Mutiert LinkedIn zum Selbstbedienungsladen?
Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide
LinkedIn Börsenkurscrash deckt neue Risiken auf
Eigentlich wäre es Business as usual gewesen. Bei der Präsentation der LinkedIn-Ergebnisse lagen die tatsächlichen Zahlen noch durchaus im Bereich der Analysten-Erwartungen. Doch als das LinkedIn-Management auf die Geschäftsaussichten des nächsten Jahres (im Analysten-Slang als „guidance“ tituliert) zu sprechen kam, wandelte sich die Stimmungslage ganz entschieden. Plötzlich sahen Umsatz- und Gewinnerwartungen nicht mehr ganz so rosig aus – und an der Börse wird so etwas abgestraft. Das ist eigentlich Tagesgeschäft, doch im Falle von LinkedIn kam es eher zu einer Götterdämmerung der Zukunftsaussichten. Der Börsenkurs verlor im Verlauf weniger Tage über 40%. Im Jahresvergleich verlor die Aktie knapp 60%. Im Benchmark-Vergleich verlor der Nasdaq-Index lediglich knapp 10%.
Hand in Hand zeigte die Börsenkursentwicklung von Monster Worldwide eine ähnliche Parallele zur LinkedIn-Aktie, aber das war ein schwacher Trost. Die Aktienanalysten waren nun aufgeschreckt – und suchten nach Erklärungen. Dabei wurden sie fündig: Aktienanalyst Paulo Santos kam zur Schlussfolgerung, dass LinkedIn zum Wohl der Mitarbeiter, aber nicht zum Wohl der Aktionäre betrieben wird. Der Volksmund hat dafür den Begriff „Selbstbedienungsladen“ parat. Doch die Wirtschaftswelt spricht eher in differenzierten Begriffen wie Stock-based-Options, Korruption, Bonifikationen für Investment-Banker oder hohen Gini-Koeffizienten, wenn es um exzessive Vorstandsvergütungen geht. Unternehmen oder Organisationen wie FIFA, ADAC, Volkswagen, Deutsche Bank oder Hypo Real Estate beherrschen hier die Schlagzeilen.
Für das Recruiting ergibt sich daraus eine zentrale Fragestellung: Wirken sich die Börsenkurs-Turbulenzen auf die Akzeptanz und Nutzung von LinkedIn als Recruiting-Tool aus?
Die dubiosen Stock-based-Options
Paulo Santos warf einen Blick auf die LinkedIn-Ergebnisse: (Source: Q4 2015/2015 earnings report):
- LinkedIn erwirtschaftete 2015 einen adjusted EBITDA Betrag in Höhe von $780 Millionen
- Das Unternehmen hatte einen operativen Cash Flow von $807 Millionen
- Aus diesem Cash Flow wurden Capital Expenses in Höhe von $507 Millionen bezahlt
- Theoretisch hätte LinkedIn also einen Free Cash Flow (FCF) von $300 Millionen
- Hinzu kam ein Cash-Flow in Form von Stock-based-Compensations (SBC) von $510 Millionen (Stock-based-Compensations sind ein wichtiger Bestandteil im gesamten Gehaltspaket der Mitarbeiter)
- LinkedIn erzeugte demnach einen negativen Free-Cash-Flow von $210 Millionen, wenn der Effekt der Stock-based-Compensations herausgerechnet wird
- Demzufolge entstammen rund zwei Drittel des adjusted EBITDA den Stock-based-Compensations
- Zusätzlich entspricht die Summe der Stock-based-Compensation 17% des Umsatzes.
- Pro Mitarbeiter (bei einer Gesamtzahl von ca. 7800) ergibt sich eine Summe von $65.000 Stock-based-Compensation.
Man muss kein Bilanz-Analyst sein, um bei diesen Zahlen in Erstaunen zu geraten. Zusammenfassend kommt Paulo Santos zu einer Schlussfolgerung:
I want to like LNKD. But LNKD needs to do something about its excessive SBC before it can be liked. As it is, LNKD looks like an interesting business that’s being run solely for the benefit of its employees. Said another way, it’s being run to feed families in San Francisco. And those must be very happy families to boot, but a measure of that happiness is now coming at LNKD’s shareholders‘ expense.
(Quelle: http://seekingalpha.com/article/3886576-linkedin-run-solely-employees-benefit )
Stock-based-Options als Bestandteil des Gesamtvergütungspakets
Es ist gängige Praxis bei Internet-basierten Unternehmen, dass Stock-based-Options ein Teil, mitunter der wichtigste Teil des Gesamtvergütungspakets ist. Auch bei börsennotierten Recruiting-Konzernen ist diese Praxis verbreitet, motiviert sie doch Schlüsselmitarbeiter, an den Erfolg des Unternehmens (und an ihren eigenen Erfolg) zu glauben. Monster Worldwide war vor rund 10 Jahren in einen Stock-based-Options Skandal verwickelt, der letztlich den Rückzug des damaligen CEO Andrew McKelvey zur Konsequenz hatte.
Crosswater berichtete damals:
Wie das Newsportal SNL Financials am 20. Juli 2006 unter Berufung auf einen Bericht im Wall Street Journal meldete, hätten eine Gruppe von Aktionären eine Klage gegen den früheren Monster Worldwide CEO Andrew McKelvey eingereicht. Darin wird McKelvey beschuldigt, persönlich in den Skandal um zurückdatierte Aktienoptionen verwickelt zu sein. McKelvey entschied sich jedoch im Oktober seine CEO-Position bei Monster Worldwide zusammen mit seiner Position im Board of Directors aufzugeben.
Im Zusammenhang mit dem Rückzug aus dem Unternehmen machte Gründer, Hauptaktionär und ex-CEO McKelvey auch gleich reinen Tisch im mit seinen Monster-Anteilen. Aus Informationen von Reuters.com über die Insider-Handelstransaktionen der Unternehmens-Vorstände geht hervor, daß Andrew McKelvey in der Zeit von 2003 bis 2007 regelmässig Aktien an der Börse verkaufte. Der Löwenanteil der Verkäufe erfolgte jedoch im 1. und 2. Quartal 2007 nach Bekanntwerden der Aktienoptionsskandale und seinem Rückzug von seinen Ämtern. Der Börsenwert seiner Insider-Verkäufe summierte sich auf über US-$ 121 Mio, hinzu kommen noch Schenkungen von Aktien an seine Familienangehörigen, die sich in der Größenordnung von etwa US-$ 23 Mio bewegten. Doch diese Summen dürften für McKelvey eher geringfügig sein, wurde er doch vom Forbes-Magazin im Jahr 2000 mit einem geschätzten Vermögen von 2.1 Milliarden US-$ unter den reichsten 400 Personen Amerikas eingestuft. Und während seiner Tätigkeit bei Monster Worldwide bezog er nach Informationen von Salary.com ein Grundgehalt von US-$ 800.000 p.a. sowie ein Bonus von 1.8 Mio, zusammen also US-$ 2.6 Mio. pro Jahr. (http://www.crosswater-systems.com/ej_news_2007_08_0077_Monster_Dreieck.htm)
Zurück zu LinkedIn. Aktienanalyst Paulo Santos untersuchte im Zusammenhang mit den Stock-based-Options, inwieweit LinkedIn von der üblichen Praxis abwich und kam zu erstaunlichen Zahlen, die er im Vergleich zwischen LinkedIn, Microsoft und Salesforce zusammenstellte.
Steht die Nutzung von LinkedIn als Recruiting-Tool zur Debatte?
Wolfgang Brickwedde vom Institute for Competitive Recruiting (ICR) war einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Benutzerzahlen.
Was hat der Börsenkursverlauf mit Recruiting zu tun?
Zunächst einmal nichts. Recruiter, sofern sie nicht zufällig auch Aktionäre sind, verlieren und gewinnen nichts, ob der Aktienkurs von Linkedin steigt oder fällt. Aber Analysten schauen sich die Zahlen eines Unternehmens genau an.
Das wollen wir auch einmal tun. Für Recruiter relevante Zahlen sind eher, wie viele Mitglieder ein Netzwerk hat, wie die Struktur der Mitglieder ist, ob die eigenen Zielgruppen dabei sind, wie häufig die Mitglieder im Netzwerk aktiv sind und was sie dort machen. Denn nur so besteht eine Wahrscheinlichkeit, sie mit passivem oder aktivem Recruiting zu erreichen. Gerade fürs Active Sourcing ist eine entsprechende Nutzung des Netzwerkes eine gute Voraussetzung. Was die besten Quellen im Active Sourcing sind, steht demnächst im Active Sourcing Report 2016.
Schauen wir uns mal diese Zahlen an.
Mitgliederentwicklung Linkedin
Nutzung durch Mitglieder
Hier gibt es die ersten, für Recruiter alarmierenden Zahlen: Es gibt zwar noch einen Anstieg gegen über 2014 um ca. 7 %, aber im Vergleich zu den 20% Anstieg bei den Mitgliederzahlen muß man zu dem Schluß kommen, dass die neu gewonnen Mitglieder wohl nicht so aktive Nutzer sind. Und die Zahl nutzenden Mitglieder stagniert!
Seitenaufrufe
Eine Steigerung zum Vorjahr ist zwar zu erkennen, aber die Zahlen zeigen im Vergleich zu den Vorquartalen eine sinkende Tendenz. Ein lesenswerter Artikel zu den Entwicklungen in den Gruppen bei Linkedin (auf Englisch) finden Sie hier.
Sind das die Vorboten einer zukünftig sinkenden Attraktivität des Netzwerkes für die Mitglieder und damit auch für die Recruiter, die natürlich den Mitgliedern folgen wollen, wo auch immer Sie hingehen?
Fazit:
Auch wenn nicht erfüllte Erwartungen von Anlegern auf den ersten Blick für Recruiter nicht so relevant sind, lohnt sich doch ein vertiefter Blick in die für Recruiter relevante Zahlen. Da dieser auch nicht so brillant ausfällt, sollten Recruiter die Entwicklung im Auge behalten und sich ggf. auch Alternativen anschauen, um den Talenten weiter auf der Spur bleiben zu können.
Einblicke in die besten Quellen für Recruiter insbesondere für Active Sourcing gibt es auch im aktuellen Active Sourcing Report 2016 und in den bekannten ICR Praxis-Intensiv Seminaren Active Sourcing mit XING, Linkedin, Facebook & Co.
Was sagt der auch vom Kursrutsch überraschte CEO von Linkedin zu der Entwicklung:
„We are the same company we were the day before our earnings announcement. I’m the same CEO I was the day before our earnings announcement. You’re the same team you were the day before our earnings announcement.
And most importantly, we have the same mission, vision, and sense of purpose in terms of our ability to create economic opportunity. None of that has changed,“ Weiner said in the all-hands meeting. „It hasn’t changed one iota.“
Soweit die Einschätzung von Wolfgang Brickwedde.
Spam ist Gift für Recruitment
Damian Kimmelman adressiert ein eher grundsätzliches Problem mit LinkedIn, wie er in einem Artikel auf Techcrunch ausführlich darstellt.
In der Realität ist LinkedIn kein Business Netzwerk, denn die registrierten Benutzer präsentieren sich in erste Line sich selbst – und nicht ihre Firma oder ihren Arbeitgeber. Hinzu kommt, dass der LinkedIn Content hauptsächliche benutzer-generiert ist, und dieser Content dient fast einzig und allein der Selbstpromotion der Mitglieder.
Dies schafft einen Konflikt, denn die meisten Mitglieder auf LinkedIn suchen nicht permanent nach neuen Jobs und besseren Karrierechancen. Sie möchten in erster Linie kommunizieren und Beziehungen knüpfen. Jedoch hängen LinkedIn Monetarisierungsquellen und das zugrunde liegende Geschäftsmodell davon ab, dass jegliche Form der Unternehmenskommunikation auf Bezahl-Services basieren. Deshalb sind die meisten Interaktionen auf der Plattform eher weniger stark frequentiert und werden vor allem als Einbahnstrassen-Kommunikation wie z.B. Recruitierungsangebote oder Sales Pitches wahr genommen.
Im besten Fall funktioniert LinkedIn als digitale Visitenkarten-Ablage, im schlechtesten Fall als eine Spam-Schleuder. Ein Blick auf die Zahlen der schwachen MAUs (Monthly active user) zeigt auf, dass nur ein Viertel aller Mitglieder die LinkedIn-Plattform im Monat besuchen. Dieses niedrige Niveau beim Mitglieder-Engagement macht das LinkedIn-Produkt immer weniger nützlich für Recruiting.
Damian Kimmelman kommt zur Schlussfolgerung, dass talentierte Kandidaten im IT-Sektor besser mit Tools wie Talentbin, Stack Overflow oder Github fahren, weil auf diesen Plattformen positive Interaktionen möglich sind und es ermöglichen, qualifizierten Individuen ihre Leistungen und ihre Arbeitsergebnisse aufzuzeigen.
Global Disruption
Bislang agiert LinkedIn als global aufgestelltes Business-Netzwerk mit Fokus auf Mitgliedern und einer Monetarisierung durch HR-Tools für Active Sourcing. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mit XING nur einen nennenswerten, lokal agierenden Wettbewerber. Die quasi Monopol-Stellung von LinkedIn ermöglicht es auch, einen Monopol-Preis bei den HR-Tools zu verlangen als auch Vertriebsmitarbeitern ein überdurchschnittliches Gesamtvergütungspaket mit wesentlichen Komponenten von Stock-based-Options anzubieten.
Dieses magische LinkedIn-Dreieck (Monopol-Marktposition, hochpreisige Produkte und sehr gut bezahlte Mitarbeiter) macht das Unternehmen natürlich auch angreifbar für Wettbewerber. Ein solcher Wettbewerber müsste kapitalkräftig sein, eine Positionierung in allen wesentlichen HR-Weltmärkten erreicht haben und über ein hochgradig automatisiertes Transaktions-Prozess-Modell verfügen oder entwickeln zu können. Ob und wann ein solcher Wettbewerber für eine globale Disruption sorgen wird, steht noch in den Sternen. Aber spontan fällt mir dazu schon ein potentieller Wettbewerber ein.