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Home Office, Co-Working oder Work Smart: Nur ein Hype?

Barbara Josef
Barbara Josef

Der Leipziger HR-Innovation-Day stellt sich der Diskussion

Egal welche Begrifflichkeiten verwendet werden, Home Office, Co-Working, Work Smart und ähnliche Umschreibungen für die Arbeit von zu Hause aus gelten als Top-Topics in den Redaktionsstuben der Medien-Republik. Doch eigentlich ist das nicht ganz neu. Früher hieß es Teleworking. Alter Wein in neuen Schleuchen? In der euphorischen Berichterstattung der Medien und als Diskussionsthema auf einschlägigen HR-Konferenzen wird die Schattenseite der Home-Office-Arbeit häufig ausgeblendet, weil das nicht so richtig in das Hype-Konzept passt.

Guy Standing, Professor of Development Studies (University London) ist einer der kritischen Köpfe und setzt sich in seinem lesenswerten Buch „The Prekariat“ insbesondere mit dem Prekariat und den Auswirkungen auf die Heim-Arbeit aus. Standing fokussiert sich auf den Teil der arbeitenden Bevölkerung, die in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, also mit befristeten Arbeitsverträgen oder in der Zeitarbeit oder Bezieher von staatlichen Sozialleistungen. Standing schätzt, dass mindestens 25% der Erwachsenen Bevölkerung dem Prekariat angehören.

Die Situation wird von Guy Standing so zusammengefasst:

Guy Standing
Guy Standing

The precariat is under time stress. It must devote a growing amount of time to work-for-labour, without it offering a reliable road to economic security or an occupational career worhty of the name. The tertiary lifestyle involves multitasking without control over a narrative of time use, of seeing the future and building on the past. To be precariatised is to be wired into job-performing lifestyles without a sense of occupational development. Multitasking lowers productivity in each an d every activity. Fractured thinging becomes habitual. Non-Stop interactivity is the opium of the precariat. The workplace is every place, diffuse, unfamiliar, a zone of insecurity. And if the precariat does have occupational skills, those may vanish or cease to be a reliable ticket to a secure identity or long-term sustainable life of dignity. This is an unhealthy combination that is conducive to opportunism and cynicism.

Es ergibt sich also die Frage, ob Home-Office-Work für alle Beschäftigten gleichermaßen positiv zu sehen ist oder ob mit dieser neuen Arbeitsform auch Nachteile verbunden sind. Ein weiterer Aspekt ist die Frage, welcher Anteil der Belegschaft Home-Office-Work ausüben kann oder soll: Alle, niemand oder nur ein bestimmter Teil. Welcher Teil?

Die Diskussion wird spannend werden – das zeigt sich schon jetzt im Interview, welches Professer Dr. Peter Wald als Innitiator des HR-Innovation-Days mit Barbara Josef führte.

Wald: Mit dem Thema Ihrer Keynote haben Sie prägende Themen der künftigen Zusammenarbeit in den Unternehmen angesprochen. Welche Schwerpunkte werden Sie im Rahmen Ihres Vortrags setzen? Worauf dürfen sich die Zuhörer/-innen freuen?

Josef: Der Titel enthält eigentlich schon meine wichtigste Erkenntnis, auf die ich gerne eingehen möchte: wir haben mit dem Eintritt ins digitale Zeitalter die einmalige Chance, die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, neu zu gestalten. Gelingt uns das, gehen sowohl Unternehmungen als auch Individuen als Gewinner aus dieser Verhandlung. Findet dieser konstruktive Dialog hingegen nicht statt, bleibt nicht nur einfach der Erfolg aus, sondern es entstehen Negativeffekte. Anders formuliert: viele Firmen stehen nach der halbherzigen Einführung von flexiblen Arbeitsformen schlechter da als vorher, weil die angestossenen Veränderungen statt Agilität nur Frustration bringen. Jetzt fragen Sie sich vielleicht «wieso nur halbherzig»? Ganz einfach, weil es heute «en vogue» ist, sich im Rahmen der Employer Branding Strategie modern und flexibel zu geben. Viele Firmen wollen jedoch die Geister, die sie da rufen, gar nicht wirklich in der Organisation haben. Ich habe darüber eine nicht ganz ernst zu nehmende Geschichte geschrieben: Die Schildbürger GmbH führt Home Office ein. Im ersten Teil meiner Präsentation werde ich aufzeigen, wie Firmen diese «Schildbürger-Falle» vermeiden können.

Im zweiten Teil möchte ich auf den Zusammenhang zwischen neuen Arbeitsformen und der Innovationsfähigkeit von Organisationen eingehen. Wenn wir uns anschauen, wie wir in der jüngsten Vergangenheit mit der neuen Freiheit, die wir dank dem technologischen Fortschritt gewonnen haben, umgehen, so ist spannend zu sehen, dass wir nach dem primären Arbeitsort, dem Büro, zuerst den sekundären, das Home Office, ausprobiert haben und uns nun stark Richtung «Third Places» bewegen. Auch wenn der Begriff ursprünglich nicht aus der Arbeitswelt stammte, passt er sehr gut, um Arbeitsorte zu beschreiben, die weder Büro noch das Zuhause sind. Ein bekanntes «Third Place» Beispiel sind Starbucks Cafés. Noch spannender sind jedoch Orte, die nicht nur individuelles Arbeiten ermöglichen, sondern den digitalen Nomaden eine Plattform bieten, welche die Vernetzung sowie die informelle und formelle Zusammenarbeit mit anderen fördert. Je mehr unterschiedliche Teilnehmer ein solcher Hub zusammenbringt – also von Freelancern und Startups bis hin zu etablierten internationalen Konzernen – desto spannender sind diese Orte aus Sicht Innovationsmanagement. «Innovation happens at the edge»; meines Erachtens sind «Third Spaces» der ideale Nährboden, wo sich Organisationen am Rand ihres Ökosystems austauschen und vernetzen können. Dabei geht es nicht immer nur um perfekt organisierte Design Thinking Workshops. Auch aus einem zufälligen Gespräch an der Kaffeetheke kann ein neues Produkt, ein Schulterschluss zwischen Startup und Grosskonzern oder das nächste Unicorn-Startup entstehen.

 

Wald: Welche Vorstellungen verbinden Sie mit Co-Working und Co-Creation?

Josef: Das Thema «Co-Working» wird oft mit dem Ausdruck «working alone together» in Verbindung gebracht. In der Vergangenheit dominierte die Meinung, dass diese Ausprägung der Sharing Economy vor allem für Freelancer und Startups Vorteile bringt – quasi die «Bürogemeinschaft 4.0». In der Zwischenzeit zeigt sicher immer stärker, dass diese «Third Spaces» nicht primär als Ort der Einzelarbeit einen grossen Nutzen bringen, sondern als Ort der Vernetzung und Begegnungen. Der Begriff «Co-Creation» geht deshalb weiter als «Co-Working»; er impliziert, dass an diesen Third Spaces auch neue Ideen entwickelt und Informationen ausgetauscht werden.

Wald: Welche Rolle spielen dabei virtuelle und reale Hilfsmittel?

Josef: Meines Erachtens sind zwei unterschiedliche Typen von Technologien interessant: Unified Communications Instrumente und Enterprise Social Plattformen. Mit ersteren sind die meisten vertraut – Kollegen anchatten, eine Videokonferenz aufsetzen, Bildschirmteilen etc. gehört heute zum ABC des modernen Bürolisten. Sie werden oft als Alternative zu physischen Meetings eingesetzt und ermöglichen uns damit erst ortsunabhängiges Arbeiten. Ich persönlich finde Enterprise Social Plattformen – etwas salopp formuliert «Facebook für Firmen» – höchst spannend, weil sie nicht nur quasi ein Substitutionsprodukt für die physische Welt sind, sondern ganz neue Szenarien ermöglichen, die früher gar nicht möglich waren. Als Konsequenz davon entsteht neben der physischen Präsenz in Unternehmen zunehmend auch eine virtuelle. Das wirkt sich auch auf die Führung und Motivationsprozesse aus.

 

Wald: Eine Frage zum Themenbereich Home Office. Dies ist in Deutschland ein viel beachtetes und breit diskutiertes Thema. Was meinen Sie, warum funktionieren Home Office-Lösungen in der Schweiz besser als in Deutschland? Arbeiten Schweizer smarter? Oder gibt es hier ein Geheimrezept?

Josef: Die Schweiz hat Ricola erfunden, also war es naheliegend, auch den Home Office Day zu erfinden. Spass beiseite: die Schweiz, genauer Microsoft Schweiz, hat tatsächlich den ersten nationalen Home Office Day ins Leben gerufen und darauf sind wir auch wirklich stolz.


Die Frage, wie Arbeits- und Landeskultur korrelieren, finde ich persönlich höchst spannend. Wenn man sich anschaut, welche Länder besonders weit sind, was die Verbreitung und Akzeptanz von flexiblen Arbeitsformen betrifft, so fällt auf, dass die Niederlande die Nase vorn hat, dicht gefolgt von den skandinavischen Ländern. Auch wenn es dazu nicht sehr viele Studien gibt, liegt die Vermutung nahe, dass Länder, die über ein liberales Gesellschaftsmodell verfügen, auch in der Arbeitswelt mit schlanken Prozessen und wenig Hierarchien auskommen. In Ländern, in denen es formeller her und zu geht und Statusdenken wichtig ist, haben es neue Arbeitsformen eher schwierig, da die Führung noch nicht so weit ist. Ich sehe die Schweiz, was die Verbreitung von flexiblen Arbeitsformen betrifft, im Mittelfeld, aber sicher nicht an der Spitze. In Zahlen ausgedrückt: von den rund 5 Mio. Beschäftigten arbeiten gemäss einer Studie von «Work Smart» etwa ein Viertel bereits mobil und flexibel.

Die Schweiz ist ein Denk- und Dienstleistungsstandort, d.h. es könnten noch viel mehr Menschen einen Teil ihrer Arbeitszeit ausserhalb des Büros arbeiten. Soweit ich es beurteilen kann, steht Deutschland das etwas ausgeprägtere Hierarchiedenken verbunden mit entsprechenden Kontrollmechanismen im Weg. Das Geheimrezept ist simpel: Führen über klare Ziele und eine Kultur des Vertrauens.

Wald: Mittlerweile laufen die betreffenden Aktivitäten in der Schweiz unter dem Label „Work Smart“ haben sich in diesem Zusammenhang die Schwerpunkte verschoben?

Josef: Nach fünf Jahren «Home Office Day» haben wir gemerkt, dass wir zwar die Individuen erreicht und einiges an Medienrummel für das Thema erzielen konnten, aber die Firmen noch nicht im Boot hatten. Die Kampagne «Home Office Day» hat super gepasst, um ganz zu Beginn auf das Thema aufmerksam zu machen. Wenn es aber darum geht, in den Firmen konkrete Veränderungen in Gang zu setzen – und das ist das grosse Ziel dieser Initiative – griff der Name und die Positionierung etwas zu kurz. Wir mussten immer wieder erklären, dass wir im Thema «Home Office» per se keinen Nutzen sehen, sondern es darum geht, eine Kultur der Eigenverantwortung zu schaffen und unternehmerisches Denken zu fördern. Und das geht nun mal schlecht, wenn einem der Chef neben der Stempeluhr abpasst. Im Zuge der Neupositionierung der Initiative unter dem Label «Work Smart» haben wir auch den Fokus von der reinen Sensibilisierung hin zur gezielten Unterstützung von Firmen verlagert, das heisst wir stellen Studien, Whitepaper und Instrumente zur Verfügung, die den Unternehmen helfen, die Flexibilisierung in ihrer Organisation vorantreiben.

Wald: Oft habe ich den Eindruck, dass die digitale Transformation bisher nur bei einer Minderheit von Führungskräften und Mitarbeitern angekommen ist. Häufig kommen mir auch Personaler eher als Getriebene und nicht als die Treiber dieser Entwicklung vor. Wie lässt sich das von Ihnen erwähnte neue Miteinander erreichen?

Josef: Zuerst möchte ich den HR Profis ein Kränzchen winden. Sie sind das Herz der Unternehmung und sorgen dafür, das es den Menschen in der Organisation gut. Oft sieht man dann ihren grossen Wert, wenn eine Organisation oder eine Person durch eine schwierige Phase geht. Aus diesem Betrachtungswinkel ist der typische Personaler vom Mindset her wohl eher «Caretaker» als «Disruptor». Auch wenn sie vielleicht selten Treiber von Veränderungen sind, kommt ihnen eine ganz wichtige Funktion zu. Sie stellen sicher, dass die Geeks und Freaks nicht die ganze Organisation auf den Kopf stellen. Fazit: es braucht immer beide Kompetenzen für den erfolgreichen Wandel – Menschen mit Visionen und Menschen, die Veränderungen begleiten können. Wenn wir ganz ehrlich sind, haben wir doch absolut keine Ahnung, wie wir in 5, 10 oder 20 Jahren zusammenarbeiten werden. In einem sind wir uns aber zu 100% einig: Erfolg werden diejenigen Firmen haben, die begeisterte und engagierte Mitarbeiter haben, die sich mit einer Firma identifizieren. Deshalb finde ich das «Miteinander» oder eben die «Caretaker» auch fast wichtiger als die Visionen. Übrigens haben zufriedene und motivierte Mitarbeiter ganz klar auch die besseren Ideen und sind bereit, diese zu teilen. Vielleicht sollten wir Personaler einfach als Innovations-Enabler anerkennen, statt sie zu kritisieren.

 

Der HR Innovation Day 2016 findet am 28. Mai 2016 in Leipzig statt. In drei Keynotes und zwei Workshop-Runden wird breites Spektrum von Personalprozessen (Recruiting, Personaleinsatz, Führung – um nur einige zu nennen) abgedeckt. Dabei stehen sowohl Innovationen im Personalmanagement (vor allem neue Tools und Vorgehensweisen) als auch die klassischen Themen der Personalarbeit im Fokus. Das Programm ist hier zu finden: http://leipzig-hrm-blog.blogspot.de/2016/04/hr-innovation-day-2016-das-programm.html

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Anmelden können Sie sich hier: https://www.xing.com/events/hr-innovation-day-2016-1675373

 

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