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Digitale Evolution: Mutiert Google zu einem vertikalen Karriere-Portal?

Google Knowledge Graph
Google Knowledge Graph

von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.

Die strategische Richtung der Produkt- und Services-Entwicklung beim Suchmaschinen-Giganten Google verläuft spannend und ist jederzeit eine willkommene Gelegenheit der Spekulation und Kristallkugel-Vision. Google hat der Öffentlichkeit manch bemerkenswerte Produktentwicklung präsentiert – das soziale Netzwerk Google+, die Nerd-Brille Google Glass, die Maps-Erweiterung Google View oder das selbstfahrende Automobil. Etwas weniger Beachtung beim breiten Publikum fanden neue vertikale Suchanwendungen, wie z.B. Google/flights. Nicht alle neuen Produkte und Services sind von Erfolg gekrönt, in einigen Fällen sterben sie den stillen, langsamen digitalen Tod. Spannend ist eine brandaktuelle Evolution der Google-Search-Strategie – der Ausbau zu einem vertikalen Medizin-Portal. Folgt bald ein neues vertikales Karriere-Portal?

Einer Ankündigung auf Googles offiziellem Blog zufolge stehen Gesundheits-Informationen einmal pro 20 Google-Suchabfragen im Mittelpunkt des Nutzerinteresses. Was ist eine Tonsillitis, wodurch wird eine Zöliakie verursacht, was tun wenn der Hausarzt bei der Diagnose von einer gluteninduzierte Enteropathie als Folge einer intestinalem Infantilismus oder der Heubner-Herter-Krankheit spricht? Der Patient kann dann nur noch mit der Schulter zucken und lakon isch kommentieren: „Das hab ich mir auch so gedacht“. Der Apotheker um die Ecke, Wikipedia oder die Suchmaschine Ihres Vertrauens weiß Rat. In Kürze will Google solche Fragen im Rahmen des Knowledge Graphs beantworten.

In der Produktankündigung betont Google, dass sich dieser neue Service auf den Information-Aspekt konzentriert und keine medizinische Diagnose ersetzt. Zur Qualitätssicherung arbeitet Google mit einem Ärzteteam zusammen und lässt die Informationen zusätzlich durch die Mayo Klinik auf Genauigkeit prüfen.

Die Relevanz für das Recruiting

Was hat das vertikale Suchportal als Knowledge Graph mit Recruiting zu tun? Eigentlich nichts, es sei denn man nutzt das für arbeitsplatzbedingte Krankheitssymptome. Im Falle des Gesundheits-Knowledge-Graph hat alleine die Produktankündigung Panik bei den Anbietern von Gesundheits-Informationsportalen ausgelöst: Der Börsenkurs von WebMD verlor 2.9%, die Betreiber-Firma EverydayHealth musste einen Kursrückgang von 1.6 Prozent verzeichnen.

Klar, Karriere hat mit Karies nichts zu tun – begrenzt man den etwas holprigen Vergleich auf die reine Informationsbasis. Wenn man jedoch die Art und Weise bedenkt, wie solche vertikalen Knowledge Graphs zustande kommen, kann man nicht vollkommen ausschließen, dass Google eines Tages auch den Karrieremarkt in den Mittelpunkt ähnlicher vertikaler Produktentwicklungen stellen könnte. Aber das ist reine Spekulation – Google hält sich traditionell mit Produktentwicklungsstrategien vornehm und dezent zurück.

Die Realität des Digital Recruiting Markts

Der Digitale Recruiting Markt funktioniert besser als es von den Unken und Social Media Fans dargestellt wird. Insbesondere geht es um viel Geld, besonders dann, wenn die wirklich guten Player fast alles richtig machen. Doch das Tempo des technologischen Fortschritts ist hoch und fordert von Recruitern und Kandidaten ein permanentes Lernen und Auseinandersetzen mit den neuen Technologien. Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert revolutionierte Ernst Litfaß das Anzeigengeschäft mit der nach ihm benannten Litfaßsäule. Für damalige Verhältnisse war es eine „Disruptive Technology“ – wie die Gurus des Technologiefortschritts heute sagen würden. Seither hat die Publikation von Stellenanzeigen eine weite und progressive Entwicklung hinter sich gebracht.

Litfaß-Säule mit Stellenanzeigen
Litfaß-Säule mit Stellenanzeigen

Welche Merkmale prägen das heutige digitale Recruiting?

  • Stellensuchende beginnen ihre Jagd nach Karrierechancen häufig mit Suchabfragen bei Google
  • Die Stellensuche bei Jobbörsen, Jobsuchmaschinen, Arbeitgeber-Karriereseiten oder in den sozialen Netzwerken ist mit einer beträchtlichen Lernkurve der Jobsuchenden verbunden.
  • Aufgrund des technologischen Fortschritts unterliegt diese Lernkurve einem kurzem Halbzeitwert: Jobsuchende, die vor etwa 3 oder 5 Jahren auf Jobbörsen nach Karrierechancen gesucht haben, müssen sich mit den dynamischen und neuen Gegebenheiten des Recruiting immer wieder neu auseinandersetzen
  • Der digitale Recruiting-Markt unterliegt dem Trend der Fragmentierung und Fraktalisierung – ständig kommen neue Karriere-Portale auf den Markt oder Spezialjobbörsen mit immer spezifischeren und engeren Zielgruppen werden lanciert
  • Stellenanzeigen der Arbeitgeber werden nach dem Prinzip „Publikationsmodell Pusteblume“ auf allen gängigen Kanälen veröffentlicht, die Jobanzeigen tauchen mehrfach auf Jobsuchmaschinen auf
  • Trotz aller Aktivitäten in Richtung Social Media Recruiting gibt es genügend Beispiele, dass Recruiting ein einträgliches Geschäft sein kann:
    • Das weltweit größte Job-Portal Indeed.com (TV-Werbung) wurde vor wenigen Jahren von dem japanischen Recruiting-Konzern Recruit Holding übernommen, Branchenkenner vermuten einen bisher nicht bestätigten Kaufpreis in Höhe von 1 Milliarde Dollar
    • Der Axel-Springer-Verlag erzielt mit seiner neuen strategischen Division (Digital Classifieds) eine Umsatzrendite von 45% in den ersten neuen Monaten von 2014. In der Digital Classifieds GmbH sind die Verlagsbeteiligungen an Karriereportalen wie Stepstone, MeineStadt, Hotelcareer, TotalJobs UK usw. zusammengefasst. Der Venture Capitalist General Atlantic hält eine  Beteiligung von 30%. die Hälfte (15%) dieser Beteiligung wurde von General Atlantic für 446 Millionen Euro an den Axel-Springer-Verlag verkauft. Demzufolge beträgt der Gesamtwert von Digital Classified knapp 3 Milliarden Euro
    • Das Business-Netzwerk XING übernahm vor kurzem die Jobsuchmaschine Jobbörse.com (ehemals iCjobs.de) für anfängliche 6,3 Millionen Euro
    • Die Spezialjobbörse Ingenieurkarriere.de aus dem Verlag VDI-Nachrichten publiziert aktuell 877 Ingenieur-Stellenanzeigen, die von Arbeitgebern zum Preis von 846 Euro und einer Laufzeit von 8 selbst eingegeben werden können; somit kann Ingenieurkarrie.de mit einem monatlichen Umsatzpotential (ohne Rabatte usw.) in Höhe von 371.000 Euro rechnen.
    • Die beiden B2B2C-Business-Netzwerke LinkedIn und Xing positionieren sich im ertragsreichen Karriere-Segment und liefern sich einen intensiven Wettbewerb. Im Vergleich der Börsenkurse seit Mai 2012 zeigt sich, dass beide Wettbewerber im Mai 2014 eine ähnliche Wertsteigerung erzielen konnten. Allerdings hat im aktuellen Vergleich Stand Februar 2014 LinkedIn mit einem Wertzuwachs von über 200% Prozent den Konkurrenten aus Hamburg überflügelt.

 

Börsenkursvergleich LinkedIn - Xing
Börsenkursvergleich LinkedIn – Xing

 

Ein vertikales Google-Karriere-Portal ist Stand heute eine reine Spekulation. Im Gegensatz zu anderen vertikalen Lösungen (Google Flights, Google Health Informationen) unterscheiden sich Karriere-Portale durch ausgeprägte landesspezifischen Eigenschaften, die eine Produktentwicklung im internationalen Rollout mit der „Gießkanne“ zu einem kleinteiligen Guerilla-Krieg ausarten lassen. Allerdings zeigen sich insbesondere beim Matching von Kandidaten-Profilen mit den Stellenanforderungen der Arbeitgeber erhebliche Nachteile auf, die durch relativ kleinteilige Lösungsansätze bedingt sind. Die fortschrittlichen Produktentwicklungen einzelner Innovatoren werden durch die „Economies-of-Scale“ benachteiligt – erfolgreiches Matching setzt eine möglichst große Datenbasis voraus. Inwieweit Unternehmen wie Google, Indeed, LinkedIn, Xing, Monster & Co die Zukunft des digitalen Recruiting dominieren bleibt völlig offen. „Et kütt wie et kütt“ – an der Kölner Lebensweisheit und Artikel 2 des Rheinischen Grundgesetzes ist einiges dran.

Weiterführende Links

Google Knowledge Graph

Google Blog Health Information

Seeking Alpha: Google Knowledge Graph to blame?

Google Flights

Axel Springer Verlag Digital Classifieds

Ingenieurkarriere.de

Indeed.com

LinkedIn

Monster

Stepstone

Xing

 

 

 

 

 

2 Comments

  • Hallo Herr Kenk,

    lange ist es her, dass wir seit meiner Zeit bei Adzuna Kontakt hatten, aber ich verfolge immer noch regelmäßig Ihre Artikel! Auch dieser hier ist sehr spannend; allerdings ist das Thema nicht ganz so theoretisch wie Sie es darstellen: Google ist hier durchaus schon konkreter bei der Planung geworden! Markus Tandler hat hierüber schon mal auf seinem Blog geschrieben: http://bit.ly/1FrnqkD Ob Google das Thema noch einmal herauskramt weiß man nicht, aber ich bin sicher dass es nach wie vor auf dem Radar ist.

  • Hallo Herr Lissner, Danke für den Kommentar. Wir müssen alles etwas vorsichtig sein und überlegen, inwieweit Technologie-Wunschdenken (was ist machbar?) auch wirklich Sinn für GOOGLEs Bottom Line macht. Klar, möglich ist vieles, aber bei Google kämpfen viele hunderte Produktideen einen Wettkampf der Realisierbarkeit. Und dann muss noch alles in eine gewisse Konzern-Strategie passen. Dabei muss eine zentrale Frage beantwortet werden: Welche Erträge fallen bei einem zukünftigen vertikalen Karriereportal an. Sind es nur Clicks (deren Preis zusehends langsam erodiert) oder sind es Erträge aus dem Matching (Google+ Mitgliedsprofile vs Stellenangebote). Portale wie LinkedIn, XING, Indeed.com zeigen auf, dass spezialisierte Lösungen Vorteile haben.

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