Zwölf Prozent der Betriebe sind vom Mindestlohn betroffen
In zwölf Prozent der Betriebe mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitete im Jahr 2014 mindestens ein Mitarbeiter, der weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdiente. Dies zeigen Analysen auf Grundlage des IAB-Betriebspanels, einer jährlichen Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
In Ostdeutschland sind mehr Betriebe vom Mindestlohn betroffen als in Westdeutschland. In Sachsen etwa beschäftigten 32 Prozent der Betriebe im Jahr 2014 mindestens einen Mitarbeiter für weniger als 8,50 Euro Stundenlohn, in Baden-Württemberg oder Hamburg lag dieser Anteil bei weniger als sieben Prozent.
Auch zwischen den Branchen lassen sich erhebliche Unterschiede bei der Betroffenheit der Betriebe vom Mindestlohn feststellen. Mit rund 30 Prozent war der Anteil im Gastgewerbe besonders groß. Ebenso waren beispielsweise im Einzelhandel mit etwa 25 Prozent oder im Bereich Verkehr und Lagerei mit knapp 20 Prozent vergleichsweise viele Betriebe vom Mindestlohn betroffen.
Im Durchschnitt liegt der Anteil der Beschäftigten, die vor der Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro verdienten, in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben bei 45 Prozent. „Die Intensität der betrieblichen Betroffenheit – gemessen am Anteil der Beschäftigten, die weniger als den Mindestlohn verdienten – variiert zwischen einzelnen Branchen stärker als zwischen Regionen“, erläutern die Arbeitsmarktexperten.
Die Ergebnisse beruhen auf der Befragung des IAB-Betriebspanels im Jahr 2014, die zwischen Ende Juni und Oktober durchgeführt wurde.
Theoretische Überlegungen zur Einführung des Mindestlohns
Stellt man den aktuell geltenden Mindestlohn von 8,50 Euro in Beziehung zum mittleren Stundenlohn, erhält man einen Wert von etwa 52 Prozent. Im Ländervergleich dieses sogenannten Kaitz-Indexes – einem anerkannten Maß für die relative Lohnlücke zwischen Mindestlohn und mittlerem Stundenlohn auf nationaler Ebene – belegt Deutschland einen Platz im oberen Mittelfeld der OECD-Länder (Bruckmeier et al. 2014, Möller 2014). Damit stellt die Einführung des allgemein verbindlichen Mindestlohns in Deutschland einen beträchtlichen Eingriff in den Arbeitsmarkt dar, dessen Auswirkungen davon abhängen sollten, wie viele Beschäftigte vom Mindestlohn betroffen sind.
Sobald der Mindestlohn höher ist als ein gleichgewichtiger (markträumender) Lohn, hat er – neoklassischer Vorstellung folgend – sowohl einen direkten Einfluss auf die Entlohnung als auch auf den Beschäftigungsumfang: Während die Löhne auf den gesetzlich festgelegten Mindestlohn angehoben werden, wird die Arbeitsnachfrage eingeschränkt. Es kommt zu Beschäftigungsverlusten. Für Beschäftigte, die für den Betrieb weniger als 8,50 € in der Stunde erwirtschaften, kommt kein Beschäftigungsverhältnis zustande – so die Theorie.
Alternativ dazu geht das monopsonistische Arbeitsmarktmodell [1] davon aus, dass ein Arbeitgeber Spielräume bei der Lohnsetzung hat, die dazu führen, dass sowohl das Lohnniveau als auch das Beschäftigungsniveau geringer ausfallen als in einem Modell ohne Marktmacht. Ein verbindlicher Mindestlohn kann dann nicht nur mit höheren Löhnen, sondern auch mit zusätzlicher Beschäftigung einhergehen. Dieser positive Beschäftigungseffekt tritt jedoch nur dann ein, wenn der Mindestlohn den potenziellen wettbewerblichen Marktlohn nicht übersteigt. Das ist nur dann zu erwarten, wenn der Lohnanstieg durch die Einführung des Mindestlohns moderat ausfällt.
Ob die neoklassische oder die monopsonistische Arbeitsmarkttheorie die realen Verhältnisse in Deutschland besser widerspiegelt, ist unter Ökonomen umstritten.
Anders ausgedrückt: Die ökonomische Theorie liefert keine eindeutige Aussage über die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen (Franz et al. 2008, S. 9). Neumann (2008, S. 17) argumentiert, dass die sehr speziellen Annahmen eines Monopsons mit der Realität der deutschen Volkswirtschaft nichts zu tun haben.
Es sei wenig überzeugend, so Brenke und Wagner (2014, S. 394), gerade im Niedriglohnsektor Marktstrukturen eines Monopsons anzunehmen. Andererseits stellen neuere Ansätze der Monopsontheorie auf Informationsdefizite unterschiedlichster Art ab (Manning 2003, 2013). Solche Überlegungen erscheinen für den deutschen Arbeitsmarkt keineswegs abwegig (Möller 2014). Das Ausmaß des von einigen Ökonomen befürchteten Beschäftigungsverlustes hängt primär von der Höhe des Mindestlohns und dem Ausmaß der Betroffenheit ab. Die Größenordnung des Beschäftigungsverlustes kann letztlich nur empirisch bestimmt werden. Die Reaktionen der betroffenen Betriebe sind nur ex post zu quantifizieren.
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1 Das monopsonistische Arbeitsmarktmodell zeichnet sich dadurch aus, dass der Arbeitgeber eine gewisse Verhandlungsmacht besitzt. Dabei steht ein einzelner Arbeitgeber vielen Arbeitnehmern gegenüber.
Das IAB-Betriebspanel ist eine jährliche repräsentative Befragung von rund 16.000 Betrieben aller Betriebsgrößenklassen und Wirtschaftszweige. Berücksichtigt werden Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das IAB-Betriebspanel wird seit 1993 für Westdeutschland und seit 1996 für Ostdeutschland erhoben. Als umfassender Längsschnittdatensatz bildet es die Grundlage für die Erforschung der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes.
Die IAB-Studie ist im Internet abrufbar unter http://doku.iab.de/kurzber/2015/kb0615.pdf.
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB)
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