Genial wie Google? Süddeutsche Zeitung lanciert kontextsensitive Stellenanzeigen zur qualifizierten Reichweitensteigerung
[ghk] Natürlich ist es ein leichtes Unterfangen, Erfolgskonzepte des Web-Giganten Google zu übernehmen und auf eigene Belange hin anzupassen. Entweder wird das leicht spöttisch als eine „Me-too“-Strategie bezeichnet – am anderen Extrem der Einschätzungsskala steht die wiederholte Erfindung des Wagenrads – auch das ist nicht unbedingt wünschenswert. Wie dem auch sei, die klugen Köpfe in der Münchner Hultschinerstrasse um Harald Lenz, Leiter des Stellenmarkts der Süddeutschen Zeitung, haben wieder einmal mehr ihre Innovationsfreude unter Beweis gestellt. Wie steigere ich die qualifizierte Reichweite einer Stellenanzeige?
Das Rezept:
- Man nehme erstens den Text einer zu publizierenden Stellenanzeige und unterzieht diesen einer semantischen Analyse nach Kriterien wie Stellenbezeichnung, Tätigkeitsgebiet, Arbeitsort, Arbeitgeber, Anforderungsprofil, Kenntnisse und Erfahrungen.
- Diese semantischen Merkmale werden mit der Stellenanzeige logisch verknüpft und in der Datenbank des Stellenmarkts abgespeichert.
- Die Redaktion erstellt im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeiten einen Bericht und fügt diesem einige relevante Schlagworte bei.
- Bei der Anzeige des Berichts im redaktionellen Teil der Süddeutschen Zeitung wird anhand der Schlagworte eine Datenbanksuche gestartet, um zum Inhalt passende d.h. kontextsensivie Stellenanzeigen ans Ende des redaktionellen Berichts einzufügen.
Die Zutaten:
- Eine aktuelle und umfangreiche Stellenmarkt-Datenbank
- Eine leistungsfähige Software-Lösung zur semantischen Textanalyse und Matching
- Qualifizierte Redakteure und Journalisten mit einem überzeugenden inhaltlichen und strukturierten Ressorts
- Kreative Köpfe zur Kombination dieser Zutaten zu einem qualifizierten Publikationskonzept
Der Kreislauf der kontextsensitiven Stellenanzeige
Das Konzept
In einem Konzeptpapier, das der Crosswater Redaktion vorliegt, fasst die Süddeutsche Zeitung die einzelnen Regeln für die Anzeige von kontextsensitiven Stellenanzeigen wie folgt zusammen:
- Die Platzierung der Stellenanzeigen erfolgt am Ende des redaktionellen Artikels
- Ein automatisches Matching entscheidet anhand der Artikel-Inhalte und der damit verknüpften Schlagworte, welche Stellenazeigen des Online-Stellenmarkets zugeschaltet werden.
- Kann kein Matching ermittelt werden oder sind zuwenig passende Stellenanzeigen vorhanden, wird das Modul nicht angezeigt
- Mindestens drei Anzeigen müssen über das Matching gefunden worden sein – ansonsten erfolgt keine Einblendung
- Die Einblendung der kontextsensitiven Stellenanzeigen wird aktiv in den redaktionellen Ressorts Karriere, Wirtschaft und Wissen geschaltet.
- Per Click auf den einzelnen Anzeigen-Link gelangt man direkt zur Stellenanzeige, der Klick auf den Link „weitere Stellenanzeige“ leitet den Stellensuchenden auf eine Ergebnisliste-Landingpage
- Das zugrunde liegende Matchin-Verfahren hat eine hohe Komplexität und kann nicht von außen beeinflusst werden
- Da die Inhalte der redaktionellen Artikel je nach Nachrichtenlage wechseln, kann die Anzeige einer spezifischen Stellenanzeige nicht garantiert werden – wenn die Schlagworte und Matching-Kritierien nicht passen
- Die Reichweite von Stellenanzeigen wird jedoch aufgrund von zwei Bedingungen nachhaltig verbessert:
(a) Anzeige einer Stellenanzeige im Kontext eines redaktionellen Berichtes sichert eine hohe Aufmerksamkeitswirkung und inhaltliche Affinität des Stellenangebots zur Interessenlage des Lesers (qualifizierte Reichweite)
(b) die Einbindung der Stellenanbindung in den redaktionellen Bereich ermöglicht zusätzliche Links, zusätzliche Landingpages und die Anzeige in unterschiedlichen Ressorts – damit wird gegenüber der klassichen Stellenmarkts-Reichweite eine zusätzliche Reichweite der Nutzer des Medienportals der Süddeutschen Zeitung erzielt- Die Kombination von redaktionellen Berichten und relevanten Stellenangeboten unterstützt die Ansprache von latent suchenden Bewerbern
Die Praxis
In der täglichen Redaktionspraxis kann der Leser der Süddeutschen Zeitung erkennen, wie beispielsweise in dem Bericht des Wirtschaftsressorts „L’Oréal Familienzoff: Ende gut, alles gut“ nach dem dynamischen Matchingverfahren Stellenanzeigen am Ende des Artikels eingeblendet werden.
Alleinstellungsmerkmal – wie lange?
Das überzeugende Konzept der kontextsensitiven Stellenanzeige vermittelt auch eine Reihe von Vorteilen für den Arbeitgeber, den zahlenden Kunden. Hierbei wird qualitativer Traffic erzeugt, der in dieser Form normalerweise nicht auf eine Stellenanzeige gehen würde, argumentiert die Süddeutsche Zeitung. Darüberhinaus handele es sich im Sinne der Argumentation um ein“absolutes Alleinstellungsmerkmal unter den Online-Stellenmärkten“. Dies trifft sicherlich zu, betrachtet man die Situation zum Zeitpunkt des Starts am 27. Oktober 2010. Für Jobbörsen, die keine enge Verzahnung mit einer Medienportal hat, dürfte es schwierig, zeitraubend und aufwendig sein, ein solches integriertes Konzept („Matching Jobs and Content“) umzusetzen. Hier wären in erster Linie die grossen Jobbörsen dies Landes, wie z. B. die Arbeitsagentur oder auch Monster zu nennen. Gleiches dürfte für die zahlreichen spezialisierten Jobbörsen der Berufs- und Branchenspezialisten gelten, sofern sie keine Verbindung zu Fachmagazinen haben.
Andererseits gibt es in Deutschland eine Reihe von Jobbörsen-Betreiber, die in einem Medienverbund agieren, zum Beispiel:
- Stellenanzeigen.de und die Mediengruppen WAZ, Ippen, Georg von Holtzbrinck
- StepStone und die Medienportale des Axel Springer Verlags
- Kalaydo und die im Rheinland konzentrierten Zeitungen oder der Frankfurter Rundschau
- Ingenieurkarriere.de und der Verbund VDI / Handelsblatt
- Academics und der Stellenmarkt der ZEIT
- Jobware und der Verbund der Medien-Union Ludwigshafen
- FAZjob.net und die Frankfurter Allgemeine Zeitung
- Die Branchen-Spezialbörsen AHGZjobs.de, HORIZONT, Lebensmittelzeitung, Textilwirtschaft oder Immobilien-Zeitung aus dem dfv (Deutscher Fach-Verlag) in Frankfurt am Main
- Experteer.de und die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck
Kurzfristig betrachtet dürfte dieses Konzept für den Stellenmarkt der Süddeutschen Zeitung in der Tat ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb der zahlreichen Jobbörsen in Deutschland bleiben. Solltendie Marketingstrategen der Jobbörsen, die in einem Medienverbung eingebettet sind, Überlegungen hinsichtlich einer „Me-too“-Umsetzung machen, müssten dies zunächst nach den Kriterien eines „Return-on-Investments“ angestellt werden. Mit welchem einmaligen Aufwand kann eine integrierte IT-Lösung mit Search- und Keyword-Matching realisiert werden? In welchem Umfang könnte eine zusätzliche qualitative Reichweite und entsprechende Click-Raten auf die betreffenden Stellenanzeigen generiert werden? Welchen finanziellen Wert könnte man dann diesem zusätzlichen Traffic beimessen? Und letztlich: würde der zahlende und inserierende Arbeitgeber dies über einen höheren Anzeigenpreis bei Stellenanzeigen auch honorieren?
Web 1.0: Die schöne neue Welt von Google AdSense
Als im September 1998 die Suchmaschine Google online ging, stand ihr Erfolg auf zwei revolutionären Prinzipien. Zum Ersten ordnete Google die Trefferlisten nach einem relativ komplexen Verfahren nach Relevanz an, d.h. die als wichtig bzw. relevant eingeordneten Treffer wurden auf der Google Ergebnisseite zuerst angezeigt. Das zweite Standbein des Google-Erfolgs war die Möglichkeit, kontextsensitive Werbung mit Hilfe des Programms Google AdSense auf Webseiten anderer Betreiber anzubieten. AdSense ermöglichte es, Werbeanzeigen im Kontext der dargestellten Webseite auszuwählen und anzuzeigen. Dabei liest ein Crawler, ein intelligentes Robot-Programm den Inhalt einer Webseite, auf der die Werbung angezeigt werden soll. Bietet ein Webseiten-Betreiber Informationen über Karrierechancen an, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Anzeigen eingeblendet, die einen inhaltlichen Zusammenhang mit Karrierechancen haben. Durch die hohe inhaltliche Nähe zwischen Webseiten-Thema und Werbe-Thema wird eine verhältnismässig hohe Klickrate auf die Anzeigenlinks geschaffen. Diese Konzept der Aufmerksamkeits-Affinität wird mittlerweile auch von dem Online-Buchhändler Amazon („Leser, die das Buch X gekauft haben, haben sich auch für die Bücher XYZ interessiert“) oder von dem „I like“ Button des Social Media Netzwerks Facebook angewendet – wobei im Falle von Facebook eine hohe Zahl von I-Like-Buttons die Wichtigkeit der Themen-/Personen-Affinität suggerieren soll.
Die Polarisation der Aufmerksamkeit
Wer nun gedacht hätte, dass die Gründerväter der Online-Giganten Google, Amazon oder Facebook wirkliche Genialität bei der Aufmerksamkeits-Steigerung gezeigt hatten, sieht sich getäuscht, denn die Grundlagen dieses Konzepts datiert bis in das Jahr 1896 zurück. Die Spiegel-Redakteurin Fiona Ehlers setzt sich in ihrem Artikel „Hure oder Heilige“ mit den Rollenklischees der italienischen Macho-Gesellschaft auseinander – und nennt gleich an erster Stelle die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori, die als kluge Frau einiges verändert hat in diesem Land und dieser Welt.
Wir haben nicht genug Soldaten, um unsere Frauen vor Gewalt zu schützen – sie sind einfach zu schön. (Silvio Berlusconi)
Die Polarisation der Aufmerksamkeit gilt für sie als Ursprungsort des elementaren Ordnungs- und Entwicklungsprinzips menschlicher Personalität. Die Verzahnung von intellektuellen, individuellen und sozialen Auswirkungen wirkt auf den Menschen und macht ihn gemeinschaftsfähig und –willig.
Kinder brauchen Entwicklungsfreiheit mit strukturiertem Lernmaterial in einer vorbereiteten Umgebung Das Lernmaterial soll folgende Regeln erfüllen:
- Isolation einer Schwierigkeit im Einzelmaterial (z.B. durch Heben oder Senken der Aufgabenschwierigkeit, Kontrastierung)
- Fehlerkontrolle (entweder im Material gegeben oder bereitgestellt)
- Pädagogisch didaktische Materialeigenschaften (z.B: Ästhetik, Begrenzung, Ermöglichen von Aktivität)
- Eindeutigkeit des Zieles / der Aufgabe
- Ein sich konzentrierendes Kind darf nicht gestört werden.
Während Maria Montessori ihre bahnbrechenden Konzepte im Kontext der Erziehungslehre definierte, folgte der Motivationspsychologe Mihalyi Csikszentmihalyi auf ihren Spuren und beschäftigte sich mit dem sogenannten Flow-Erleben des Erwachsenen. Er unteruschte die Motivation erwachsener Menschen Dinge mit höchster Konzentration und Ausdauer zu tun, durch die sie keine erkennbaren Vorteile erwarten konnten. Durch die selektive Wahrnehmung fokussieren Menschen ihr Bewusstsein auf bestimmte Aspekte in ihrer Umwelt bzw. in den Wissensstrukturen. Das Flow-Erleben hat auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Gedächtnisleistung. So ist von dem ehemaligen US-Schachweltmeister Bobby Fischer die Episode überliefert, wie er anlässlich einer Pressekonferenz nach seinem Sieg in einem hochkarätig besetzten Schnellschachturniere die anwesenen Journalisten und Schachexperten verblüffte, indem er kurzerhand am Demonstrationsbrett alle seine gespielten Schachpartien aus dem Gedächtnis nachspielte.
What was I looking for?
Doch die wunderschöne Welt des World Wide Webs bringt auch gegensätzliche Phänomene hervor. Mit „Wilfing“, der Abkürzung für „What was I looking for?“ wird die Fragmentierung der Aufmerksamkeit beim Surfen und Suchen im Web umschrieben. Diese Personen leiden besonders unter den Aspekten des Multitaskings im Web: e-Mail abrufen, Online-Chatten, Suchen bei Google oder Kontakte pflegen bei Facebook, dazwischen noch kurz ein paar Statusmeldungen bei Twitter posten – das wirkliche Ziel des Surfens geht zusehends verloren.
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[…] die als Trigger für die Anzeige von Teaser-Stellenanzeigen diente. So beschrieb die Crosswater-Redaktion am 13. Dezember 2010 dieses […]