Bewerbungsanschreiben – auf die Schnelle geprüft
Auch 2019 viel heiße Luft in Bewerbungsanschreiben
„So, jetzt lasse ich mich mal überraschen!“ – Ich weiß nicht, ob sich viele Arbeitgeber noch mit dieser Erwartung an die Sichtung von Bewerbungen machen. Gern gestehen will ich, dass mich einige Bewerber-Anschreiben 2018 tatsächlich verblüfft und überrascht haben.
Dazu gehört dieser Versuch, mit offenen Karten zu spielen:
Auch 2019 viel heiße Luft in Bewerbungsschreiben, meint Gerhard Winkler
„Sehr geehrte Damen und Herren,
die durchschnittliche Sichtungsdauer einer Bewerbung beträgt laut Personalforschern sieben Minuten. Gerne möchte ich diese Zeit nutzen und Sie mit meiner Initiativbewerbung davon überzeugen, dass ich zukünftig ein Kollege und Mitarbeiter von Ihnen bin.“
Jemand wirbt hier um zeitlichen Kredit nach dem Motto: Sie und ich, wir wissen doch, wie es zugeht. Ein Jobkandidat braucht nicht zu zeigen, dass er das Rekrutierungsgeschäft verstanden hat. Er braucht nur ohne Umschweife verwertbaren Input zu geben, damit der Recruiter zügig mit seiner Auswertung starten kann. Gern erkläre ich an einem Beispiel, wieso mich diese Anschreiben-Ouvertüre so gar nicht überzeugen konnte. Stellen Sie sich vor, man läuft in einer Location ein und begrüßt sein Date so:
„Der erste Blick entscheidet. Ich bitte Dich, lege Deinen ersten Blick ad acta und gib mir bloß sieben Minuten, um mich von Dir zu überzeugen bzw. natürlich umgekehrt.“
Schon versiebt, oder? Ein forscher Personaler hat einmal bemerkt, dass man bei der Stellen- wie bei der Stellungsfindung niemals auf die Meta-Ebene wechselt, weil es eben nur auf der Handlungsebene voran geht. OK, das ist als fachmännischer Kommentar vollkommen chichi. Gebärden Sie sich als Bewerber gegenüber einem Jobanbieter dennoch nicht so, als wären Sie ein echter Auskenner. Beweisen Sie ihm nur, dass Sie Ihren Job und natürlich auch die Aufgabenstellung bestens verstehen.
Dass ich Bewerbungen stets um einige Minuten schneller durchgehe, als von der Personalforschung gemittelt, hat mich übrigens nicht überrascht. Meine Reaktionszeit auf die folgende Briefeinleitung betrug zum Beispiel nur 0,1 Sekunden:
„bezugnehmend auf die Stellenausschreibung auf ihrer Internetseite sowie einer Empfehlung, hat mich Ihr Angebot in großes Interesse versetzt.“
Genauer gesagt, brauchte ich 0 Sekunden für die ersten 13 Worte und 0,1 Sekunden Stolperzeit für den Rest. Im Anschreiben ist das Signalwort Interesse seit jeher ein untrüglicher Indikator dafür, dass ein Kandidat vermutlich beflissen, aber wohl nicht übermäßig helle ist. (Wenn Sie sich jetzt durch dieses Pauschalurteil von mir weder bestätigt noch erhellt fühlen, sondern persönlich beleidigt: Interesse als Bedingung, ohne die es nicht geht, wird im Rekrutierungsgeschäft allgemein stillschweigend vorausgesetzt.)
Wofür ich dann die 0,1 Sekunden an Ermessenszeit verbraten habe? Eigentlich nur, um darüber nachzudenken, ob Interesse vielleicht doch ein Gemütszustand ist, in den einen die schiere Wucht eines Stellenangebots versetzen kann.
Und wer genau hat Sie empfohlen? Ach, zu spät! 2018 ist um, und ich bin schon beim nächsten Bewerber:
Warum sollten Sie nun ausgerechnet mich einstellen, werden Sie sich fragen?
– Nö, keine Zeit, das werde ich sicher nicht. Auf zum nächsten Anschreiben! Was liegt an?
„Zurzeit befinde ich mich in den letzten Zügen meines Bachelor-Studiums.“
Au Bachelor! Klingt nicht so, als würde das wieder gut werden. Leider habe ich noch nicht einmal das bisschen Zeit, um eine letzte Nölung zu spenden. Rasch weiter, zum nächsten Hoch-Potentialisten:
„Während meiner Ausbildungszeit wurde mir klar, dass ich eine Karrierestufe höher gehen möchte.“
Verstehe. Man will ja nicht ewig in Ausbildung sein. Doch wie schaut es mit der faktischen Jobeignung aus? Bitte spezifisch und konkret werden!
„Wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen können, habe ich mir vielfältige Qualifikationen in miteinander verbundenen Tätigkeitsfeldern angeeignet und beschreibe mich daher selbst als interdisziplinär einsetzbar.“
Oha! (Kurzer Reminder, falls Sie im nächsten Jobinterview in gepflegtem Hochdeutsch zu parlieren haben: „Oha!“ ist eines von nur vier Wörtern im Deutschen, in denen man das Binnen-H zwischen zwei Vokalen ausspricht.) Oha, hier hat’s drei hässliche Hilflosigkeiten in einem Satz! Um das zu zeigen, benötigen wir keine fünf Minuten:
1. Jagen Sie einen Personaler nur dann aus Ihrem Anschreiben und hin zu Ihrem Lebenslauf, wenn Sie ihm auf unhöfliche Weise klar machen wollen, dass im Anschreiben nichts Verwertbares steht.
2. Deuten Sie Ihre praktische Erfahrung nicht nebulös an. Gliedern Sie Ihre Tätigkeiten auf.
3. Erliegen Sie schließlich nicht der fatalen Versuchung, sich selbst in Ihrem Anschreiben zu beschreiben. Es ist in erster Linie ein Tätigkeits-, Leistungs-, Erfolgsbericht. Nennen Sie aber im letzten Absatz noch Zeugen, die Ihre Qualitäten verlässlich beschreiben oder besser noch Ihre Erfolge bestätigen.
Insgesamt konnte man auch 2018 seine faktische Jobeignung im Anschreiben am zuverlässigsten vertuschen, indem man
a) mehr oder minder wortreich sich selbst, seine Eigenschaften und Einstellungen beschrieben hat
und/oder
b) zwanghaft vermieden hat, verwertbare Fakten zu liefern.
Ein Beispiel:
„Die Optimierung interner Prozesse liegt mir dabei besonders am Herzen.“
Mit einer solchen, bei uns berufsübergreifend verbreiteten Sprache des Kümmerns wollen Mitarbeiter herzig zeigen, wie sehr sie ihrer Aufgabe verbunden sind. Sehr lieb, aber es scheint, man hat da ein bisschen zu viel von der Quelle der Selbstmotivation genippt. Welche Projekte waren das genau? Wie war der Workload beschaffen? Das interessiert!
Was die Durchschlagkraft seiner Argumente betraf, griff 2018 nicht jeder Absolvent zum passenden Hammer:
„Zudem bin ich handwerklich sehr begabt.“
– Und ich loche 30-Meter-Putts sicher ein. Kommen wir zum Höhepunkt der Anschreiben-Prosa 2018. Der mit weitem, auch sprachlichem Abstand überzeugendste Satz, für dessen Würdigung man sich schon volle sieben Minuten nehmen sollte, lautet:
„Durch den Berufsalltag als auch durch die Lehrveranstaltungen, war es mir möglich meine Sprachkompetenz auf ein sehr hohes Niveau zu bringen.“
Man könnte endlos über das Komma grübeln. In diesem Zusammenhang eine weitere Bewerber-Durchsage:
„Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass man immer wieder dazulernt.“
Als Bewerbungsmeister kann ich das nur unterschreiben. Lernen Sie daher bitte für 2019, in Ihren Anschreiben auf Werturteile, moralische Statements, Selbstverpflichtungen, Beteuerungen, Absichtserklärungen, Ankündigungen und weitere Emanationen Ihrer Persönlichkeit zu verzichten.
Und falls Sie das doch tun, weil der unselige Schicki-Moti-Talk in einer Stellenanzeige Sie dazu motiviert hat oder weil ein Karriere-Quacksalber das in seinem Blog empfiehlt, dann versuchen Sie wenigstens dabei, nicht zu rappen:
„Gegenüber Neuem bin ich aufgeschlossen, sowie ich auch Ehrgeiz und Motivation besitze.“
2019 wird bekanntlich das Jahr, in dem wir alle wieder human miteinander umgehen. Dazu gehört vor allem auch, dass wir auf bizarre Statements verzichten:
„Denn gerade der Umgang mit Menschen fällt mir besonders leicht, da ich ein ausgeprägtes Gespür für Menschen und deren Bedürfnisse besitze.“
Wenn Sie sich also 2019, ziemlich genau hundert Jahre nach der Kapitulation von Versailles, um eine Stelle bewerben, dann achten Sie darauf, dass Ihnen Ihr Anschreiben nicht versehentlich zu einer moralischen Kapitulationserklärung gerät:
„Daher werde ich häufig als sehr sympathisch bezeichnet, was es mir einfacher macht einen direkten Zugang zu Menschen aufzubauen und durch aktive Kommunikationsstrategien, zu steuern.“
Schreiben Sie sowas nur, wenn Sie sich als Schlingel bewerben. Jeder, der das liest, stellt sich bildhaft vor, wie Sie bei diesen Worten durchtrieben lächeln. Ich empfehle zwar, dass man sich Selbstbeschreibungen für das Jobinterview aufhebt, aber derartig dick und dreist würde ich auch dort besser nicht auftragen.
Nehmen wir uns zum Abschluss dieser Jahresrückschau noch einmal die wichtige, (fälschlicherweise oft an den Briefanfang gesetzte) Bewerbungsmotivation vor.
„Mein Ziel ist es, die angeeigneten Fähigkeiten gewinnbringend in Ihrem Unternehmen einzusetzen und mich dabei selbst kontinuierlich weiterzuentwickeln, um stets ein leistungsfähiger Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen zu sein.“
Wie viele Umstands- und Eigenschaftswörter finden Sie? Wussten Sie schon, dass eine Jobeignung umgekehrt proportional zur Anzahl der im Anschreiben verwendeten Adjektive und Adverbien ist? – Aha, das hatte ich schon letztes Jahr geschrieben …
Der gute Jobmarkt 2018 hätte es auch unerfahrenen und weniger selbstbewussten Jobfindern erlaubt, im Industrie-Stil anzuschreiben: sachlich, instruktiv und die Argumente auf den Punkt gebracht.
Schauen Sie, immer noch verlangen bei uns allenfalls Tendenzbetriebe, Sklavenhandlungen, Clan-Zweigstellen und Hochschuleinrichtungen von ihren künftigen Mitarbeitern, dass diese in ihrem Anschreiben fromme Selbstverpflichtungen abgeben. Bewahren Sie lieber Ihre Selbstachtung. Wer weiß, wofür die noch gut ist. Bewerben Sie sich 2019 anders und gegebenenfalls auch woanders.
Neuenhagen bei Berlin, 13. Januar 2019
Gerhard Winkler