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Tot wie ein Bewerbungsbild

Gerhard Winkler
Gerhard Winkler

Von Gerhard Winkler, Jova Nova.com

Ein Bewerbungsbild kann selbst bei den geschulten Personen, die in einer Organisation das Recruiting verantworten, latente Vorurteile triggern. Deswegen sollte man es dem Jobanbieter künftig ersparen, unwillentlich seinem unbewussten Bias nachzugeben. Dies befand vor kurzem die HR-Führungskraft Janina Kugel von der Siemens AG.

Wenn seit gefühlten Ewigkeiten auf den internationalen Märkten agierende Organisationen auf einmal innehalten, in sich gehen, sich ernsthaft prüfen und in Gestalt der kritischen Janina Kugel einer durch weiße, mittelalte Männer bestimmten Firmen-Monokultur abschwören, dann regt das zum Nachfragen an: Wem haben wir bislang Kernkraftwerke und Waschmaschinen abgekauft? Von einem Betrieb, der schon im Namen zeigt, dass er Siewomens kaum je eine Karrierechance gibt?

 

Andererseits war das Bewerbungsbild tatsächlich wohl oft der Karrierekiller Nr. 1. So viele ausgezeichnete Ingenieurinnen mit Migrationshintergrund konnten wegen eines unvorteilhaften, weil zu vorteilhaften Bewerbungsbilds bei der Buddy-Klitsche Siemens nicht landen. Die sind jetzt alle in Kalifornien bei Apple und gestalten funktionierende Nahverkehrszüge.

 

Jetzt haben die deutsche Industrie und die öffentliche Verwaltung den Bias-Blues.

 

Weitere Gründe, warum Bewerbungsfotos in Deutschland verhasst sind: Ein Bewerbungsbild kostet Geld. Wenn es gut gemacht ist, wird es noch teurer. Dermaßen in Vorleistung zu gehen, das sieht man als Bewerber nicht ein.

Auf dem Bewerbungsfoto ist vor allem ein Gesichtsausdruck zwingend verlangt. Aber welcher? Die gewohnte mürrische Leere wohl eher nicht. Außerdem soll man Haltung zeigen. Dies, wo einem ein Haltungsschaden ärztlich bescheinigt wurde.

Und welches Outfit? Das, was man gern trägt, ist an das graue Höhlendasein optimal angepasst. Und jetzt blinzelt man in das harte Licht der Selbstvermarktung. Wir wandern zwar alle durchs Leben, aber kommt man mit seiner Wanderkleidung auch wirklich zum Job?

 

Zeit für einen vorweggenommen Nachruf auf das Bewerbungsfoto.

  • Man konnte sehen, dass Sie sich vorzeigbar zeigen.
  • Sie haben veranschaulichen dürfen, dass Sie im beruflichen Alltag gepflegt auftreten.
  • Man konnte Ihnen von Anfang an in die Augen schauen.
  • Man konnte die Wachheit, den hellen Funken des Interesses in Ihren Augen sehen.
  • Sie durften zum Ausdruck bringen, dass Sie sich auf das Gespräch freuen.
  • Sie durften zeigen, wie Sie sich im Moment einer Begrüßung geben.
  • Sie haben Ihr Gesicht zum Lesen freigegeben.
  • Sie haben, vor allem, wenn Sie älter waren, zeigen dürfen, dass Sie wach waren und Ihre Gesichtszüge straff.
  • Sie konnten selbstbewusst und zugleich gewinnend erscheinen.
  • Man konnte sehen, dass Sie den Dress-Code für Ihren Beruf befolgen.
  • Falls Ihre Arbeitskleidung nichts für Straße und Büro war, dann konnte man bemerken, dass Sie sich für ein Jobgespräch passend anziehen.
  • Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kollegen haben sich auf Sie freuen gedurft.
  • Sie haben den richtigen Bildausschnitt gewählt und Ihren Sinn für das Wesentliche gezeigt.
  • Sie wollten mit Menschen und für Menschen arbeiten.

Gute Zusammenarbeit hatte zwar ohne Ansehen der Person zu funktionieren.Sie funktionierte aber nur in der respektvollen wechselseitigen Wahrnehmung.Deswegen signalisierten Sie beim Bewerben vorab: „Ich komme auf Dich zu. Schau mich an. Und dann schauen wir gemeinsam, ob wir uns einig werden.»

In Zukunft bewerben Sie sich anonym. Macht nichts. The robots think it’s great

 

Gerhard Winkler
Gerhard Winkler, Bewerberratgeber, www.jova-nova.com

Über Gerhard Winkler

Ich schreibe für zaghafte Erstbewerber, unsichere Selbstvermarkter, knallharte Karrieresüchtige und karrieremäßig Herausgeforderte. Verwertbares für ihre eigene Arbeit finden hier auch Berater, Trainer, Dozenten, Lehrer, Jugendbetreuer, Journalisten. Schon seit 1997 dient jova-nova.com, meine kostenlose und frei zugängliche Site, deutschsprachigen Bewerbern als eine erste Ressourcen- und Tippsammlung im Internet. Die Leser und Nutzer freuen sich über meine handfesten Tipps, über die Online-Arbeitsblätter, über einen Generator für Arbeitszeugnisse, über Materialien zum Herunterladen sowie über Vorlagen und Beispiele. Tipps und Texte von mir finden Sie im Web auch auf anderen Sites und Portalen wie formyourself.de, in Zeitschriften und in meinen Handouts und Büchern.

 

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