Das Management und die Erschütterung der Macht
Von Anne M. Schüller
Die Digitalisierung schaltet gerade den Turbo ein. Die Umbrüche in der Arbeitswelt sind dabei kolossal. Doch in klassischen Unternehmen scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Verstaubte Managementmoden, Topdown-Organigramme, Silostrukturen, Command & Control-Mechanismen, Hierarchiegehabe, tradierte Karrierewege, eine antiquierte Führungskultur und anderes Uraltzeugs sind der Beleg.
Disruptive Zeiten hingegen erzeugen nicht nur Rasanz, sondern auch permanente Vorläufigkeit. Alles steht ständig zur Disposition. Das bedeutet: Ein Unternehmen muss sich zunächst drinnen verändern, damit es draußen am Markt überleben kann. Neue Organisationsstrukturen sind unabdingbar. Hierarchien müssen zurückgebaut werden und Karrierewege anders verlaufen. Die Mitarbeiterführung wandelt sich fundamental. Möglichmacher werden in Zukunft gebraucht.
Der Chef als Ansager und Aufpasser ist ein Auslaufmodell, weil Software das in Zukunft erledigt. Zudem können die Oberen heutzutage nicht einmal ahnen, wohin der richtige Weg führt. „Ihre neue Aufgabe ist es, das Finden von Antworten zu organisieren“, bekräftigt Christoph Keese in seinem Buch Silicon Germany.
Selbstorganisation statt Command & Control
Die Menschen sehnen sich danach, in einer anderen Arbeits- und Führungskultur als der gestrigen tätig zu sein. Für die Herausforderungen, die die Zukunft bringt, ist Command & Control auch nicht mehr geeignet. Denn zentrale Steuerung funktioniert nicht in komplexen Systemen. Und wenn anweisungsbasierte Topdown-Formationen auf vernetzte Organisationen treffen, wird es langfristig für erstere eng.
Sich dezentralisierende Organisationen sind vonnöten und sich selbst steuernde Teams werden von nun an gebraucht. Agil und kollaborativ müssen sie sein. Das bedeutet: So viel Selbstorganisation wie möglich mit nur so viel zentraler Steuerung wie unbedingt nötig.
Entscheidungen und die Verantwortung dafür verbleiben im Team. Die Führung achtet vor allem darauf, dass nichts Operatives zu ihr zurückdelegiert wird. Nur noch in Ausnahmefällen und im strategischen Kontext greift sie direktiv ein. Ansonsten ist sie vor allem fördernd tätig. Sie sorgt für ein angenehmes Arbeitsumfeld, für perfekte Rahmenbedingungen und für umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten.
Erprobungsphasen sind überaus wichtig, damit sich sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter in die neue, noch ungewohnte Situation einüben können. Eine fehleroffene, sanktionsfreie Lernkultur begleitet den Weg. Etappensiege werden gefeiert. Keinesfalls darf das Pendel zu abrupt oder zu radikal in Richtung Hierarchiefreiheit schlagen, weil das die Menschen überfordert. Man muss üben, um zu brillieren.
Kletterwand- statt Leiterkarrieren
Bislang waren Karrierewege meist vorgezeichnet: Auf einer Stufe um Stufe zu erklimmenden Karriereleiter ging es voran. Das Prinzip, so paradox es auch klingt: Gute Leistungen werden zwangsläufig mit einer Führungsaufgabe belohnt. Ob fähig oder unfähig dazu? Egal! Man ist einfach „dran“. Doch nicht jeder gute Fachmann ist gleichzeitig auch eine gute Führungskraft. Das Ergebnis, so Gallup: „People join companies but they leave managers.“
In neuen Zeiten wird auch der Begriff des Karrierewegs neu definiert. Rollenflexibilität und Kletterwand-Karrieren werden in den Unternehmen Einzug halten. Mal ist jemand Führungskraft eines Teams, mal Leiter eines Projekts, mal Verantwortlicher eines Prozesses, mal agiert er ohne Führungsaufgaben in einem Expertenteam.
Wird eine Führungsrolle abgegeben, ist das weder mit Gesichtsverlust noch mit Demontage verbunden – und kein Rückschritt, sondern eine Seitwärtsbewegung. Fach- und Führungskarrieren werden gleichgesetzt. Laufbahnen gehen nicht länger wie auf einer Leiter nach oben, was bei einem Fehltritt mit einem jähen, oft würdelosen Absturz verbunden sein kann.
Ohne Schande kann man in die Fachexpertise wechseln. Dies ist schon allein deshalb höchst sinnvoll, weil Spitzenfachleute immer dringender benötigt werden. Die Führungskarriere gilt nicht länger als der bessere Weg. Sie sollte ausschließlich den Menschenexperten vorbehalten sein. Den anderen ist die Führungslizenz sofort zu entziehen. Statt Zwangsaufstieg ermöglicht man guten Fachspezialisten besser Herausforderungen in der Breite der Unternehmenslandschaft.
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