HR-Trends 2018: Die Fata Morgana der Digitalisierung
Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.
Die Digitalisierung ist omnipräsent. Eher weniger in den Software-Entwicklungsschmieden des Landes als in den Medien, den Köpfen der Consulting-Unternehmen, der PR-Agenturen, der Politik und interessanterweise auch in Selbstdarstellungen von Arbeitgebern im Zusammenhang mit Employer Branding. So stellt der Technologie-Konzern Schaeffler die Digitale Agenda als Vorstandsmaßnahme in den Vordergrund – heraus kommen Binsenweisheiten wie z.B. „Je mehr Daten man zur Verfügung hat, desto höher ist die Treffsicherheit der Ergebnisse.“ (Dr. Pankai Joshi, Datenanalyst bei Schaeffler.)
„Auf den ersten Blick lohnt es die Mühe nicht, der Artikelflut zur digitalen Transformation einen weiteren Strauß an Binsenweisheiten hinzuzufügen“, kommentiert Prof. Dr. Alexander Güttler die Lage.
Ein Blick auf Google Trends zeigt auf, dass der Begriff „Digitalisierung“ hyperinflationär gebraucht wird und andere klassische HR-Begriffe wie „Employer Branding“ bei weitem übertroffen hat.
Was ist denn wirklich so wichtig, dass die Digitalisierung einen solchen Stellenwert in den Medien erreicht hat? Nach welchen Mustern vollzieht sich die Transformation der Digitalisierung wirklich?
Digitalisierung
Im engeren Sinne gilt die Digitalisierung als die Veränderung von analogen zu digitalen betrieblichen Abläufen einer Organisation. Diese ermöglicht so eine Effizienzsteigerung und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Der weiter gefasste Begriff der Digitalisierung befasst sich mit der Transformation vieler Aspekte in Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft durch den Einsatz von digitalen Technologien wie z.B. Computer-Hardware, Software, Datenbanken, Telekommunikation oder Anwendungsprogramme.
Der Hype, wie er sich am Beispiel der Digitalisierung zeigt, ist jedoch keine exklusive Kommunikationstechnik des Internet-Zeitalters. Schon im Mittelalter praktizierte die Kirche ihren Einfluss auf das Denken der Menschen mit ausgeklügelten Techniken. Kunst, Kanzel und Kapuzen bei Prozessionen waren schon damals die Werkzeuge, um Überzeugungen darzulegen, wie es in einer Statue vor der Kirche San Juan Bautista in Caceres, Spanien, eindrucksvoll dargestellt wird. Der Protagonist trägt das Glaubenssymbol „wie eine heilige Monstranz vor sich her“ (Christoph Beck), der Click-bait-Assistent klingelt die Schelle, um genügend Aufmerksamkeit zu erzielen. Im 16. Jahrhundert entschloss sich die katholische Kirche dazu, ihre Missionierung mit Hilfe von Prozessionen fortzusetzen. Mit dieser „Predigt durch Bilder“ sollten die Massen, die nicht lesen und schreiben konnten, belehrt werden. Heute sollen die Menschen, die nicht nachdenken oder recherchieren wollen, durch den Medien-Hype und Fake News beeinflusst werden.
Gerade aktuell steigt ja der digitale Messias fast täglich von der Cloud in die Personalstuben und verspricht tolle Vereinfachungen, Automatisierungen und Professionalisierung. (Jörg Buckmann).
Aber trotz aller Versprechen gilt es, einen Blick auf die treibenden Kräfte und Widerstände zu werfen.
Die Metamorphose des Internet-basierten Technologiefortschritts
Der Internet-basierte Technologiefortschritt vollzieht sich nicht in einer gradlinigen Kurve, sondern ist einem steten „Wandel und Beharrung“ (Manfred Böcker) unterworfen. Schneller, kleiner, mehr: So können die technologischen Ambitionen der IT-Technologien zusammengefasst werden. Schnellere Zugriffszeiten auf Datenspeicher, schnellere Datenübertragungsgeschwindigkeiten, kompaktere und kleinere Chips – diese Träume werden regelmäßig in die Realität umgesetzt.
Dabei folgt die Digitale Transformation eher nicht dem Wetter-Phänomen eines Eisregens, der unter extremen Bedingungen ganze Landstriche lahmlegen kann. Für die Umsetzung der Digitalisierung gelten andere Phänomene wie Technologiefortschritt, Fragmentierung und Beharrung sowie Voraussetzungen, die erst einmal geschaffen werden müssen – und wie etwaige Shortcomings beseitigt werden können.
Der Technologiefortschritt in Sachen Digitalisierung ist durch eine stetige Beschleunigung, eine inkrementelle Weiterentwicklung und die Bereitstellung ständig höherer Kapazitäten in den Bereichen Speichertechnik, Rechnertechnik, Telekommunikationskapazität charakterisiert.
Moore’s Law, nach dem sich die Leistungsfähigkeit der Chips alle 12 bis 24 Monate verdoppeln werde, war im Jahr 1965 eine gewagte Prognose, hat sich aber erstaunlicherweise bis heute als außerordentlich zutreffend erwiesen.
Exkurs:
Die Transformation des Technologiefortschritts und die Fragmentierung der Lösungsanbieter in der Automobil-IndustrieDie Entwicklungen zum selbstfahrenden Automobil zeigen auf, wie sich (1) inkrementelle technologische Fortschritte mit (2) anderen Komponenten des Technologiefortschritts kombinieren, wie (3) gebündelte Innovationen durch Lösungsanbieter auf den Weg der Produkt- und Marktreife vorangebracht werden und wie (4) Wettbewerber diese Transformation zu eigenen Lösungen transformieren und so zur Fragmentierung des Marktes beitragen.
Inkrementelle technologische Fortschritte sind z.B. die Verbesserung von Chips mit immer höherer Geschwindigkeiten und Packungsdichte (Verkleinerung), die gesteigerten Rechnerkapazitäten kombiniert mit den neuen Möglichkeiten des Cloud Computing. Diese wiederum werden genutzt, um leitstungsfähigere Algorhitmen in Anwendungen der künstlichen Intelligenz voranzutreiben. Die Sensorik mit immer stärker verfeinerten Gesichts- und Gegenstandserkennungen ermöglichen selbstfahrenden Autos, Verkehrssituationen optisch zu erkennen und mit Hilfe der KI zu interpretieren. Eine weitere Komponente sind Mapping Services und Location based Services, um Standort bzw. Zielort eine Fahrt bestimmen zu können.
Das Beispiel von NVIDIA, dem derzeitigen Darling der Chip-Industrie, zeigt auf, welche Leistungen bereits für den produktionsreifen Einsatz modern Chips erreichbar sind. Die neueste NVIDIA-GPU (Volta) wird mit atemberaubenden Performance-Daten ausgeliefert, u.a. mit 21 Milliarden Transistoren, 5120 Kernel, zusammengepackt auf einer Fläche von 815 Quadratmillimetern und einer Rechnerleistung von 30 Terra-FLOPS – für den Laien ziemlich überwältigend.
Das Beispiel des selbstfahrenden Autos zeigt auch auf, dass kaum ein einzelnes Unternehmen alle Resourcen bündeln kann, um integrierte Lösungen aus einer Hand anzubieten. Deshalb kommt es bei dieser speziellen Entwicklung zu zahlreichen Kooperationen. So arbeitet der Chip-Hersteller Nvidia beispielsweise mit Automobilherstellern wie Tesla, Audi, Mercedes Benz oder Toyota zusammen, ebenso wie Kooperationen mit Bosch, TomTom (Mapping) oder Ibeo (Sensoren). Auch die klugen Alpha-Köpfe bei Google haben diese Strategie erkannt, sie bündelten die bisherigen Entwicklungsprojekte nun in einer separaten Tochtergesellschaft namens Waymo.
Fragmentierung: Der Technologiefortschritt wird zersplittert
Die Ergebnisse des Technologiefortschritts werden durch Unternehmen als Lösungsanbieter von marktfähigen und einsatzbereiten Tools, IT-Produkte und Anwendungen zur Verfügung gestellt. Die Unternehmen wollen mit ihrem neuen IT-Lösungsangebot von der Umsetzung des Technologiefortschritts profitieren und streben eine marktbeherrschende Rolle an. So führt dieser Prozess der unterschiedlichen IT-Produktentwicklungen auf der Angebotsseite zu einer enormen Fragmentierung und Intransparenz der verfügbaren Lösungen. Nur wenige IT-Lösungsanbieter schaffen es, einen Quasi-Standard zu etablieren, wie es z.B. Microsoft mit dem Windows-Betriebssystem, der Tabellenkalkulation EXCEL oder der Textverarbeitung WORD erreicht hat. Die Suchmaschine Google hat im internationalen Vergleich ebenfalls eine Quasi-Monopolstellung erreicht, die jedoch beispielsweise in China aus politischen Gründen nicht genutzt werden kann.
Für IT- und HR-Management steht die Krux der richtigen Auswahl täglich auf der Prioritätenliste. Über 1000 Jobbörsen sind aktiv in Deutschland, über 60 Jobsuchmaschinen ermöglichen, dass Stellenangebote der Arbeitgeber aus verschiedenen Quellen konsolidiert werden und unzählige unterschiedliche Bewerbermanagementsysteme sind verfügbar.
So gilt es für das HR- und IT-Management, mit Sach- und Fachkompetenz die für das eigene Unternehmen am besten geeignete Tool-Kombination auszuwählen und den Einsatz in den unterschiedlichsten IT-Architektur-Landschaften kompatibel zu gestalten. Besondere Bedeutung kommt einer unternehmensweiten und nachhaltigen Standardisierung der Lösungen zu – was oft mit internen Grabenkämpfen der IT-Strategen verbunden ist.
So hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, John Cryan, in einem SPIEGEL-Interview kein Blatt vor den Mund genommen.
SPIEGEL: Sie haben damals die eigenen IT-Systeme als lausig bezeichnet.Cryan: Unsere Systeme waren und sind ineffizient, daran arbeiten wir jetzt sehr zielstrebig. Ich wollte damit niemanden demotivieren. Durch meine klaren Worte haben alle verstanden, dass wir es sehr ernst meinen und schneller voranschreiten müssen.http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-145638295.html
Nie wieder wird sich die Welt so langsam verändern wie heute
Die tragenden Säulen der IT-Landschaft sind heterogen und komplex. Selten gelingt es Unternehmen, einheitliche, verbindliche Standards in allen Bereichen festzulegen, umzusetzen und nachhaltig beizubehalten. So herrscht im Bereich der zum Einsatz kommenden Programmiersprachen und Datenbankmanagementsysteme eine hohe Vielfalt.
Mangelnde IT-Nachhaltigkeit der Stadt München wird vom Steuerzahler finanziert. Die Odyssee der Münchner Stadtverwaltung beim Einsatz von Desktop-/ Arbeitsplatzrechnern zeigt auf, welches Hin und Her tatsächlich möglich ist. In der Zeit von 2006 bis 2013 stellte die Stadt München die veralteten Windows-basierten Arbeitsplatzrechner auf Linux-Betriebssysteme um. Kosten in Höhe von ca. 19 Millionen Euro sind angefallen. Etliche Jahre später realisierten die Verantwortlichen, dass sie in einer technologischen Sackgasse gelandet sind und erfanden das Wagenrad wieder neu, nun soll wiederum auf Kosten der Steuerzahler (geschätzte 86 Millionen Euro) die Systemumgebung von Linux auf Microsoft konvertiert werden.
Die Fragmentierung der Programmiersprachen
Zweckmässige Programmiersprachen schaffen die Grundlagen zur Nutzung des digitalen Technologiefortschritts in Form von Anwendungsprogrammen, die letztlich das binäre Bindeglied zwischen Mensch und Computer oder zwischen Computer und Computer sind.
Die Entwicklung der Anwendungsprogramme ist zeitaufwendig und teuer – wichtige Gründe für eine langfristige Nutzung dieser Investitionen. So weit so gut. Da der technische Fortschritt, wie in nachstehendem Diagramm gezeigt wird, auch vor Programmiersprachen nicht Halt macht, entsteht im Laufe der Zeit eine Koexistenz unterschiedlicher Software-Entwicklungsumgebungen. Eine Migration von Alt nach Neu ist betriebswirtschaftlich schwierig zu argumentieren.
Die Entwicklung neuer Programmiersprachen steht nicht still. So hat Coding Dojo eine Analyse der Stellenangebote für Software-Entwickler auf der Jobsite von Indeed.com durchgeführt. Demzufolge sind die folgenden Programmiersprachen die am meisten nachgefragten IT-Entwicklungs-Skills: Java, Python, JavaScript, C++, C#, PHP und Perl.
Gleiches gilt für Datenbanksysteme. ORACLE, MySQL und Microsoft SQL Server haben eine hohe Popularität erreicht, doch ein Ranking der populären Datenbankmanagementsysteme zeigt auf, das weitere knapp 300 unterschiedliche Datenbankmanagementsystem in der einen oder anderen Form im Einsatz sind.
Ähnliche Phänomene der Fragmentierung existieren seit das Internet den Kinderschuhen entwachsen ist, im Bereich der Browser. Als Marc Andreessen seinen Netscape-Browser entwickelte (wer erinnert sich noch daran?), erreichte dieser schnell eine Monopol-Stellung mit nahezu 95% Marktanteil. Der Marktwettbewerb um die beste „Mausefalle des Internets“ intensivierte sich mit dem Ergebnis, dass es ein knappes Dutzend Browser-Anbieter gibt, die mit unterschiedlichen Versionen zum Einsatz kommen. Der Zustand der hochgradigen Fragmentierung bei Programmiersprachen, Datenbankmanagementsystemen, Telekommunikationsprotokollen oder Internet-Browser ist in seiner Kombination ein hochgradiger Resourcen-Fresser, weil Änderungen, Upgrades oder Konvertieren die schon knappe Kapazität der IT-Experten enorm belasten.
Die Explosion der Social Media Plattformen ist ein weiteres Beispiel, wie ein Ergebnis des Technologiefortschritts durch immer weitere Wettbewerber fragmentiert wird. Längst beschränkt sich die Social Media Landschaft nicht mehr auf Facebook oder LinkedIn. Die nahezu unübersichtlichen Kanäle steigern die Problematik der richtigen Auswahl und die Komplexität durch die Koexistenz ähnlicher Funktionalitäten.
Das Phänomen der Fragmentierung macht sich auch bei einem wichtigen Teilgebiet der Digitalisierung, nämlich der Künstlichen Intelligenz und dem Machine Learning bemerkbar. Auch auf diesen Gebieten kommt es zu einer nahezu intransparenten Vielfalt der Lösungsanbieter.
Die Transformation der Darstellung von Stellenanzeigen
Selbst relativ einfache Programmiersprachen wie HTML, die von Tim Berners-Lee zur Optimierung der Browser-Darstellung entwickelt wurde, unterliegen einer fortlaufenden technologischen Entwicklung. Der Trend geht in Richtung Taxonomie, präzise Definitionen mit Hilfe von Meta-Languages sollen die Interpretation der Texte erleichtern. Im Recruiting gilt das beispielsweise für die Beschreibung der Stellentitel oder der Jobfamily basierend auf neuen Standards wie JSON.
Zusehends muss die HTML-Darstellung von Stellenanzeigen auch die Unterstützung unterschiedlicher Devices wie Desktop, Tablet oder Smartphone sicherstellen. Die Inkompatibilität einiger Browser-Versionen müssen ebenfalls berücksichtigt werden.
Als Konsequenz aus dem technologischen Fortschritt (Taxonomie, Meta-Languages) in Kombination mit einer Vielfalt von Browser-Versionen steigt die Komplexität und damit der Entwicklungs- und Testaufwand durch knapp verfügbaren IT-Fachkräfte.
Rasender Stillstand
Der Tsunami des Technologiefortschritts zerschellt an den Klippen der Beharrungsinseln
(Gerhard Kenk)
Der Technologiefortschritt unterliegt einer stetigen Beschleunigung, weil Neuerungen im Allgemeinen auf bereits vorhandenen Komponenten aufbauen können. Die Fragmentierung der verfügbaren IT-Technologien verzettelt in der Folge die zügige Transformation der Digitalisierung.
Eine Beharrungsinsel namens Dromologie
Eine wesentliche Rolle spielt bei der Digitaltransormation die betriebswirtschaftliche Disziplin, wenn Controlling in den Unternehmen auf einer Kosten-/ Nutzenrechnung besteht und nur solche Projekte und Verbesserungen genehmigt, die einen guten Return-on-Investment nachweisen können. Hier greift das von dem Kölner Betriebswirt Heinrich Gossen vor Jahrzehnten formulierte „Gesetz des abnehmenden Grenznutzens“.
Wenn ein Unternehmen nicht eine größere Anzahl an Transaktionen verarbeitet, ist es schwierig, eine fundierte Kosten-Nutzen-Rechnung bei der Einführung neuer Technologien aufzustellen – und die Unternehmenscontroller zu überzeugen. Ein Großkonzern wie Siemens kann beim Eingang von über 300.000 Bewerbungen pro Jahr wesentlich bessere Bewerbungsprozesse und Talent-Management-Systeme einsetzen als ein kleines Mittelständisches Unternehmen, das nur über weniger als ein Dutzend Neueinstellungen pro Jahr hat.
Eine weitere Komponente der Beharrung ist die gebündelte Vielfalt von gesetzlichen Vorschriften, Regularien und Verfahren, die sich bremsend auf die Digitaltransformation auswirkt. Stichpunkte sind hier Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und Datensicherheit, aber auch Aspekte des Wettbewerbsrechts und Quasi-Monopol-Konstellationen bei den internationalen Internet-Plattform-Anbietern wie Google, Facebook, Microsoft, LinkedIn oder Amazon.
Große Aufregung herrschte in der HR-Branche, als die Datenschutzbeauftragten zweier Bundesländer monierten, dass zeitversetzte Bewerbungsvideos gegen die Persönlichkeitsrechte und Datenschutzanforderungen der Bewerber verstoße. Auch in diesem Falle zeigte sich, dass der technologische Fortschritt (hier in Form von Video-Interviews) auf die Bürokratie-Hindernisse stieß – die jetzt allerdings aus dem Wege geräumt sind.
Uberopa – ausgebremst
Die Pläne des Mobilitätsanbieters Uber und deren Einführung neuer digitaler Apps für die Bestellung eines Fahrdienstes wurden nun sogar vom Europäischen Gerichtshof auf ein normales Maß zurückgeschraubt. Nach einem aktuellen Urteil wird Uber in den Ländern der EU wie ein Taxi-Unternehmen eingestuft – trotz App und anderer neuen digitalen Techniken – und unterliegt damit den Lizenzierungs- und Beförderungsvorschriften einer seit langem etablierten Branche.
Die Transformation der Digitalisierung unterliegt dem Prinzip der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Ein weiteres Phänomen zeigt sich darin, dass der Technologiefortschritt nicht gleichzeitig und flächendeckend genutzt werden kann. Der sich beschleunigende Fortschritt trifft auf eine Beharrungsinsel, es kommt zum dromologischen Stillstand (Paul Virilio).
Sobald operative Prozesse, z.B. in der Bearbeitung eingehender Bewerbungen, nicht in der kompletten Prozesskette automatisiert bzw. digitalisiert sind, kommt es zum klassischen Medienbruch und Transaktionsstau. Das zeigt sich insbesondere bei der mobilen Bewerbung. Die mobile Jobsuche per Smartphone ist bei vielen Jobbörsen und Jobsuchmaschinen schon lange ein bewährtes Verfahren. Die mobile Bewerbung direkt beim Arbeitgeber hat noch Defizite. Wenn analoge Prozesse einfach nur 1:1 digitalisiert und auf die Anforderungen der Smartphone-Nutzung nicht angepasst werden, kommen eben nur eingeschränkte digitale Prozesse heraus.
Wenn dann Online-Bewerbungen im Hochgeschwindigkeitsmodus beim Recruiter in den modernsten Datenbanken der einschlägigen Bewerbermanagementsystemen landen, wird diese Prozesskette ausgebremst, weil der Bewerbungseingang nach alter Väter Sitte erst einmal in A-B-C-Kandidaten eingeteilt wird und damit viel Zeit verloren geht, bis ein geeigneter Bewerber kontaktiert wird. Es kommt zum rasenden Stillstand.
Ähnliche Erfahrungen sind im Online-Banking an der Tagesordnung. Geldausgabeautomaten, Service-Terminals, Banking Apps sind die Produkte der Digitalisierung. Wer jedoch die One-Click-Kontoeröffnung erwartet, wird mit einem enormen Papierkram aus den Bürokratiestuben der Finanzaufsicht konfrontiert. Auch Anträge auf Online-Banking-Services entpuppen sich als hochgradig unterbrechungsgesteuerte Prozesse. Die Sicherheits-Bürokratie bremst den digitalen Fortschritt aus.
Zu den Konsequenzen der zunehmenden Beschleunigung äußert sich Melanie Vogel in ihrem Buch „Futability“:
Die Schnelllebigkeit unserer Welt überfordert und psychisch, physisch und kognitiv. Die geforderte Flexibilität macht uns krank, denn sie ist fremd- und nicht selbstbestimmt.
Von Autonomie und Freiheit sind wir in vielen Bereichen unseres Lebens weit entfernt durch unsere fehlerhafte Anpassung an die Anforderungen von außen.
Wir haben in vielen Bereichen die Stimmigkeit mit uns und unserer Umwelt verloren und wenn wir nicht lernen, sie zurückzuerlangen, werden uns Digitalisierung, Industrie 4.0 aber auch eine alternde Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes überrollen.
Der Soziologe Ulrich Beck setzt sich in seinem Buch „Die Metamorphose der Welt“ auch mit den Nachteilen der Digitalisierung auseinander.
Im Gegensatz zur digitalen Metamorphose ist die digitale Revolution ein vor allem technologiegetriebener sozialer Wandel, der steigende Vernetzungsgrade und einen wachsenden weltweiten Informationsaustausch hervorbringt. Der Begriff Revolution suggeriert, dass es sich dabei um einen beabsichtigten, linearen und progressiven Wandel handelt.
So bewirkt die digitale Metamorphose – anders als die digitale Revolution – eine Verwandlung unserer Lebensweise: Der Zusammenhang von geografischer und sozialer Nähe wird aufgehoben, die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmt, die (Un-) Beherrschbarkeit von Überwachungs- und Steuerungsmechanismen durch den Nationalstaat, dessen Steuerung sie unterliegen und sich gleichzeitig entziehen, beginnt hervorzutreten.
Koexistenz und Komplexität
Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Umsetzung der Digitalisierung führt konsequenterweise zu einer Koexistenz alter, analoger Prozesse und Lösungen mit neuen, digitalen Prozessen. Diese Koexistenz führt in der Folge zu einer gesteigerten Komplexität, weil bestehende Prozesse sowohl analog als auch digital nebeneinander existieren. Und diese höhere Komplexität verlangt ihren Preis: Digitalisierungsprojekte und analoge Anwendungsimplementierungen müssen von bereits knappen IT-Experten in beiden Welten getestet und implementiert werden.
Es bleibt festzuhalten, dass der Transformationsprozess in seinen Ausprägungen Technologiefortschritt, Fragmentierung und Beharrung alles andere als einfach ist. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Aber wie sieht es denn mit den Voraussetzungen für den Transformationsprozess aus, sind diese Grundbedingungen denn ausreichend erfüllt?
Voraussetzung sind nicht geschaffen
Jedoch wird die Digitale Transformation teilweise ausgebremst, weil die dafür notwendigen IT-Fachkräfte nicht in ausreichendem Maß vorhanden sind und weil diese knappen Experten-Ressourcen zur Beibehaltung des Status Quo der IT-Anwendungen und Systemarchitekturen quasi „unproduktiv“, d.h. nicht für die Implementierung wirklicher Neuerungen eingesetzt werden können.
In krassem Widerspruch zum Digitalisierungshype stehen die Voraussetzungen die erfüllt sein müssen, um die Digitale Transformationen umzusetzen. Hierbei geht es in erster Linie um den Mensch, und zwar nicht als Objekt der Digitalisierung, sondern als „Enabler“ des digitalen Technologiefortschritts in der Person von IT-Experten.
Zu den schon ohnehin schon enormen Herausforderungen der Umsetzung des digitalen Fortschritts kommt erschwerend hinzu, dass wesentliche Voraussetzungen in den Unternehmen nicht in notwendigem Umfang und Qualifikation vorhanden sind. Das sind vor allem die fehlenden Fachkräfte, die als IT-Experten dringend benötigt werden.
Zuständigkeiten
Ungeklärte Zuständigkeiten, wo das Thema Digitalisierung innerhalb der Unternehmensverantwortlichkeiten angesiedelt sein sollten, spielen nur vordergründig eine wichtige Rolle. Vorstand? HR? IT? Es kling fast wie ein Wunschkonzert, wenn man die Kienbaum-Studie liest:
„Die digitale Revolution bietet sowohl der Personalfunktion als auch den Unternehmen insgesamt so vielfältige Möglichkeiten, dass es unerlässlich ist zu priorisieren, auf welche Technologien man zukünftig setzt. Die Studie zeigt, dass viele Personaler hier noch nicht die richtigen Prioritäten setzen, um die wirklich relevanten Innovationen voranzutreiben“, sagt Walter Jochmann.
Die Kienbaum-Studie führt weiter aus: „Aus Sicht der HR-Verantwortlichen wird der Personalbereich deutlich von der Digitalisierung beeinflusst, ergab die Umfrage unter 270 Personalern. Nur die IT-Funktion spürt die Auswirkungen der Digitalisierung noch deutlicher. Dabei folgen im Einfluss unmittelbar die Vertriebsfunktion, mit gewissem Abstand dann Logistik, Forschung / Entwicklung und Produktion (die Fokusfelder klassischer Industrie-4.0-Treiber und deren unternehmensinterne Bottom-Line Optimierung). Weitere Zentralfunktionen, zu denen IT und HR ja gehören, folgen mit deutlichem Abstand – Marketing, Finanzen und Verwaltung. Als Spiegel können andere Studien gelten, nach denen HR im unteren Drittel der Digitalaffinität und -kompetenz liegt und nach denen etwa die Finanzfunktion deutliche Umsetzungsvorteile besitzt. Trotz oder gerade wegen der aktuell als hoch wahrgenommenen Betroffenheit der eigenen Funktion sieht HR sich nicht als Treiber des Themas Digitalisierung auf Ebene der Gesamtunternehmung. Mit großem Abstand wird vor allem der Vorstand als treibende Kraft angesehen, gefolgt von der Leitung der IT-Funktion. In der Überbewertung dieser Rolle deutet sich die fälschliche Gleichsetzung einer innovativen Evolution von IT-Systemen und Digitalisierung an. Immerhin an dritter Stelle wird HR von 14 Prozent der Teilnehmer als Treiber der Digitalisierung im Unternehmen angesehen – eine Vision, dem Unternehmen als strategischer Transformationspartner beiseite zu stehen, sähe an dieser Stelle anders aus.“
Schwindende Ressourcen: IT-Experten händeringend gesucht
Der Fortschritt der Digital-Transformation hängt zu einem erheblichen Anteil davon ab, wie viele der knappen IT-Experten für wirkliche Neu-Entwicklungen tatsächlich eingesetzt werden können. Bei näherer Betrachtung ergibt sich beim Experten-Einsatz eher ein Bild, wonach ohnehin schon knappe Personalressourcen infolge einer IT-Bürokratie noch stärker dezimiert wird. IT-Bürokratie mag vielleicht eine krasse Wortwahl sein, aber dahinter verbirgt sich die Summe aller IT-Aufgabengebiete, die letztlich zur Wahrung des Status Quo notwendig sind: Wartung bestehender IT-Anwendungen, IT-Architekturen, Schnittstellen zu anderen internen und externen Systemen, der zeitaufwendige Service der Systemadministration und auch die personalintensive Betreuung durch den Help Desk und andere diverse Hotlines.
Ebenso gehören die Umsetzung von gesetzlichen oder branchenweiten Standardisierungsmaßnahmen hinzu. Die Erweiterung der Postleitzahl auf fünf Stellen, die Sicherstellung der Jahr-2000-Umstellung, die Einführung der Euro-Währung, neue Wertpapierkennziffern, die neue IBAN-Konto-Nummer mit ihren vielen Nullen – all das sind Schreckgespenste für jede seriöse IT-Projektplanung, die dabei eingesetzten IT-Experten stehen allerdings monate- oder jahrelang für Digitalisierungsprojekte nicht zur Verfügung.
Eine weitere, resourcenfressende Tätigkeit kommt auf die IT-Experten zu, wenn es darum geht, neue Versionen von Betriebssystemen zu implementieren, neue Programmiersprachen einzuführen oder auf neue, aktuellere Datenbanksysteme zu konvertieren.
Heterogene System-Architekturen unterschiedlichen Alters erhöhen insgesamt die Komplexität des IT-Einsatzes und ziehen in der Konsequenz wesentlich gesteigerte Sicherheitsanforderungen nach sich. Diese Situation ist jedoch nicht statisch, mit jeder Änderung der Betriebssysteme, Datenbanksysteme, Schnittstellen-Tools und geänderten IT-Anwendungen multipliziert sich der Test-, Integrations- und Implementierungsaufwand. IT-Anwendungen in einem internationalen Kontext tragen ebenfalls zur Komplexität mit all ihren Folgen bei.
Viel schwerwiegender – weil nicht auf Knopfdruck leicht lösbar – ist die Mangel an IT-Fachkräften. Der bitkom-Verband untersuchte die Arbeitsmarktsituation für IT-Experten und kam zum niederschmetternden Ergebnis, dass 55.000 Stellen für IT-Experten offen sind – Tendenz steigend.
Die aktuelle Lage für IT-Experten am Arbeitsmarkt bestätigt die Bitkom-Analyse.
Eine Stichprobe der Stellenangebote für IT-Experten ergab (Stand Dezember 2017) folgendes Bild.
- Jobfeed / Textkernel: Duplikatsfreie aktive Stellenangebote für IT-Experten: 15.322, diese verteilen sich auf 5.346 Arbeitgeber
- Stepstone: 15.946
- Jobware: 15.960
- Kimeta: 85.540
- Indeed.de: 99.303
Der hohen Nachfrage nach Informatik-Experten stehen eine hohe Zahl von Studienabbrechern dagegen. Dabei verzeichnete nach Aussagen des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung der Studiengang Informatik für 43% Studienabbrecher.
Die Gesellschaft für Informatik (GI) folgerte, dass in erster Linie eine gemeinsame Anstrengung von Gesellschaft und Politik, Wissenschaft und Wirtschaft dringend notwendig ist.
Prof. Dr.-Ing. Peter Liggesmeyer, Präsident der GI: „Vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Digitalisierung und des jetzt schon sichtbaren IT- und Informatik-Fachkräftemangels ist diese Entwicklung besorgniserregend. Aus unserer Sicht muss Informatikunterricht ab der Grundschule im Lehrplan verankert sein, um Kinder bereits früh an die technischen Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Welt heranzuführen.
Nur wenn Kinder frühzeitig mit den Funktionsweisen der Informationstechnik – in spielerischer und didaktisch fundierter Form – in Berührung kommen, kann in den Jugendlichen der Wunsch reifen, ein entsprechendes Studium zu beginnen. Darauf müssen wir alle gemeinsam hinarbeiten: Gesellschaft und Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.“
Weiter argumentiert Liggesmeyer: Ein weiterer Fakt ist besorgniserregend: Die Zahl der Studienanfängerinnen im Studienbereich Informatik ist sogar um 8,8 zurückgegangen. Peter Liggesmeyer: „Nur ein attraktiver Informatikunterricht durch gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer kann helfen, jungen Mädchen den Zugang zur Informatik schmackhaft zu machen und das Fach von altbekannten Vorurteilen zu befreien. Von einer künftigen Bundesregierung fordern wir deshalb die Anstrengungen in der Informatik-Bildung drastisch zu verstärken.
Symptomatisch für die Studienwahl der Frauen und Männer ist die Trennung in geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Orientierung der Studiengänge. Lediglich BWL als Allzweckwaffe für den Start in eine kommerziell orientierte Karriere werden von beiden Geschlechtern ähnlich stark bevorzugt.
Frauen haben in der Geschichte der IT durchaus ihren Mann gestanden und zu wegweisenden Entwicklungen beigetragen und erfüllen eine Vorbildfunktion für Mädchen und Frauen, die sich für dieses Fachgebiet interessieren.
Ada Lovelace war eine britische Mathematikerin. Für einen nie fertiggestellten mechanischen Computer, die „Analytical Engine“ von Charles Babbage, veröffentlichte sie als Erste ein komplexes Programm: Es nahm wesentliche Aspekte späterer Programmiersprachen wie etwa ein Unterprogramm oder die Verzweigung vorweg. Aus diesem Grund wird sie heute nicht nur als erste Programmiererin der Welt, sondern als erster Programmierer überhaupt bezeichnet.
Grace Hopper war zuletzt Flottenadmiral der US-Navy und als Informatikerin entscheidend an der Entwicklung der ersten Computergeneration und der Programmier-Hochsprache COBOL beteiligt.
Sophie (Roger) Wilson beeinflusste mit ihrer Erfindung der RISC-Computer-Chips ganze Generationen der Chip-Entwickler.
Katy Börner, gebürtige Leipzigerin und in Kaiserslautern ausgebildete Informatikerin lehrt jetzt als Professorin an der University of Indiana und spezialisiert sich auf die Theorie des Semantischen Web.
Fachkräftemangel und Experten-Schwund
Der Fachkräftemangel bei IT-Experten ist mittlerweile eine weit verbreitete Erkenntnis und wird in der Politik, in den Medien und in den Unternehmen ausführlich diskutiert – eine rasche Lösung ist nicht in Sicht.
Wenn nun Influencer, Gurus, Evangelisten oder sonstige Akteure in den Echo-Kammern des Internet das hohe Lied der
Digitaltransformation singen und durch permanente Wiederholungen der Strophen eine selbstreferentielle Realität herstellen – sollten diese Hype-Akteure auch Ross und Reiter nennen und darlegen, wie die wesentlichen Voraussetzungen der Digitalisierung, nämlich ausreichende Personalkapazitäten bei den IT-Experten, geschaffen werden können.
Die Protagonisten eines Hypes haben nur solange Hochkonjunktur, bis sie angesichts der Realitäten des Fortschritts entlarvt werden.
Andernfalls sollte in der Drama-Version Shakespeares Motto aus Hamlet gelten: „Der Rest ist Schweigen“, vielleicht auch die Kabarett-Version des Komikers Jacques Chambon.
Weiterführende Links
Prof. Dr. Alexander Güttler, Frederic Bollhorst: Maschinen, Menschen, Demagogen
Coding Dojo Populäre Programmiersprachen gemäß Karriereportal Indeed.com
Quelle: Heise.de / RedMonk
https://www.heise.de/developer/meldung/Programmiersprachen-Ranking-JavaScript-vorne-Ruby-mit-Abwaertstrend-3739453.html
Spiegel-Gespräch „Wir meinen es ernst“: Deutsche-Bank-Chef John Cryan über die Folgen des Brexits für sein Unternehmen und den Umbau des angeschlagenen Traditionskonzerns.
Europäische Gerichtshof: Richter entzaubern Fahrvermittler Uber
PC-Welt: Steuerzahlerbund kritisiert Linux-Umstellung der Stadt München
https://www.pcwelt.de/a/steuerzahlerbund-muenchen-verschwendet-millionen-wegen-limux,3448391
https://www.pcwelt.de/a/vorzeigeprojekt-muenchen-beendet-limux,3448887
Manager Magazin: Human Resources hat zweitwichtigsten Job im Konzern
Kienbaum: Digitalisierung des Personalbereichs bleibt oft außen vor
Wenn KI auf Excel trifft – und das Recruiting der Unternehmen verändert
Bitkom: 55.000 Jobs für IT-Spezialisten sind unbesetzt
Melanie Vogel: Futability. Wie Sie Veränderungen und Transformationen bewältigen und selbstbestimmt gestalten. Bonn 2016, ISBN: 978-3-946302-00-1
Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Berlin 2017. ISBN 978-3-518-42563-3
10 Thesen zur Digitalen Transformation
.