Real-Time-Recruiting im Schneckentempo
IAB-Zahlen über die Besetzungsdauer von offenen Stellen verursachen Ernüchterung
Ein Kommentar von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.
Die jüngst vom Arbeitsmarkt-Think-Tank IAB veröffentlichten Zahlen zur steigenden Besetzungsdauer von offenen Stellen sind bedauerlicherweise noch im Schwarz-Weiß-Denken der Wendezeit eingefärbt. So trennen die IAB-Statistiker in ihren Zahlen aus einer IAB-Erhebung des Gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots (EGS) von 2012 säuberlich zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland – als ob ein gesamtdeutscher Arbeitsmarkt auf Dauer ignoriert werden könnte. Die nüchternen Zahlen, nämlich der Anstieg der Dauer der Personalsuche von 46 Tagen (2010) auf 52 im Jahre 2012 verschleiert die Realität in der Recuiting-Bürokratie Personalbeschaffung.
Einerseits wird die Angebotsseite des Arbeitsmarktes nahezu komplett im Internet abgewickelt, Jobbörsen, Jobsuchmaschinen, Social Media Recruiting, Matching-Technologien stehen als Technologie-Kürzel für die Möglichkeiten der Beschleunigung. Andererseits nutzen immer mehr Stellensuchende auf der Nachfrageseite die Möglichkeiten der digitalen Bewerbung, sei es über Job-Agenten-Mails bei der Stellensuche, die Bewerbung via e-Mail oder gar die Online-Erfassung der Bewerbungsdaten auf den zahlreichen Karriereseiten der Arbeitgeber.
Hartmut Rosa, Professor für allgemeine und theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und Autor des Buchs „Beschleunigung – Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“ würde sich wundern angesichts der Diskrepanz zwischen Beschleunigungspotential und der „Neigung zur strukturellen und kulturellen Erstarrung“. Er führt aus:
In der Spätmoderne dagegen scheinen Berufe und Beschäftigungsverhältnisse immer seltener über ein Erwerbsleben hinweg Bestand zu haben: Mehrfacher Berufs- und/oder Beschäfigungswechsel innerhalb eines Erwerbslebens (oftmals begleitet von längeren oder kürzeren Phasen der Beschäfigungslosigkeit) scheint sich nach der überwältigenden Mehrheit der empirschen Befunde von der Ausnahme zur Regel zu entwickeln. „Heute muss ein junger Amerikaner mit mindestens zweijährigem Studium damit rechnen, in vierzig Arbeitsjahren wenigstens elfmal die Stelle zu wechseln und dabei seine Kenntnisbasis wenigstens dreimal auszutauschen“ befindet etwa Richard Sennett in seiner hierzu einschlägigen Untersuchung.
Auch für Deutschland, dessen Modell hoher betrieblicher Beschäftigungsstabilität sich bisher durch eine besondere Resistenz gegen Flexibilisierungsbestrebungen auszeichnete, lässt sich inzwischen eine unübersehbare Tendenz zur Beschleunigung des Beschäftigungsstrukruwandels und des Stellenwechsels von Beschäftigten erkennen. … [Die Tendenz ist eindeutig:] Sie findet eine deutliche Verkürzung durchschnittlicher Beschäftigungsdauer in einem Betrieb, eine Zunahme zwischenbetrieblicher Stellenwechsel, eine gestiegende Mobilität der Arbeitnehmer, eine Zunahme kurz- und mittelfristiger Beschäftigungsverträge und insgesamt eine wachsende Instabilität von Beschäftigungsverhältnissen. Auch das (subjektive) Entlassungsrisiko nimmt deutlich zu.“ (Hartmut Rosa: Beschleunigung. Seite 182 f.)
Nun kann man von einem Recruiting-Experten nicht unbedingt erwarten, dass er sich das etwas sperrig zu lesende Rosa-Wissenschaftsbuch zu Gemüte führt – denn die Trendaussagen sind eindeutig und vielmals zitiert worden. Verwunderlich ist hingegen eher der zu Tage tretende Effekt der „Desynchronisation gegenüber stärker beschleunigungsfähigen sozialen und ökonomischen Entwicklungen“ (Rosa) – spezifisch also das Real-Time-Recruiting im Schneckentempo.
Bei der Lektüre des IAB-Berichts „Strukturwandel und Demografie prägten die Personalsuche“ von den Autoren Hanna Brenzel, Anja Kettner, Alexander Kubis, Andreas Moczall, Anne Müller, Martina Rebien, Christof Röttger und Jörg Szameitat (http://doku.iab.de/kurzber/2013/kb1713.pdf) bleiben zunächst einmal einige Eckdaten im Gedächtnis:
- 5,3 Millionen Neueinstellungen
- 1,3 Millionen Personen im Bereich der sogenannten „Sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“, wozu neben den Zeitarbeitsfirmen unter anderem Sicherheits-, Hausmeister- und Reinigungsdienste, Reiseveranstalter und der Garten- und Landschaftsbau zählen
- 588.000 Einstellungen im Bereich Handel und Reparatur
- 369,000 Einstellungen im Gastgewerbe
Nun sollte man nicht in den Rhetorik-Reflex verfallen und die längere Besetzungszeitdauer mit dem Demografie-Wandel und dem ach so schrecklichen Fachkräftemangel begründen. Denn die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Der überwiegende Teil der Neueinstellungen entfallen auf den „Blue-Collar“-Arbeitsmarkt, der durch steigende Fluktuation und immer kürzer werdende Beschäftigungsdauer charakterisiert ist.
Am Ende des Tages bleibt eine offene Frage: Welche Rolle spielen die Personalabteilungen mit ihrem Einstellungsprozessen angesichts der durchschnittlichen Zeitdauer der Personalsuche von 52 Tagen und den Beschleunigungsmöglichkeiten der digitalen Recruiting-Prozesse?
Dieser Kernfrage will die Online-Umfrage „Bewerber-Feedback: Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrer Bewerbung bei Arbeitgebern gemacht?“ auf den Grund gehen. Bewerber müssen nicht länger zähneknirschend die Unzulänglichkeiten der Recruiting-Verfahren erdulden sondern können detailliert ihre negativen oder positiven Erfahrungen darstellen.
Oder im Duktus des TV-Moderators Stefan Raab anlässlich des TV-Kanzlerkandidaten-Duells formuliert: “ Wenn Sie als Personalchef ‚King of Kotelett‘ sind, wie würden Sie die Personalprozesse effizient gestalten?“