Auch bei Managern kann die Devise gelten: Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen
Was ist zu tun, wenn im Unternehmen Betrug entdeckt wird?
Aufsichträte, Vorstände und Manager leiden oft unter dem Syndrom „Nichts hören, nichts sehen, nicht sagen“, wenn es um die Aufdeckung von Betrug im Unternehmen geht. Nichts hören, nichts sehen – das ist die Devise. Man kennt sich, man pflegt sich – und die öffentliche Diskussion dreht sich nur um eine Frage: Wann hat wer von was gewusst? Der Vorgesetze hätte es wissen müssen, sonst hat er seinen Laden nicht im Griff – diese eigentlich normale Alternative wird ganz selten diskutiert. Die „Dieselgate“-Betrugsaffäre bei Volkswagen läuft nach dem bekannten Syndrom ab. Die Deutsche Bank hat im Verantwortungsbereich des mittlerweilen ehemaligen Investmentbanking-Vorstand Anshu Jain eine bemerkenswerte Kette von Betrügereien und Marktmanipulationen produziert, die mit Rechtskosten in zweistelligen Milliarden-Höhe geahndet werden. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner ist das jahrelang entgangen. Nichts hören, nichts sehen, nichts beaufsichtigen.
Ein Gastbeitrag von Dr. Michael-A. Leuthner
Betrug (Fraud) Teil III: Ein wacher Geist in schwerer Stunde, Sie haben in Ihrem Unternehmen Betrug entdeckt! Was ist zu tun?
Aufbauend auf dem ersten Teil, dort wurde der menschliche Faktor beim Thema Betrug behandelt, galt es im zweiten Teil zu beschreiben welche Arten von Betrug es im betrieblichen Umfeld gibt. Im vorliegenden dritten Teil wird erläutert wie ein gerade erst im Unternehmen bekannt gewordener Betrugsfall zu „überwinden“ ist und welche konkreten nächsten Schritte aus der Sicht des Verfassers zu gehen sind. Das Vorgehen ist natürlich von der Schwere des entdeckten Betrugs abhängig.
Exemplarisch wollen wir hier drei Fallkonstellationen unterscheiden anhand deren das (potentielle) Vorgehen geschildert werden kann:
- Die betrügerischen Handlungen beziehen sich nur auf Werte innerhalb des Unternehmens, weder Kunden, noch Lieferanten sind von den Vorgängen direkt betroffen. So z.B. Diebstahl von bereits bezahlter Lagerware, Reisekostenbetrug, Überbewertung von Lagerbeständen und dergleichen.
- Die betrügerischen Handlungen beziehen sich auf Vorgänge bei denen Kunden und/oder Lieferanten und/oder Kreditgeber betroffen sind. So z.B. erhöhte Abrechnungen gegenüber Kunden, angebliche Qualitätsmängel bei Wareneingangsprüfungen, Bilanzfälschungen und dergleichen.
- Eingangssituation wie im Falle II, nur ist das Unternehmen bereits in einer Restrukturierungsphase und der Unternehmensfortbestand ist durch den Betrug akut gefährdet.
Die Gerüchteküche wirkt
Beginnen wir mit Klassifikation I: Sollten Sie „nur“ erfahren haben, dass z.B. jemand regelmäßig bei den Reisekosten betrügt bzw. betrogen hat, so ist dies sicherlich nicht für das Überleben Ihres Unternehmens relevant. Somit ist zu klären „Wie hat man von der betrügerischen Handlung erfahren?“ und „Ist es tatsächlich eine betrügerische Handlung oder sind es nur Aussagen?“. Lassen Sie sich die entsprechenden Aussagen durch Dokumente bestätigen und verfolgen Sie den Vorgang anhand einzelner Prozessschritte um diesen zu verstehen. Ist es ein einmaliger Vorgang, ist dies nur durch eine einzelne Person durchgeführt worden, oder ist es ein Fehler in der Bearbeitung? Gibt es weitere Fälle?
Wenn Sie in höherer Managementfunktion in Ihrem Unternehmen sind, so machen Sie dies zur Chefsache und zeigen Sie, dass Sie dieses Thema aktiv bearbeiten und solche Vorfälle in keiner Art und Weise akzeptieren. Lassen sich regelmäßig darüber informieren welche Schritte eingeleitet wurden, damit diese Art von Betrug nicht noch einmal passiert, welche Prüfroutinen implementiert wurden und welche ggf. steuerrechtlichen Konsequenzen sich ergeben (könnten). Jedoch auch hier stellt sich die Frage „Wer muss informiert werden?“ Ihr Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer wird bestimmen, ob die ggf. notwendigen Korrekturen maßgeblich sind und Auswirkungen größerer Art haben werden. Dies kann hier nicht pauschal beurteilt werden und ist vom spezifischen Fall abhängig. Sollten arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen werden (müssen), so empfiehlt es sich einen entsprechenden Juristen hinzuzuziehen.
Wegducken ist keine Alternative
Komplexer wird es mit der Klassifikation II, da externe Parteien involviert sind. Machen wir uns nichts vor, am liebsten würde man die Sache natürlich unter den Tisch kehren. Entweder möchte man keinen Ärger mit den Kunden haben um sich bei der nächsten Preisverhandlungen nicht etwas vorwerfen lassen zu müssen, man möchte dies auch nicht mit umgekehrten Vorzeichen mit den Lieferanten verhandeln, und weitere Probleme mit dem Wirtschaftsprüfer oder mit den Banken will man erst recht nicht. So einfach stellt es sich aber leider nun mal nicht dar. Bevor Sie sich zu einem späteren Zeitpunkt selbst einer strafbaren Handlung ausgesetzt sehen, kommunizieren Sie selbst aktiv und gehen Sie auf Ihre Geschäftspartner zu.
Präsentieren Sie einen Plan und die nachprüfbaren entsprechenden Maßnahmen, um die Vertrauensbasis wieder herzustellen. Sie sollten davon ausgehen, dass Ihre Geschäftspartner im Regelfall zuerst selbst überfordert sind, außer Ihr Kunde ist ein Massenhersteller der wiederum selbst viele Lieferanten hat. Beim Thema der Abbildung falscher Werte in der Bilanz sollte man noch subtiler vorgehen. Ihr Wirtschaftsprüfer wird mit Ihnen zusammen bestimmen, ob Korrekturen erst im nächsten Jahr bilanziell berücksichtig werden können, oder die durchgeführten betrügerischen Handlungen so schwerwiegend sind, dass der geprüfte Jahresabschluss und veröffentlichte Bericht zum Jahresabschluss kein wahres Bild der herrschenden Verhältnisse mehr abgibt.
Hier an dieser Stelle muss noch ergänzt werden, dass im Rahmen einer (konventionellen) Jahresabschlussprüfung der Wirtschaftsprüfer nicht explizit auf betrügerische Handlungen prüft und prüfen kann[1], dies wird auch so in jedem Bericht zur Jahresabschlussprüfung in den allgemeinen Auftragsbedingungen dokumentiert. Das Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlicht die Berufsstandards (u.a. Prüfungsstandards PS) für Deutschland nach denen u.a. Prüfungen durchgeführt werden.
Der Prüfungsstandard PS 200 „Ziele und allgemeine Grundsätze der Durchführung von Abschlussprüfungen“ definiert den Grundsatz der hinreichenden Sicherheit so, dass die Abschlussprüfung keine absolute Sicherheit erreicht und damit keine Garantie dafür darstellt, dass wesentliche falsche Angaben aufgrund von Unrichtigkeiten oder Verstößen durch den Abschlussprüfer aufgedeckt werden. Im Prüfungsstandard 210[2]: „Zur Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung“ sind Verstöße“ als falsche Angaben im Abschluss und Lagebericht, die auf einem beabsichtigten Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder Rechnungslegungsgrundsätzen beruhen definiert. Kein Prüfer wird aber, trotz professioneller skeptischer Grundhaltung, davon ausgehen, dass bewusst in einem Unternehmen manipuliert wurde.
Klassifikation III ist ganz einfach Stress pur!
In einem selteneren, jedoch weitaus dramatischeren Fall, gehen wir davon aus, dass der gerade bekannt gewordene Betrug oder die betrügerische Handlung für Ihr Unternehmen so dramatisch ist, dass diese weitreichende Konsequenzen haben könnten. Ein vielleicht einfacher, aber doch der Situation entsprechender Vergleich, mag mit einem Flugzeug hergestellt werden. Ohne Geschwindigkeit hat das Flugzeug keinen Auftrieb und wird abstürzen, d. h. Sie müssen unter allen Umständen die Turbinen bzw. Motoren am Laufen halten, sprich die Kommunikation und den Geschäftsbetrieb Ihres Unternehmens, um nicht im wahrsten Sinne des Wortes dieses o.g. Schicksal zu erleiden.
Im Rahmen der bisherigen Tätigkeiten war der Autor bereits mehrfach genau in dieser unglücklichen Situation, dies nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland.
Bewerten Sie alles objektiv, verfallen Sie nicht in Panik und denken Sie immer daran, dass Sie das „Flugzeug noch steuern müssen“. Da Sie sich bereits in einer Restrukturierungsphase befinden, ist davon auszugehen, dass Sie bereits Schwierigkeiten mit Ihren Lieferanten und Ihren Kapitalgebern haben.
Sollten Sie selbst oder ggf. mit externer Hilfe zu dem Schluss gekommen sein, dass (eine) betrügerische Handlung(en) so ausgeprägt ist bzw. sind, die den Unternehmensfortbestand gefährdet(n) so empfehle ich sofortige Kontaktaufnahme zu Ihrem Wirtschaftsprüfer, oder bei einem nicht prüfungspflichtigen Unternehmen, zu Ihrem Steuerberater. Erfahrungsgemäß zeigt es sich, dass zwar (eine) betrügerische Handlung(en) identifiziert wurde(n), sich dahinter aber meist noch weitere Handlungen befinden (können). Es ist nicht ungewöhnlich, dass das Topmanagement versuchte eben gerade diese nicht gewollte Krisensituation, die zur Restrukturierung führte, zu verhindern, evtl. auch durch Manipulation oder ähnlich gelagerten Handlungen.
Jetzt ist Teamwork gefragt
Jetzt gilt es in intensiver Zusammenarbeit nicht nur zu untersuchen wie groß der Schaden tatsächlich ist, sondern auch wer die Tätigkeiten, die zu diesem Schaden geführt haben durchgeführt hat (intern/extern); wer davon möglicherweise bereits weiß und wer kurzfristig zu informieren ist. Sämtliche Untersuchungen sind jetzt parallel durchzuführen und wollen durch Sie gemanagt werden. Halten Sie den Kreis der Beteiligten klein. Dies bedeutet jetzt klar Stress für Sie, da gilt es gar nichts zu beschönigen. Entweder managen Sie dies selbst oder holen sich professionelle objektive externe Unterstützung hinzu.
Sollten diese betrügerischen Handlungen in vorangegangenen Perioden stattgefunden haben und hat für diese Perioden bereits eine Jahresabschlussprüfung mit abschließendem Testat stattgefunden, so kann es im Extremfall sogar vorkommen, dass Ihr Wirtschaftsprüfer das Testat (also das berichtete Ergebnis seiner bereits durchgeführten Abschlussprüfung) widerruft und eine neue Prüfung mit entsprechendem Fokus aufgrund der neuen Erkenntnisse durchführen muss. Diese Leistung bezahlen Sie in der Regel.
Somit stellt sich jetzt die Frage „Wer ist zuerst zu informieren“? Wartet man weitere Ergebnisse ab oder informiert man jetzt schon? Die Antwort hierzu kann nicht pauschal gegeben werden. Bei einer Bestandsgefährdung Ihres Unternehmens ist das Risiko für Ihre Geschäftspartner, also Kunden, Lieferanten und Kreditgeber, ebenfalls erhöht. Die Frage „Wer muss informiert werden?“ hängt von den individuellen Gegebenheiten ab.
Agiert das Unternehmen als Zulieferer für einen Großserienhersteller, wie z.B. einen Automobilhersteller, so ist selbstverständlich dafür zu sorgen, dass die Lieferkette nicht abreißt. Dies bedeutet, dass der Kunde informiert werden sollte, die Einkäufer bei Ihrem Kunden dann aber gezwungen sind den Fall den eigenen Lieferantenrisikomanagern zu übergeben. Dort sprechen Sie dann im Regelfall mit Profis die solche Situationen kennen und Ihnen vielleicht auch noch gute Hinweise geben können, so die persönlichen Erfahrungen des Autors. Zwar ist die Vorgehensweise sehr subtil zu handhaben, jedoch liegen die Vorteile auf der Hand: informieren Sie nicht und die Lieferkette reißt ab, so wird Ihr Image nachhaltig beschädigt sein. Informieren Sie und halten die stetige Kommunikation aufrecht, so kann es gut ausgehen, eine Garantie kann es selbstverständlich nicht geben.
Das sich in der Restrukturierungsphase befindliche Unternehmen wird erfahrungsgemäß mit ungenügenden liquiden Mitteln ausgestattet sein und wird mit höchster Wahrscheinlichkeit auch bei seinen Lieferanten schon unter kritischer Beobachtung stehen oder diese liefern nur noch auf Vorkasse. Hier gilt es einen Kompromiss, wie mit allen Beteiligten auch, zu finden. Auch hier ist eine gute Kommunikation notwendig.
Ist das Unternehmen bereits in intensiver Beobachtung und wird nicht mehr von Firmenkundenbetreuern begleitet, sondern liegt es schon in der Hand der „Problemkreditbearbeitung“, so sollten diese Kreditgeber ebenfalls informiert werden. Hier werden Sie auf der kapitalgebenden Seite voraussichtlich massive Unterschiede im professionellen Umgang mit dieser Krisensituation erleben.
Kommunikation statt Gerüchte
Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Risiko ist natürlich auch, dass durch ungewollte Kommunikationskanäle innerhalb des Unternehmens die Gerüchteküche überschwappt und ‚key personnel‘ aus Panik das Unternehmen verlässt, da es in diesem Unternehmen keine Zukunft mehr sieht. Dies verhindern Sie nur, wenn Ihnen zugetraut wird durch eine striktes Maßnahmenmanagement das Unternehmen zu stabilisieren und diese extreme Krise zu überwinden.
Wie oben bereits erläutert, laufen nun mehrere Handlungsstränge parallel und Sie betreiben nun ein aktives (Krisen-)Management, ggf. unter Hinzuziehung anwaltlichem Know-how für ganz spezifische Fragestellungen, wie z. B. einer Inanspruchnahme eine Directors-and-Officers-Versicherung[3] (D&O), also einer Organ- oder Manager-Haftpflichtversicherung, die in der Regel bei Vorsatz nicht greifen wird.
Bei sofortiger Einschaltung der Staatsanwaltschaft kann es sein, dass Sie nicht mehr Herr des Verfahrens sind und das Risiko des Durcheinanderbringens des betrieblichen Ablaufs und vor allem einer negativen Presse durch Bekanntwerden des Sachverhalts steigt. Dies kann wiederum auch nicht pauschal beurteilt werden und hängt vom spezifischen Sachverhalt ab.
Letztendlich wünscht Ihnen der Autor eine glückliche Hand bei der Bewältigung dieser dargestellten multidimensionalen Krise. Es kann gutgehen.
Im vierten Teil der Reihe werden dann die einfacheren und damit leicht zu implementierenden Möglichkeiten vorgestellt um Betrug im betrieblichen Umfeld zu verhindern bzw. einzudämmen.
Stay tuned!
Der Autor
Dr. Michael-A. Leuthner hat Maschinenbau und Betriebswirtschaftslehre studiert und an einem Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfung promoviert. Des Weiteren hat er folgende Berufsexamen:
Certified Public Accountant (US Wirtschaftsprüfer) mit gültiger Washington license
Certified Fraud Examiner (Betrugsaufdeckung)
Certified Internal Auditor (Revisor)
Certified Financial Services Auditor (Revisor für Finanzinstitutionen).
Er befasst sich schwerpunktmäßig mit Restrukturierungen und Betrugsaufdeckung, bzw. –verhinderung und hat dies weltweit in einer größeren Anzahl von Fällen durchgeführt.
Kontaktaufnahme via Email: leuthner@cpa-leuthner.com
[1] Nach § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB ist die Abschlussprüfung so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung, die sich auf die Darstellung des sich nach § 264 Abs. 2 HGB ergebenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken, bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden.
[2] Entwicklungen hierzu auch ausgeführt in der Dissertation des Verfassers:
http://www.amazon.de/Systems-Internal-Control-Risk-Management/dp/3838128877.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/D%26O-Versicherung (aufgrund Neutralität kann nur auf diesen Artikel verwiesen werden)