Wo sehen Sie sich selbst in fünf Jahren?
Von Gerhard Winkler, Bewerberberater, jova-nova.com
Sehen wir doch gleich einmal nach, was uns die Berater als musterhaft verkaufen:
“Ich habe mir jetzt zum Ziel gesetzt, bei einer Organisation einzusteigen, in der ich wachsen und mich in immer neuen Herausforderungen bewähren kann. Das soll mich nach einiger Zeit dazu führen, dass ich zunehmend mehr Managementverantwortung übernehme und auch zur strategischen Zielfindung beitrage. Alles in allem sehe ich mich in fünf Jahren dort verankert, wo man mich ermutigt, mein persönliches Weiterkommen mit dem Erfolg des Unternehmens zu verknüpfen.”
Das wirkt flüssig, hinterlässt aber einen schalen Nachgeschmack. Kein vernünftiger Jobanbieter erwartet von Ihnen, dass Sie Ihren geheimen Karriereplan offenlegen oder souverän auf der Klaviatur der beruflichen Ziele improvisieren oder auf High Potential machen oder abgeschliffene Sätze zum Thema Selbstfindung & Entwicklung formulieren.
Jobanbieter erkundigen sich im Jobinterview nach Ihren Zukunftsplänen, weil sie in Erfahrung bringen wollen, ob und wie sie mit Ihnen rechnen können.
In dieselbe Richtung zielen auch Personaler-Fragen wie:
Was sind Ihre Karriereziele?
Wie sieht Ihre berufliche Planung aus?
Inwiefern können wir ein positiver Faktor für Ihre Karriereplanung sein?
Dahinter steckt eine Reihe von meist unausgesprochenen Fragen, die jeden Arbeitgeber beschäftigen:
Beabsichtigen Sie, sich längerfristig an uns zu binden?
Wie sehr ist für Sie Ihr eigenes berufliches Weiterkommen ein Thema?
Wie gut können wir Ihre Vorstellungen und Absichten mit unser eigenen Personalplanung in Einklang bringen?
Besonders viel Mühe, sich auf die Frage einzustellen, haben Hochschulabsolventen.
Besonders bitter ist das Thema für Menschen, die mit der Frage nie im Berufsleben konfrontiert wurden.
Besonders leicht fällt die Antwort, wenn man aus dem Datenbestand seines Lebenslaufs eine naheliegende und in sich stimmige Prognose ableiten kann.
Besonders gemein kann die Frage sein, wenn man sie umdreht: „Welches berufliche Ziel hätte ich vor fünf, vor zehn Jahren unbedingt verfolgen sollen?“
Aus der Bewerber-Antwort „In fünf Jahren möchte ich den St.-Jakobsweg einmal ganz geschafft haben“ werden Arbeitgeber schließen, dass der Kandidat sich eher nicht über seinen Job zu verwirklichen gedenkt. Es mag durchaus Gesprächskonstellationen geben, in denen ein Arbeitgeber über eine Antwort dieser Art erfreut ist. Spekulieren Sie nicht darauf, selbst wenn Sie sich für eine Halbtagsstelle in der Vorgangsbearbeitung bewerben.
Freuen Sie sich immer, wenn man Ihnen die Zukunftsfrage stellt. Sie ist ein guter Indikator dafür, dass man Ihnen konzediert, eine berufliche Zukunft vor sich zu haben. Finden Sie eine Zielbestimmung, die Ihren Career Goals gerecht wird und die das Vertrauen des Jobanbieters in Ihre guten Absichten mehrt. Gehen Sie zur Vorbereitung diese Punkte durch:
1 Sehen Sie sich in fünf Jahren nicht mehr in dem Beruf, für den Sie sich jetzt gerade bewerben?
Verschweigen Sie das im Interview.
2 Möchten Sie lieber keine Prognose in eigener Sache abgeben oder ist es Ihnen nicht wichtig, wo Sie in ein paar Jahren stehen werden?
Sprechen Sie das nicht aus.
3 Wollen Sie in einigen Jahren den Posten eines der Gesprächspartner besetzen?
Äußern Sie das weder scherzhaft noch im Ernst.
4 Sind Sie privat ein bisschen verpeilt oder verträumt oder ungebremst aufrichtig?
Dann hüten Sie sich vor Bekenntnissen und Geständnissen. Arbeitgeber haben ein feines Gespür für Desinteresse, Distanz zum eigenen Job oder ein defizitäres berufliches Selbstwertgefühl.
Vermeiden Sie, auf die Frage nach Ihrem Karriereplan (und auf alle sonstigen Fragen im Interview) mit der Wahrheit verblüffen zu wollen. Der Zusammenhang zwischen der Offenheit des Bewerbers und dem Entsetzen des Jobanbieters ist in der Regel kausaler Natur:
«Es kommt, wie es kommt. Über die eigene berufliche Zukunft will ich mir nicht den Kopf zerbrechen.»
«Neben meinem Studium etabliere ich mich schon seit einer Weile als Influencer für die Compression-Tights-Szene und da möchte ich bald die Nummer 1 sein.»
«Ich weiß gar nicht, ob ich da überhaupt noch im Land bin. Meine Oma hat eine Finca auf Mallorca, da ist Platz für ein Yoga-Venture.»
Ehrlichkeit entwaffnet nicht. Sie entmutigt den Jobanbieter, Ihnen zu vertrauen.
5 Sind Sie ehrgeizig und wollen beruflich weiterkommen?
Sie finden, dass Begriffe wie Ehrgeiz, Aufstiegswillen, Zielstrebigkeit, Gestaltungswille, Erfolgsstreben, Verantwortungsbewusstsein und Wirklichkeitssinn Ihre Persönlichkeit korrekt beschreiben.
Analysieren Sie dann vor einem Jobinterview, für welchen Mitarbeitertyp die Stelle ausgeschrieben wurde. Für einen Einsteiger, der erst einmal reinkommen will? Für eine Fachkraft, die in Ihrem Fach gut unterkommen möchte? Für einen Aufsteiger, der in der Organisation ohne Verzug seinen Weg zu gehen gedenkt? Finden Sie online, zu Beispiel in Foren, verwertbare Hinweise und Insider-Tipps zur Mitarbeiterförderung, zur Führungskultur und zum Selbstverständnis der Organisation.
Gelegenheit schafft Karriere. Zwei Kernfragen, die sich jeder bei der nächsten Gelegenheit stellen sollte:
Ist der Jobanbieter geneigt oder zumindest bereit, den von ihm bereit gehaltenen Job so wie ich als eine Einstiegs- und Bewährungsphase auf meinem Erfolgsweg zu sehen?
Kann ich ihn als Förderer und Verbündeten gewinnen?
Bringen Sie im Interview den Gesprächspartner dazu, dass er Ihnen eine belastbare Auskunft gibt. Erkundigen Sie sich von sich aus, und zwar am besten, bevor man Sie nach Ihren mittelfristigen Zielen fragt:
„Wie haben sich meine Vorgänger auf dieser Stelle bzw. auf gleichartigen Stellen entwickelt? Was haben die aus der Stelle gemacht?“
Ziehen Sie von allgemein gehaltenen Verheißungen des Jobanbieters mindestens 90 % ab. Schätzen Sie auch Ihr eigenes Potential realistisch ein. Berücksichtigen Sie alle Faktoren und leiten Sie daraus ab, auf welches Level Sie in einigen Jahren vorgerückt sein könnten.
Wichtig: Geben Sie in Ihrer Antwort besser keine Position und keinen Jobtitel („Leiter Service und Support“) an. Zählen Sie auf, wofür Sie in einigen Jahren zuständig sein könnten. Finden Sie die Balance zwischen explizit („möchte ich ein Serviceteam anleiten und schulen“) und extravagant («möchte ich mit 20 Servicetechnikern die D-A-CH-Region komplett abdecken und auch das Schulungscenter leiten»).
Ein guter Start, um die 5-Jahres-Frage zu beantworten: Skizzieren Sie, welche Ziele die Organisation mit Ihnen für das erste Jahr vereinbaren könnte. Von da aus ziehen Sie die Linie dann weiter.
6 Kann der Arbeitgeber nur jemanden brauchen, der auf der Stelle kleben bleibt?
Ein Jobanbieter wird die Karriere-Optionen bei ihm meist in leuchtenden Farben ausmalen. Vielleicht wünscht er im Grunde nur, dass Sie auf Ihrem Posten ausharren und den Job so lange gut machen, bis die Umstände (der technische Fortschritt, eine betriebliche Änderung oder Ihre Verrentung) ihn dazu zwingen, Sie zu verabschieden.
Falls Sie damit leben können, antworten Sie so: Sie wissen, dass der Arbeitgeber in Sie investieren wird, dass er ein Interesse daran hat, die Aufgabe über einen längeren Zeitraum in guten Händen zu wissen, dass da wichtige Faktoren wie Verlässlichkeit und Berechenbarkeit eine Rolle spielen und dass dies alles auch ganz in Ihrem Sinne ist. Sie versetzen sich gerade in die Job-Aufgaben und der Gedanke fühlt sich gut an. Sie sind aber gern bereit und auch in der Lage, in den Grenzen Ihrer Möglichkeiten woanders einzuspringen, falls der Arbeitgeber dies wünscht. Natürlich möchten Sie sich auch in Ihrem Job auf dem Laufenden halten
Oder Sie definieren kurz die Eckpunkte des Jobs, den Sie gerade verhandeln. Dies gern auch zum wiederholten Mal im Verlauf Ihres Interviews, denn dann prägen sich Ihre korrekten Einschätzungen dem Jobanbieter besser ein. Thematisieren Sie zum Beispiel den fachlichen Schwerpunkt, die besonderen Methoden und Verfahrensweisen, die Besonderheiten der Kunden, die rechtlichen Vorgaben … Dann fügen Sie noch hinzu, dass Sie alle diese Anforderungen bereits jetzt richtig gut und in fünf Jahren noch viel besser erfüllen. Schließlich werden Sie die Zeit ja auch dafür nutzen, um Ihr fachliches Wissen und Können aktuell zu halten. Lassen Sie auch (noch einmal) einfließen, welche Schulungen und Trainings Sie zuletzt besucht haben.
An dieser Stelle können Sie auch Ihr Geschick im Hardball-Spiel ausprobieren: „Wo ich in fünf Jahren stehen werde, hängt natürlich auch davon ab, ob und wie Sie meine Weiterbildungsanstrengungen unterstützen.“ Auch wenn Sie nicht fordernd auftreten wollen, ist es doch gut, vorab zu klären, ob die Besonderheiten der Stelle, das Budget oder der prinzipielle Standpunkt des Arbeitgebers es unmöglich machen, dass man in Ihre Weiterbildung investiert.
7 Haben Sie ein Problem damit, Klartext zu reden? Oder fällt es Ihnen schwer, diplomatisch zu agieren?
Wie das obenstehende Beispiel zeigt, empfehlen so gut wie alle Karriereratgeber, auf die Frage nach den beruflichen Zukunftsvorstellungen ein mit Bedacht abgewogenes, sehr allgemein gehaltenes Statement abzugeben. Das ist vielleicht OK, wenn Sie sich in Ihrer Rolle sehr unsicher fühlen, wenn Sie die Präferenzen und Interessen des Verhandlungspartners nicht einschätzen können oder wenn Sie wissen, dass diplomatisches Geschick und die Kunst, inhaltslos zu gänzen, einen wesentlichen Teil der Jobbeschreibung ausmachen.
Ansonsten bedenken Sie, dass Arbeitgeber zu viel gehört, gelogen und gesehen haben, um schönen Absichtserklärungen zu glauben. Selbst hochkarätige Fachleute und Führungskräfte tendieren dazu, in der Selbstpräsentation über weite Strecken abgehoben, generalisierend und unkonkret zu argumentieren. Das Vorstellungsgespräch dient allerdings über weite Strecken dazu, dass die Parteien ihre Vorstellungen bezüglich einer beruflichen Zuständigkeit präzisieren. Sie tauschen sich über die Anforderungen und Leistungen aus. Sie klären, ob und wie man den Job füreinander passend machen könnte.
Also reden Sie über den Job, und wenn Sie Karriere-Erwartungen ableiten, dann immer in Bezug zu diesem ausgeschriebenen Job! Ein für beide Seiten gelungenes Jobinterview geht gründlich und lösungsorientiert darauf ein, was als nächstes zu tun ist, wie man es macht und was dazu notwendig ist.
Und wenn man Sie fragt, wie Sie sich diesen Job in fünf Jahren vorstellen, dann sehen Sie sich selbst, wie Sie innerhalb dieser Organisation zugange sind. Eine Organisation, deren Zukunft Sie nach Kräften mitgestaltet haben. in fünf Jahren werden Sie berufliche Aufgaben lösen, die sich aus den aktuellen ergeben und in die hineinzuwachsen Sie eben ausreichend Zeit hatten. Man gibt Ihnen gedanklich Zeit und Raum, um das Beste aus sich und dem Job zu machen. Langweilen Sie da nicht mit gezwirbelten Bekundungen über Wachsen und Vision, Verantwortung und Passion, logische nächste Schritte und innere Motivation.
Sie werden in fünf Jahren vielleicht in der Tat beruflich avancieren – aber nicht auf eine nächst höhere Abstraktionsstufe. Die Probleme, die Sie zu lösen haben, sind konkret. Die Aufgabenstellung bleibt spezifisch. Dann sprechen Sie darüber nicht abstrakt, sondern eben konkret und spezifisch. Ein Arbeitgeber wird Ihnen das immer danken.
Unter Berücksichtigung der oben genannten Punkte 1 bis 7: Bleiben Sie gedanklich bei der ausgeschriebenen Stelle, rücken Sie von dort aus ein Jahr, und dann weitere vier Jahre weiter. Welche beruflichen Leistungen darf man von Ihnen in diesem Zeitraum erwarten?
„Ich bringe ja schon einige Laborerfahrung mit. Nach dem ersten Jahr bei Ihnen verstehe ich das Zusammenspiel zwischen den Abteilungen und Ressorts eines forschenden Großunternehmens. Dann bin mit den laufenden Projekten und mit Ihrer Pipeline bestens vertraut, habe mit meiner Kenntnis von Vitaminen und weiteren Wirkstoffen sicher auch Anregungen geben können. Nach fünf Jahren werden die Teams, in denen ich eingesetzt bin, sicherlich einige wichtige Meilensteine erreicht haben. Dazu werden mit etwas Glück … sowie … zählen.“
Über Gerhard Winkler
Ich schreibe für den verständigen Leser. Halten Sie bitte auch mich auf dem Laufenden: über den Jobmarkt, über Ihre Bewerbungswege, Erfahrungen, Abenteuer und Erfolge. Was vermissen Sie auf jova.nova.com? Was sehen Sie anders? Ich freue mich über Ihr Feedback!