OECD Skills Outlook: Enge Verknüpfung von Bildung und Arbeitsmarkt erleichtert Berufseinstieg in Deutschland
Der Anteil hochgebildeter 15- bis 29-Jähriger, die weder in Beschäftigung noch in Bildung oder Ausbildung sind (NEET), ist in Deutschland mit 5,7 Prozent so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land. Auch unter den jungen Menschen mit mittlerer oder niedriger formaler Bildung ist der NEET-Anteil in Deutschland wesentlich kleiner als im OECD-Schnitt. Insgesamt liegt er bei etwa zehn Prozent. Wie aus dem jüngsten „Skills Outlook 2015“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht, vollzieht sich der Übergang von der Schule in die Arbeitswelt in Deutschland vergleichsweise reibungslos.
Dagegen sind im OECD-Raum heute mehr als 35 Millionen junge Leute weder in Beschäftigung noch in Bildung oder Ausbildung – noch immer mehr als vor der Krise. Das Risiko jüngerer Menschen, in die Arbeitslosigkeit abzugleiten, ist doppelt so hoch wie das von erfahrenen Arbeitnehmern jenseits der Dreißig. Regierungen müssen laut Bericht mehr dafür tun, den jungen Menschen in ihrem Land einen guten Start ins Arbeitsleben zu ermöglichen.
„Es ist nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich geboten, das Problem der NEETs anzugehen“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. „Zu viele junge Menschen verlassen das Bildungssystem ohne passende Kompetenzen für den Arbeitsmarkt. Und selbst wenn sie geeignete Fähigkeiten haben, werden sie davon abgehalten, diese vollauf zu nutzen. In Deutschland hat die berufliche Bildung eine starke Tradition und hilft dabei, junge Menschen in Arbeit zu bringen und ihre Karrieren zu fördern. Ein guter Grund, unseren neusten Skills Outlook hier zu präsentieren.“
Der Bericht baut auf der Internationalen Vergleichsstudie über die Kompetenzen Erwachsener (PIAAC) auf und analysiert, wie junge Menschen Kompetenzen erwerben, wie sie ihre Fähigkeiten einsetzen und welchen Hindernissen sie bei Berufseinstieg und Karriere begegnen. Ein Problem besteht laut Bericht darin, dass viele Bildungssysteme in der OECD die Menschen ohne praktische Erfahrungen in die Arbeitswelt entlassen. Kaum die Hälfte der akademisch oder beruflich Ausgebildeten in den 22 Ländern des Berichts wurde demnach am Arbeitsplatz geschult.
Deutschland sticht aus der Masse hervor: Hier machen knapp drei Viertel der Absolventen im Sekundar-II-Niveau eine Lehre, und auch weiterführende Berufsausbildungen (etwa zu Kaufleuten oder Meistern) gehen fast vollständig mit berufsspezifischen Praxiseinheiten einher. „Wir können von Ländern wie Deutschland eine Menge lernen“, sagte Generalsekretär Gurría. „Die Ausbildung am Arbeitsplatz – sei es in einer Lehre oder anderweitig – ist hier weit verbreitet. Das ist gut für die Auszubildenden, die sich mit den Anforderungen ihres Berufsfeldes vertraut machen können. Und es ist gut für Arbeitgeber, die so oft schon das Potenzial jener prüfen können, die sie später vielleicht einmal einstellen.“
Positiv hebt der Bericht auch hervor, dass der Universitätszugang für Absolventen verschiedener Berufsbildungsprogramme erleichtert wurde. Diese Möglichkeit werde allerdings noch nicht besonders stark genutzt. Gleichzeitig brechen in Deutschland etwa ein Drittel der Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen ihr Studium ab, das ist etwas mehr als im OECD-Durchschnitt. Bessere Berufsberatung, die nicht nur über die Berufsaussichten, sondern auch über geeignete Karrierewege Auskunft gibt, könnte hier Abhilfe schaffen und dafür sorgen, dass junge Menschen ihr Potenzial voll entfalten.
Überall in der OECD erhalten Berufsanfänger weit häufiger befristete Arbeitsverträge als erfahrene Angestellte. In Deutschland ist der Graben zwischen den 15- bis 24-Jährigen und den 25- bis 54-Jährigen so groß wie in kaum einem anderen Land außer der Schweiz. Während in der älteren Gruppe nur jeder Zehnte einen befristeten Vertrag hat, ist es bei den Jüngeren gut jeder Zweite. Befristete Anstellungen können gerade bei Berufsanfängern als Sprungbrett dienen. Oft haben sie aber mindestens ebenso viele Nachteile wie Vorteile: So nutzen Arbeitgeber die Kompetenzen befristet Beschäftigter häufig nicht voll aus. Im OECD-Schnitt sind zwölf Prozent der jungen Erwerbstätigen für ihre Tätigkeit überqualifiziert. Auf der anderen Seite erhalten Arbeitnehmer in befristeten Anstellungen weniger Weiterbildungsmöglichkeiten. In Kombination kann das dazu führen, dass ihre Fähigkeiten langfristig gesehen verkümmern. Die Regierungen sollten also sicherstellen, dass unterschiedlich strenge Regelungen zum Beschäftigungsschutz, hohe Mindestlöhne oder Sozialabgaben es für Arbeitgeber nicht unattraktiv machen, junge Menschen einzustellen.
In vielen OECD-Ländern haben Kinder aus benachteiligten Familien schwächere Leistungen und am Ende Ihres Bildungsweges auch geringere Kompetenzen als Kinder mit günstigem familiären Hintergrund. In Deutschland ist dieser Zusammenhang nach wie vor stärker ausgeprägt als im OECD-Mittel. OECD-Arbeiten belegen, dass Kinder, die im Vorschulalter eine Betreuungs- oder Bildungseinrichtung besucht haben, später besser lesen und rechnen als Kinder ohne solche Erfahrungen. Besonders groß ist dieser Effekt bei sozial benachteiligten Familien. Gerade ihnen sollte durch qualitativ hochwertige Angebote der Vorschulbildung ein guter Start in die Bildungslaufbahn ermöglicht werden. Wichtig sind laut Bericht außerdem Sonderprogramme für leistungsschwache Schüler. Werden Kinder mit vergrößertem Förderungsbedarf frühzeitig ausfindig gemacht, können diese Programme durch individuelle Förderung verhindern, dass sie die Schule ohne Abschluss verlassen.
Allgemeine Informationen zum Bericht finden Sie unter www.oecd.org/berlin/publikationen/skills-outlook-2015.htm. Wir freuen uns, wenn Sie diese Seite in Ihrer Berichterstattung verlinken.
(Quelle: OECD)
1 Comment
Interessante Studie, aber in dem Artikel wird meiner Meinung nach das Problem der befristeten Verträge bei Berufsanfängern zu sehr verharmlost. Es wird gesagt, dass befristet Beschäftigte etwa weniger Weiterbildungsmöglichkeiten hätten. Mag sein. Viel gravierender für ihre Lebensplanung ist ja aber wohl die Tatsache, dass es von gesetzlicher Seite her gar nicht möglich ist, nach einem befristeten Arbeitsvertrag einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag beim selben Arbeitgeber zu erhalten und manchem dann eher die Arbeitslosigkeit droht statt eine Weiterbeschäftigung, und sei es auch wieder nur für ein paar Jahre (vgl. Teilzeit- und Befristungsgesetz). Besonders heftig ist das ja im öffentlichen Dienst, wo es fast nur Ausschreibungen für befristete Stellen gibt. Erhält jemand nach dem Studienabschluss eine solche Stelle an der Hochschule, dann ist es trotz Qualifikation schlicht nicht möglich, nach dem Auslaufen des Vertrags auf eine ähnliche Stelle an einer anderen Institution zu wechseln, da ja das Bundesland der Arbeitgeber ist und sämtliche Hochschulen in einer Region somit wie zu einer ‚Unternehmensgruppe‘ zugehörig anzusehen sind. Im Klartext bedeutet dies, dass ein beruflich bedingter Umzug über eine längere Distanz die Regel ist, was gerade für junge Familien zur Zerreissprobe werden kann, vor allem wenn ein Partner noch im Studium ist und an der Hochschule bleiben muss. Befristete Anstellungen daher wie oben dargestellt als Sprungbrett für Berufsanfänger zu bezeichnen ist geradezu zynisch. Eigentlich müsste man Studierende konkret vor solchen Verträgen warnen! Warum die Politik diese Praxis auch noch fördert und gerade der öffentliche Dienst mit schlechtestem Beispiel (die meisten befristeten Anstellungen, die härtesten Einschränkungen) vorangeht, ist mir ein Rätsel.