Moderne „Kriegsführung“ im Recruiting: Wettbewerbsvorteile durch Competitive Intelligence
Ein Gastbeitrag von Wolfgang Brickwedde
Die erste Veranstaltung zum Thema „Competitive Intelligence“ veranstaltete das dcif, Deutsches Competitive Intelligence Forum (http://www.dcif.de), unter Leitung von Prof. Martin Grothe von complexium (http://www.complexium.de) und Vorstand des dcif in Berlin mit dem Titel „Competitive Intelligence meets Human Resources” in Deutschland.
Was hat das jetzt mit Recruiting zu tun?
Es soll ja immer noch welche geben, die davon ausgehen, wir würden uns (jetzt schon oder in Zukunft) in einem „War for Talents“ befinden. Diese „Gläubigen“ mögen mal einen Blick in die jeweiligen „Kriegskassen“ ( auch bekannt als Recruitingbudgets) der Unternehmen werfen und diese dann mit den Marketingbudgets derselben Unternehmen vergleichen. So kann man schnell erkennen, an welchen Fronten wirklich „gekämpft“ wird. Darüber hinaus bietet sich das HR-Umfeld auch nicht gerade an für eine derartig martialische Denkweise.
Aber lassen Sie uns für einen Moment bei der Terminologie bleiben. In einem Krieg benötigt man vor einer Schlacht Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Schlachtfeldes, strategische Punkte die es zu halten oder zu erobern gilt, die Stärke und Ausrüstung des Gegners etc. Im Englischen wird für diese Art der Erkenntnisgewinnung (nicht nur militärischen Bereich) auch der Begriff Intelligence verwendet. Nicht umsonst steht in der Abkürzung CIA das I für Intelligence (nicht mit dem deutschen Begriff Intelligenz zu verwechseln)
Übertragen auf, lassen Sie uns dabei mal einen Gang zurückschalten und den Begriff „Wettbewerb um Talente“ verwenden, das Recruiting bedeutet dies, das ein Unternehmen welches in diesem Wettbewerb erfolgreich sein will, gut beraten ist, möglichst viel in Erfahrung zu bringen:
- über den Arbeitsmarkt (= Schlachtfeld),
- die strategischen Punkte (= effiziente Recruitingkanäle),
- die Pläne der Unternehmen, die im Wettbewerb um dieselbe Zielgruppe aktiv sind (= Schlachtpläne des Gegners) und
- deren Resistenzressourcen (=Truppenstärke).
Diese Daten sollten systematisch ausgewertet und aktuell gehalten werden, damit sie relevante Entscheidungen unterstützen können.
Was ist denn jetzt Competitive Intelligence?
Hier kann der Ansatz der Competitive Intelligence helfen. Mit Competitive-Intelligence (CI) wird die „Konkurrenz-/Wettbewerbsforschung, -analyse, -beobachtung, -(früh)aufklärung“ zusammengefasst. Es bezeichnet die systematische, andauernde und legale Sammlung und Auswertung von Informationen über Konkurrenzunternehmen, Marktentwicklungen, Branchen, Kundenerwartungen.
Durch CI können Unternehmen frühzeitig ihre Strategie und Wettbewerbsstrategie an die sich ändernden Wettbewerbsstrukturen anpassen und aufgrund von besseren Informationen Wettbewerbsvorteile im dynamischen Wettbewerbsmarkt erreichen.
CI grenzt sich dabei zur Wirtschaftsspionage klar ab, befasst sich CI doch ausdrücklich nur mit legalen, Datenschutz-konformen, öffentlich zugänglichen und ethisch einwandfreien Informationen über die Schwächen, Absichten und Fähigkeiten von Wettbewerbern.
Milliardengeschäft Competitive Intelligence
Der Computer- und IT-Dienstleistungskonzern IBM berichtet über seine Ergebnisse des 1. Quartals 2011, dass in dem zukunftsträchtigen Geschäftsbereich “ Business Analytics“ bzw. Datenanalyse (also das Geschäft mit Competitive Intelligence) ein Umsatzwachstum von 20 Prozent erreicht wurde. Zu diesem Geschäftsbereich gehören Computersysteme, die riesige Mengen von Daten analysieren und verwertbar machen können. Bis zum Jahr 2015 will IBM mit Datenanalyse einen Jahresumsatz von 16 Milliarden Dollar erzielen.
(Quelle: FAZ vom 21. April 2011)
Zurück zum Recruiting.
Welche Erkenntnisse könnten für ein Unternehmen jetzt interessant sein, um sich einen Vorteil im Wettbewerb um die Talente zu erarbeiten?
A. Arbeitsmarkt
Zum Thema Arbeitsmarkt sind z.B. Daten über Angebot und Nachfrage wichtig. Wie wird sich das Angebot an Arbeitskräften in der relevanten Zielgruppe entwickeln und ebenso wichtig die Nachfrage? Aber auch Informationen über die jeweiligen Suchwege der Zielgruppen und Wettbewerber sind entscheidend bei der Frage, trifft das Angebot überhaupt auf die Nachfrage, d.h. finden sich Arbeitgeber und Bewerber oder suchen sie aneinander vorbei. Ein Unternehmen, daß die Suchwege der Bewerber besser kennt als der Wettbewerb, kann seine (meist begrenzen Ressourcen, s. „Kriegskasse“) effektiver und effizienter einsetzen und damit mehr mit weniger erreichen. Zum besseren Verständnis der Zielgruppe bietet sich hier auch eine Social Media Analyse an. Damit kann man sozusagen „Mäuschen spielen“ in sozialen Netzen und erfährt, worüber die Zielgruppe spricht und was sie ggf. über das eigene Unternehmen sagt.
B. Recruitingkanäle
Einem Recruitment-Verantwortlichen, aber auch jedem Recruiter, bieten sich bei der Festlegung einer optimalen Recruitingstrategie eine Vielzahl von Möglichkeiten dar. Von Online-Jobbörsen über Printanzeigen, Mitarbeiterempfehlungsprogrammen, Personalberatungen, bis zu Social Media oder der Bundesanstalt für Arbeit können viele Kanäle für die Bewerberakquise genutzt werden. Die Kenntnis z.B. darüber, welche Kanäle mehr Einstellungen pro Bewerbungen bringen, welche Kanäle die Wettbewerber bevorzugt nutzen, welche von Bewerbern präferiert werden, erhöhen wiederum die Schlagkraft des Recruitings, führen zu einer schnelleren Besetzung der Stellen, sparen Zeit und Geld. Wieder kann ein Vorteil im Vergleich zu den Wettbewerbern realisiert werden.
C.Aktivitäten der Wettbewerber
Bei der Beobachtung der Aktivitäten der Wettbewerber macht eine Unterscheidung in Strategie und Taktik Sinn. Die „Aufklärung“ der Strategie der Wettbewerber umfaßt eine Analyse des Employer Branding. Was ist der Kern der Employer Brand der Wettbewerber, wie differenzierend ist sie (auch im Vergleich zur eigenen), wie authentisch ist die Arbeitgebermarke etc.? Wie sind die geplanten Einstellungszahlen? Competitive Intelligence auf taktischer Ebene bedeutet z.B. herauszufinden, welche Recruitingkanäle der Wettbewerb zur Umsetzung der Strategie nutzt. Wo und wieviele Anzeigen schaltet er (on- und offline)? Auf welchen Messen ist er vertreten? Wie sieht die Karrierewebsite aus? Welche Mitarbeiterempfehlungsprogramme hat er? etc.
D.Aufstellung der Wettbewerber
Hierbei geht es darum herauszufinden, wieviele Ressourcen der Wettbewerb zur Umsetzung von Strategie und Taktik hat, sozusagen die „Truppenstärke“ und „Ausrüstung“ um bei unserem o.a. Beispiel zu bleiben. Über wieviele Recruiter verfügt der Wettbewerb, wieviele Mitarbeiter sind im Personalmarketing aktiv, wieviel Geld kann der Wettbewerb ausgeben?
Wie kommt man an solche Daten?
Da es sich bei dem Competitive Intelligence Ansatz nicht um Wirtschaftsspionage handelt, bieten sich (anonyme) Benchmarks auf bilateraler Ebene oder in Form von durchgeführten Studien an. Nachfrage- und Angebotsinformationen sind in öffentlich zugänglichen Statistiken verfügbar. Social Media Analysen bietet u.a. auch Prof. Grothe (http://www.complexium.de) an. Erkenntnisse über die Nutzung von Recruitingkanälen und ihre Effizienz sind in der ICR Studie „Quo Vadis Recuitment“ (http://www.competitiverecruiting.de/Studien.html ) enthalten.
Die Wettbewerbsbeobachtung hinsichtlich der Employer Brand kann ein Unternehmen selber durchführen oder Dienstleister (z.B. die DEBA, http://www.employerbranding.org ) nutzen. Die Nutzung von Recruitingkanälen durch Bewerber erläutert die Studie Bewerberpraxis.http://bit.ly/RCTDMJobportaleTeil6 die Häufigkeit die CrossPro Untersuchung http://bit.ly/RCTDMJobportaleTeil7
Zurück zur Veranstaltung „Competitive Intelligence meets Human Resources”
Bei der dcif -Veranstaltung (http://www.dcif.de) in Berlin wurde das Thema Competitive Intelligence anhand von drei Impulsvorträgen eingeführt. Die Beiträge wurden vorgetragen von Prof. Martin Grothe (Vorstand dcif / complexium), Andrea Schönwetter (Deutsche Telekom, Leiterin Personalmarketing) und der Robindro Ullah (Deutsche Bahn, Leiter ZusatzServices).
Die Vortragsreihe eröffnete Prof. Grothe, welcher neben einer allgemeinen Einführung über Competitive Intelligence m.E. (Umfang des Competitive Intelligence Ansatzes im Recruiting s.o.) zu schnell in das Thema Social Media absprung, indem er für ein mehr an HR Social Media Strategie plädierte. Dies sollte nach seiner Auffassung auch gerade die Beobachtung und Betrachtung von Wettbewerbern einschließen. M.E. ist es aber nur ein Weg, um zu relevanten Erkenntnissen zu kommen und keineswegs der erste und einzige.
Heißt das jetzt für Recruiter ein hartes „jeder gegen jeden“?
In der sich anschließenden Diskussion wurde das Beispiel der hart konkurrierenden Marketingabteilungen für die Recruiting und Personalmarketingkollegen als eher unwahrscheinlich bewertet. Leiter von Recruitment- und/oder Personalmarketingabteilungen sind mit ihren Themen eher alleine in den jeweiligen Unternehmen und freuen sich über einen Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg. Ergänzend wurde auch eine eher auf Kooperation ausgelegte Kultur in Personalbereichen genannt.
Danach folgten die spannenden Praxis-Vorträge von Andrea Schönwetter und Robindro Ullah. Anhand von fünf, von Martin Grothe gelieferten, Leitfragen förderten sie jeweils interessante Aspekte aus ihren Aktivitäten als Social Media Recruiting und Personalmarketing Pioniere zutage. Beide gaben an, vieles zunächst „einfach mal gemacht” zu haben, während ihre jeweiligen Kommunikations-Abteilungen noch darüber nachdachten, ob man „tweets” nun essen können oder freigeben müssen…
Für den o.a. breiteren Anspruch von Competitive Intelligence im Recruiting mußten beide sich aufgrund der Leitfragen für meinen Geschmack zu sehr auf das Thema Social Media beschränken.
Gretchenfrage: Wie halten Sie’s mit dem Wettbewerb?
Hierzu war die Quintessenz der beiden Praktiker, dass ein „ fair play” unter den Wettbewerbern, wie auch unter den Akteuren und Beobachtern gegenwärtig praktisch implizit sei. Man kennt sich oft, z.B. über den dapm/queb (http://www.queb.org), persönlich seit längerem. Dies führt dazu, das niemand auf Fehler anderer zumindest im Social Web in böser Absicht hinweist, eher würde man auf denjenigen selber auf den Fauxpas hinweisen („weißt du eigentlich?..).
Obwohl konstatiert wurde, daß es keinen offiziellen code of conduct” für den Wettbewerb untereinander gebe, scheint es doch eher ein sportlicher Wettbewerb zu sein. Diese Haltung wurde von den Teilnehmern bestätigt, was zumindest im Rahmen dieser Startveranstaltung für diese These spricht und hoffen läßt, daß wir auch in Zukunft keinen „Krieg“ um Talente haben werden. Gleichwohl können mit dem Competitive Intelligence Ansatz entscheidende Wettbewerbsvorteile gesichert werden für das Recruiting auch und gerade vor dem Hintergrund eines sportlichen Wettbewerbs.
Wolfgang Brickwedde
Institute for Competitive Recruiting
Römerstraße 40
69115 Heidelberg
Telefon: +49 (0) 6221 7194007
E-Mail: info@competitiverecruiting.de
Internet: http://www.competitiverecruiting.de/index.html
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