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Die Botschaften des Employer Branding treffen ins Schwarze – wenn Arbeitgeber wissen, wo die Zielscheibe steht

Nach der Analyse der Stellenanzeigen legt Employer Telling nun nach und zeigt auf, wie Arbeitgeber im Kandidatendialog mit Bewerbern reagieren. Grundlage sind die Arbeitgeberkommentare auf dem Bewertungsportal kununu. Crosswater Job Guide sprach mit den Machern von Employer Telling über ihre Erkenntnisse einer Analyse mit dem Arbeitgeberbewertungsportal kununu.

Claims sind das kommunikative Abfallprodukt von zehn Jahren Employer Branding. Sie funktionieren bei Schokoriegeln, aber nicht bei Arbeitgebermarken und gehören entsorgt.

Sascha Theisen (l), Dr. Manfred Böcker (r)

Crosswater Job Guide: Welchen Zusammenhang gibt es nun zwischen der Sprachanalyse von Stellenanzeigen und dem Dialogverhalten von Arbeitgebern mit kritischen Bemerkungen?

Sascha Theisen: Employer Telling beschäftigt sich sehr intensiv mit unterschiedlichen Aspekten der Arbeitgeberpositionierung. Alle Beratungsfelder, die wir besetzen, werden von uns vorab mit empirischen Analysen durchdrungen. So verschaffen wir uns einen Überblick über den Status Quo zu einem Positionierungsfeld für den gesamten Arbeitsmarkt und können so Differenzierungschancen für Unternehmen eruieren, die mit uns zusammenarbeiten.

Wie Sie richtig sagen, geht es nach der Analyse der DAX30-Karrierewebseiten sowie einer umfangreichen Stellenanzeigen-Studie nun um den Kandidatendialog deutscher Arbeitgeber. Bei allen Studien prüfen wir, wo sich Arbeitgeber voneinander differenzieren. Nach mittlerweile gut zehn Jahren Diskussion über das HR-Kommunikationsphantom Employer Branding, haben wir bisher leider nur feststellen können, dass dieser ausgiebig diskutierte Marketing-Ansatz lediglich zu austauschbaren Inhalten und nichtssagenden Phrasen geführt hat. Das ist eine Bankrotterklärung für einen Ansatz, der im Idealfall dem so gefragten Kandidaten eigentlich einen Anhaltspunkt liefern sollte, sich für diesen oder jenen Arbeitgeber zu entscheiden.

Auf solchen ernüchternden Ergebnissen basierend, sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass der Kandidatendialog, ein wichtiger Baustein für die Positionierung eines Arbeitgebers ist. Dieser Dialog findet längst öffentlich und online auf Bewertungsplattformen wie kununu statt. Dort beginnt er mit einer Bewertung von Bewerbern und Mitarbeitern. Das bedeutet: Die scheinbar goldenen Zeiten, in denen Arbeitgeber eindimensional „Botschaften“ aussenden konnten, ohne das diesen widersprochen werden konnte, sind vorbei. Unternehmensprofile auf Bewertungsplattformen wie kununu haben teilweise mehr als eine Million Zugriffe. 2,3 Millionen Bewertungen über mehr als 600.000 Arbeitgebern zeichnen ein Bild darüber, wie die Arbeitswelt von Mitarbeitern, Bewerbern und Azubis wahrgenommen wird. Daraus folgt: Es sind die Kandidaten beziehungsweise die User, die dort Werbebotschaften bestätigen oder bloßstellen.

 

 

Crosswater Job Guide:  Welche weiteren Analysen der Arbeitgeberkommunikation hat Employer Telling geplant?

Manfred Böcker: Derzeit denken wir über eine Studie zur Pressearbeit von Arbeitgebern nach. Das ist auf den ersten Blick nicht besonders hip, aber davon haben wir uns noch nie abhalten lassen. Wir wissen ja mittlerweile, dass das meiste, was die HR-Social Media-Szene als aktuell kampfentscheidend betrachtet, sich nach wenigen Jahren als vollkommen irrelevant entpuppt. Nehmen wir etwa Arbeitgeber-Seiten auf Facebook: Das hat nicht funktioniert. Mittlerweile ist Facebook ein Seniorennetzwerk, auf denen Leute in unserem Alter die Platten-Cover ihrer Jugend abfeiern. Uns interessiert ein ganzheitlicher und tiefer Blick auf das Phänomen der Arbeitgeberkommunikation, mit der kununu-Studie haben wir ja schon die „Earned Media“ ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Da darf die Presse natürlich nicht fehlen. Ein Teil des Dramas, dem wir uns in den vergangenen drei Studien gewidmet haben, erklärt sich für uns aus der Tatsache mangelnder PR-Kompetenz und PR-Praxis auf Seiten der HR-Abteilungen. Diese These würden wir gerne verifizieren.

 

Crosswater Job Guide: Welche Kernthese lässt sich aus der kununu-Analyse ableiten?

Sascha Theisen: Zunächst noch einmal kurz zu unserer Vorgehensweise: In akribischer Kleinarbeit haben wir dafür 1.300 Arbeitgeber-Stellungnahmen analysiert und quantitativ geclustert. Allerdings lag unser Augenmerk auf dem Umgang mit Kritik, der uns besonders interessiert hat. Als solche haben wir alle Bewertungen identifiziert, die einen kununu Review Score von unter 2 aufwiesen.

Eine der wichtigsten Kernthesen ist dabei zunächst, dass sich die meisten Arbeitgeber einem Kandidatendialog schlicht entziehen. Zwar erleben wir zahlreiche HR-Events und Messen, auf denen der Kandidatendialog auf Augenhöhe beschworen wird, aber in der Realität findet er kaum statt. Gerade einmal eines von hundert Unternehmen reagiert auf Bewertungen bei kununu. Nicht zuletzt deswegen gebührt denen, die auf Bewertungsplattformen agieren, zunächst einmal unsere Anerkennung. Sie sind auf dem richtigen Weg. Nun geht es darum, den Kandidatendialog wertschätzend zu führen. Wer das schafft, ist in der Lage Bewertungsplattformen als Ort der Differenzierung zu nutzen.

 

Crosswater Job Guide: Verpassen Arbeitgeber eine große Chance im Bewerber-Dialog?

Manfred Böcker: Unbedingt. kununu galt ja vielen Arbeitgebern zunächst als „dunkle Seite des Web 2.0“, wie sich der Chefredakteur einer Personalfachzeitschrift einem von uns gegenüber im Jahr 2007 ausdrückte. Mittlerweile stellen wir fest: kununu hat eine neue, relevante Spielfläche geschaffen, auf der Arbeitgeber konzentriert und öffentlich sichtbar den Dialog mit dem Talentmarkt führen und dabei Pluspunkte machen können. Wir verorten dort ein weitaus größeres Differenzierungspotenzial als es zum Beispiel Karrierewebsites bieten können. Wenn wir die Tatsache bedenken, dass aktuell nur 1,1% der Arbeitgeber dieses Potenzial nutzen, so sehen wir hier für diejenigen, die sich als erste bewegen, extrem gute Möglichkeiten, sich sichtbar in der Kommunikation von anderen Arbeitgebern zu unterscheiden.

 

Crosswater Job Guide: Wie sollte HR den Beschwerde-Dialog eigentlich hinsichtlich organisatorischer Zuständigkeit, Timing und inhaltlichen Klarstellungen organisieren?

Sascha Theisen: Zunächst ist „Beschwerde-Dialog“ der falsche Begriff. Wer Bewertungsplattformen nur als Orte versteht, an denen ehemalige Mitarbeiter oder Bewerber in schlechtester Wutbürger-Manier ihren Frust ablassen, liegt falsch. Seiten wie kununu oder andere Bewertungsportale sind Feedback-Kanäle, die nach dem „Earned Media“-Prinzip funktionieren. Wenn in einem Unternehmen ein Führungskräfteproblem vorliegt, taucht das hier auf und ist eben nicht durch eine bunte und gut fotografierte Arbeitgeberbroschüre zu kaschieren.

Das heißt: Der Dialog auf solchen Plattformen ist natürlich in erster Linie HR-Sache. Wir haben festgestellt: Gut 15 Prozent aller Arbeitgeberantworten auf kununu-Bewertungen kommen von Geschäftsführern oder Vorständen, die aber für mehr als die Hälfte aller aggressiven Antworten verantwortlich sind. Aggressive Antworten sind solche, die Bewertungen von Mitarbeitern im Stile von Brad Pitt in „Fight Club“ beantworten, indem sie User beschimpfen oder ihnen unterschwellig drohen. Das darf natürlich nicht passieren.

Fight Club

Wertschätzendes Feedback sollte bestimmten Regeln folgen. Es sollte dankbar aufgenommen werden und freundlich sein, Verbesserungspotentiale erkennen sowie aufnahmefähig sein. Sind die Vorwürfe in einer besonders kritischen Bewertung haltlos, sollte man faktenorientiert dementieren und aus einer starken inhaltlichen Haltung heraus argumentieren. Diese Haltung gilt es vorab zu erarbeiten.

Haben die Vorwürfe einen wahren Kern, bietet sich den Arbeitgebern die Chance, sich zu verbessern. In diesem Fall sollte man in der Lage sein, Fehler einzugestehen und Besserung zu versprechen.

 

Crosswater Job Guide: Beschwerden auf Arbeitgeberbeurteilungsportalen decken tatsächliche oder vermeintliche Schwächen eines Arbeitgebers schonungslos auf. Wie reagieren die HR-Abteilungen, um solche Schwächen nachhaltig zu beseitigen und den vollmundigen Worten auch Taten folgen zu lassen?

Manfred Böcker: Natürlich wissen wir auch: Nicht jede auf kununu veröffentlichte Kritik deckt tatsächliche Schwächen auf. Hier toben sich ja auch schwierige Menschen aus, die bei allen Arbeitgebern und in sämtlichen Organisationen an die Grenzen ihrer eigenen, sperrigen Persönlichkeit stoßen würden. Aber: Häufen sich Klagen und Bewertungsmuster (schlechte Führung, niedriges Gehalt, mangelnde Perspektiven), so sollten Arbeitgeber solche Muster als Hinweise auf tatsächliche Probleme in der Substanz ernst nehmen. kununu wird ja in vielen Fällen aktiviert, wenn Mitarbeiter oder Bewerber andere Feedbackkanälen schon erfolglos genutzt haben oder an diesen Kanälen zweifeln. Das heißt, es ist ein sinnvoller, autonomer Feedbackkanal (unter anderem). Feedback auf kununu zu moderieren heißt auch, die dort häufig angesprochenen Probleme in den Blick zu nehmen und Verbesserungsmaßnahmen zu initiieren. Das ist aus unserer Sicht echtes „Branding“, das Angebot als Arbeitgeber im Dialog mit den Talenten stetig zu verbessern. kununu ist auch ein Feedbackkanal. Wer hier nur ein „Kommunikationsproblem“ sieht, hat das Thema nur halb verstanden.

 

Crosswater Job Guide: Wie können Arbeitgeber ihre Claims an den Bedürfnissen der Bewerber ausrichten? Wie erkennen Sie denn überhaupt, worauf die Bewerber bei der Arbeitgeberauswahl Wert legen und diese im Entscheidungsprozess berücksichtigen?

Sascha Theisen: Claims sind das kommunikative Abfallprodukt von zehn Jahren Employer Branding. Sie funktionieren bei Schokoriegeln, aber nicht bei Arbeitgebermarken und gehören entsorgt. Seien wir ehrlich: Es wimmelt doch nur so vor Employer Branding Kampagnen, die so austauschbar sind wie Waschmittel, die von sich behaupten „weißer als weiß“ zu waschen. Die aktuelle Arbeitgeberkommunikation setzt am Ende doch nur deshalb auf Phrasen wie „internationale Entwicklungsmöglichkeiten“ „flache Hierarchien“ oder „flexible Arbeitszeiten“, weil die Kommunikatoren hoffen, damit nichts falsch zu machen. Mit einem solchen Kommunikationsverhalten ist man aber nicht besonders. Kandidaten suchen aber einen besonderen Arbeitgeber. Schließlich verbringen sie bei ihm mehr Zeit, als mit ihrer Familie.

Arbeitgeber sollten sich selbst die Frage stellen, wofür sie selbst als Arbeitgeber stehen und sich identitätsbasiert aufstellen. Dazu gehört Mut zur Differenzierung. Wer seine Hausaufgaben macht und die Zielgruppe analysiert – etwa indem er im ständigen Dialog mit seinen aktuellen Mitarbeitern steht – weiß, worauf Bewerber, die wirklich zu ihm passen, Wert legen und worauf nicht.

 

Crosswater Job Guide: Je nach Karrierephase der Bewerber sind unterschiedliche Prioritäten bei der Arbeitgeberwahl entscheidend. Wie sollten diese individuellen Bedürfnisse in der Arbeitgeberkommunikation berücksichtigt werden?

Manfred Böcker: Da müssen wir ganz klar fragen: Wen möchte das Unternehmen für sich gewinnen? Eine Unternehmensberatung, die in erster Linie Hochschulabsolventen rekrutiert, braucht eine ganz andere „Selling Story“ als eine Beratung mit Interesse an jahrelanger Erfahrung und in der Praxis ausgebildetem Expertenwissen. Eine Karrierewebsite, die beide Zielgruppen mit identischen Inhalten einfangen möchte, wird keine von Ihnen gewinnen. Wir stellen hier immer wieder fest, dass sich Arbeitgeber nicht so richtig entscheiden wollen oder können, wer ihre primäre Zielgruppe ist. Es hilft sehr, Argumente für einen Arbeitgeber anhand einer konkreten Zielgruppe zu entwickeln. Ein Ansatz á la „Das muss für Absolventen, Azubis und Führungskräfte gleichermaßen funktionieren“, ist keine gute Idee.

 

Crosswater Job Guide: Die Relevanz der Arbeitgeberbewertungsportale nimmt ständig zu, so verzeichnet kununu zum Beispiel monatlich über 4 Millionen Besuche, Wettbewerber Glassdoor kommt in Deutschland auf immerhin 1,7 Millionen Besuche. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Sascha Theisen: Arbeitgeberbewertungen werden in Zukunft deutlich an Signifikanz zunehmen. Wer aufmerksam die Kommunikation der Branchenriesen im Jobbörsen-Segment verfolgt, erkennt schnell, dass auch diese hier ein Positionierungsfeld für sich entdeckt haben und es in ihrem Sinne zukünftig deutlich pushen werden.

Dazu kommt: Kandidaten haben den Umgang mit Bewertungen längst in anderen Online-Feldern verinnerlicht. Ganz selbstverständlich checken sie ihre Optionen vor dem Abschluss einer Versicherung auf einem entsprechenden Vergleichsportal. Bevor der Familienurlaub gebucht wird, checkt Vati das favorisierte Hotel. Und beim Kauf eines Laptops wird die Ergebnisliste auf Amazon & Co. natürlich nach Bewertungen sortiert. Dieses gelernte Nutzerverhalten macht vor der Jobsuche beziehungsweise vor der Arbeitgeberwahl nicht Halt. Unternehmen, die sich frühzeitig darauf einstellen, sind sicher gut beraten.

 

Crosswater Job Guide: Die Ergebnisse der Analyse werden nicht primär über eine Studie verbreitet, sondern in Workshops mit Arbeitgebern diskutiert. Welche Vorteile versprechen Sie sich von dieser Vorgehensweise?

Manfred Böcker: Mehrwert für unsere Kunden, mehr Ruhm und mehr Geld für uns. Spaß beiseite: Unsere ersten beiden Studien wurden nicht nur von HR-Verantwortlichen, sondern auch von rund 500 Wettbewerbern heruntergeladen, meist Agenturen und HR-Unternehmensberatungen. Das hat uns auf der einen Seite geschmeichelt. Auf der anderen Seite haben wir nach dem 6.12.2017 beschlossen, die Nikolausmütze auf Dauer abzusetzen und unsere Wettbewerber damit dem Druck ausgeliefert, sich selbst Gedanken zu machen. Das Wissen, das wir zutage fördern, bleibt seitdem bei uns und unseren Kunden. Das ist das neue Prinzip. Bislang geht unsere Rechnung auf – und den Kunden ist bewusst, dass das mit ihnen geteilte Wissen nicht frei verfügbar ist.

 

Crosswater Job Guide: Welches sind die drei wichtigsten Handlungsempfehlungen?

Sascha Theisen: Drei Handlungsempfehlungen reichen nicht, um nachhaltig an Profil zu gewinnen. In unserer Studie haben wir 14 ausführliche Handlungsanweisungen für Arbeitgeber erarbeitet, die dazu beitragen sollen, dass Arbeitgeber die Chance nutzen können, sich auf Bewertungsplattformen als vitale, kritikfähige und damit von anderen abhebende Arbeitgebermarke zu präsentieren. „Employer Branding“ in Form von lauten Werbebotschaften, die mit der Flüstertüte raus posaunt werden, gehört auf den doch immer größer werdenden Employer-Branding-Friedhof. Die führenden Arbeitgebermarken der Zukunft sind diejenigen, die öffentlich sichtbar und professionell in den Kandidatendialog einsteigen – durchaus auch mit ihren Kritikern.

Austauschbare Employer Claims auf dem Friedhof

Vielen Dank, Herr Dr. Böcker und Herr Theisen für dieses Gespräch.

Employer Telling im Web: http://www.employer-telling.de/