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Mehr Frauen und stärkerer Dialog mit den Aktionären: Deutsche Aufsichtsräte werden bunter und transparenter

Dr. Jürgen Kunz, Kienbaum

Gummersbach. Die Bundesarbeitsministerin hat in den vergangenen Tagen das Szenario einer gesetzlichen Frauenquote von mindestens 25 Prozent für operative Führungskräfte in deutschen Unternehmen skizziert. Auf der Ebene des Aufsichtsrats in börsennotierten Unternehmen werden die Vorgaben des Corporate Governance Kodex mit Blick auf Diversity und eine stärkere Beteiligung von Frauen bereits umgesetzt. Für 38 Prozent der DAX 160-Unternehmen ist klar, dass sie der neuen Empfehlung entsprechen werden.
56 Prozent wollen ebenfalls folgen, sind aber noch in der Findungsphase, wie die Umsetzung erfolgen soll, denn die Zielzusammensetzung ist dann im Corporate Governance-Bericht offenzulegen. Lediglich sechs Prozent sind skeptisch, ob sie der Empfehlung überhaupt folgen werden. Dies sind Ergebnisse der aktuellen Kienbaum Corporate Governance-Studie 2011. An der Untersuchung haben sich mehr als zwei Drittel der DAX-30-Unternehmen und insgesamt 81 der größten börsennotierten Titel und damit mehr als die Hälfte aller 160 DAX-Unternehmen quer über alle Branchen beteiligt.

Als Umsetzungsbeispiele können etwa Siemens mit momentan vier Frauen im 20-köpfigen Aufsichtsrat oder ThyssenKrupp gelten. Letzteres Unternehmen will bis zum Jahr 2015 mindestens einen Frauenanteil von 20 Prozent gleichmäßig verteilt auf Anteilseigner- und Arbeitnehmerseite im Kontrollgremium erreichen. In allen Hauptversammlungen dieses Jahres wird die Umsetzung der neuen Kodex-Empfehlungen diskutiert. „Ob Mann oder Frau, Kompetenz ist der entscheidende Parameter bei der Aufsichtsratsbesetzung. Dem Thema Aus- und Fortbildung kommt durch die Kodex-Änderungen zwar stärkere Bedeutung zu, jeder Kandidat und jede Kandidatin muss aber bereits zum Zeitpunkt der Wahl dem Leitbild des Aufsichtsrats entsprechen – das Mandat ist kein Lehrberuf. Zudem wird es eine echte Herausforderung für die konzernweite strategische Personalplanung der Unternehmen, auch die Vorstands- und Führungspositionen mit einer nennenswerten Zielzahl qualifizierter Frauen zu besetzen – auch dies ist eine Kodex-Empfehlung“, sagt Dr. Jürgen Kunz, Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung von Kienbaum Consultants International.

Folgerichtig kommt mit der aktuellen Hauptversammlungssaison die Transparenz über die Kompetenzen aller Aufsichtsratsmitglieder und -kandidaten stärker in den Blickpunkt. 82 Prozent der Unternehmen sprechen sich dafür aus, dass die Kompetenzprofile der Kandidaten für ein Aufsichtsratsmandat den Aktionären vor der Wahl bekannt gemacht werden. Allerdings sprechen sich 63 Prozent der Unternehmen dagegen aus, dass auf der Hauptversammlung auch über eine vorgesehene Ausschussarbeit der zu wählenden Aufsichtsräte informiert wird – obwohl der Kodex diese Transparenz beispielsweise für die Wahl des späteren Aufsichtsratsvorsitzenden schon seit mehreren Jahren empfiehlt. „Die neue Kodex-Empfehlung zur Zielzusammensetzung des Aufsichtsrats zur Abdeckung aller erforderlichen Kompetenzen und unter Berücksichtigung von Diversity und Frauen macht mit dem Prinzip der Entscheidungen hinter verschlossenen Türen ein Ende. Die Berichtspflicht über die Umsetzung wie wird es wirklich umgesetzt‘ ist der entscheidende Paradigmenwechsel, den es in dieser Form bisher so nicht gab. Der Begriff ‚comply or explain‘ ist zwar gleich geblieben, der Inhalt ist gleichwohl neu zu bewerten“, sagt Dr. Jürgen Kunz.

Fortbildung oder Qualität von Anfang an?

Die Unterstützung der eigenverantwortlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen von Aufsichtsräten durch die Unternehmen ist eine weitere bedeutsame neue Kodex-Empfehlung. 47 Prozent der Unternehmen befürworten dies, 53 Prozent haben sich noch nicht entschieden. Von den Befürwortern wollen allerdings
27 Prozent kein Budget zur Verfügung stellen; 67 Prozent möchten sich in diesem Punkt noch nicht festlegen. 62 Prozent der Unternehmen lehnen spezielle Einführungsprogramme für neue Aufsichtsräte ab, die bei 38 Prozent der Unternehmen bereits vorhanden sind oder neu eingeführt werden.

„Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in angemessenem Umfang und die entsprechende Unterstützung der Unternehmen erscheinen wie in jedem Beruf sinnvoll und unverzichtbar. Dies gilt etwa für erforderlich werdende Spezialkenntnisse, Veränderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen oder Kodex-Regelungen, die sich während der Amtszeit ergeben. Jeder Aufsichtsrat muss aber von Anfang an die erforderlichen Mindest- und Sonderqualifikationen mitbringen, die sein Amt und seine Ausschusstätigkeit erfordern“, sagt Kienbaum-Partner
Dr. Jürgen Kunz.

Corporate Governance-Expertise im Aufsichtsrat

Die kontinuierlich steigenden Kompetenzanforderungen im Aufsichtsrat und in der Ausschussarbeit erklären, dass annähernd die Hälfte der Unternehmen eine spezielle Expertise für Aufsichtsräte in allen Fragen rund um Corporate Governance für sinnvoll hält. „Kein Wunder, hat der Deutsche Corporate Governance Kodex etwa 100 anspruchsvolle Empfehlungen und Anregungen, und aufgrund der verschärften Rechtsprechung ist klar, dass mit der Verletzung der abzugebenden Entsprechenserklärungen rechtliche Sanktionen verbunden sind
(§ 161 AktG)“, sagt Dr. Jürgen Kunz.

Aufsichtsratsbesetzung – mehr Transparenz über die Kompetenz der Aufsichtsräte

Die Aktionäre/Investoren als Kapitalgeber entscheiden allein über die von ihnen zu besetzende Kapitalseite im Aufsichtsrat. Gleichwohl ist vielfach nur einem Teil von ihnen der jeweilige vom Aufsichtsrat beziehungsweise Nominierungsausschuss vorgeschlagene Kandidat mit seinem spezifischen Kompetenzprofil bekannt. Die gesetzlichen Mindestangaben (Name, ausgeübter Beruf, Wohnort und Angaben zu weiteren Kontrollaufgaben) helfen nicht wirklich weiter. „Entscheidend ist, dass die Aktionäre über das individuelle Kompetenzprofil der Aufsichtsratskandidaten umfassend informiert werden. Im Sinne der Transparenz für die Aktionäre und Investoren als Kapitalgeber könnte diese Information über das Kompetenzprofil für den Aufsichtsratsposten um die Information über die Kompetenz für eine vorgesehene Ausschusstätigkeit (zum Beispiel im wichtigen Personalausschuss, der regelmäßig für die meisten Vorstandsangelegenheiten vorbereitend tätig ist) das Bild über den Kandidaten sinnvoll vervollständigen, ohne der späteren abschließenden Beschlussfassung des Gesamtaufsichtsrats vorzugreifen. Bei  Kandidatenvorschlägen für den Aufsichtsratsvorsitz sieht dies der Kodex längst vor (Ziffer 5.4.3 Satz 2)“, sagt Kienbaum-Geschäftsführer Dr. Jürgen Kunz.

Interessenkonflikte des Aufsichtsrats bei der Vorstandsvergütung?

44 Prozent der Aufsichtsräte erhalten Support durch Mitarbeiter des Unternehmens, in dem das Mandat ausgeübt wird. In nahezu 80 Prozent der Fälle übernimmt das Unternehmen die Kosten. Zu Recht wesentlich kritischer ist die Betrachtung, wenn es um die Vorarbeiten für die Vorstandsvergütung geht, wenn Mitarbeiter beteiligt werden, die disziplinarisch dem Vorstand unterstellt sind. 48 Prozent lehnen dies wegen des Risikos eines Interessenkonflikts ab; gleichwohl halten 52 Prozent diese Verfahrensweise für zulässig. „Indes empfiehlt es sich, jeden Anschein von nicht gegebener Unabhängigkeit beziehungsweise eines denkbaren Interessenkonflikts zu vermeiden. Etwaige Vorarbeiten zur Vorstandsvergütung durch disziplinarisch dem Vorstand unterstellte Mitarbeiter für den Aufsichtsrat können nur dann neutral sein, wenn diese sich auf einer Darstellung der Ist-Situation beschränken und nicht Vorschläge für die Vorstandsvergütung beinhalten“, sagt Kunz. Die Nutzung von „eigenen“ Mitarbeitern, zum Beispiel aus dem Unternehmen, in dem der Aufsichtsrat als Vorstand tätig ist, halten 36 Prozent für zulässig, 45 Prozent lehnen dies generell ab. Diesbezüglich empfehlen sich auch unter steuerlichen Aspekten klare vertragliche Vereinbarungen.

„Das Amt jedes Aufsichtsratsmitglieds ist höchst persönlicher Natur. Dritte kann das jeweilige Aufsichtsratsmitglied nur für Hilfsaufgaben heranziehen. Das Aufsichtsratsmitglied muss selbst über die nötige Sachkunde verfügen, um die ihm per Gesetz zugeteilten Überwachungsaufgaben grundsätzlich selbst erfüllen zu können. Das Aufsichtsratsmitglied muss stets den maßgeblichen Einfluss auf die Steuerung von Zuarbeiten ausüben, und die Vertraulichkeit muss selbstverständlich ebenfalls gewährleistet sein“, unterstreicht Kienbaum-Geschäftsführer Kunz.

Bedeutung der Steuerungsinstrumente des Aufsichtsrats

Für 94 Prozent der befragten Unternehmen erweist sich die Liste zustimmungspflichtiger Geschäfte als wichtigstes Instrument der Kontrolle und Überwachung des Vorstands. „In der Praxis kann die Art und Weise sowie Intensität der Überwachung im Einzelfall recht unterschiedlich sein. Dies hängt zum Teil auch von den handelnden Personen, insbesondere dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstandsvorsitzenden ab. Wichtig ist, dass neue Entwicklungen, die für den Erfolg des Unternehmens von besonderer Bedeutung sind, behandelt werden. Der Zustimmungskatalog darf daher nicht statisch sein. Ein Beispiel dafür kann die verstärkte Beaufsichtigung der konzernweiten strategischen Personalplanung für die Besetzung von Führungspositionen unter Einbeziehung der Aspekte Diversity und Stärkung des Anteils weiblicher Manager (Ziffer 4.1.5 Deutscher Corporate Governance Kodex) sein. In Zeiten des demografischen Wandels kommt dieser immer größere Bedeutung zu. Die entsprechende HR-Strategie 2020 ist angesichts der deutlich zurückgehenden Arbeitslosenquote und der damit einhergehenden stärker sichtbar werdenden Personalverknappung vermehrt auch im Blick der Aufsichtsgremien angesiedelt, um die ‚Human Resources‘ nicht zu einem wesentlichen Engpassfaktor für die künftige Unternehmensentwicklung werden zu lassen“, sagt Kienbaum-Partner Kunz.

Europäische Kodex-Vereinheitlichung?

In der Kienbaum Corporate Governance-Studie 2009/2010 haben sich 88 Prozent der damals befragten Unternehmen dafür ausgesprochen, dass in Zukunft die Ausgestaltung der Corporate Governance in Deutschland weitestgehend durch den Kodex und nicht durch den Gesetzgeber erfolgen sollte. Heute befürchten stattliche 90 Prozent trotz des neu eingeführten jährlichen Berichts der Corporate Governance-Kommission an die Bundesregierung weitere gesetzliche Regelungen des nationalen Gesetzgebers. Aber immerhin 45 Prozent halten das Ziel der EU-Kommission für richtig, in dem einberufenen Corporate Governance Forum für mehr Zusammenarbeit und Konvergenz unter dem Aspekt einer rechtsvergleichenden Analyse zu sorgen. 64 Prozent lehnen die Maßnahme allerdings ab, weil sich der deutsche Ansatz als tragfähig erwiesen habe beziehungsweise man eine Überbürokratisierung fürchtet. Entsprechend ist die Meinung bei der Frage nach dem Sinn eines einheitlichen Europäischen Kodex ziemlich genau in der Hälfte geteilt. „Ein einheitlicher Corporate Governance Kodex für ganz Europa ist noch ein Stück entfernt“, sagt Kunz.

Kienbaum ist in Deutschland Marktführer im Executive Search und im HR-Management und gehört zu den führenden Managementberatungen. Mit seinem integrierten Beratungsansatz begleitet Kienbaum Unternehmen aus den wesentlichen Wirtschaftssektoren bei ihren Veränderungsprozessen von der Konzeption bis zur Umsetzung. Kienbaum verbindet ausgewiesene Personalkompetenz mit tiefem Wissen in Strategie, Organisation und Kommunikation.

Weitere Informationen:

Erik Bethkenhagen

Ahlefelder Straße 47, 51645 Gummersbach

Fon: +49 2261 703-579

erik.bethkenhagen@kienbaum.de

www.kienbaum.de

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