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Die Maschinerie des Wahnsinns in Absurdistan: Nach der DSGVO kommt das EU-Leistungsschutzrecht als Internet-Zensur

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide

Noch immer verzweifeln mittelständische Unternehmen und kleine Webseiten-Betreiber an der Absurdität der DSGVO – und schon biegt das nächste Digital-Monster um die Ecke. Wenn das geplante EU-Leistungsschutzrecht kommt, geht die Netzfreiheit – so der Tenor eines Artikels bei T3N. Der Abschied von der Informationsfreiheit wird ab dem 20. Juni durch die EU-Abgeordneten entschieden, wenn sie über die neue Urheberrechtsreform entscheiden. Was im Bürokratie-Sprech so ziemlich harmlos klingt, hat es wirklich in sich. Außer der Verlegerlobby profitiert niemand von dieser Entwicklung.

Entfesselung von Bürokratie (Foto: mobbible.org)

T3N führt im Einzelnen aus:

  • Das EU-weite Urheberrecht soll reformiert werden und ein neues Leistungsschutzrecht soll in Kraft gesetzt werden
  • Algorithmen und Bots entscheiden zukünftig darüber, was urheberrechtlich geschützte Inhalte sind
  • Der „Uploadfilter“ wird zu einer Zensurmaschine und macht die Verlinkung von Fakten und Informationen lizenzpflichtig („Linksteuer“)
  • Das Lesen von öffentlichen Daten durch Text- und Datamining-Anwender wird künftig zur Bezahlung von Lizenzgebühren führen
  • Es wird nicht mehr möglich sein, Zeitungsartikel und andere urheberrechtliche Veröffentlichungen kostenfrei zu verlinken
  • Jeder Upload muss mit einer kostenpflichtigen Datenbank abgeglichen werden
  • Im Kern geht es nicht um das Speichern dieser Daten, sondern um den reinen Lesevorgang. Wer lesen und analysieren will, muss zahlen
  • Unabhängige Wissenschaftler, Bürger und Journalisten sind in ihrer Arbeit extrem eingeschränkt, denn eigentlich öffentlich zugängliche Daten werden unzugänglich gemacht.

Die DSGVO und das EU-Leistungsschutzrecht fallen nicht wie Manna für die Rechtsanwalts- oder Verlagsbranche vom Himmel. Vielmehr sind sie die bürokratische Fortsetzung dessen, was die EU mit einer Ausweitung der Bürokratie strategisch schon lange begonnen hat – und dies fortsetzt.

Max Weber (1864-1920), der Mitgründer der deutschen Soziologie, hat bereits früh auf das Bürokratie-Phänomen hingewiesen. Max Weber hat das Entstehen, Wachsen, die zunehmende Durchdringung des Lebens durch Bürokratien durchaus auch kritisch gesehen.

Bürokratie ist ein Versuch, den Fluß der Information zu rationalisieren und ihre Nutzung so effizient wie möglich zu gestalten, indem jede Information ausgesondert wird, die von einem akuten Problem ablenkt.

Max Weber fasst sein Bürokratie-Modell als Herrschaftsinstrument zusammen:

Die „legale Herrschaft mit bureaukratischem Verwaltungsstab“ bei Max Weber

Die legale Herrschaft beruht auf der Geltung der folgenden untereinander zusammenhängenden Vorstellungen,
1. daß beliebiges Recht durch Paktierung oder Oktroyierung rational, zweckrational oder wertrational orientiert (oder: beides), gesatzt werden könne …
2. daß jedes Recht seinem Wesen nach ein Kosmos abstrakter, normalerweise: absichtsvoll gesatzter Regeln sei, die Rechtspflege die Anwendung dieser Regeln auf den Einzelfall, die Verwaltung die rationale Pflege von, durch Verbandsordnungen vorgesehenen, Interessen, innerhalb der Schranken von Rechtsregeln, und: nach allgemein angebbaren Prinzipien, welche Billigung oder mindestens keine Mißbilligung in den Verbandsordnungen finden;(M. Weber,WuG, 1972, S. 125)

§ 4. Der reinste Typus der legalen Herrschaft ist diejenige mittelst bureaukratischenVerwaltungsstabs. Nur der Leiter des Verbandes besitzt seine Herrenstellung entweder kraft Appropriation oder kraft einer Wahl oder Nachfolgerdesignation. Aber auch seine Herrenbefugnisse sind legale „Kompetenzen“. Die Gesamtheit des Verwaltungsstabes besteht im reinsten Typus aus Einzelbeamten (Monokratie, im Gegensatz zur ,,Kollegialität“, von der später zu reden ist), welche
1. persönlich frei nur sachlichenAmtspflichten gehorchen,
2. in fester Amtshierarchie,
3. mit festen Amtskompetenzen,
4. kraft Kontrakts, also (prinzipiell) auf Grund freier Auslese nach
5. Fachqualifikation – im rationalsten Fall: durch Prüfung ermittelter, durch Diplom beglaubigter Fachqualifikation – angestellt (nicht: gewählt) sind, –
6. entgolten sind mit festen Gehältern inGeld meist mit Pensionsberechtigung, unter Umständen allerdings (besonders in Privatbetrieben) kündbar auch von seiten des Herrn, stets aber kündbar von seiten des Beamten; dies Gehalt ist abgestuft primär nach dem hierarchischen Rang, daneben nach der Verantwortlichkeit der Stellung, im übrigen nach dem Prinzip der „Standesgemäßheit“ (Kap. IV),
7. ihr Amt als einzigen oder Haupt-Beruf behandeln,
8. eine Laufbahn: „Aufrücken“ je nach Amtsalter oder Leistungen oder beiden, abhängig vom Urteil der Vorgesetzten, vor sich sehen,
9. in völliger „Trennung von den Verwaltungsmitteln“ und ohne Appropriation der Amtsstelle arbeiten,
10. einer strengen einheitlichen Amtsdisziplin und Kontrolle unterliegen.Diese Ordnung ist im Prinzip in erwerbswirtschaftlichen oder karitativen oder beliebigen anderen private ideelle oder materielle Zwecke verfolgenden Betrieben und in politischen oder hierokratischen Verbänden gleich anwendbar und auch historisch (in mehr oder minder starker Annäherung an den reinen Typus) nachweisbar. (M. Weber,WuG, 1972, S. 126 f.)

Die EU-Kommission als Gralshüter der von Lobby-Interessen getriebenen Bürokratie

Schildbürgerstreiche – so beschreibt der Nationalökonom Prof. Dr. Hans-Werner Sinn in seinem Buch „Der schwarze Juni“ (Herder-Verlag, Freiburg 2016) die Bürokratie-Regelungen aus Brüssel.

  • Äpfel
    Mindestfärbung, Mindestdurchmesser und Mindestgewicht. Protektionismus, Schutz vor Konkurrenz aus nördlichen Regionen zu Lasten der Verbraucher
  • Bananen
    Mindestlänge, Mindestdicke, Reife- und Beschädigungsgrad der Bananen. Protektionismus. Nur EU-Bananen dürfen dank Sonderregelungen die Normgrößen unterschreiten. Handelsvorteil für Bananen aus EU-Ländern und überseeischen EU-Territorien zu Lasten der Verbraucher
  • Glühbirnen
    Herstellungs- und Vertriebsverbote durch Mindetsanforderungen an Energieeffizienz. Ideologischer Paternalismus, umweltökonomisch unsinnig, weil CO2-Preis schon im Emmissionshandel festgelegt
  • Gurken (gültig bsi 2009)
    Vorgabe des maximalen Krümmungsgrads der Gurke. Protektionismus. Handelsvorteile sowie Abschottung gegenüber Importgurken aus Ländernn mit kleinbäuerlichen Strukturen zu Lasten der Verbraucher
  • Olivenölkännchen
    Geplantes Verbot umgefüllter Kännchen. Nur versiegelte und nicht nachfüllbare Olivenölflaschen in Gastronomie zulässig. Dominantes Produzenteninteresse. Große Produzenten forderten das Verbot, um kleinere und deshalb teuere Ölflaschen verkaufen zu können.
    Die Kommission deklarierte die Reform als Verbraucherschutzmaßnahme, doch der Protest der Verbraucher zwang sie, die Maßnahme im Mai 2013 wieder zurückzunehmen
  • Haushaltsgeschirrspüler
    Beschränkung des Energie- und Wasserverbrauchs. Ideologischer Paternalismus, umweltökonomisch unsinnig, weil CO2-Preis schon im Emmissionshandel festgelegt. Leute waschen von Hand oder zweimal.
  • PKW
    Beschränkung des CO2-Flottenverbrauchs pro Fahrzeug. Vorteile für die auf Kleinwagen und Atomstrom spezialisierten Hersteller aus Frankreich und Südeuropa zu Lasten der (überwiegend deutschen) Premiumhersteller. Umweltökonomisch wäre CO2-Preis besser
  • Staubsauger
    Begrenzung für Saugkraft, max. Energieverbrauch. Ideologischer Paternalismus, umweltökologisch unsinnig, weil CO2-Preis schon im Emmissionshandel festgelegt
  • Saatgutverordnung
    Harmonisierung und Reglementierung der Zulassung von Saatgut. Hohe Zulassungshürden und -kosten. Lobbyinteressen zum Ausbau der Marktmacht großer Saatguthersteller. Einschränkung der Artenvielfalt (z.B. viele alte Kartoffelsorten) zu Lasten der Verbraucher

Die aktuelle Diskussion über die DSGVO verliert sich in kleinteiligen Details, es wird nicht in Frage gestellt, vor wem die persönlichen Daten des Bürgers geschützt werden (vor anderen Unternehmen oder dem Staat). Gleichzeit berichtete Martin Müller-Mertens bereits 2014, wie die staatliche Überwachung des Internets praktiziert wird: BND schöpfte Frankfurter Internetknoten für NSA ab – Die letzte Spitze eines hohen Eisberges.

Nun steht als Nächstes die Internet-Zensur unter dem verniedlichenden Begriff „EU-Leistungsschutzrecht“ auf der Agenda. Wähler und mündige Bürger, die mit der Vernichtung des Internets, wie wir es mittlerweile als Selbstverständlichkeit sehen, können sich jedoch (noch) wehren. Ein Anruf bei ihrem EU-Abgeordneten oder eine E-Mail an das Mitglied des EU-Parlaments wäre das Mindeste. Bei der Gurkenkrümmung und der Olivenölkännchen-Direktive hat der Protest gewirkt.

Sei wachsam!

Der Liedermacher Reinhard Mey fasste es so zusammen:

Ein Wahlplakat zerrissen auf dem nassen Rasen,
Sie grinsen mich an, die alten aufgeweichten Phrasen,
Die Gesichter von auf jugendlich gemachten Greisen,
Die Dir das Mittelalter als den Fortschritt anpreisen.
Und ich denk’ mir, jeder Schritt zu dem verheiß’nen Glück
Ist ein Schritt nach ewig gestern, ein Schritt zurück.
Wie sie das Volk zu Besonnenheit und Opfern ermahnen,
Sie nennen es das Volk, aber sie meinen Untertanen.
All das Leimen, das Schleimen ist nicht länger zu ertragen,
Wenn du erst lernst zu übersetzen, was sie wirklich sagen:
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!

Sei wachsam,
Präg’ dir die Worte ein!
Sei wachsam,
Fall nicht auf sie rein!Paß auf, daß du deine Freiheit nutzt,
Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!
Sei wachsam,
Merk’ dir die Gesichter gut!
Sei wachsam,
Bewahr dir deinen Mut.
Sei wachsam
Und sei auf der Hut!