Führungsstil der Silicon Valley Alphatiere: Snapchats Evan Spiegel vs Facebooks Mark Zuckerberg
Autor: Dr. Holger Schmidt, Netzökonom
Auch aus verwöhnten Muttersöhnchen kann etwas werden. Evan Spiegel ist das lebende Beispiel dafür: „Das Leben ist nicht fair. Es geht nicht darum, härter zu arbeiten, sondern das System zu nutzen“, lautet ein Satz von ihm. Spiegel hat früh gelernt, wie das „System“ funktioniert. Seiner Aufnahme an der Elite-Universität Stanford gingen gezielte „Spenden“ seines Vaters John voraus. Als sich der einflussreiche Top-Jurist weigerte, seinem damals 17-jährigen Sohn für 75000 Dollar den gewünschten 367-PS-BMW zu kaufen, wandte sich Evan an seine Mutter Melissa, ebenfalls angesehene Juristin und frisch vom Vater getrennt, die ihrem Sohn das Spielzeug umgehend bestellte.
Heute, mit 26, fährt Evan Spiegel Ferrari, fliegt Hubschrauber und gehört mit einem Vermögen von 2,1 Milliarden Dollar zu den jüngsten Milliardären aller Zeiten. Und doch wird er nicht für seine wilden Partys, seine frauenverachtenden E-Mails aus der Studentenzeit oder seine bevorstehende Hochzeit mit Top-Model Miranda Kerr in Erinnerung bleiben. Sondern als der Mann, der das Drei-Milliarden-Dollar-Angebot von Mark Zuckerberg ausschlug. 2013, als Snapchat „nur“ 800 Millionen Dollar wert war, wollte der Facebook-Chef den Betrag bar bezahlen.
Spiegels großes Ziel: Zuckerberg vom Thron stoßen
Zuckerberg hat einen Riecher für Trends – und auch bei Snapchatlag er richtig: Die App ist heute die Nummer Eins bei Jugendlichen in den USA: 150 Millionen Nutzer am Tag, 20 Milliarden Dollar geschätzter Firmenwert – und der einzige ernstzunehmende Herausforderer von Facebook. Genau das, sagen diejenigen, die ihn kennen, treibt Spiegel an: Er will Zuckerberg, den König des Silicon Valley, vom Thron stoßen.
Zuckerberg weiß genau: Wenn einer aus der Tech-Welt in seine Liga vorstoßen kann, so ist es Spiegel. Die Parallelen zu seinem eigenen Aufstieg sind unübersehbar. Auch Zuckerberg ist Studienabbrecher. Auch Zuckerberg bootete einen früheren Mitstreiter aus, was vor Gericht in einem Vergleich endete. Auch er lehnte in jungen Jahren ein Milliarden-Angebot ab, weil er etwas Großes bauen wollte. Auch er lässt sich von niemandem vom seinen Weg abbringen.
Facebooks gefährlichste Attacke auf Snapchat
Daher hat Zuckerberg nicht nur versucht, Snapchat ganz zu kaufen, sondern auch schon Kopien auf den Markt gebracht. Beide Apps floppten allerdings schnell. Vor kurzem folgte nun der dritte und ernstzunehmendste Versuch: Instagram, Facebooks Video-App mit 300 Millionen täglichen Nutzern, hat das Snapchat-Prinzip, Fotos und Videos automatisch zu löschen, ziemlich dreist kopiert – und sogar den Namen „Stories“ übernommen.
Was Instagram-Chef Kevin Systrom auch gar nicht abstreitet. „Die Ehre gebührt allein Snapchat“, gibt er offen zu. Zwar kopieren im Silicon Valley auch alle anderen, aber niemand gesteht das so ehrlich ein. „Hier geht es nicht darum, wer etwas erfunden hat. Hier geht es um ein Format, wie es in ein Netzwerk kommt und wie man ihm einen eigenen Spin mitgibt“, sagt Systrom. Das ist die bisher gefährlichste Attacke auf Snapchat: Instagram hat doppelt so viele Nutzer wie Spiegels Firma und ist intuitiv zu benutzen – im Gegensatz zu Snapchat, dessen Bedienung vielen Erwachsenen Probleme bereitet.
Leben statt Jagd nach Likes
Instagram versucht nun, seine Popularität zu nutzen, und auch Menschen über 35 für das Format zu begeistern. Erste Erfahrungen sprechen für Zuckerberg: Die Instagrammer nehmen den Lösch-Service gut an. Ob es reicht, auch die begehrten Millennials zum Wechsel zu bewegen, ist offen.
Snapchats Geheimnis ist simpel: Das automatische Löschen erlaubt es Menschen, die Stimmung des Alltags einzufangen und mit Freunden zu teilen. Ohne darüber nachdenken zu müssen, was ein Personalchef in zehn Jahren dazu sagt. In der Kurzlebigkeit liegt die Authentizität. Denn auf Facebook und Instagram zeigen die Nutzer immer nur die Sonnenseite des Lebens; alle sind immer wichtig, im Urlaub oder mindestens gut drauf. Viele Fotos, die nicht genügend „Likes“ erhalten, werden wieder gelöscht. Die immerwährende Jagd nach Anerkennung verursacht sozialen Stress – und auf den haben viele Nutzer keine Lust mehr.
Zuckerberg und Spiegel: viele Parallelen, aber grundverschieden
Snapchat zeigt das Leben, wie es ist. Freude und Frust, Sieg und Scheitern. Zehn Milliarden Videos werden jeden Tag auf Snapchat angeschaut, mehr als auf Facebook. Wichtiger noch: Die Frequenz, mit der Nutzer ihre Inhalte teilen, wächst bei Snapchat – und auf Facebook sinkt sie. Im wichtigen Jugendmonitor der Investmentbank Piper Jaffreys ist Snapchat in der Gunst der US-Jugendlichen erstmals an Facebook und Instagram vorbeigezogen. Snapchats Ansatz, eine Art „Anti-Facebook“ für die unbeschwerte tägliche Kommunikation zu bauen, funktioniert immer besser. Der Umsatz könnte binnen zwei Jahren von 50 Millionen auf eine Milliarde Dollar emporschnellen. Zuckerbergs Imperium wächst zwar schnell, aber solch einen Kickstart wie Spiegel hat selbst er nicht geschafft.
Die Parallelen ihrer Karrieren sind offensichtlich und doch könnten Zuckerberg und Spiegel kaum unterschiedlicher sein. Zuckerberg ist der Nerd, der seine langjährige Freundin Priscilla Chan geheiratet hat, in einem vergleichsweise bescheidenen Haus wohnt, ein Mittelklasseauto fährt und (fast) immer im gleichen grauen T-Shirt herumläuft. Spiegel ist für seine Dates mit Pop-Sternchen oder Top-Models bekannt, hat gerade eine 12-Millionen-Dollar-Villa in Los Angeles gekauft und lässt sich für die Vogue in Designerklamotten fotografieren.
Ist Spiegel der neue Steve Jobs?
Spiegels Führungsstil zeugt aber deutliche Parallelen zu einer anderen Ikone des Silicon Valley: den ebenso genialen wie unberechenbaren Apple-Gründer Steve Jobs, dessen Portrait in seinem Büro hängt. „Ich bin kein großer Manager. Aber ich versuche, ein großer Anführer zu sein. Ein großer Evan“, sagt er über sich. Den Management-Stil von Jobs hat er gut drauf: Entscheidungen trifft er meist allein; Ratschläge seiner Mitarbeiter mag er nicht. „Ich entscheide viel – aber ich ändere meine Meinung häufig. Manchmal halten meine Entscheidungen nur sechs Stunden“, sagt Spiegel über sich, was sehr an Jobs erinnert, der stets überzeugende Argumente fand, die er dann am nächsten Morgen mit leichter Hand verwarf.
Spiegels Marotten haben ihren Preis: Viele Führungskräfte, wie etwa die von Instagram gekommene Emily White, die den lockeren und selbstbestimmten Stil im Silicon Valley gewohnt sind, haben Snapchat schnell wieder verlassen. Manchmal bleiben Top-Positionen monatelang unbesetzt; wohl nur die Aussicht auf das große Geld bei einem Börsengang treibt die Mitarbeiter an. Spiegel forciert das sogar. Während andere Gründer der hochgehandelten „Einhörner“, so werden Start-Ups genannt, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind, den Börsengang meist so weit wie möglich in die Zukunft schieben, nennt Spiegel das Jahr 2017 als Termin.
Strandhaus statt Campus
Überhaupt – das Silicon Valley. Spiegel bleibt da lieber auf Distanz. „Wir mögen den Lifestyle in Los Angeles. Unsere Büros liegen direkt am Strand“, erzählt er. Einen Campus sucht man vergeblich. Die etwa 500 Mitarbeiter sind auf einige Häuser am Strand verteilt, den er gerne mit dem Hubschrauber überfliegt und an dem viele „Walking Meetings“ stattfinden – Spaziergangs-Besprechungen. Ihr Zweck: Niemand kann mithören; Mitarbeiter erfahren genau soviel, wie sie müssen.
Privatsphäre ist dem Gründer heilig, zuviel aus seinem Leben ist schon in die Öffentlichkeit gelangt. Zuerst die Scheidung seiner Eltern, die vor Gericht Details seiner Jugend wie die Sache mit dem BMW, wilde Partys und Alkoholexzesse an die Öffentlichkeit brachte. Dann die E-Mails aus seiner Studentenzeit, die einer seiner Feinde dem Klatschblog Valleywag zugespielt hat und die seinen Ruf ramponierten. Als Mitglied der Studentenverbindung Kappa Sigma in Stanford schrieb er Sätze an seine Verbindungsbrüder, die ein zutiefst gestörtes Verhältnis zu Frauen offenbarten und die er später als „idiotisch“ bezeichnete. Beim großen Hackerangriff auf Sony 2014 kamen dann auch noch E-Mails an die Öffentlichkeit, die zeigten, wie er seinem Aufsichtsrat wichtige Informationen vorenthielt. Seitdem hält sich Spiegel zurück. Seinen Facebook-Account hat er deaktiviert, seine Tweets gelöscht; Interviews gibt er praktisch keine.
Vernichtendes Urteil in der Tech-Welt
Insgesamt fällt das Urteil in der Tech-Welt über ihn ziemlich eindeutig aus: Hochachtung, weil er mit Snapchat etwas Großes gebaut hat – aber mögen tut ihn kaum jemand. „Bestätigt: Evan Spiegel ist ein Arsch“ schrieb der Techblog Techcrunch ungewohnt derb. Und stellte den Gründer als ebenso anmaßend wie unsicher dar.
Etwas allerdings hat Zuckerberg ihm noch voraus: Ein Werbesystem aufzubauen, das ihm 18 Milliarden Dollar Umsatz im vergangenen Jahr und einen Börsenwert von 350 Milliarden Dollar gebracht hat. Im Moment schwimmt auch Spiegel auf einer Welle. Die Werbekunden stehen Schlange, weil das Unternehmen etwa 65 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Amerikaner erreicht – eine Zielgruppe, die klassische Medien längst verloren haben.
Ungeheure Anziehungskraft auf junge Menschen
Die Zahlen erstaunen die Fachwelt, weil Snapchat keinerlei Daten über die Vorlieben seiner Nutzer liefern kann, wie es Facebook oder Google können. Hier liegt die Schwachstelle des Geschäftsmodells: Im Moment profitiert Snapchat von seiner ungeheuren Anziehungskraft auf junge Menschen. Sollte sie eines Tages nachlassen, wird es Snapchat schwerfallen, Werbekunden weiter für sich zu begeistern.
Aber so weit ist es noch lange nicht. Denn nicht nur die Werbekunden überbieten sich mit Mondpreisen, um Anzeigen aufSnapchat schalten zu dürfen. Auch die Medien liegen Spiegel längst zu Füßen. Sie zahlen sogar dafür, ihre Inhalte in die Snapchat-Rubrik „Discover“ einstellen zu dürfen. Zuckerberg dagegen muss die Medien an seinen Werbeerlösen beteiligen, damit sie ihre Texte bei Facebook einstellen. Auch das dürfte Spiegel gefallen.
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