Der Apfel ist vergiftet - Bewerberrat im Businessnetzwerk
Der Apfel ist vergiftet - Bewerberrat im Businessnetzwerk

29.05.09 Was zeichnet die Beiträge im XING-Bewerberforum aus? Die Freude, auf einem Thema so lange herumzureiten, bis es tot ist und die Blindheit, am Ende zu bemerken, dass es niemals gelebt hat.

XING-Gruppen liegt ein schönes Konzept zugrunde: Jeder steuert aus seinem Blickwinkel etwas bei und taucht zumindest einen Teil des Ganzen in das helle Licht seiner Erfahrung. Die triste Wirklichkeit: Auf weiter Forenflur hoppeln alte Platzhasen, junge Meinungsrammler, zaghafte Einwandshäschen von einem kargen Halm zum nächsten. Den Chor bilden die üblichen Kopfschüttler, Abnicker und Einknicker. Die meisten dieser Auskenner richten ihr schwaches Lichtlein ganz auf sich selbst. Was da in der Dunkelheit der Bewerbungsfragen aufschimmert, ist nicht so sehr der Sachverstand der Gruppe, als die Eitelkeit des Einzelnen – in ihrer sprachlich unvorteilhaften Form.

Wenn jemand im Großen und Ganzen ein Kleingeist ist, dann wird er auch im Kleinen und Besonderen seinen Flachsinn ausleben. Man muss kein Forensiker sein, um zu erkennen, dass immer die selben Wortmelder ihre Ignoranz zur Methode machen. Selbst das gelegentliche Geplänkel plätschert. So texten stets die üblichen Unverdächtigen, von der Moderatorin gepflegt gestreichelt, im Windschatten der dringlichen Fragen vor sich hin.

Für mein Geviert – Bewerbung und Karriere, Selbstvermarktung und Selbstpräsentation – kann ich sagen: in den Expertengruppen auf XING treiben das Anekdotische, das Absonderliche und der Allgemeinplatz wunderliche Blüten. Hier geschieht zu jedem Moment das Wunder, dass Leute, die keine Meinung haben, sich in dieser wahleise herausgefordert oder bestätigt sehen. Noch häufiger schmiedet man die Gedankenlosigkeit zum Postulat und das sinnlose Gebot zur glorreichen Erkenntnis um. Am Ende werden aus duftigen Allgemeinplätzen luftige Anweisungen, die sich zwar gegenseitig ausschließen, aber zugleich irgendwie doch in das Interview, in den Job, zum weiteren glücklichen Aufstieg führen sollen. Wieder am Ausgangspunkt der Fragestellung angelangt, freuen sich am Ende die erschöpften Drescher des Worts, dass sie alle noch beieinander sind. In dieser Gruppe verbindet einen das Trennenden, doch verbindlich ausgesprochen wird nichts.

Was für ein seichtes Meer der Erkenntnis. Entmutigt fischt der Besucher nach den wenigen Perlen. Welche spezielle Frage Sie auch umtreibt, die Antwort in der Runde der Premium-Schwätzer stammt stets aus einer dieser Schubladen:

1. Halten Sie sich auch um den Preis der intellektuellen Kapitulation und der emotionalen Selbstaufgabe eisern an die Vorschriften.

2. Jemand anders in einer anderen Lage hat es zu einem anderen Zeitpunkt in einem ähnlichen oder anderen Zusammenhang so und so oder zumindest so ähnlich gemacht.

3. Anything goes. Why not you?

Der Weg mag in Online-Foren das Ziel sein und dass alle brav miteinander diskutieren, ist ja schon ein Wert an sich in der Schuldidaktik, in der Sportkneipe und in der Morgenshow. In der Schule melden sich die Besten, in der Sportkneipe die Besoffenen, in der Morgenshow die Betroffenen und auf Xing die … na, schreiben wir die Berufenen. Je mehr deren Beruf mit Recruiting oder Beratung zu tun hat, desto banaler die Postings. Bis vor ein paar Tagen habe ich nicht gewusst, was die Mitarbeiterinnen universitärer Career-Center eigentlich tun. Sie hängen auf Xing ab.

So macht man weder Karriere noch befördert man die Karriere von anderen.

Selbsthilfe ist das Richtige. Anleitung eine Notwendigkeit. Austausch das Leben. Sie und ich und wir alle halten die Bewerbungspraxis lebendig. Sprechen wir von Ihrer Erfahrung. Leiten wir daraus Regeln ab. Diskutieren wir, entwickeln wir, widerlegen wir die Regeln. Falls Sie ein ähnliches Forum wie Bewerbung und Recruiting besuchen: Achten Sie auf den richtigen Abstand zu dem, was man Ihnen dort serviert. Eine Armleuchterlänge reicht aus.

Gerhard Winkler, Berlin 29.5.2009

Gerhard Winkler, Bewerberratgeber, www.jova-nova.com
Gerhard Winkler, Bewerberratgeber, www.jova-nova.com

2 Comments

  • …trotzdem meine Meinung:
    Allein die Passage:
    „Auf weiter Forenflur hoppeln alte Platzhasen, junge Meinungsrammler, zaghafte Einwandshäschen von einem kargen Halm zum nächsten. Den Chor bilden die üblichen Kopfschüttler, Abnicker und Einknicker.“
    hat mir schon den Tag versüßt. Sehr schön geschriebener Beitrag!

  • Lieber Herr Winkler,

    ich habe lange keine so überfällige, berechtigte und gelungen formulierte Kritik mehr gelesen, vielen Dank!

    Jan Kirchner

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