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Keine einfachen Wahrheiten beim Fachkräftemangel

Quelle: Newsletter Dr. Terhagen &  Nagel

Der demografische Wandel krempelt Arbeitsmarkt und Gesellschaft um. Wir haben uns dazu etliche Studien und Artikel durchgelesen. Bemerkenswert ist, dass die Studien, die in verschiedenen Jahren (2012, 2014 und 2016) verfasst wurden, die tatsächlichen Zahlen selten genau getroffen haben. Die Szenarien hängen von vielen Annahmen ab und die Welt reagiert auf die durch die Presse verbreiteten Szenarien, so dass durch den „Schweinezyklus“ (siehe Wikipedia) die Entwicklung einen anderen Verlauf nimmt.

 

Seit Mitte der 60er Jahre sinken in Deutschland die Geburtenzahlen. Zwar reduziere eine sinkende Bevölkerung auch den Bedarf an Arbeitskräften, aber die Lücke sei zu groß, verlautbarte das Statistische Bundesamt „Die Zahl der Arbeitskräfte wird von derzeit 49 Mio. auf 34 Mio. im Jahr 2060 zurückgehen.“ Dennoch ist es wohl tatsächlich (noch) nicht so sehr der demografische Wandel, der den Fachkräftemangel verursacht. Aktuell sind andere Gründe dominierend.

Wie immer ist es sehr wichtig genau zu lesen, von was eine Statistik berichtet und wie Bezeichnungen verwendet werden.

Der demographische Wandel bezeichnet gemeinhin die Vergreisung der Gesellschaft aufgrund geringer Geburtenrate und höherer Lebenserwartung. Das ist nicht gleichbedeutend mit der Schrumpfung der Bevölkerung und auch nicht mit dem Fachkräftemangel.

Das Erwerbspersonenpotential umfasst die Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Das sind Menschen zwischen 18 – 65 Jahren. Diese Zahl steht durch den demographischen Wandel unter Druck. Von dieser Zahl unterscheidet sich wieder das Arbeitskräfteangebot. Das ist der Teil vom Erwerbspersonenpotential, der von den Arbeitnehmern tatsächlich angeboten wird. („Eine alleinerziehende Mutter könnte theoretisch 40h arbeiten, möchte aber aufgrund ihrer Erziehungsverantwortung lediglich 20h arbeiten.“)

Hier ist in den letzten Jahren insgesamt eine steigende Erwerbsquote von Frauen und Älteren (insbesondere älteren Frauen) festzustellen. Der Wunsch nach Ausweitung der Arbeitszeit liegt sogar noch bei einem Volumen von 40 Mio. Stunden wöchentlich. Das entspricht 500.000 Vollzeitarbeitskräften. Dieses Potential kann aber nur geschöpft werden, wenn die Randbedingungen den Menschen die Möglichkeit geben. Hier sind u.a. die Verfügbarkeit von Kindergartenplätzen gemeint. (Anmerkung: Ob eine Gesellschaft wirklich alle Energie in Arbeit stecken möchte und z.B. Erziehungsarbeit und Altenpflege delegieren möchte, steht auf einem anderen Blatt).

Der heute festgestellte Fachkräftemangel bei Ingenieuren und allgemeiner bei MINT-Berufen hat aber wohl seine Ursachen in den 90ern. Wegen der schweren Rezession 1993/94 ging die Studienneigung in diesen Fächern stark zurück. Daher gibt es unter den Personen, die heute 40-50  Jahre alt sind, relativ gesehen wenig ausgebildete Ingenieure.

Seit nun aber „überall“ Ingenieurmangel herrscht, geschieht das Gegenteil: Junge Leute entscheiden sich wieder sehr häufig für ein Ingenieurstudium. Bis diese dann allerdings im Arbeitsmarkt ankommen, dauert es ein paar Jahre (s.o.: „Schweinezyklus“)

Ganz sicher ist: Die Zahl der Experten mit Hochschulstudium wird weiter steigen. Die Zahl der Spezialisten (Bachelor, Meister oder Techniker) wird stagnieren. Die Zahl der verfügbaren Fachkräfte mit gewerblicher, kaufmännischer oder sonstiger Ausbildung wird weiter rückläufig sein.

Beachtet werden muss, dass „Fachkräfteengpässe“ natürlich auch von der Nachfrage abhängen. Diese kann sich unerwartet verhalten. Ein sehr großer Erfolg in der Automotive-Industrie im Export wird zudem eher in Süddeutschland die Nachfrage nach Ingenieuren anheizen.  Mit dem Beispiel wird  verständlich, dass der Fachkräftemangel je nach Branche und Region unterschiedlich ausfallen kann.

Regionale Verzerrung
Während ländliche Regionen teils dramatisch Einwohner verlieren, werden die städtischen Ballungsräume immer größer. Folge: Auf dem Land wird es zunehmend schwieriger, eine funktionierende Infrastruktur etwa beim Nahverkehr oder ärztlicher Versorgung sicherzustellen. Darauf weist die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie hin.
Beispiele für Veränderung der Einwohnerzahlen (2012-2030):
Sachsen: -13,5%, Thüringen -10%, Berlin +10%, Hamburg + 7,5%.

Normale Reaktionen sind dann Gehaltssteigerungen und verbesserte Arbeitsbedingungen, so dass die Jobs in Mangelbereichen attraktiver werden. Das geht vielleicht noch in der Privatwirtschaft, aber kaum im staatlichen Bereich wg. starrer Gehaltsstrukturen und angespannter Kassenlage.

Zuwanderung als Chance

Im Focus erschien 2015 die Meldung, dass in Deutschland „bald 15 Mio. Arbeitnehmer fehlen. Von 2013-2060 schrumpft die Bevölkerung von 81 Mio. auf 68 Mio. Einwohner, gleichzeitig nimmt die Zahl der über 65-jährigen spürbar zu. Deutschland braucht mehr Zuwanderung von Fachkräften. Doch andere Länder werben längst auch um die besten Köpfe.“

Doch fehlen in Deutschland wohl nicht nur Konzepte für qualifizierte Einwanderung. Deutschland muss herzlicher werden! Sozialer, solidarischer. Da geht es nicht nur um Geld (Transferzahlungen, …) sondern auch das zwischenmenschliche Miteinander, um echte Integration: Aufgeschlossenheit, Interesse, Wertschätzung, Respekt und Integrationswille. Toleranz reicht nicht. Das führt zu Parallelgesellschaften. Die gute Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt werde aber vermutlich erst mit der zweiten Generation der Flüchtlinge besser gelingen.

Der Kabarettist Hagen Rether (Geschenktipp zu Weihnachten!) stellte kürzlich fest: „Es gibt Wirtschaftsspionage. Warum gibt es eigentlich keine Sozialspionage? Man müsste doch mal gezielt in anderen Ländern schauen und lernen, was man sich da abkupfern kann.“

Etliche Studien weisen auch darauf hin, dass Zuwanderung allein keine Lösung bringt.
Ab dem Jahr 2030 geht das weltweite Angebot an Arbeitskräften zurück. „In spätestens 20 Jahren tobt ein globaler Kampf um die besten Köpfe.“ Während Deutschland 2018 noch immer mit dem Satz der Kanzlerin Merkel ringt („Wir schaffen das.“), haben andere Länder schon begriffen, was sie tun müssen…

Es braucht offensichtlich andere, längerfristiger angelegte Strategien

In einer im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 7/2016 veröffentlichten Studie mit einem Planungshorizont bis 2030 skizziert das Forschungsinstitut Economix Maßnahmen.

Bis 2020 wird mit einer Ausweitung der Erwerbspersonen auf 45,5 Mio. (+2%) gerechnet. Danach wird sich der demografische Wandel wieder durchsetzen und zu einem Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen um 1,5 Mio. führen. Trotz Zuwanderung stehen 2030 nach diesen Berechnungen rund 700.000 Arbeitskräfte weniger zur Verfügung als 2014.

Digitalisierung als Chance

Hier wird unterschieden in technologische Führerschaft bei vernetzten Industrieproduktion „Industrie 4.0“ oder alternativ der Entwicklung zu einer diversifizierten Wissensökonomie, in der die Anwendung und Umsetzung digitaler Technik im Vordergrund steht, nicht aber die technologische Führerschaft des industriellen Sektors.

Diese Weichenstellung ist kein Selbstläufer. Dazu sind steigende Investitionen, insbesondere in Forschung und Entwicklung, höhere Bildungsausgaben erforderlich. Es kommt auf eine kontinuierliche Veränderung  des Qualifikationsniveaus an. Darüber hinaus wird die Einführung neuer technologischer und organisatorischer Konzepte einen Beitrag leisten.
Aber: Erst nach 10 Jahren schlägt sich Digitalisierung in höheres Produktivitätswachstum nieder und kann dem demografischen Wandel entgegenwirken.

Einige meinen: Kein Grund für ein Schreckensbild. Langfristig sei die Wirtschaftsleistung pro Kopf entscheidend. Darauf möchten wir nicht allein vertrauen, denn die Stärke eines Wirtschaftsraums (beachte: nicht unbedingt „eines Staates“) hängt doch sicher auch von seiner Größe und der fairen Beteiligung aller an der Wirtschaftsleistung ab. (Beweis: Welche Bedeutung hat ein Staat mit 10 Milliardären und 100.000 Geringverdienern?)

Am Ende seiner Studie schreibt Economix: „Wir halten das Szenario einer schrumpfenden aber glücklichen Gesellschaft (…) für wenig realistisch und haben dafür auch keine Zahlen vorgelegt.“
Wir meinen: Es würde sich lohnen, genau darüber nachzudenken!

 

Dr. Terhalle & Nagel
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