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Recruiting: Orientierungslos im Labyrinth der Abschlussnoten

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide

Der Rapper Prinz Pi hat in seinem Song „Kompass ohne Norden“ die Orientierungslosigkeit und vielleicht auch die Hoffnungslosigkeit einer ganzen Generation musikalisch auf den Punkt gebracht. Wie bei einem Kompass ohne Norden fehlt etwas, nämlich der Zeiger zum magnetisierenden Norden als Orientierungspunkt.

Prinz Pi
Prinz Pi (Quelle: Wikipedia)

Abschlussnoten von Universitäten und Fachhochschulen sind für Recruiter zusehends zu einem Kompass ohne Norden geworden.

Dafür sprechen verschiedene Gründe:

  • In Deutschland wächst die Anzahl der Hochschulen stetig an
  • Pro Hochschule gibt es immer mehr Studienprogramme
  • Insgesamt buhlen mehr als 30.000 Studienprogramme um Studenten – die Vergleichbarkeit der Hochschulabschlussnoten sinkt immer stärker ab.

Insbesondere im wichtigen Arbeitsmarkt der SAYs (Studenten, Absolventen, Young Professionals) ist die Abschlussnote oft das einzige Differenzierungsmerkmal, um die Leistungen der Bewerber einzuordnen. Dabei kommt es nicht auf die absolute Note an, sondern auf die relative Abschlussnote im Vergleich von Hochschulen bzw. Studienprogramm.

Mehr Transparenz und Vergleichbarkeit

Prof. Dr. Christoph Beck
Prof. Dr. Christoph Beck

„Personaler brauchen valide Möglichkeiten, um Studienleistungen einschätzen zu können – auch wenn die Noten natürlich kein Garant für beruflichen Erfolg sind“, sagt Personalexperte Beck.

„Grundsätzlich sei es positiv zu bewerten, wenn ein Start-up für Transparenz sorge.“

(Handelsblatt 22.2.2017)

 

Erste Erfahrungen

„Mit CASE berücksichtigen wir die Leistung aus häufig fünf oder mehr Jahren Studium im Bewerbungsprozess genauer. Unsere Führungskräfte werden damit bei der Auswahl geeigneter Kandidaten und der Stellenbesetzung noch besser beraten“. Randolf Bursian, Personalchef Evonik Deutschland

Das Startup CASE kooperiert mit Evonik: Randolf Bursian, Dr. Jan Bergerhoff, Dr. Philipp Seegers und Dr. Frank Lelke. (v.l.n.r.)
Das Startup CASE kooperiert mit Evonik: Randolf Bursian, Dr. Jan Bergerhoff, Dr. Philipp Seegers und Dr. Frank Lelke. (v.l.n.r.)

Dr. Philipp Seegers hat in seiner richtungsweisenden Workshop-Präsentation auf dem HR Innovation Day in Leipzig auf diese Diskrepanz hingewiesen – und auch gleich einen Lösungsansatz präsentiert.

logo_HR_Innovation_Day_2017

CASE (Candidate Select) ist die Alternative, um mit Hilfe von statistischen Auswertungen eine Vergleichbarkeit von Hochschulabschlussnoten zu ermöglichen und akademische Leistungen fair zu vergleichen.

Dr. Philipp Seegers
Dr. Philipp Seegers

Für Start-up-Gründer Seegers sind Zahlen aus der Arbeitsmarktforschung kein Neuland:

„Ich bin Bildungs- und Arbeitsmarktökonom. In meiner Promotion habe ich mich damit auseinander gesetzt, wie Entscheidungen im Studium das spätere Arbeitsleben beeinflussen. Im Rahmen dieser Forschung kam mir und Dr. Jan Bergerhoff, meinem Mitgründer, die Idee, einen statistisch validen Vergleich von Hochschulabschlüssen zu entwickeln. In Deutschland gibt es inzwischen über 30.000 verschiedene Hochschulprogramme. Wir sehen gravierende Unterschiede in den Notenstandards – und natürlich sind manche Programme auch kompetitiver als andere. Daraus ergibt sich das Problem, dass das Arbeitsmarktsignal „akademischer Abschluss“ teils ungenutzt bleibt, teils aber auch verzerrt genutzt wird. Das Vorurteil „Noten sagen nichts aus“ kommt genau daher, dass eine 1,3 manchmal schlechter ist als eine 2,3. Genau dieses Problem löst CASE (candidate select GmbH), weil unser Algorithmus den Kontext kennt, in dem eine bestimmte Note entstanden ist.“

Die Kernargumente

  • Hochschulnoten sind wenig aussagekräftig
    Akademische Leistungen spielen bei der Einstellung kaum eine Rolle? – Noten
    benötigen Kontext und werden erst durch zusätzliche Informationen nutzbar.
  • Bewerbungsverfahren sind teuer und langwierig
    Ein Hochschulabschluss enthält die Information aus über 5 Jahren
    Leistungsbeurteilung – abrufbar direkt am Anfang des Bewerbungs-Prozess.
  • Datenanalyse erspart Arbeit und verbessert das Ergebnis
    CASE erkennt nicht erfolgreiche Kandidaten vorab und identifiziert starke
    Absolventen mit nur vermeintlich schlechten Noten.

Die Datenbasis wird ständig erweitert und umfasst mehr als 180.000 Notenverteilungen und über 220.000 Studierende, die im Rahmen der „Fachkraft 2020“ Studienreihe befragt wurden.

Mit statistischen Methoden basierend auf der Gauß’schen Verteilung werden die relativen Unterschiede herausgearbeitet und graphisch auf Knopfdruck dargestellt. So erkennt ein Recruiter auf einen (vielleicht auch auf den zweiten) Blick, welchen relativen Wert eine Abschlussnote in einem vergleichbaren Studienprogramm hat und wie sich dieser Wert von Hochschule zu Hochschule verändert.

Relative Abschlussnoten: Der CASE Score

Relative Abschlussnoten: Der CASE Score

Die Ermittlung des CASE Scores erfolgt in mehreren Schritten: Erstens werden die Noten in den relativen  Studienkontext gesetzt, zweitens wird die Hochschulqualität berücksichtigt.

 

Beispiel: Abschlussnoten im relativen Vergleich

 

Ein Beispiel verdeutlicht die relative Vergleichbarkeit der Abschlussnoten.

  • Ausbildungsstätte: HTWK Leipzig
  • Abschluss: Bachelor
  • Fach (CASE Kategorie): Erziehungswissenschaften
  • Abschlussjahr: 2017
  • Abschlusssnote: 1,5
  • Durschnittsnote im Studiengang: 1,91

 

CASE Vergleich HTWK Leipzig Erziehungswissenschaften
CASE Vergleich HTWK Leipzig Erziehungswissenschaften

Die gleiche Abschlussnote 1,5 lässt sich mit den relativen Ergebnissen der Universität Frankfurt vergleichen.

CASE Score Erziehungswissenschaften Universität Frankfurt / Main
CASE Score Erziehungswissenschaften Universität Frankfurt / Main

 

Zusammenfassung

Studiengang Erziehungswissenschaften mit Abschlussnote 1,5 HTWK
Leipzig
Universität
Frankfurt / M
Prozentzahl der besseren Abschlüsse an der Universität 11% 34%
Prozentzahl der besseren Abschlüsse in Deutschland 22% 45%
CASE Score: Wieviel Prozent aller Studierenden in Deutschland sind besser? 46% 64%

In dem Beispiel zeigt sich, wie identische Abschlüsse (Bachelor Erziehungswissenschaften mit Abschlussnote 1,5) von unterschiedlichen Hochschulen zu bewerten sind. An der HTWK Leipzig haben nur 11% der Studierenden mit einer 1,5 oder besser abgeschlossen, an der Universität Frankfurt a.M. sind es 34%. Die Unterschiede werden beim genaueren Betrachten der Notenverteilung sehr deutlich. Relativ ist die Studienleistung an der HTWK also stärker zu bewerten.

Im nächsten Schritt vergleicht CASE die Kompetitivität verschiedener Studienprogramme. Mit anderen Worten: Wie stark waren die Kommilitonen im jeweiligen Studienprogramm? Hierdurch können Abschlüsse der selben Fachkategorie zwischen Hochschulen verglichen werden. Es zeigt sich dabei, dass beide Studienprogramme durchaus gut, aber nicht herrausragend sind. Innerhalb der Fachgruppe „Erziehungswissenschaften“ schieben sich einige Absolventen vor die hier bewerteten (nun top 22% im Vergleich zu top 11% vor Ort, bzw. top 45% im Vergleich zu top 34%). Hierbei sollte natürlich auch berücksichtigt werden, dass die beiden Beispiel-Studierenden „erst“ einen Bachelor Abschluss erworben haben.

Final vergleicht CASE auch über Studienfächer hinaus. Hier sieht man, dass Erziehungswissenschaften im Vergleich zu anderen Studienfächern im Durchschnitt weniger kompetitiv sind. Heißt: Der Abschluss von der HTWK ist leicht überdurchschnittlich im Vergleich zu allen in Deutschland erworbenen Abschlüssen, der Abschluss der Universität Frankfurt a.M. leicht unterdurchschnittlich.

 

Statussymbole: Mein Haus, mein Auto, meine Frau

Rapper Prinz Pi setzt sich in „Kompass ohne Norden“ auch mit den orientierungslosen Statussymbolen seiner Generation auseinander – damit gehen die Texte dem Lebensgefühl seiner Generation auf den Grund.

„Zwischen den Beinen von den Sekretärinnen
Findest du kein‘ Lebenssinn, verlierst nur deinen Ehering
In deinem Lebenslauf
Völlig ohne Lücken hört dein Leben auf – zähl da drauf.“
(Prinz PI: Kompass ohne Norden)

Auch Geschmack ist relativ: Schlagerstar Helene Fischer wäre eher am entgegen gesetzten Punkt des literarisch-musikalischen Geschmacks anzusiedeln.

 

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