IAB erwartet Rückgang der Flüchtlingsmigration um zwei Drittel gegenüber 2015
Vor dem Hintergrund der stark gefallenen Flüchtlingszahlen geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) von einem Rückgang der Flüchtlingszuwanderung im laufenden Jahr um etwa zwei Drittel gegenüber dem Vorjahr aus. „Sofern sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern, könnten im Verlauf des Jahres 2016 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge zuziehen. Diese Einschätzung steht aber unter dem Vorbehalt, dass das Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkanroute Bestand haben“, erklärte der IAB-Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker am Freitag. Im Jahr 2015 wurden 1,1 Millionen Flüchtlinge erfasst. Unter der Berücksichtigung von Doppelzählungen, Weiter- und Rückreisen schätzt das IAB die Nettozuwanderung von Flüchtlingen im Jahr 2015 auf 900.000.
Seit November 2015 hat sich die Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland deutlich abgeschwächt. Zunächst ist die Zahl vor allem saisonbedingt, etwa durch die Witterungsbedingungen im Mittelmeerraum und entlang der Fluchtrouten zurückgegangen. Außerdem änderten die Transitländer auf der Balkanroute die Bedingungen für die Ein- und Weiterreise der Flüchtlinge. „Mit der Schließung der Balkanroute Anfang März 2016 und dem Türkei-Abkommen Ende März 2016 wurde dann die Wende eingeleitet: Seit April 2016 hat sich die Zahl der neu erfassten Flüchtlinge bei rund 16.000 Personen pro Monat eingependelt“, schreiben die IAB-Forscher Herbert Brücker, Steffen Sirries und Paul Schewe in einer aktuellen Studie.
Die Annahme von 300.000 bis 400.000 Flüchtlingen für das Jahr 2016 beruht auf einer Fortschreibung der jüngsten Entwicklung. Die IAB-Forscher stellen ihr Szenario allerdings unter einige Vorbehalte: „Dabei handelt es sich um keine Prognose im eigentlichen Sinne, weil die Entwicklung von zahlreichen politischen, rechtlichen und institutionellen Faktoren abhängt“.
Auf den Arbeitsmarkt bezogen betonen die Forscher, dass das Arbeitskräftepotenzial der Flüchtlinge erst nach und nach wirksam werde. Je nach Geschwindigkeit der Entscheidungen bei den Asylverfahren wird die Zahl der Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter mit einem Schutzstatus und damit verbunden einem unbeschränkten Arbeitsmarktzugang bis zum Jahresende 2016 um etwa 160.000 Personen steigen. „Langfristig, das heißt wenn alle Schutzsuchenden registriert und die Asylverfahren durchgeführt wurden, wird die Zahl der Schutzsuchenden im erwerbsfähigen Alter, die einen unbeschränkten Arbeitsmarkzugang erhält, sich auf etwa 700.000 Personen belaufen, von denen ein Teil vor 2015 eingereist ist“, erklären die Arbeitsmarktforscher.
Wann dürfen Geflüchtete arbeiten?
Einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang haben Geflüchtete erst mit einem anerkannten Schutzstatus. Denjenigen, die sich als Asylbewerber oder Geduldete in Deutschland aufhalten, kann unter bestimmten Be-dingungen eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden:
- Asylbewerbern kann drei Monate nach ihrer Registrierung die Erlaubnis erteilt werden, einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen (§ 61 AsylG). Voraussetzung ist, dass sie nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 61 (1) AsylG). Diese Verpflichtung gilt mindestens für sechs Wochen und kann bis maximal sechs Monate ausgedehnt werden (§ 47 (1) AsylG). Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten (z.B. den Westbalkanstaaten), die ihren Asylantrag nach dem 31. August 2015 gestellt haben, müssen sich bis zur Entscheidung über ihre Asylanträge in einer Aufnahmeeinrichtung aufhalten und sind somit vom Arbeitsmarktzugang während des Asylverfahrens ausgeschlossen (§ 47 (1a) AsylG).
- Die Ausländerbehörden holen vor Erteilung der Arbeitsgenehmigung die Zustimmung der BA ein. Dabei stützt sich die BA auf drei Kriterien: (1) die Auswirkungen der Beschäftigung von Asylbewerbern auf den lokalen Arbeitsmarkt, (2) ob nicht ein bevorrechtigter Deutscher oder EU- bzw. EWR-Staatsangehöriger für die Stelle infrage kommt (Vorrangprüfung) und (3) ob Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Stelle den ortsüblichen Bedingungen entsprechen (Vergleichbarkeitsprüfung). Durch das Integrationsgesetz wurde die Vorrangprüfung in Arbeitsagenturbezirken mit guter Arbeitsmarktlage (133 von 156 Agentur-bezirken) vorläufig ausgesetzt. Ab einer Aufenthaltsdauer von 15 Monaten entfällt die Prüfung der Auswirkungen auf den lokalen Arbeitsmarkt und die Vorrangprüfung, ab einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren die gesamte Prüfung durch die BA.
- Für Geduldete gelten grundsätzlich die gleichen Bedingungen des Arbeitsmarktzugangs wie für Asylbewerber (§ 32 (1) BeschV). Sie erhalten keinen Arbeitsmarktzugang, wenn sie eingereist sind, um Sozialleistungen zu erhalten und wenn sie sich aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen. Staatsangehörige aus sicheren Herkunftsländern, deren nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde, erhalten keine Arbeitserlaubnis.
- Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung und Geduldete können keiner selbstständigen Tätigkeit nachgehen und sind bis zu einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren von der Arbeitnehmerüberlassung ausgeschlos-sen (§ 32 (3) BeschV). Nach dem Integrationsgesetz ist diese Beschränkung jetzt aber in Agenturbezirken mit guter Arbeitsmarktlage aufgehoben.
Rund 70 Prozent der arbeitssuchenden Flüchtlinge und rund ein Drittel der beschäftigten Personen aus den Asylherkunftsländern haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. „Angesichts des geringen Durchschnittsalters und der allgemeinbildenden Voraussetzungen eines Teils der Flüchtlinge besteht ein hohes Bildungspotenzial“, argumentieren die Forscher. Nach einer – allerdings nicht repräsentativen – Erhebung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren 36 Prozent der 2015 registrierten Asylbewerber im Alter ab 18 Jahren auf einer Hochschule oder einem Gymnasium, 31 Prozent in einer Mittel- oder Fachschule, 23 Prozent nur in einer Grundschule und acht Prozent in gar keiner Schule. Gewichtet man die Daten mit der Bleibewahrscheinlichkeit der Flüchtlinge nach Herkunftsländern, dann haben 46 Prozent der registrierten Asylbewerber mit guten Bleibeaussichten ein Gymnasium oder eine Hochschule besucht, 27 Prozent eine Mittel- oder Fachschule, 19 Prozent nur eine Grundschule und sechs Prozent gar keine Schule. Dabei handele es sich allerdings nur um den Besuch von Bildungseinrichtungen und nicht um allgemeinbildende Bildungsabschlüsse, merken die IAB-Forscher dazu an.
Die IAB-Studie im Internet: http://doku.iab.de/aktuell/2016/aktueller_bericht_1619.pdf.
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