Absolventen-Test für Stellenanbieter
Von Gerhard Winkler
Ja, ich kann es bestätigen. Sehr viele, zu viele junge Bewerber bringen aus der Schule superaktuelle Kompetenzen mit, nur keine flüssige, korrekte, situationsgerechte Ausdrucksweise. Was immer die Berufseinsteiger sich dann im Studium angeeignet haben werden, ihren schriftlichen und mündlichen Ausdruck im Deutschen haben sie am Ende nicht weiter verbessert.
Verstärkt hat sich aber die Tendenz des So-tun-als-ob: Als ob man es drauf hätte. Als ob man wüsste, worum es bei der Jobfindung geht. Als ob man der Traumkandidat wäre.
Bewerbung heute handelt im Absolventenmilieu nicht mehr davon, dass ein Talent sich vorstellt, um seinen Platz zu finden. Da schwingt man mit Fleiß das Fässchen der Selbstbeweihräucherung. Man lässt das Selbstlob glühen. Das Anschreiben heute hat stets rote Bäckchen: Die Blechbläser tuten zum Fest des guten Willens.
Jürgen Kaube schreibt in der FAZ über die Reaktion der Arbeitgeber auf die Inflation der guten Noten, mit der Politik, Verwaltung und Lehre das allgemeine Bildungsniveau anheben möchten, damit jedoch das Problem der Eignungsfeststellung verlagern und noch weiter verstärken: «Es treten die üblichen Ersatzwährungen ins Mittel: Vitamin B, Praktika als Teststrecke, Assessment-Center, Zertifikate aus stärker selektiven Einrichtungen.»
Ja, auch. Doch erfahrene Jobanbieter schauen sich ganz einfach das Bewerber-Anschreiben an. Fünf Punkte, und man weiß, ob es sich lohnt, in den Bewerber zu investieren:
1. Satzlehre
Hält der Satzbau oder ist es ein Satzverhau?
2. Zeitwörter
Beschreibt der Bewerber sein Handeln mit zielenden Verben oder beschreibt er sich selbst mit Verben des Denkens, Meinens, Fühlens? Setzt er obendrein unpersönliche Verben, Hilfsverben und Passivkonstruktionen ein?
3. Eigenschaftswörter
Gibt der Bewerber die Sachverhalte nüchtern an oder häuft er Eigenschaftswörter an, um seine Persönlichkeit, seine innere Einstellung und seine Selbsteinschätzung zu bespinseln?
4. Hauptwörter
Ist das Anschreiben gespickt mit Namen, Ortsangaben, Zahlen, Daten, Fakten? Oder häuft man da Begriffe aus der Gemüts- und Seelenkunde, der psychologisierenden Selbstbeschreibung, der Heilslehre von den Mitarbeitertugenden sowie weitere bedeutsam klingende, aber nichts über den Bewerber sagende Hauptwörter an?
5. Echtheit
Findet der Bewerber seine eigenen Worte oder hat er sich Fertigteilsätze aus den Download-Billigbuden oder von den Phrasenverkäufern geholt?
Ob einer es kann, steht im Text. Ob er so tut als ob, stellt sich auf den ersten Blick heraus. Ob einer was mitbringt, erfährt man im Anschreiben oder nie. Die Blender blenden, die Schmeichler schmeicheln, die Täuscher tricksen, nachdem sie alle im modernen Unterricht ihre Kern- und Schalenkompetenzen erprobt und geschult haben. Nur die Leistungsbringer machen auch ihr Anschreiben zu einer reinen Leistungsbilanz. Und bringen damit erneut und klugerweise passgenau die von ihnen erwünschte Leistung.