Ossi!
Berlin. Zeigt Ihr Kennzeichen MOL oder DD oder gar L? Dann kann eine leichtfertige Etikettierung als Ossi Sie beleidigen. Oder Sie heften sich den Ost-Ausweis als Auszeichnung an Ihr Muskel-Shirt. Oder aber Sie verfluchen das Wort als einen weiteren Beleg für die nicht mehr zu stoppende Verkindlichung der öffentlichen Rede. (Sie können schließlich nicht andauernd Wowi, Horsti, Gysi, Tschüssi sagen, ohne auch so zu denken.)
Egal wie Sie zur sprachlich verhunzten Etikettierung Ihrer Herkunft stehen: Wenn Sie als Stellenbewerber abgelehnt werden und entdecken, dass der Rekrutierer an den Rand Ihres Lebenslaufs Ossi! gekrakelt hat, werden Gefühle in Ihnen erwachen, die Sie vorsichtshalber keinem Mitglied ihrer lokalen Friedensbewegung schildern.
Nehmen wir an, jemand mit Geburtsort Pirmasens ist dermaßen pikiert vom Umstand, dass Ihre Wiege in Zwickau stand, dass er jeder beruflichen Zusammenarbeit mit Ihnen abhold ist. Dann ist er recht dumm, aber viele Zeitgenossen sind nun mal generell dümmer als wir erlauben würden, wenn wir endlich ein Gesetz zur Eindämmung der Dämlichkeit in Deutschland erlassen könnten. (Ah, die Vorzüge der aufgeklärten Diktatur!)
Von diesem Dummkopf allein wegen eines akzidentiellen Attributs, das heißt wegen irgendeines Ihnen zugeschriebenen Schwachsinns abgelehnt zu werden, diskriminiert Sie. Im Großen und Ganzen sind Jobanbieter jedoch Leute mit einem wachen Verstand und einem klaren Blick für das, was zählt. Ihr Augenmerk gilt nicht der Herkunft, sondern den Mitarbeiter-Qualitäten, die zu einer erfolgreichen Einbindung in ein Arbeitsteam notwendig sind.
Als Ossi diskriminiert?
SPIEGEL: Was macht Sie so sicher, dass für die Absage nicht andere Gründe ausschlaggebend waren?
Gabriela S.: Auf dem zurückgesandten Lebenslauf stand ein großes „Minus“-Zeichen. Dahinter handschriftlich das Wort „Ossi“. Wie soll man das sonst deuten? Schon das Wort „Ossi“ ist in diesem Zusammenhang nicht zulässig. Und dann das „Minus“ davor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich als „Minus-Ossi“ bezeichnen lassen muss.
SPIEGEL: Der potentielle Arbeitgeber sagt, „Ossi“ sei positiv gemeint. Er beschäftige sechs Ostdeutsche.
Gabriela S.: Ja, ich kenne die Argumentation. Er hat uns sogar die Todesanzeige eines Kollegen mit DDR-Herkunft als Beleg dafür geschickt, dass die Leute bis zum Tod bei ihm bleiben dürfen. Und er sagt, er selbst habe die Anmerkungen gar nicht geschrieben, sondern seine Mitarbeiterin. Er kann sich drehen und wenden, wie er will: Ich habe mich als ehemalige DDR-Bürgerin diskriminiert gefühlt, und ich lasse mir das nicht gefallen.
Quelle: SPIEGEL-Online vom 12.4.2010
Stellenbesetzung handelt nicht davon, ob Sie Osttiroler oder Westerwälder sind, ob Sie eine dunkle Haut oder eine helle Stimme haben, ob Sie Térez, Varek, Ying oder Ümit heißen: Es geht um Ihre persönliche Leistungsbilanz, die weitgehend Ihr besonderes Leistungsversprechen begründet. Bedeutsam ist Ihr eigenes Handeln in der Vergangenheit, aus dem der Jobvergeber Ihre Handlungsweise in der Zukunft ableitet. Jobkandidaten machen schon auch ihre Qualitäten zum Thema, aber nie ihre eigene Befindlichkeit.
Inwieweit sollten Sie sich dann mit einem Stellenanbieter weiter abgeben, der seinen schwarzen Seelenzustand hervorkehrt und der in seiner verbohrten Verblendung befindet, dass er von seinem Ressentiment nicht lassen mag? Wie sollten Sie als Bewerber mit einer sachlich nicht gerechtfertigten, unfairen und Sie verletzenden Ablehnung umgehen?
1. Es besteht begründeter Anlass anzunehmen, dass die Verweigerung Methode hat: Dann lassen Sie einen Fachanwalt prüfen, ob Sie auf dem Klageweg eine Entschädigung herausholen.
2. Sie möchten diesem Lackaffen Ihre Meinung geigen: Versuchen Sie das nicht. Gehen Sie gegen die Entscheidung nicht an. Verantwortliche im Personalbereich können mit einer Fehlentscheidung gut leben. Es gibt nicht nur für Miss-Manager keinen vernünftigen Grund, ihre Personalentscheidung von denen bewerten zu lassen, die davon betroffen sind.
3. Sie fürchten, irgendetwas in Ihrer Selbstpräsentation und Gesprächsführung bewirkt in der Tat, dass man Sie misstrauisch beschnuppert: In allen äußerlichen Fragen helfen Ihnen Ihr Garderobenspiegel, großstadterfahrene Freunde und meine Tipps zur beruflichen Selbstvermarktung. Was den Arbeitgebern selber am Herzen liegt, wiederholen diese ständig auf allen Kanälen. (Wir Karriereberater und die Wirtschaftsredakteure murmeln das Mantra obendrein gläubig nach.) Hören Sie genau hin.
Verlangt wird: Das Wohl des ganzen Geschäfts mitdenken. Sich an den Zielen des Betriebs und den Vorgaben der Geschäftsleitung orientieren. Innerlich dabei sein. Auf die Kosten achten. Im Bedarfsfall so lange arbeiten, wie es der Umstand verlangt. – Ja, Ihr Verdacht ist richtig: Kapitalismus lebt vom Mitmachen. Sie brauchen als Bewerber nicht alles mit sich machen zu lassen, aber Sie haben doch unzweideutig zu vermitteln, dass Sie als Mitmacher handeln und denken. Halten Sie sich dabei nicht zurück. Drehen Sie eine kleinen Tick mehr auf. Westmenschen sind so umtriebig. Wenn man sich da unaufgeregt gibt, gilt man im Nu als nicht engagiert.
2010 Gerhard Winkler, jova-nova.com