Dabei reiche es nicht aus, auf die Bedürfnisse von Eltern einzugehen, auch andere Lebensphasen, die Krankheit, Pflege von Angehörigen oder Nebentätigkeiten mit sich bringen können, seien in einer zukunftsfähigen Personalpolitik systematisch zu berücksichtigen. Dabei verwies er auf die vergangenen Branchenforen, die neuen Personal-konzepte der ISB und auf seine Erfahrungen mit dem rheinland-pfälzischen Mittelstand, der den Kundenstamm der ISB ausmacht.
„Der Markt war da, aber nicht die Mitarbeiter“
Herbert Zahnen, Geschäftsführer der Zahnen Technik GmbH, schilderte den Teilnehmern des Branchenforums die „Wachstumsklemme“ in der sich der Familienbetrieb befand, als er ihn 1992 von seinem Vater übernahm. Aufträge habe der Betrieb, der sich auf Maschinen- und elektrotechnische Einrichtungen für abwassertechnische Anlagen und Biogasanlagen spezialisiert hat, zur Genüge gehabt. Es fehlte nur das qualifizierte Personal, das die Aufträge hätte ausführen können. Heute sei die Zahnen Technik GmbH personell gut aufgestellt. Entscheidend sei gewesen, sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter zu orientieren, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Ausgangspunkt der Personalpolitik sei eine umfassende Mitarbeiterbefragung gewesen, aus der konkrete Maßnahmen abgeleitet werden konnten.
Mitarbeiterrekrutierung und -bindung sind für den Unternehmer Herbert Zahnen gleichermaßen von großer Bedeutung. Bei der Mitarbeiterrekrutierung setzt die Zahnen GmbH auf verschiedene Strategien. Sehr erfolgreich sei das Unternehmen dabei, weggezogene Fachkräfte wieder zurück in die Region zu holen. Auch die gezielte Ansprache weiblicher Nachwuchskräfte zeige Wirkung. Über das Programm „Auf ins Berufsleben – zukunft@zahnen“ sei das Unternehmen zudem an den Schulen präsent. Ein Mentoring-Programm und zusätzliche Lernangebote für die eigenen Auszubildenden festigten die Bindung der jungen Fachkräfte an das Unternehmen. Auch den Führungskräften werden mit attraktiven Weiterbildungsangeboten Anreize für einen langen Verbleib im Unternehmen gegeben.
„Es gibt Maßnahmen, die kosten Geld. Vieles kostet aber nichts“, unterstreicht Herbert Zahnen. Maßgeblich für ein erfolgreiches Employer Branding, also die Stärkung der Arbeitgebermarke, sei daher nicht der Geldbeutel, sondern das offene Ohr für die Mitarbeiter.
„Der Nachwuchs ist ein knappes Gut“
Laut Prof. Rump wirken zwei Faktoren auf den Arbeitsmarkt im Handwerk ein: der demographische Wandel und die höheren Anforderungen an die Arbeitnehmer aufgrund steigender Kundenwünsche. „Noch hält sich Alt und Jung die Waage“, ist Rump überzeugt, aber bis 2030 verschiebe sich das Gleichgewicht deutlich. Die zentrale Konsequenz aus diesen Entwicklungen sei eine Verknappung der Fachkräfte. Sie rechnet vor, dass 2030 bereits 6,5 Millionen Fachkräfte in Deutschland fehlen werden, über 300.000 davon alleine in Rheinland-Pfalz. Nun sähen sich die Betriebe einer neuen Situation ausgesetzt: sie müssen aktiv um Nachwuchskräfte werben, die zudem noch sehr anspruchsvoll und nicht gewillt seien, zu große Kompromisse einzugehen.
„Die Belegschaft in Bewegung halten, ohne die Balance zu verlieren“
Die Situation sei aber keineswegs aussichtslos, hebt Rump weiter hervor, denn bereits „mit kleinen Maßnahmen kann man viel erreichen.“ Beispielsweise sei in der Weiterbildung eine enge Verzahnung von Lernen und Arbeiten ein erfolgsversprechender Ansatz. Bei der Rekrutierung könne das Motto „Tue Gutes und rede darüber“ als Leitbild dienen; nach der Entwicklung guter Personalprogramme müsse eine mediale Verbreitung im Sinne eines Employer Brandings stattfinden. Für eine anhaltende Motivation der Mitarbeiter sei es wichtig, dass „ihre Stärken und Talente“ berücksichtigt werden. Neben der Motivation sei die Gesundheit ein kritischer Faktor. Wenn möglich, so die Leiterin des IBE, sollten die Belastungen durch Arbeitsprozesse gesenkt oder Rotationen eingeführt werden. Wichtig sei jedoch immer die ganzheitliche Betrachtung des Arbeitnehmers. „Kein Mitarbeiter legt an der Bürotür seine Lebenssituation wie einen Mantel ab“, unterstreicht Prof. Rump. Individuelle Lösungen, die die Lebensphasen der Arbeitnehmer berücksichtigen, seien wichtig und hier habe das Handwerk, das durch kleine und mittelständige Betriebsgrößen flexibler als ein großes Unternehmen sei, einen Vorteil.
Die Branche bewegt sich
In der Diskussion stellten die Teilnehmer des Branchenforums fest, dass die bestehenden Ausbildungsangebote weder für die Auszubildenden noch für die Betriebe zufriedenstellend seien. Die Entwicklung und engagierte Umsetzung neuer Aus- und Weiterbildungskonzepte sei essenziell für die Bewältigung der sinkenden Anzahl von Fachkräften bei steigendem Bedarf. Dazu sei die Vernetzung der Betriebe zwecks eines konstanten Wissensaustausches notwendig. In dem Austausch könne der Handwerkskammer eine zentrale Rolle zukommen.
Intensiver branchenübergreifender Austausch zur Fachkräftesicherung
Das rheinland-pfälzische Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung initiierte zusammen mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) diese Veranstaltungsreihe, um mit den Unternehmen branchenspezifische Lösungsansätze für die Bindung und Gewinnung von Fachkräften zu erarbeiten. Mitveranstalter der regelmäßig stattfindenden Treffen ist die Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) in Mainz. Mit den Branchenforen der zweiten Projektphase strebt das rheinland-pfälzische Wirtschaftsmi-nisterium unter Leitung von Ministerin Eveline Lemke zusammen mit dem IBE die Erarbeitung solch branchenspezifischer Lösungsansätze sowie die zunehmende Vernetzung von Unternehmen an. Nach den Branchenforen „Verarbeitendes Gewerbe“ „Finanzdienstleistungen“, „Handel“ „Gesundheitswirtschaft“, „öffentliche Verwaltung“ und „Chemie / Pharma“ war „Handwerk“ das siebte und vorerst letzte Forum. Am 5. Februar 2014 wird unter dem Titel „Unternehmen 2030“ eine Ergebnisveranstaltung stattfinden.
Parallel zu den Branchenforen finden Netzwerktreffen in der Hochschule Ludwigshafen, Ernst-Boehe-Str. 4 statt. Dort können Unternehmen in erster Linie über praxis- und umsetzungsorientierte Themen in der Personalpolitik, wie etwa Strategien und Maßnahmen zur Fachkräftesicherung, veränderte Organisationsstrukturen oder Kosten- und Nutzenberech-nungen diskutieren. Die Themenauswahl ist dem Teilnehmerkreis vorbehalten.
Das nächste Netzwerktreffen findet am 11. Dezember 2013 von 14.00 bis 17.00 Uhr statt. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung und Info: http://www.lebensphasenorientierte-personalpolitik.de.
Hintergrund:
Ins Leben gerufen wurde das Projekt „Strategie für die Zukunft – Lebensphasenorientierte Personalpolitik“ vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, dem heutigen Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung Rheinland-Pfalz. Das Modellprojekt der ersten Phase sowie die Fortsetzung der zweiten Phase werden vom Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) unter der Leitung von Prof. Dr. Jutta Rump durchgeführt. Gefördert wird es aus Landesmitteln des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums.
In enger Zusammenarbeit mit elf ausgewählten Modellbetrieben verschiedener Größe und aus unterschiedlichen Branchen sowie einer Behörde wurden vom 1. April 2009 bis 31. März 2011 Möglichkeiten zur Entwicklung und Umsetzung einer Lebensphasenorientierten Personalpolitik praxisorientiert untersucht. Ziel der ersten Phase des Projekts war die Erarbeitung von praxisnahen, ausgereiften und handlungsorientierten Umsetzungskonzepten und -strategien. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus den rheinland-pfälzischen Modellbetrieben und der Modellinstitution (Leuchttürme) werden als Best-Practice-Fälle dargestellt und dienen als prototypische Beispiele. Veröffentlicht hat das IBE diese Ergebnisse auf der Internetseite www.lebensphasenorientierte-personalpolitik.de unter der Kategorie „LOPBOX“. In Form von konkreten Qualifizierungskonzepten und -modulen erhalten dort Unternehmen und Institutionen, die eine Lebensphasenorientierte Personalpolitik einführen wollen, anwender-orientierte Tools, die schnell und unkompliziert genutzt werden können.
Über das IBE
Das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) unter Leitung von Prof. Dr. Jutta Rump (Geschäftsführerin) und Prof. Dr. Peter Mudra erforscht personalwirtschaftliche Fragestellungen. Die Schwerpunkte liegen in den Bereichen Beschäftigung und Beschäftigungsfähigkeit („Employability“), dem demografischen Wandel und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Weitere Kernthemen sind die Zukunft der Arbeitswelt sowie Wissensmanagement und Wissensbilanzierung. Das IBE berät Unternehmen und Institutionen in arbeitsmarktpolitischen, personalwirtschaftlichen und sonstigen beschäftigungsrelevanten Fragen. Aktuelle Forschungserkenntnisse werden evaluiert und ggf. direkt in die Praxis umgesetzt.
Pressekontakt:
Prof. Dr. Jutta Rump
Institut für Beschäftigung und Employability
Ernst-Boehe-Str. 4
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