Nachrichten

Die Fata Morgana der mobilen Bewerbung

Gerhard Kenk
Gerhard Kenk

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide

Seit geraumer Zeit gelingt es der HR-Branche nicht, einen großen Bogen um das Hype-Thema der mobilen Bewerbung zu machen. Die Experten von Umfragen, Nutzeranalysen, Studien oder die Verfasser von Pressemeldungen bekommen feucht glänzende Augen, wenn es um dieses vermeintliche Lieblingsthema geht. Jede Jobbörse braucht eine passende App für die mobile Bewerbung, jede Unternehmenskarriereseite braucht eine Lösung, Bewerber ereilt vermeintlich der Schlag, wenn sie nicht mit einer „One-Click-Bewerbung“ die zukünftigen Arbeitgeber von ihren überragenden Qualifikationen überzeugen können. Personalabteilungen und Recruiter finden es un-cool, wenn sie noch Papierbewerbungen bearbeiten müssen und sich nicht als Techno-Geek um den Bewerbungseingang von SmartPhone-Freaks kümmern können. Die Hype-Beteiligten vergessen schlicht zwei zentrale Fragen zu stellen, die das US-Magazin „Datamation“ schon 1974 provokativ formulierte:

  • Machen wir die Dinge richtig?
  • Machen wir die richtigen Dinge?

Bezogen auf die mobile Bewerbung müssten eigentlich beide Fragen aus Sicht von HR mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden.

Wenn nach einer mobilen Jobsuche gleich eine mobile Bewerbung per SmartPhone erfolgen soll, werden Bewerber mit den Hürden des Medienbruchs konfrontiert. Im mobilen Recruiting hat die klassische Bewerbung, die mit elaborierten Anschreiben und pedantisch dargestellten Lebensläufen als Nachweis der vermeintlichen Bewerber-Qualifikation überzeugen soll, eigentlich ausgedient. Konsequenterweise müssen mobile Bewerbungen kürzer und anders konstruiert sein, um zu funktionieren.

Vorbild Polizei: Mobile Recruiting in Düsseldorf
Vorbild Polizei: Mobile Recruiting in Düsseldorf

Ein weiteres, eher grundlegendes Problem besteht in der Markteinführung von Produkten und Verfahren, die als Ergebnis des Technologie-Fortschritts das Licht der Welt erblicken. Jedes neue Produkt muss einen kostspieligen und zeitaufwendigen Implementierungsprozess durchlaufen. Die Nutzerakzeptanz ist ein kritischer Erfolgsfaktor, der oft zuwenig berücksichtigt wird. Allerdings treffen die Produkte des Technologie-Fortschritts auf eine Barriere der Resistenz, die im Volksmund knapp „Ham mer net, brauchn mer net, wolln mer net“ formuliert wird. Im angelsächsischen Sprachraum gilt das Equivalent des NIH-Stempels: „Not invented here“. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht müssen Implementierungen neuer Technologien durch das Fegefeuer des Controllers gehen. Entscheidend, neben allen anderen Faktoren, ist hierbei das zugrunde liegende Mengengerüst der anfallenden Transaktionen. Erst ein hohes Aufkommen von entsprechenden Transaktionen sichert den „Return-on-Investment“. Je marginaler diese ROI-Rechnung ausfällt, desto schwieriger wird die Akzeptanz.

Nach der Entlassung direkt auf mobile Stellensuche
Nach der Entlassung direkt auf mobile Stellensuche und One-Click Bewerbung

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der Aspekt der „Big-Bang-Umstellung“. Der Übergang in das Jahr 2000 um Mitternacht des 31.12.1999 war eine solche Big-Bang-Umstellung, die schlagartige Umstellung auf die damals neue Euro-Währung ebenfalls, und viel früher hat Schweden eine Big-Bang-Lösung präsentiert, als das Land von Rechts- auf Links-Verkehr umgestellt hat. Eine viel häufigere Implementierungsstrategie ist die „Sanduhr-Implementierung“. Hierbei werden die neuen Technologie-Produkte tröpfenweise eingeführt, bei erklärungsbedürftigen Problemlösungen, wie z.B. Bewerber-Management-Systemen, kann die Marktpenetration durchaus mehrere Jahre dauern. Dies hat eigentlich zur Konsequenz, dass am Markt immer mehrere alte und neue Produktgenerationen existieren und genutzt werden. Diese Ko-Existenz der Technologie-Lösungen führt dazu, dass es eine Nebeneinander ähnlicher Produkte, Prozesse und Verfahren gibt.

Natürlich gibt es auch Technologie-Lösungen für mobile Bewerbungen, die beispielsweise mit dem Produkt „MoBolt“ von Indeed.com verfügbar sind, aber Ausnahmen bestätigen eher die Regel.

Die Indeed MoBolt Architektur als Brückenfunktion
Die Indeed MoBolt Architektur als Brückenfunktion

Aktuell setzen sich zwei Studien mit dem Thema „mobile Bewerbung“ auseinander. Die Recruiting-Studie der Personalwirtschaft adressiert kurz und knackig die Einschätzung der Umfrageteilnehmer:

Wolfgang Jäger Hochschule Rhein-Main Mobile Recruiting
Prof. Dr. Wolfgang Jäger

Offen für Kurzbewerbungen: Immerhin 68 Prozent der Studienteilnehmer erlauben Profil-Bewerbungen mittels Xing- oder Linkedin-Profilen als sogenannte Kurzbewerbungen. Offen für zeitversetzte Videointerviews im Einstellungsprozess zeigten sich lediglich acht Prozent der Unternehmen.
Notwendigkeit von „Mobile Fit“ erkannt: Dies gilt bei den Karriere-Websites und der mobilen Stellensuche in den Jobboards für mittlerweile rund drei Viertel der Unternehmen. Bei der mobilen Bewerbungsmöglichkeit ist diese Einsicht erst bei rund 50 Prozent der teilnehmenden Unternehmen gereift. (Quelle: RECRUITING-STRATEGIEN 2016 Erfolgreiche Instrumente und Prozesse zur Bewerbersuche. Eine Studie der Personalwirtschaft in Zusammenarbeit mit Indeed und Milch & Zucker. Autoren: Wolfgang Jäger, Sebastian Meurer)

Etwas ausführlicher, aber zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Studie „Recruiting Trends 2016“ von Monster Deutschland, die in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Weitzel von der Universität Bamberg (CHRIS – Center of Human Resources Information Systems) entstanden ist. In einem Teilbereich der Studie setzt sich Weitzel mit neuen Bewerbungstechnologien, insbesondere mit der Akzeptanz der mobilen Bewerbung, auseinander.

 

Studienauszug

MOBILE BEWERBUNG: DIE MEISTEN KANDIDATEN BEVORZUGEN NACH WIE VOR DEN LAPTOP

Im Themenspecial „Bewerbung der Zukunft“ werden verschiedene Aspekte der Bewerbung der Zukunft thematisiert. Ein Thema der „Bewerbung der Zukunft“ beschäftigt sich mit der Frage, welche Auswirkung die zunehmende Nutzung von mobilen Endgeräten auf die Bewerbung hat. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Bedeutung des Anschreibens diskutiert. In den Fallstudien aus dem vorletzten Jahr (z. B. mit OTTO, siehe Recruiting Trends 2014) wurde eruiert, ob das Anschreiben auch in Zukunft noch ein wichtiger Bestandteil der Bewerbung sein wird. Inwiefern die zunehmende Nutzung von mobilen Endgeräten eine Auswirkung auf die Art und Weise der Bewerbung hat, wird in diesem Kapitel analysiert.

 

Prof. Dr. Tim Weitzel (rechts) diskutiert mit Wolfgang Brickwedde (Institute for Competitive Recruitng) die Ergebnisse der Recruiting-Studie
Prof. Dr. Tim Weitzel (rechts) diskutiert mit Wolfgang Brickwedde (Institute for Competitive Recruitng) die Ergebnisse der Recruiting-Studie

 

BEDEUTUNG DER MOBILEN BEWERBUNG: ZUNEHMEND WICHTIG AUS SICHT DER TOP 1.000 UNTERNEHMEN UND DER KANDIDATEN
Im Hinblick auf die Bedeutung der mobilen Bewerbung gehen 52,7 Prozent der Top 1.000 Unternehmen davon aus, dass sich Kandidaten verstärkt über mobile Endgeräte bei ihnen bewerben werden (vgl. Abbildung 16). Bei den Top 300 Unternehmen zeigen sich ähnliche Zahlen in den Branchen Automotive und IT. In der Handelsbranche gehen nur 36,4 Prozent davon aus, dass dies in Zukunft so sein Auch im Vergleich zu den Top 300 Unternehmen der Branchen Automotive, Handel und IT zeigt sich ein ähnliches Bild.

Hier gibt ebenfalls ungefähr die Hälfte der befragten Studienteilnehmer an, dass ihre Stellenanzeigen auch über die Apps der Internet-Stellenbörsen zugänglich sind. 26,3 Prozent (Automotive), 36,4 Prozent (Handel) und 42,9 Prozent (IT) der Unternehmen aus den Trendbranchen geben jedoch an, dass sie es nicht wissen. 66,0 Prozent der Stellensuchenden und Karriereinteressierten befürworten, dass Internet-Stellenbörsen Apps zur Suche nach Stellenanzeigen bereitstellen (vgl. Abbildung 15). Dies verdeutlicht den Bedarf von Seiten der Stellensuchenden und Karriereinteressierten zur Suche von offenen Stellen über Apps der Internet-Stellenbörsen.

Jedoch gibt nur die Hälfte der Kandidaten an, dass der Zugriff auf Stellenanzeigen, die über Internet-Stellenbörsen aufrufbar sind, ohne Probleme erfolgt. Dieser Anteil ist allerdings im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. Noch vor einem Jahr gaben nur drei von zehn Kandidaten an, dass der Zugriff auf Stellenanzeigen bei einer Internet-Stellenbörse über das Smartphone problemfrei funktioniert.

NUTZUNG UND BEDEUTUNG UNTERSCHIEDLICHER ENDGERÄTE FÜR DIE BEWERBUNG: LAPTOP WIRD VORNEHMLICH FÜR DIE BEWERBUNG GENUTZT
Allerdings verdeutlicht die Studie auch, dass sich die tatsächliche Nutzung mobiler Endgeräte zur Bewerbung noch nicht durchgesetzt hat (vgl. Abbildung 18). So nutzen nur 10,1 Prozent für die Bewerbung häufig ein Smartphone, 16,6 Prozent einen Tablet-PC, aber 68,4 Prozent einen Laptop.

Abbildung 19 zeigt, an welchem Ort sich Stellensuchende und Karriereinteressierte befinden bzw. welches Gerät sie nutzen, wenn sie sich auf eine Stelle bewerben. Hier wird deutlich, dass der Computer bzw. der Laptop zuhause mit großem Abstand am meisten genutzt wird. Das Smartphone oder der Tablet-PC holen zwar im Vergleich zum Vorjahr auf, werden jedoch weiterhin von deutlich weniger Studienteilnehmern für die Bewerbung genutzt. Hervorzuheben ist dabei der Anstieg von 20,8 Prozent auf 25,1 Prozent bei der Nutzung des Tablet-PCs sowie der Anstieg von 10,8 Prozent auf 18,1 Prozent bei der Nutzung des Smartphones von zuhause aus.

Mobile Bewerbung
Mobile Bewerbung

Die Ergebnisse zeigen, dass der Laptop bzw. der Computer trotz der zunehmenden Nutzung mobiler Endgeräte noch immer das bevorzugte Medium bei der Bewerbung darstellt. Dennoch zeigt sich ein Trend der zunehmenden Nutzung mobiler Endgeräte im Vergleich zum Vorjahr.

KOMPLEXITÄT DER MOBILEN BEWERBUNG: DREI VIERTEL DER KANDIDATEN EMPFINDEN DIE NUTZUNG DES SMARTPHONES FÜR EINE BEWERBUNG UMSTÄNDLICH

Entgegen der momentanen und erwarteten zukünftigen Nutzung von Mobile Recruiting wird diese Form der Bewerbung heute noch nicht stark genutzt. Ein Grund für die geringe Nutzung für die Bewerbung liegt an den mobilen Endgeräten selbst: So geben 74,5 Prozent der Stellensuchenden und Karriereinteressierten an, dass die Bewerbung über das Smartphone umständlich ist. Die Benutzung des Tablet-PCs für Bewerbungen bewerten 54,4 Prozent als umständlich; die Nutzung des Laptops dagegen nur 16,5 Prozent

Im Rahmen der Komplexität mobiler Bewerbungen werden immer wieder sogenannte „One-Click-Bewerbungen“ diskutiert. Die Ergebnisse zeigen, dass 18,0 Prozent der befragten Top 1.000 Unternehmen und etwa jeder dritte Stellensuchende und Karriereinteressierte die One-Click-Bewerbung als wichtigen Bewerbungskanal einstufen (siehe weiterführende Analysen im Themenspecial „Bewerbung der Zukunft“). Ein weiterer Grund für die vergleichsweise geringe Nutzung durch die Stellensuchenden und Karriereinteressierten bezieht sich auf die Datensicherheit: 55,7 Prozent der Studienteilnehmer gehen davon aus, dass Mobile Recruiting mit Datensicherheitsproblemen verbunden sein wird.

 

 

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert