Fachkräftemangel, Politik-Lippenbekenntnisse oder Sarazzin-Thesen: Deutschland verliert in der Hochschulausbildung den Anschluss
Berlin. Deutschland ist trotz erkennbarer Anstrengungen bei der Ausbildung von Hochqualifizierten im Vergleich zu anderen OECD-Ländern weiter zurückgefallen. Das zeigt der diesjährige OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“, der heute in Berlin vorgestellt wurde. So konnte Deutschland den Anteil von Hoch- und Fachhochschulabsolventen (Tertiärbereich A) pro Jahrgang zwischen 2000 und 2004 von 19,3 auf 20,6 Prozent steigern. Die meisten OECD-Länder machten aber weit größere Fortschritte, so dass im OECD-Mittel mittlerweile 34,8 Prozent eines Jahrgangs einen Abschluss im Tertiärbereich A vorweisen können (OECD-Mittel im Jahr 2000: 27,5 Prozent).
Besonders große Sprünge machten die Schweiz und Italien. In der Schweiz etwa stieg die Abschlussquote zwischen 2000 und 2004 von 10,4 auf 25,9 Prozent, in Italien von 18,1 auf 36,8 Prozent. Mittlerweile bilden im OECD-Raum nur noch die Tschechische Republik, Österreich und die Türkei weniger Akademiker pro Jahrgang aus als Deutschland. Lediglich bei der Ausbildung von Postgraduierten und Doktoranden gehört Deutschland mit einer Abschlussquote von 2,1 Prozent nach der Schweiz und Schweden zur Spitzengruppe innerhalb der OECD.
„Wenn man berücksichtigt, dass künftig geburtenschwache Jahrgänge die Schule verlassen, wird Deutschland den steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften so nicht befriedigen können“, sagte Andreas Schleicher, Leiter der Abteilung Indikatoren und Analysen im Direktorat Bildung der OECD und verantwortlicher Autor des Berichts. Zwar ist die Bundesrepublik dabei, die Rückstände der 80er und 90er Jahre in der Hochschulausbildung langsam auszugleichen. Dies zeige sich auch bei den gestiegenen Zahlen an Studienanfängern.
Doch vollzieht sich dieser Prozess weit langsamer als in den meisten OECD-Ländern. Zudem ist das Potential an Studenten weitgehend ausgeschöpft, da nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Schüler in Deutschland die Hochschulreife erwirbt. Hier komme es darauf an, den Hochschulzugang flexibler zu gestalten, auch mit dem Ziel die ausgesprochen starke soziale Selektivität des deutschen Schulsystems zu kompensieren. Mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen seien auch an den Universitäten mittlerweile dafür wichtige strukturelle Voraussetzungen vorhanden.
Bei den Abschlüssen des Sekundarbereichs II (z. B. Abitur oder abgeschlossene Lehre), die die OECD als Basisqualifikation für den Erfolg am Arbeitsmarkt wertet, weist Deutschland traditionell gute Ergebnisse auf: 85 Prozent der 25- bis 34-Jährigen hatten 2004 einen Sekundarstufe-II-Abschluss, ein Wert, der nur von sieben OECD-Ländern signifikant, also um mehr als 5 Prozentpunkte, übertroffen wird. Allerdings sind diese Qualifikationen mittlerweile auch international weitgehend zur Norm geworden. „In einem Hochlohnland wie Deutschland dürfte das Arbeitsplatzangebot auch für dieses Qualifikationsniveau nur in einem begrenzten Umfang steigen“, so Schleicher. Für die 16 Prozent der 25 bis 64- Jährigen, die nicht über die Basisqualifikationen verfügen, seien die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt noch deutlich schlechter geworden. Der Experte fordert deshalb ein Umdenken bei der Weiterbildung. Bisher konzentriere sich in Deutschland das Weiterbildungsangebot zu sehr auf die ohnehin schon gut ausgebildeten. „Hier müssen mehr formale Weiterbildungsangebote für gering Qualifizierte geschaffen werden“, so Schleicher.
Dagegen zeigen die Analysen der OECD, dass eine Hoch- oder Fachhochschulausbildung nach wie vor eine sehr lohnende Investition ist, sowohl volkswirtschaftlich als auch individuell. So konnten in Deutschland, aber auch in Ländern, in denen die Absolventenzahlen stark gestiegen sind, Hochqualifizierte in den vergangenen Jahren überdurchschnittliche Einkommenszuwächse verbuchen. „Es ist klar erkennbar, dass mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft auch der Bedarf an Hochqualifizierten steigt und das verfügbare Angebot die Nachfrage bei weitem nicht befriedigt“, sagte Schleicher. Dass Deutschland bisher nicht ausreichend auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft reagiert hat, zeigt auch die Finanzausstattung für das Bildungssystem.
Anders als in vielen anderen OECD-Ländern stagnieren in Deutschland die Ausgaben für diesen Bereich. So lag 2003 der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (öffentliche und private Ausgaben) mit 5,3 Prozent deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 5,9 Prozent. Im Jahr 2000 lag Deutschland mit einer Ausgabenquote von 5,2 Prozent noch knapp unter dem OECD-Mittel.
Bibliographische Angaben Bildung auf einen Blick
OECD Indikatoren 2006
Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), Hrsg.
W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2006
512 Seiten, 65,00 EUR
ISBN 3-7639-3480-4
Best.-Nr. 6001821
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