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Big Data Analysen – Schlussfolgerungen für Recruiter

Gerhard Kenk
Gerhard Kenk

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide 

Internationales Recruiting basiert auf der Vernetzung internationaler und spezialisierter Arbeitsmärkte: Um ein vom jeweiligen Standort unabhängiges Leben und Arbeiten zu ermöglichen, müssen Fähigkeiten und Cultural Fit auch jenseits der eigenen Landesgrenzen übereinstimmen. Softwareentwicklung, medizinische Forschung, Luftfahrttechnik oder internationaler Devisenhandel sind nur einige wenige Beispiele für Bereiche, in denen diese Aspekte besonders gefragt sind. Durch grenzüberschreitendes Recruiting wird die Flexibilität des internationalen Arbeitsmarktes in hohem Maße genutzt und Angebot und Nachfrage lassen sich besser aneinander angleichen.  Aber was genau gibt den Ausschlag für qualifizierte Fachkräfte, ihr Heimatland zu verlassen und im Ausland auf bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu hoffen?

Aufschluss darüber geben die Suchmuster der Stellensuchen in Zeiten großer politischer oder ökonomischer Umschwünge – sie gehören zu den Frühindikatoren solcher Triggerereignisse. Über einige dieser Ereignisse wird in den internationalen Medien berichtet, wie zum Beispiel über die jüngste US-Präsidentschaftswahl oder die Entscheidung der britischen Wähler, die EU zu verlassen. Brexit und Trump – wie die Big-Data-Analysen von Indeed zeigen, haben auch diese beiden Ereignisse ihre Spuren im internationalen Recruiting hinterlassen. Und es sind auch diese Beispiele, an denen sich die Bedeutung von Big-Data-Analysen im Recruiting ablesen lässt. Recruiter können diese Triggerereignisse nutzen, um bei taktischen Personalbeschaffungsmaßnahmen pro-aktiv zu werden und hochqualifizierte, mobile Experten anzusprechen

Crosswater Job Guide sprach mit Mariano Mamertino vom Indeed Hiring Lab über die Sammlung und Analyse von Big Data  – und welche Schlußfolgerungen sich daraus für das Recruiting ergeben.

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Mariano Mamertino

Wie genau geht die Sammlung und Analyse von Big Data bei Indeed vor sich, besonders in Bezug auf örtliche und regionale Stellenangebote und die internationale Stellensuche?

Bei Indeed verfügen wir über eine komplette Forschungsabteilung, das Indeed Hiring Lab, das sich eigens mit der Erstellung von Arbeitsmarktanalysen auf Grundlage der Daten befasst, die uns als weltweit größte Jobseite zur Verfügung stehen. Bei uns laufen Tausende von Stellenportalen und Karrierewebseiten von Unternehmen zusammen, monatlich haben wir 200 Millionen Unique Visitors in aller Welt. Daher sind wir in einer ganz besonderen Weise in der Lage, den globalen Arbeitsmarkt bewerten zu können.

Die Themenfelder des Indeed Hiring Labs unter der Leitung von Dr. Jed Kolko, Chef-Ökonom bei Indeed, umfassen weitreichende Forschungsprojekte zum Arbeitsmarkt, die fortlaufende Aufzeichnung und Analyse von Beschäftigungstrends sowie Umfragen unter Branchenexperten. Wir untersuchen unsere eigenen, vielfältigen Daten  und kombinieren sie mit den Daten aus staatlichen und unabhängigen Forschungsprojekten, um so die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen des Arbeitsmarkts besser verstehen zu können. Durch den Abgleich externer Studien und Daten mit den Milliarden von Suchanfragen bei Indeed und den Millionen von Lebensläufen und Arbeitgeberbewertungen, erhalten wir eine ganz neue Sichtweise auf die Trends des Arbeitsmarkts: Wir können tatsächlich zeigen, wie Menschen heutzutage nach Stellen suchen.

 

Das Hiring Lab Team setzt sich aus Forschern, Content-Spezialisten und vier Ökonomen zusammen. Aktuell sind wir übrigens auf der Suche nach zusätzlichen Ökonomen, unter anderem auch in unserem Büro in Düsseldorf – nur für den Fall, dass ein Leser interessiert sein sollte!

 

Welche statistische Methoden wenden Sie an, damit die Ergebnisse der Analysen insbesondere bei internationalen Suchanfragen gezielt validiert werden können?

Unsere Daten über die bei Indeed getätigten Suchanfragen entstammen den zusammengefassten und anonymisierten Datensätzen der Indeed-Seiten. Unsere Definition eines “international Jobsuchenden“ bezieht sich auf Menschen, die sich anhand ihrer IP-Adresse augenscheinlich zum jetzigen Zeitpunkt in einem Land befinden, jedoch auf einer ausländischen Indeed-Seite nach Stellen suchen. Sucht die Person in unterschiedlichen Ländern nach Stellen, so wird die Anfrage pro gesuchtem Land als Einzelanfrage erfasst, innerhalb eines Monats jedoch als Gesamtsuche für den Standort der IP-Adresse gewertet.

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Welche Suchmuster lassen sich aus den Daten vor und nach dem Brexit-Votum in Großbritannien ablesen?

Als die griechische Regierung 2015 ein Referendum zu den Bedingungen des Rettungsschirms abhielt, konnten wir bei Indeed einen sprunghaften Anstieg der von Griechenland ausgehenden Suchanfragen nach Stellen im EU- Ausland feststellen. Nach dem Votum für den Brexit zeigte sich ein ähnliches Muster. Fast unmittelbar nach dem Referendum schossen die Suchanfragen aus Großbritannien nach oben und blieben auch in den Tagen danach auf einem doppelt so hohen Niveau wie üblich. Die hauptsächlichen Gewinner dieser Entwicklung waren Länder wie Irland – an denen sich das Interesse der Nutzer aus Großbritannien im Vergleich zu vor dem Brexit um das 2,5fache steigerte. Interessanterweise konnte Irland auch von einem steigenden Interesse unter den Stellensuchenden aus der EU profitieren: Interessenten aus der Europäischen Union, deren Hauptaugenmerk sich ursprünglich auf Großbritannien beschränkte, stellten ihre Suchanfragen nun auch in anderen Ländern.

Das eigentlich Interessante am Brexit ist Folgendes: Das ansteigende Interesse war zeitlich nicht begrenzt. Auch drei Monate nach dem Referendum blieben die Suchanfragen aus Großbritannien tatsächlich auf dem gleichbleibend erhöhten Niveau wie unmittelbar nach der Wahl. Im Vergleich zum Zeitraum vor dem Referendum sind die Stellensuchen aus Großbritannien in Deutschland um 9% gestiegen und Irland profitiert weiterhin mit einer 20%igen Zunahme an Suchanfragen.

Geben diese Daten Aufschluss über einen möglichen  „Brain Drain“, also einer Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften?

Meiner Ansicht nach wäre es zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, tatsächlich von einer flächendeckenden Fachkräfteabwanderung zu sprechen. In einer vorhergehenden Hiring-Lab-Untersuchung hat sich Großbritannien nicht nur als absoluter Magnet für Talente aus der EU, sondern auch als das bei weitem beliebteste Ziel für Stellensuchende aus anderen EU-Ländern erwiesen. Auf dem britischen Arbeitsmarkt konnte in den letzten Jahren ein stetiger Zustrom an Stellensuchenden und Arbeitskräften aus anderen EU-Ländern zur Besetzung offener Stellen verzeichnet werden. Durch die mit dem Brexit möglicherweise einhergehende erschwerte Einwanderung nach Großbritannien könnte die jetzige Herausforderung weniger in einer Abwanderung von Fachkräften, sondern vielmehr in einem abnehmenden Zugewinn von Fachkräften bestehen, da weniger EU-Bürger nach Großbritannien umsiedeln werden können.

Wie sieht es mit den Präsidentschaftswahlen in den USA aus? Haben Sie nach dem Sieg von Trump ähnliche Entwicklungen registriert?

Ja, das Muster war in der Tat sehr ähnlich – in unseren Daten ließ sich ein sofortiger Anstieg feststellen. Als sich am Wahlabend gegen 21:00 Uhr US-Ostküstenzeit abzeichnete, dass Trump die Wahl gewinnen würde, zeigte sich ein sprunghafter Anstieg der Suchanfragen aus den USA in Richtung Kanada. Um Mitternacht, als Trump die Wahl für sich entschieden hatte, betrafen 2,7 % der Suchanfragen aus den USA bei Indeed Stellenangebote in Kanada – das ist über 10mal mehr als zu dieser Tageszeit üblich. Der entscheidende Unterschied zu den Daten nach dem Brexit: der Anstieg an Suchanfragen war dramatisch, aber nicht von langer Dauer. Schon am Mittwochnachmittag war der Anteil der Jobsuchen in Kanada nahezu wieder auf Normalniveau.

 

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Unsere Daten ergaben auch, dass der Anteil der zunehmenden Suchanfragen ins Ausland in den Wahlbezirken, die für Clinton gestimmt hatten, größer war. Das fanden wir heraus, indem wir den Anteil an Suchanfragen ins Ausland in Wahlbezirken und Ballungsräumen der gesamten USA vom 08. bis zum 13. November im Verhältnis zu den fünf vorangegangenen Wochen betrachteten, und diese Daten mit den Wahldaten aus Dave Leip’s Atlas of U.S. Presidential Elections von 2016 abglichen. Es zeigte sich ein deutlicher und statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen den Stimmenanteilen eines Wahlbezirks für Clinton und dem Anstieg der Suchanfragen in Richtung Ausland.

Die Suchanfragen nach internationalen Stellenangeboten zeigen jedoch nur eine Seite der Realität. Wie sich aus der folgenden Grafik ersehen lässt, stieg bei den US-Stellensuchenden andererseits auch das Interesse an Stellen innerhalb der neuen Regierung sprunghaft an:

 

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Durch die immensen Datenmengen, die weltweit auf Indeed-Websites generiert werden, bietet sich dem Hiring Lab potentiell die Möglichkeit, Stellenangebote aufgrund von Qualifikation, Branche oder Tätigkeitsbezeichnung in Beziehung zu den Suchkriterien der Anfragen und somit zur Nachfrage der Stellensuchenden zu setzen. Dadurch könnten fundierte Aussagen über beide Seiten des Arbeitsmarktes getroffen werden, bei denen sowohl Angebot als auch Nachfrage abgedeckt werden. Planen Sie eine zukünftige Veröffentlichung dieser Zahlen?

Das Team des Hiring Lab arbeitet derzeit aktiv darauf hin. Wir nutzen jetzt schon eine Metrik, mit der das Verhältnis zwischen relativer Arbeitgebernachfrage und der relativen Anzahl in Frage kommender Kandidaten gemessen werden kann, so z. B. in unserem Global Labour Market Report, den wir Anfang 2016 veröffentlicht haben. Das Verhältnis zwischen Suchanfragen und Stellenangeboten ist ebenfalls ein guter Indikator, den wir beispielsweise in unserer Analyse des Gesundheitssektors in Deutschland angewandt haben.

Zahlenverarbeitung, Korrelationsrechnungen und dergleichen sind ja lediglich ein Aspekt – was letztendlich zählt, sind die Schlussfolgerungen, die Arbeitgeber daraus ziehen können. In welcher Weise genau können Ihre Analysen für das Recruiting von Nutzen sein?

Die Hauptaufgabe des Hiring Lab besteht genau darin: Recruitern wertvolle Einsichten und Informationen an die Hand zu geben. Wir wollen das Recruiting mit zweckdienlichen Daten und dem entsprechenden Kontext anreichern. Für einen Recruiter ist es enorm wichtig zu wissen, welche Stellen für den Suchenden herausstechen und welche Stellen wiederum an Interesse verlieren. Von unmittelbarem Interesse könnten auch Migrationsmuster sein, die durch das Weltgeschehen ausgelöst werden. Mithilfe unserer in Echtzeit verfügbaren Daten und Informationen können wir sowohl Stellensuchende als auch Recruiter für die aktuellen Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt sensibilisieren. Und letztendlich dienen diese Einsichten der Mission von Indeed – für  jeden Menschen den passenden Job zu finden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

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