Wie Sie das Gehalt finden ohne dabei Ihre Fassung zu verlieren
Von Gerhard Winkler, Bewerberberater jova-nova.com
«Ich habe nach Berufsausbildung und Job ein BWL-Studium angefangen und aus persönlichen Gründen abgebrochen. Jetzt suche ich wieder eine neue Anstellung, will aber bei Gehaltsfragen keinen Fehler machen. Vielleicht können Sie mir einen Tipp geben, wo ich erfahre, welches Anfangsgehalt ich verlangen kann?»
Viele sind berufen, über Geld zu reden. Ich habe diesen Ruf überhört. Was ich aber tun kann: Sie auf Fundstellen zu verweisen. Eine Bemerkung vorab: Sie fürchten vermutlich, sich bei einer anstehenden Preisfindung schlecht zu vermarkten.
Was können Sie da falsch machen?
Erster (großer) Bewerberfehler
Sie nennen einen abwegig hohen oder niedrigen Betrag. Das funktioniert ganz sicher als Stopp-Signal. Wer in einem Gespräch bis zu diesem Punkt an Ihrer Arbeitsleistung interessiert war, wirkt auf einmal irritiert und nachdenklich. Der Personaler folgert aus Ihrer Realitätsblindheit, dass er mit Ihnen bereits jetzt Zeit verliert und vermutlich sowieso keinen Preis mit Ihnen gewinnen kann.
Zweites denkbar peinliches Missgeschick
Sie tippen auf einen Betrag, der – leider, leider – geringer ist als die Vergütung, die man Ihnen gezahlt hätte. Unmittelbarer Effekt: Ihr Gegenüber entspannt sich (fast unmerklich). Der Jobanbieter bleibt mit Ihnen nicht nur in seinem vorgegebenen finanziellen Rahmen. Er ist vielleicht sogar gerade dabei, ein gutes Geschäft zu machen.
Ich kenne keinen Jobsucher, der sich nicht darüber sorgen würde. Im tiefsten Grund beruht das Problem auf der Furcht, seinen Wirklichkeitssinn zu verlieren und es nicht zu merken. So was passiert furchtbar leicht. Eugen Drewermann passiert es täglich. Jeder kann morgens aufwachen und noch ein bisschen drewermänner sein als am Vortag. Dennoch nicht vom Glauben abfallen! Schon die praktische Lebensklugheit verhindert in der Regel, dass man sich in einem Interview als Psycho outet oder sich als Bewerber weitab eines realistischen Budgets festnagelt.
Im Fall der etwas zu niedrigen Peilung fürchten Sie nicht so sehr, sich für einen Hungerlohn zu binden, als den nicht wieder gut zu machenden moralischen Effekt eines schlechten Abschlusses auf Kollegen und Ihren Partner. Falls irgendwie herauskommt, wie billig Sie damals beim Einstellungsgespräch Ihre Arbeitskraft hergegeben haben: O weia, dann bin ich unten durch.
Sind Sie nicht. Praktisch allen Menschen fehlt es an Know-how und an Praxis, um den Lohn für ihre Arbeit auszumaxen. Nicht mal die Gurus des Extrem-Marketing vermögen das immer im eigenen Fall. Was man kriegt, was man kostet, was angemessen ist und was üblich – wenn es um die eigene Haut geht, ist man sich plötzlich nicht so sicher.
Dazu kommt, dass Geld bei uns kein besonders akzeptierter Indikator für den Marktwert einer Arbeitsleistung ist. Oder interessiert es Sie, was ich als Autor und Berater verdiene? In den USA würden Sie daran messen, wie gut ich bin. OK, den Wert einer Leistung in Geld auszudrücken, das wird manchen Dingen dieser Welt nicht gerecht. Den meisten aber schon. Solange man temporären Marktwert nicht als Maß aller Dinge nimmt.
Doch wer handelt den Preis für Arbeit aus?
Gewerkschaften, Arbeitgeber und sehr große Organisationen sind gemeinsam bestrebt, Vergütungen zu normalisieren. Viele kleinere Organisationen hängen sich da einfach dran. Und wenn es für Ihr Metier eine tarifliche Vereinbarung gibt, dann wird sie entweder sowieso für Sie gelten oder Ihr künftiges Gehalt wird nicht weit davon angesiedelt sein. Über Tarifverträge zu erfahren, was vergleichbar qualifizierte Menschen verdienen, ist in Deutschland der Weg der Goldenen Mitte. Tarifstrukturen erfragen Sie bei der für Sie zuständigen netten Gewerkschaft.
Oder Sie informieren sich auf der sehr informativen Seite des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit in NRW, von besonderem Nutzen ist das Tarifregister.
Tipp: Finden Sie heraus, ob Ihr Berufsstand oder Ihr Metier von einer intelligenten Organisation vertreten wird. Rufen Sie das nächste Büro an oder gehen Sie dort vorbei. Respektieren Sie die legitimen Interessen einer gewerkschaftlichen Organisation zum Nutze beschäftigter Menschen – die ist zuerst für ihre Mitglieder da. Die As-Karte ziehen Sie, wenn Sie sich informell, von Kollege zu Kollege mit dem Betriebsrat der Firma austauschen, bei der Sie sich beworben haben. Das klappt bei sehr guter Ortskenntnis und mit etwas diplomatischem Geschick.
Im Web selber noch zum Thema googeln lohnt sich kaum mehr. Gerhard Kenk von Crosswater Job Guide versammelt auf seiner Meta-Jobsite die wichtigen Links – u.a. zu Jobmarkt und Gehalt, zu Tendenzen und Tarifgeschehen:
Den Preis für Arbeit nennen Ihnen auch kostenpflichtige Preisagenten.
Ich wiederhole gern die Warnung von Personaler Michael Altieri:
«Gehaltsspiegel sind ziemlich ungenau und produzieren vor allem überhöhte Erwartungen. Außerdem drückt man derzeit und beim hohen Stand der Arbeitslosigkeit auch noch in nächster Zeit die Gehälter oder Zusatzleistungen, wenn sie nicht zwingend durch einen Tarifvertrag festgelegt wurden.»
Und wer kennt ganz sicher den Tagespreis für Arbeit?
Eine vernünftige Strategie, wenn man nicht weiß, was der Markt hergibt: Sich direkt dort zu erkundigen, wo die Gehälter anfallen. Sie können deshalb bei einigen Firmen anrufen, bei denen Sie sich nicht bewerben. Lassen Sie sich dort mit dem Personalchef verbinden. Zapfen Sie ihn an. Erfragen Sie, was jemand Ihres Kalibers und Könnens verdient. «Ich bin Neueinsteiger und kann mich gehaltsmäßig nur sehr allgemein positionieren. Liege ich, wenn ich als … arbeiten möchte, mit einem Jahresverdienst von … völlig falsch?» Personalleiter fürchten Spione und geben sich anfangs sehr zugeknöpft. Machen Sie klar, dass Sie Absolvent oder Umschüler sind und dringend Hilfe brauchen.
Oder Sie antworten beim Interview auf die ominöse Frage, was Sie sich denn so als Ihr Salär vorstellen: «Ich bin Jobeinsteiger und meine Vorstellungen beruhen auf Hörensagen und Webrecherchen. Ich vertraue einfach darauf, dass Sie mir ein faires Angebot machen.» Vorsicht aber, wenn Sie sich bei einer jener Großorganisationen mit Massen-Trainee-Haltung bewerben. Es gehört dort zum Spiel, dass die jungen Übererfüller präzise Zahlen vom Rabattfreibetrag bis zur Verpflegungspauschale im Kopf haben.
Anrufen und nachfragen kann man immer nach einer Ablehnung: «Ob es denn am Gehalt gelegen hat? Ich hatte 35.000 Euro p.a. angegeben.» Laut Michael Altieri sind Personaler gegenüber einem Nicht-Mehr-Bewerber viel eher bereit, ihre Karten aufzudecken. Keine Bewerbung ist verlorene Liebesmüh, wenn Sie damit Routinen einüben, Ihr Ansprechverhalten trainieren und Ihre Marktkenntnis erweitern.
In meinen Augen ist die Gehaltsfrage eine Karte, die ein Bewerber erst ausspielt, wenn er damit sticht. Der Info-Verwurster Cocomore drückt den Gedanken klipp & so aus:
«Nutzen Sie das Verhandlungsgespräch vor allem zum Kennenlernen der Firma und zu Ihrer eigenen Präsentation. Erst zum Schluss oder in einem zweiten Gespräch wird das Entgelt diskutiert.»
«Verhandlungsgespräch» – über solchen Cocomores stolpert man bei jobware. Während also die Leser von syndikalisiertem Quatsch-Content die Gelegenheit zum Kennenlernen der Firma und zur eigenen Präsentation nutzen, nutzen Sie, liebe Leser, das Gespräch am besten, um zu verhandeln. Sich gegenseitig kennenlernen und sich selber vorzuführen ist ja ganz niedlich. Sie gehen aber gut präpariert ins Jobinterview, weil’s dort um Geld und Leistung geht. Apropos Geld. Für das Jobinterview empfehle ich Bewerbern:
1. Schweigegebot
Sprechen Sie nicht (!) von sich aus das Thema Gehalt an.
2. Wartepflicht
Warten Sie ab, bis die Gegenseite darauf zu sprechen kommt.
3. Personalerattacke
Seien Sie darauf vorbereitet, dass auch der menschlichste Personaler in Sachen Vergütung dazu tendiert, eine schwache Position und jede kleine Unsicherheit des Bewerbers gnadenlos auszunutzen.
4. Doppelsignal
Agieren Sie deshalb so diplomatisch wie verbindlich. Machen Sie dem Personaler klar, dass Sie Ihren Marktwert kennen, aber legen Sie sich nicht auf eine Zahl fest.
5. Wer zeigt, verliert
Lassen Sie sich nicht darauf ein, als erster mit dem von Ihnen gewünschten Brutto-Jahresgehalt herauszurücken.
6. Auskunftspflicht
Wenn Sie aber eine genaue Zahl im Kopf haben, zum Beispiel Ihr letztes Jahresgehalt, dann nennen Sie diese. Geben Sie an, was Sie verdient haben oder was andere Menschen in vergleichbaren Umständen erhalten. Decken Sie aber wie gesagt nicht auf, welche Vergütung Sie anstreben, bevor nicht der Verhandlungspartner seine Zahl genannt hat.
7. Marktkenntnis
Wenn Sie als Einsteiger durch vergleichende Recherche einen Wert gefunden haben, dann geben Sie den an. Sagen Sie: «So viel zahlt die Industrie.» Enthüllen Sie aber dennoch nicht im gleichen Atemzug, wie viel die Industrie Ihnen zahlen sollte.
8. Krise
An diesem Punkt des Gesprächs haben Sie für die andere Seite eine deutliche Marke gesetzt: «Ich habe, alle Zuwendungen meines letzten Arbeitgebers eingerechnet, …tausend Euro verdient.» Oder «Die Industrie zahlt durchschnittlich …tausend Euro und zwar an Leute, die weniger qualifiziert sind als ich.» Sie haben damit eine untere Marke gesetzt. Fügen Sie dazu: «Nach unserem bisherigen Gespräch werden Sie mir bestätigen: Meine Leistung ist natürlich mehr wert.»
Sie haben den Ball übers Netz geschlagen. Jetzt ist die andere Seite dran.
Die wird vielleicht zunächst den Druck auf Sie erhöhen, damit Sie sich offenbaren: «Sie werden uns doch sagen können, was Sie für sich reklamieren.» Oder: «Es ist absolut nicht üblich, dass wir vorab eine Gehaltshöhe nennen.» Lächeln Sie und sagen Sie: «Ich habe Ihnen alle Informationen gegeben, die Sie brauchen. Ich merke, dass Sie jetzt selber ein wenig Zeit benötigen, um darüber nachzudenken und mir einen Vorschlag zu machen.»
9. Abkürzung
Kürzen Sie dieses Spiel ab, um aus einer Position der Stärke heraus ein Angebot abgeben. Geben Sie 5% mehr an, als man Ihnen am Ende zahlt.
10. Bedenkzeit
Sobald der Jobanbieter Ihnen einen Gehaltsvorschlag macht – und darauf, dass er dies als erster tut und nicht Sie, ist Ihr ganzes Gesprächsverhalten in diesem Abschnitt des Interviews angelegt – sagen Sie, dass Sie das ganz prima finden und darüber nachdenken werden. Und zwar bis übermorgen.
(Schön gesagt): «Emotionen haben in Gehaltsverhandlungen nichts zu suchen.» (aol.de)
Gehaltsfindung ist ein Spiel. Es besteht für Sie aus mehreren Aufgaben:
- Signalisieren Sie, dass Sie sich selbst adäquat einschätzen.
- Signalisieren Sie, dass Sie die Marktpreise kennen.
- Signalisieren Sie, dass Sie die Bedingungen und Möglichkeiten des Stellenanbieters verstehen.
- Lassen Sie den anderen zuerst die Marke setzen.
Ich nehme an, dass der das Spiel verliert, der zuerst die Zahl nennt. Das bedeutet sicher nicht, dass der Verlierer dann auch notwendigerweise bei der Gehaltsfestlegung verliert und insgesamt schlechter fährt. (Man kann ja auch auf wohlwollende und faire Arbeitgeber treffen.) Die Regel besagt nur, dass der Stellenanbieter Ihnen am Ende nicht weniger bieten kann als den Betrag, den er Ihnen zuerst nennt und Sie nicht mehr bekommen als den Gehaltswunsch, den Sie zuerst auf den Tisch gelegt haben. Und es ist einfach leichter, offensiv seine vielen guten Pro-Argumente auf einen ersten Gehaltsvorschlag der Gegenseite draufzusetzen, als sich defensiv gegen einen versierten Personalkostensdenker zu behaupten.
Bei der Gehaltsfindung spielen eine Rolle: Ihre Qualifikation und berufliche Erfahrung, die Vorgaben der Firma und die Einschränkungen durch einen übergeordneten Tarifvertrag, ein Mangel oder ein Überschuss auf Ihrem Sektor des Jobmarkts sowie die aufgrund einer örtlichen Veränderung möglicherweise steigenden Lebenshaltungskosten.
Auch Bewerberengel Edith Nebel meint, nur echt eiskalten Verkaufsprofis ist es vergönnt, Marktpreise bis zum letzten auszureizen. Doch am Ende ist es allemal wichtiger, überhaupt in eine Organisation aufgenommen zu werden, als sein Maximum an Startgeld zu erhandeln.
Allgemein gilt: Nehmen Sie immer den Job, der Ihnen mehr Geld bringt. Und dann bringen Sie Ihren Vorgesetzten nach 6 Monaten oder einem Jahr dazu, dass er eine allzu große Differenz zwischen Ihrem Anfangsgehalt und dem Ihrer Kollegen ausgleicht. Davon profitiert er nämlich ebenso wie Sie.
Quelle: Gerhard Winkler jova-nova.com