Praktikantenstudie: Mindestlohn ist nicht gefragt
Deutschlands größte Praktikantenstudie in Berlin vorgestellt: Deutsche Praktika schlechter bezahlt als im Ausland, Praktikanten trotzdem mit Vergütung zufrieden
Einen gesetzlichen Mindestlohn für Praktikanten muss es aus Sicht der Betroffenen nicht geben. Das ist eines der Ergebnisse des aktuellen CLEVIS Praktikantenspiegel 2015, der mit jährlich mehr als 7.500 Teilnehmern deutschlandweit größten Praktikantenstudie. Diese, jährlich von der HR-Unternehmensberatung CLEVIS in Kooperation mit der Online-Jobbörse ABSOLVENTA Jobnet und wissenschaftlicher Unterstützung des Lehrstuhls für Marketing (Prof Dr. Sarstedt) der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durchgeführte Studie, wurde nun in Berlin vorgestellt. Inhalt: Praktikanten in Deutschland verdienen im Durchschnitt mit 763 Euro weit weniger als ihre deutschen Kollegen im EU-Ausland (874 Euro). Trotzdem finden 64 Prozent von ihnen diese Vergütung angemessen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn für Praktikanten, den es seit Januar nur unter bestimmten Voraussetzungen gibt, liegt bei einer 40-Stunden-Woche indes bei gut dem Doppelten (1.400 Euro). Den Studienergebnissen nach, ist dies aber gar nicht notwendig. Denn auch insgesamt ist der Zufriedenheitsgrad der jungen Arbeitnehmer mit ihrem Praktikum sehr hoch: 86 Prozent der Praktikanten sind zufrieden und 82 Prozent würden ihren jeweiligen Arbeitgeber weiter empfehlen. Die größten Zufriedenheitstreiber aus Sicht der Arbeitnehmer liegen gemäß der Studie im erhofften Lerneffekt, der Führung durch gute Vorgesetzte sowie in der Aufgabengestaltung durch den Arbeitgeber.
„Das Praktikum gewinnt zunehmend an Reputation. Viele Arbeitgeber haben erkannt, dass sie im War for talents schon frühzeitig qualifizierte Fachkräfte von ihrer Arbeitgebermarke überzeugen müssen. Aus diesem Grund werden aus Praktikanten immer wichtigere Kandidaten. Der hohe Zufriedenheitsgrad bei diesen zeigt: Die Strategie der Unternehmen geht auf. Wichtig dabei: Die besten Praktikanten entscheiden sich für die Unternehmen, die ihr Markenimage am besten transportieren und anschließend ihre Arbeitgeberqualität erlebbar machen“, erklärt Ludwig Preller, Studieninitiator und Partner der CLEVIS Group.
Praktika in anderen Ländern besser bezahlt
Die Zeiten, in denen Praktika gar nicht bezahlt wurden, sind gemäß des CLEVIS Praktikantenspiegel vorbei – 95 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse werden inzwischen vergütet. Am besten bezahlt werden in diesem Kontext Praktikanten im Baugewerbe (1.015 Euro), in Unternehmensberatungen (920 Euro) sowie im Finanzsektor (888 Euro). Im regionalen Gehaltsranking für Praktikanten liegen Hamburg, Bremen, Bayern und Baden-Württemberg vorne, während in den neuen Bundesländern nach wie vor schlecht gezahlt wird.
Bemerkbar macht sich auch der Studienabschluss. Während Master-Studenten in der Regel 816 Euro monatlich erhalten, sind das bei Bachelor-Absolventen lediglich 715 Euro. Interessant aus internationaler Perspektive: Während ein EU-Auslandspraktikum im Schnitt 111 Euro über den deutschen liegt, wird außerhalb der EU mit durchschnittlich 945 Euro sogar noch besser gezahlt.
„Die Zufriedenheit der Praktikanten mit dem derzeitigen Lohngefüge zeigt, dass die Debatte um einen gesetzlichen Mindestlohn für sie unnötig ist. Zudem: Sie ist gefährlich. Denn ein konsequent umgesetzter Mindestlohn würde das Praktikum selbst gefährden, da es sich vor allem kleine und mittelständische Arbeitgeber schlicht nicht mehr leisten könnten. Vor diesem Hintergrund ist es gut und wichtig, dass unsere Studie zeigt: Es braucht keine staatlich gesteuerte Lohnpolitik in diesem Bereich – die ist in anderen Berufen deutlich wichtiger,“ so Christoph Jost, Geschäftsführer von ABSOLVENTA Jobnet.
Unternehmensberater machen die meisten Überstunden
Während deutsche Praktikanten im internationalen Vergleich am wenigsten verdienen, verbringen sie im Gegenzug am wenigsten Zeit am Arbeitsplatz. Das ist ihnen allerdings auch wichtig – denn mehr als neun von zehn Praktikanten (94 Prozent) möchten Arbeit und Privatleben miteinander vereinbaren. Mit 37,8 Wochenstunden liegt die Arbeitszeit der deutschen Praktikanten unterhalb einer 40-Stunden-Woche. In anderen EU-Ländern beträgt sie indes 39,8 Stunden, außerhalb der EU immerhin 40,2. Am längsten wird in Unternehmensberatungen (43,4 Wochenstunden) sowie in der Hotellerie und Gastronomie (42,9) gearbeitet. Kurzarbeiter unter den Praktikanten sind jene im Finanzsektor (36,2). Das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil es sich hier um eines der Top-3-Berufsfelder in Sachen Bezahlung handelt.
Praktikanten sind häufig auf Achse
Immer mehr Absolventen und Studenten stellen sich auf die Anforderung von vielen Arbeitgebern ein, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Immerhin 49 Prozent waren unter anderem aus diesem Grund bereits für mindestens sechs Monate im Ausland – die meisten allerdings nicht im Rahmen eines Praktikums, sondern in erster Linie durch ein Auslandssemester. Als Praktikant gingen nur 14 Prozent der Studien-Teilnehmer ins Ausland. Die meisten kamen dabei aus den Geistes- (24 Prozent) und Naturwissenschaften (23 Prozent), am wenigsten aus den Rechts- (10 Prozent) und Wirtschaftswissenschaften (11 Prozent).
Insgesamt sind Praktikanten allerdings durchaus offen dafür, aufgrund eines Praktikums den Wohnort zu wechseln. Mehr als die Hälfte der Befragten hat dies bereits getan. Für ein Drittel der Befragten lag die Praktikantenstelle sogar mehr als 200 Kilometer vom aktuellen Wohnort entfernt.
„Durch den vielfach diskutierten Fachkräftemangel hat sich die Ausgangsposition für Praktikanten deutlich verbessert. Von Kaffeekochern sind sie zur umworbenen Zielgruppe geworden. Die Generation Praktikum im ursprünglichen Sinne existiert nicht mehr“, bilanziert Ludwig Preller den CLEVIS Praktikantenspiegel.
Über die Studie
Der CLEVIS PRAKTIKANTENSPIEGEL wird jährlich von der HR-Unternehmensberatung CLEVIS in Kooperation mit ABSOLVENTA Jobnet, der deutschlandweit führenden Spezialisten-Jobbörse (FOCUS Money,) durchgeführt. Mit mehr als 7.500 Teilnehmern ist sie die größte ihrer Art in Deutschland. 78 Prozent der Teilnehmer waren zum Zeitpunkt ihres Praktikums Studenten. Der Rest verteilt sich auf die beiden Kategorien Absolventen und Young Professionals mit etwa zwei Jahren Berufserfahrung. Insgesamt bewerteten die Teilnehmer mehr als 1.160 Arbeitgeber. Befragungszeitraum war von April bis September 2014. Weitere Kooperationspartner der Studie sind praktikum.info, die access Kelly GmbH und der Lehrstuhl für Marketing der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.