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Verräterische Muster: Immer öfter übernehmen Algorithmen klassische HR-Aufgaben

Anna Friedrich, Redakteurin

Ein Beitrag von Anna Friedrich

Ob im Recruiting oder der Personalentwicklung: Das Berufsbild von Personalern ändert sich rapide. Immer öfter übernehmen Algorithmen klassische HR-Aufgaben.
Tinder für die Jobsuche – das hört sich erst einmal seltsam an. Doch genau das ist die Idee hinter der Recruiting-App Truffls: Wie die Dating-Anwendung Tinder will Truffls Menschen zueinander bringen. Zwar nicht im romantischen Sinne, aber auch zwischen Kandidat und Unternehmen bedarf es einer gewissen Chemie. Im Jahr 2014 ging die App an den Start, bislang haben laut Unternehmensangaben mehr als 30.000 Firmen mit Truffls zusammengearbeitet. Rund 100.000 Stellen in ganz Deutschland seien derzeit täglich ausgeschrieben. Neben Inseraten direkt über Truffls kommen Stellen auch von Kooperationspartnern wie Monster oder Stepstone. 

Das Prinzip ist einfach: Jobsucher sehen einen Steckbrief der angebotenen Stelle. Gefällt sie ihnen, wischen sie auf ihrem Smartphone nach rechts. Daraufhin erhält das Unternehmen ein anonymes Kurzprofil des Kandidaten und entscheidet, ob es ebenfalls Interesse hat. Ist das der Fall, bekommt der Interessent automatisch eine Nachricht und kann sich gezielt bewerben.

Das Beispiel zeigt: Unternehmen setzen vermehrt auf digitale und maschinelle Helfer, um Personal zu gewinnen. Roboter sortieren Bewerbungen vor, Chat-Bots führen Auswahlgespräche. Doch nicht nur im Recruiting spielen Roboter eine Rolle – auch in der Personalentwicklung bieten sich zahlreiche Chancen. Wir stellen die wichtigsten Trends vor.

Career-Bots

Wenn Jobsuchende auf Karriere-Websites surfen, öffnen sich immer häufiger Chat-Fenster. Darin können Interessenten nicht nur Fragen zum Bewerbungsprozess stellen, sondern auch persönliche Empfehlungen für freie Stellen im Unternehmen erhalten. Dahinter stecken Career-Bots, also Programme, die über Messenger-Dienste mit Kandidaten kommunizieren.

Die Vorteile der Career-Bots liegen auf der Hand: Sie sind immer verfügbar und arbeiten effizient. Die Funktionsweise der digitalen Helfer ist jedoch unterschiedlich. Einerseits können Chat-Bots mit einem Algorithmus arbeiten. Das heißt: Das System führt regelbasierte Dialoge. Wie in einer Art Entscheidungsbaum geht es verschiedene Möglichkeiten durch, immer nach strikten Regeln und Vorgaben. Die nächste Stufe ist die künstliche Intelligenz. Hier funktioniert das System wie ein Gehirn, lernt und entwickelt sich stetig weiter. Der Algorithmus lernt nach dem Prinzip „Trial and Error“: Wenn der Bewerber auf eine Frage nur eine unbefriedigende Antwort gibt, passt das System die Frage an. Ist die Antwort besser, merkt sich das System die neue Fragestellung.

In der aktuellen Studie „Recruiting Trends“ des Centre of Human Resources Information Systems der Universität Bamberg kam heraus: Nur drei Prozent der befragten Unternehmen setzen derzeit Career-Bots ein. Fast die Hälfte erwartet allerdings bald eine starke Verbreitung und sieht sie als gute Möglichkeit für Kandidaten, Fragen an ein Unternehmen zu stellen oder Beratung zu offenen Stellen zu bekommen.

Robo-Selection

Der Recruiter teilt der Maschine zum Beispiel mit, nach welchen Kriterien er Lebensläufe verschiedenen Stapeln zuordnet. Wenn die Maschine sie dann selbst liest, können Personaler leicht vergleichen, ob die Maschine ähnliche Entscheidungen trifft wie sie selbst. „Oftmals sind Maschinen sogar besser als der Mensch. Sie sind objektiv und lassen sich nicht beeinflussen“, sagt Tim Weitzel.

Laut der Recruiting-Studie der Universität Bamberg vertrauen Unternehmen Robotern in der Personalsuche immer häufiger: Zwei Drittel der deutschen Unternehmen halten eine Robo-Selection für diskriminierungsfreier und schneller als die Arbeit der menschlichen Recruiter. Ein Drittel findet sie sogar passgenauer.

Predictive Analytics

Es gibt Algorithmen, die mit erstaunlicher Genauigkeit Wahrscheinlichkeiten berechnen können. „Google weiß anhand ihres Internetverhaltens, dass eine Frau schwanger ist. Und das, noch bevor sie es selbst weiß“, sagt Recruiting-Experte Joachim Diercks, Gründer und Geschäftsführer der Beratungsagentur Cyquest. Das Prinzip lässt sich auch auf die HR übertragen. Algorithmen können zum Beispiel ermitteln, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Mitarbeiter kündigen wird.

Zugrunde liegt das Prinzip von Big Data: Algorithmen greifen auf eine Vielzahl von Daten zurück und ermitteln gewisse Muster. So können sie Aussagen über Wahrscheinlichkeiten treffen. Sie sammeln ihre Daten anhand von Krankheitstagen, aber auch aus Facebook-Einträgen, Posts im firmeneigenen Intranet oder Feedback aus Mitarbeitergesprächen. So können sie auf die Persönlichkeit des Mitarbeiters schließen und anhand von Erfahrungswerten berechnen, ob er im Unternehmen noch zufrieden ist oder nicht. Als Datengrundlage dienen auch Erfahrungswerte: Der Algorithmus greift auf Daten aus Gesprächen mit Mitarbeitern zurück, die bereits das Unternehmen verlassen haben und lässt deren Gründe mit in die Analyse einfließen. Roboter können Persönlichkeitsmerkmale sogar schon in der Bewerbungsphase eines Kandidaten analysieren. Hier lassen bestimmte Formulierungen im Anschreiben zum Beispiel Rückschlüsse zu. „Durch Satzlänge und Wortstellung können Maschinen zum Beispiel Rückschlüsse ziehen“, sagt Recruiting-Experte Diercks. „Das Anschreiben wird so zum Persönlichkeitstest.“

Die Maschinen stehen vor der gleichen Herausforderung wie Menschen: Beide müssen herausfinden, ob der Bewerber zum Unternehmen passt. „Dabei gibt es Kriterien, die eine Maschine vielleicht sogar noch besser filtern kann als ein Mensch. Zumindest kann sie intensive Auswahlschritte abkürzen“, ist sich Diercks sicher. Auch in der Personalentwicklung erweist sich Big Data als hilfreich. „Anhand der Mitarbeiterdaten wie Urlaubszeiten, Krankheitstage und Arbeitsstunden können Algorithmen gewisse Zusammenhänge erkennen“, sagt Diercks.

Emotionen lesen

Bald schon könnten Roboter sogar komplette Bewerbungsgespräche führen. Australische Ingenieure der Universität La Trobe in Melbourne haben dafür einen Kommunikationsroboter entwickelt. „Matilda“ kann Gespräche führen und dabei die Emotionen ihres Gegenübers lesen. Matilda stellt dem Bewerber in einer halben Stunde bis zu 76 Fragen. Dabei analysiert der Roboter Stimme, Bewegungen und Mimik. Matilda kann zahlreiche Interviews am Stück führen, ohne zu ermüden – ein Vorteil gegenüber menschlichen Recruitern.

Auch das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen hat eine Software zum Lesen von Emotionen entwickelt. „Shore“ erkennt nicht nur Gesichter, sondern wertet sie anhand von Einzelbildern, Bildsequenzen oder Videos auch direkt aus. Dabei kann die Software neben dem Gefühlszustand auch das Geschlecht und das ungefähre Alter der Person erkennen. Bislang gibt es „Shore“ nur als Demoversion.

Career Coach

Nicht nur im Recruiting und in der Bewerberauswahl spielen Maschinen eine Rolle. Auch in der Personalentwicklung kommen sie inzwischen vermehrt zum Einsatz. Zum Beispiel in Form des Career Coach: Dieser kognitive Assistent kann als App auf dem Smartphone installiert werden oder als Anwendung Teil des Intranets sein, agiert mit den Mitarbeitern und berät sie. Er hilft bei Fragen rund um die Personalentwicklung: Wie kann ich mich weiterbilden? Welche Aufstiegsmöglichkeiten habe ich? Welche Stellen sind im Unternehmen offen? Der Career Coach kann neben konkreten Antworten auch den Kontakt zu Mitarbeitern herstellen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden.

Dabei lernt das System: „Je mehr Interaktionen stattfinden, desto besser funktioniert es. Wir testen es gerade in einer Pilotphase bei 10.000 Mitarbeitern“, sagt Sven Semet von IBM. Die individuellen Daten werden zwar gespeichert, aber nicht an die Führungskräfte weitergegeben. Am Ende zieht IBM dann Rückschlüsse auf die gesamte Belegschaft. Die gesammelten Muster verraten dann etwa, ob die Mitarbeiter zufrieden sind, sich bessere Aufstiegsmöglichkeiten oder mehr Weiterbildungen wünschen.

Dieser Bericht ist ursprünglich bei HRM Human Resources Manager erschienen.

Über den Autor:

Anna Friedrich arbeitet seit 2017 bei wortwert in Köln. Seitdem schreibt sie auch regelmäßig für den HRM.

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