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Odysseus 2.0 und Jobbörsen bei Wikipedia: Der Kampf um die Deutungshoheit

Odysseus

London (ghk). Hätte Odysseus, der listenreiche Held aus Homers Antik-Epos „Ilias“ im Wikipedia-Portal in dem Artikel über die Jobbörsen Monster und StepStone geschmökert, wäre seine Freude sicherlich groß gewesen. So ähnlich wie seine Kriegslist des „Trojanischen Pferds“ den jahrzehntelangen Kampf um das antike Troja beendete, so wenden Odysseus Nachfahren im Web 2.0 auch allerhand Listen und Finten an. Der Begriff „Trojaner“ umschreibt eine schadhafte Software, die dem nichtsahnenden Computer-Nutzer untergejubelt wird – um seinen PC besser und unbemerkter auszuspionieren. Im „Cyber War“ tummeln sich gar manche Hacker, im viralen Marketing werden alle erdenklichen Maßnahmen eingesetzt – Hauptsache sie bringen preiswerte Reichweite. Nun entpuppt sich ein Aushängeschild des Web 2.0, die Wissensenzyklopädie Wikipedia, als Kriegsschauplatz im Guerilla-Marketing.

Wissen. Mit. Machen.

Kaum eine Webseite hat die Umwälzungen des Web 2.0 konsequenter illustriert als Wikipedia. Das „Schnelle Wissen“, wie die Übersetzung lautet, basiert auf den Konzepten der Schwarmintelligenz und des Mitmachens – die klassischen Ingredienzen für den Erfolg im Web 2.0. Hinter den Kulissen von Wikipedia ist eine ganze Armada von Freiwilligen am Werk, Lektoren, Experten und – auch unvermeidliche Besserwisser. Ein Wikipedia-Beitrag steht unter strenger Beobachtung, und die konsequent notwendigen Additionen, Ergänzungen, Streichungen sollen zu einer qualitativen Verbesserung eines Beitrags führen. Die Kehrseite der Medaille ist der „Edit War“ – Lektoren, Experten und Besserwisser wechseln sich ab und korrigieren sich gegenseitig, teilweise werden diese Editoren-Auseinandersetzungen bis an die Akzeptanz-Grenzen geführt.

Das Thema „Jobbörsen“ hat bei Wikipedia seit längerem eher ein Schattendasein gefristet, es gibt kaum qualitativ akzeptable Beiträge. Lektoren und Experten beschreiben die Welt des internetbasierten Recruiting, wie es vor fast 15 Jahren existierte: als mittlerweile überholte Herausforderung für die Print-basierten Stellenanzeigen. In jüngster Zeit sind zusätzliche Firmenprofile von Jobbörsen-Betreibern bei Wikipedia veröffentlicht worden – für Wikipedianer eigentlich ein Horrorszenario, die hässliche Fratze der Kommerzialisierung grinst den Gutmenschen der Wikipedia-Communitiy ins Gesicht.

Guerilla-Kampf um die Deutungshoheit

Leidtragende dieses „Edit War“ sind eigentlich die Stellensuchenden, die sich bei Wikipedia Informationen zu Internet-basierten Jobbörsen erhoffen – und inhaltlich bitterlich enttäuscht werden.  Der Blick hinter die Kulissen von Wikipedia legt ein Schlachtfeld frei, auf dem ein Kampf um die Deutungshoheit stattfindet – Ergebnis offen.

So ist auf der Diskussionsseite zum Thema „Jobbörse“ http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Jobb%C3%B6rse die Abfolge der Schlachten und Scharmützel zu finden.

  • Lektor Complex beschwert sich: „entweder was zum Lemma schreiben oder nach Online-Stellenbörsen oder so verschieben. und mal kräftig putzen; Webung wie Über die klassischen Stellenbörsen hinaus gibt es seit dem Jahr 2007 eine neue Web 2.0 Plattform www.jobleads.de die sich auf die Vermittlung von vakanten Positionen von Premium Arbeitgebern über Empfehlungsprozesse spezialisiert hat und dabei auf soziale Netzwerke baut ist leicht deplaziert. — Complex 01:05, 19. Jul. 2008 (CEST)
  • Einen Offenbarungseid leisten die Wikipedianer in ihrer Einstellung zu weiterführenden Links oder Linkverzeichnissen: „Die Links zum DMOZ sind ein Katastrophe. Im übrigen verstehe ich nicht warum nicht auf die bekannte Jobbörse direkt verlinkt wird oder auf eine Gruppe eines Social Bookmark Dienstes?!?!?
  • Der DMOZ-Link ist insbesondere deshalb schlecht, weil er in die falsche Kategorie führt, nämlich Jobsuchmaschinen. (Meta-)Jobsuchmaschinen sind keine Stellenbörsen, sondern eben Suchmaschinen. Am Besten paßt noch dieser bzw. die darunterliegenden Seiten für D/A/CH. —91.8.203.137 22:07, 30. Apr. 2008 (CEST)“
  • Lektor 240 Bytes greift zum Thema Linksammlung tief in die Regelkiste von Wikipedia und offenbart eine Oberlehrer-Tugend: „Die Wikipedia ist keine Linksammlung. Ich habe die völlig überzogene Linkliste wieder gelöscht und bitte jeden, der mich dafür des Vandalismus bezichtigen möchte, zunächst mal Wikipedia:Verlinken zu lesen. Informationen über Stellenbörsen bieten die Links nicht, und wer einen Job sucht, braucht den Artikel nicht dazu. Üblich ist es, in solchen Fällen, wenn es eine unüberschaubare Anzahl von potenziellen Links auf Anbieter gibt, dies über dmoz.org zu tun. Also vor einem Editwar bitte erst die Richtlinien lesen und beachten. — 240 Bytes Keks? 23:42, 12. Mai 2005 (CEST)“
  • Die Reaktion eines Stellensuchenden folgt auf dem Fuß: „Arbeitsuchenden Schaden zuzufügen ist Vandalismus, und wesentliche Inhalte aus Wikipedia-Artikeln zu löschen ist auch Vandalismus. In Wikipedia:Verlinken steht nicht, dass Artikel über Informationsressourcen genauso linkarm sein müssen wie eine Abhandlung über den Einfluss von Maria Theresia auf die österreichische Belletristik und dass Beispiele für die jeweiligen Informationsressourcen nicht drunter stehen dürfen. Wenn in einem Artikel über einen Literaten mehr als 3 Stück seiner Werke stehen, gehören unter einen Artikel über Stellenbörsen konsequenterweise eben auch mehr als 3 Stellenbörsen. Oder guck Dir mal Alcázar an – was für eine riesige Liste. Was man als Jobsuchender braucht, kannst Du getrost denen überlassen, die davon Ahnung haben. Ich weiß nicht, seit wieviel Jahren Du Dich ehrenamtlich um Jobsuchende kümmerst und beinahe täglich ein Forum mitliest, wo sie ihre Erfahrungen austauschen, ich mach das seit über 7 Jahren, da brauch ich mit persönlichen Erfahrungen und meiner eigenen damaligen Anzahl an Bewerbungen nicht hausieren zu gehen. Nein, dmoz.org zu nehmen ist nicht üblich, im Gegenteil, dmoz.org hat sich bei näherer Betrachtung als katastrophal veraltet und unvollständig herausgestellt, es finden sich dort Ressourcen, die es seit 7 Jahren nicht mehr gibt. Summa summarum, bevor man einen Editwar anfängt, sollte man sich überlegen, wem man schadet und was diese Leute einem getan haben. So, und jetzt bring das bitte wieder in Ordnung und stell die Linksammlung bitte wieder her. Henning Weede 20:40, 13. Mai 2005 (CEST)“
  • Ein Stellensuchender fasst seine Reaktion kurz und knapp zusammen: „Ich persöhnlich (sic) bin Jobsuchender und bin von dem Artikel wirklich enttäuscht.“
  • Im Edit War kann der Umgangston auch ganz schnell umschlagen: „Herzlichen Dank für die Arbeitsbeschaffung. Das nächste Mal bitte wen fragen, bevor du per Copy&Paste einfach Texte rumkopierst. Dann wäre dir gesagt worden, dass du das auf gar keinen Fall so machen darfst. Die dabei von dir begangene Urheberrechtsverletzung wieder aufzuräumen hat mich eine Viertelstunde gekostet. Zum Glück hat der Sichter Klapper (soviel zum Thema Quatsch-Regel) gemerkt, was du da angerichtet hast, bevor zuviele Edits bei einem späteren Aufräumen verloren gegangen wären. — Cecil 03:11, 27. Aug. 2008 (CEST)
  • Die Meinung eines Mitwirkenden folgt auf dem Fuß: „Danke für die freundlichen Worte. Ich glaube, die Wikipedia ist doch nichts für mich. — Rollfix 19:13, 3. Sep. 2008 (CEST)“

Solche Diskussionen scheinen hinter den Kulissen von Wikipedia zur Tagesordnung zu gehören, vielfach leidet darunter die Qualität eines Artikels, die Motivation von Mitwirkenden – oder beides.

Szenenwechsel: Auftritt Monster

Auch über Monster.de hält Wikipedia einen Artikel bereit, leider auch wieder mit sachlich falschen Einordnungen: „Monster.com ist die größte Suchmaschine für Arbeitsplätze weltweit“. Offensichtlich ist der Verfasser ziemlich verwirrt, was in den Weiten des Webs eine Suchmaschine (z.B. Google oder Bing), eine Jobbörse, eine Meta-Jobbörse oder eine Jobsuchmaschine ist. Aber so viel Spitzfindigkeit bei den Begrifflichkeiten gibt es ja nur in der Welt der Akademika und wäre für Wikipedia nur verwirrend.

Die Diskussionsbeiträge zum Artikel zeigen die ganze Enttäuschung über die Qualität:

  • „hier ist einiges durcheinandergewürfelt. …. lemma ist monster.de … laut website ist der eigentümer dieser website die Monster Worldwide Deutschland GmbH mit sitz in Eschborn. …. später geht es dann im artikel nicht mehr um monster.de sondern um monster.com … wobei es dann auch eigentlich auch nicht um die website geht sondern das unternehmen Monster Worldwide, Inc.. …je nach dem sollte entweder der hier fehlplatzierte Inhalt entfernt werden oder die seite zu Monster Worldwide verschoben werden und dann der text dem lemma angepasst werden ….Sicherlich Post 10:29, 30. Aug. 2007 (CEST)
  • Der Abschnitt klingt „synthetisch“ (voller Worthülsen) und liest sich wie von einer Firmenselbstdarstellung gekattet and gepestet. Das ist nicht lexikonisch. Die einfachste Möglichkeit wäre, den Abschnitt zu entfernen, da er m.M.n. keine Informationen enthält. –Leider 14:15, 29. Okt. 2009 (CET)

Die Einschätzung des Wikipedia-Artikels über StepStone ist relativ klar:

Achilles-Sehne Reichweitenwettbewerb

Eine ganz neue Dimension wurde nun bei einigen Beiträgen zu den kommerziellen Jobbörsen betreten. Bei genauem Hinsehen offenbart sich hier die ganze Raffinesse des Kampfes um die Deutungshoheit – Finten und falsche Fährten eingeschlossen.

Worum geht es konkret? Auf einen einfachen Nenner gebracht: StepStone sei bei der Reichweite die Nummer 1 in Deutschland, die entsprechenden Einzelnachweise erscheinen im Wikipedia-Artikel. Nicht genug damit, im Wikipedia-Artikel von Monster.de wird dieses Statement dem Beitrag ebenfalls untergejubelt, dort heißt es in der Beschreibung logischerweise „Nach den Traffic-Zahlen von comScore  ist Monster.de in Deutschland die Nummer zwei hinter StepStone“.  Auf der anderen Seite lässt Monster.de verlauten, dass es die Nummer 1 bei Bekannheitsgrad und Nutzung sei. Der Konflikt um die Deutungshoheit könnte nicht gegensätzlicher sein.

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Im Wettbewerb der großen Jobbörsen spielt Reichweite und Bekanntheitsgrad eine ganz entscheidende Rolle. Die Marketing-Strategen der Karriereportale haben kostenträchtige Werbekampagnen durchgeführt, um den Bekanntheitsgrad zu steigern. So zitiert Monster Deutschland bei jeder Pressemeldung: „Monster ist das bekannteste und meistgenutzte private Online-Karriereportal in Deutschland“. Als Nachweis dieses Anspruchs wird die TNS Infratest Studie vom Juni 2009 angeführt, die als „repräsentative Umfrage zur Reichweite und Nutzerstruktur von Online-Jobbörsen“ bezeichnet wird. Die Einzelheiten zu dieser Studie im Überblick:

  • Die vorliegenden Zahlen beruhen auf einer Umfrage unter 1009 Nutzern von Online-Jobbörsen, durchgeführt durch TNS Infratest.
  • TNS Infratest gehört zu einem der führenden Marktforschungsunternehmen der Welt mit 14.000 Mitarbeitern in mehr als 70 Ländern auf allen Kontinenten.
  • TNS Infratest ist Mitglied im Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM).
  • TNS Infratest befragte hierfür im Zeitraum vom 4. Juni – 18. Juni 2009 mehr als 1000 Nutzer von Online-Jobbörsen (Nutzung in den letzten 6 Monaten) nach der Bekanntheit und Nutzung von Online-Jobbörsen.

Wettbewerber StepStone hingegen verfolgt eine andere Marketing-Strategie bei Reichweite und Bekanntheitsgrad und setzt konsequent auf die Techniken des Online-Marketings und der Suchmaschinen-Optimierung. Die Ergebnisse dieser Maßnahmen spiegeln sich in den Reichweiten der Webseite wieder, d.h. die Anzahl Besucher, die eine Webseite im Internet aufrufen. Hierbei verlässt sich StepStone in der Marketing-Argumentation auf die Messungen von comScore.

  • comScore ist eine US-amerikanische international wirkende und einflussreiche Internet-Marktforschungfirma die regelmäßig den „World-Metrix-Bericht“ zur Internetnutzung veröffentlicht.

Doch die Zahlen und Meßverfahren von comScore sind nicht unumstritten:

  • „Das Unternehmen tritt mit der aktuellen Untersuchung gegen die AGOF-Studie „internet facts“ an. Im Heimatmarkt USA stand das Unternehmen unter Druck, da der Branchenverband IAB sowohl comScore, als auch den Konkurrenten Nielsen Netratings wegen stark differierender Reichweitenzahlen zur Offenlegung der Erhebungsmethoden aufgefordert hatte. Die von ComScore ermittelten Zahlen über die Aufrufe der Webseiten MySpace und Yahoo waren im 4.Quartal 2006 auch sehr umstritten[5]. Nielsen Netratings lieferte in dieser Analysierung wieder andere Zahlen. Im April 2008 bekam das Unternehmen eine Strafe für die Veröffentlichung irritierender Google-Klickzahlen. ComScore veröffentlichte Zahlen vom 1. Quartal 2008 zur Nutzung der Google-Suchen welche nach Google-Berichten zu über 18 % von Googles Daten abwichen.“, schreibt Wikipedia.

Waffenwahl

Über die richtige Wahl der Waffen im Internet-Marketing lässt sich trefflich streiten. Ob die Reichweitenzahlen und damit der Bekanntheitsgrad eines Karriereportals nun von comScore, Nielsen, TNS, oder AGOF korrekt wiedergegeben werden, kann Gegenstand langer Experten-Diskussionen sein.  Allen Messverfahren ist gemeinsam, dass sie unterschiedliche Ansätze nutzen und die Ergebnisse in der Regel nicht öffentlich und kostenfrei verfügbar sind sondern nur gezielt veröffentlicht werden, wenn es auf eine gewisse PR-Strategie abzielt.  Ein Musterbeispiel dieses „Verwirrspiels“ leistete sich der sonst so renommierte Branchenverband BITKOM, als er comScore-Nutzerzahlen veröffentlichte, die offensichtlich wenig mit der gefühlten Realität im Web zu tun hatte. Und der BITKOM-Verband fühlte sich trotz telefonischer und schriftlicher Rückfragen die Plausibilität der Statistiken zu überprüfen.

Diese Diskussion wird jedoch auf dem Rücken der Jobbörsen-Nutzer, den Personalern und Stellensuchenden ausgetragen. Diese wünschen sich eigentlich Entscheidungsgrundlagen, die auf transparenten und öffentlich verfügbaren Zahlen, die nach den gleichen Messgrößen ermittelt werden, basieren. 15 Jahre nach dem Start der Internet-basierten Jobbörse sind die Betreiber der Karriereportale noch meilenweit davon entfernt, sich einem einheitlichen und transparenten Reichweiten-Meßverfahren zu unterziehen. Nicht nur Stellensuchende müssen sich im Web um ihr Reputationsmanagement kümmern und fragwürdige Einträge zu ihren Profilen in diversen Social Networks überprüfen und ändern. Nun entdecken auch Karriereportale in den Weiten von Wikipedia ein Reputationsproblem. Es kommen noch viele Hausarbeiten auf die Social Media Experten bei StepStone, Monster und Co. zu.

Weiterführende Links:

  1. StepStone.de
  2. Monster.de Pressemitteilung:  Web 2.0 als Informationsquelle für Bewerber und Unternehmen
  3. Wikipedia.de: Artikel Jobbörse
  4. Wikipedia.de: Artikel Monster.de
  5. Wikipedia.de: Artikel StepStone.de
  6. Besucherfrequentierung der Jobbörsen als Wettbewerbsfaktor: Wird die Reichweitenmessung zum Vabanquespiel?
  7. Ist Stepstone die neue Nummer 1 in Deutschland?
  8. TNS Infratest
  9. comScore
  10. BITKOM
  11. IVW
  12. AGOF

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