Arbeitgeberkommunikation neu denken
HR als Ermittler: Mit Candidate Profiling das Recruiting erfolgreich machen
Von Bernhard Schelenz
Kandidaten und Talente finden und dort abholen, wo sie sich aufhalten. Ein Auftrag an Human Resources. Doch mit einer Schablone wird die Suche scheitern. Um die geeigneten künftigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu finden, muss HR deren Lebenswelt näher kommen und zum Ermittler mit detektivischem Spürsinn werden.
Anders denken. Beim Thema Mitarbeitergewinnung haben wir allzu lange Persönlichkeiten in Schubladen gesteckt. Fangen wir also endlich an, nicht mehr in Clustern zu denken. Die Menschen handeln und fühlen in Lebensphasen und Lebensumständen. Ein leitender Faktor des Lebens kann heißen: „Kinder bekommen“, ein anderer „sich räumlich verändern“, ein dritter „mit Krankheit in der Familie belastet sein“. Die Schublade mit dem Etikett „Generation Y“ hilft da kaum weiter, denn Menschen kann man nicht nach dem Geburtsjahrgang clustern, sondern nach Lebensphasen. Das ist eine Tatsache.
Zudem ist festzustellen, dass HR lernen muss, mit einer zunehmenden Vielfalt klar zu kommen. Es ist nicht „einfach“, potenzielle Bewerber zu finden – weil wir gar nicht genau wissen, wo wir suchen sollen. Kurzum: HR muss in der Arbeitgeberkommunikation und im Recruiting nach neuen Wegen suchen.
Mehr Mut zeigen
Anders denken bedeutet, mehr Mut zeigen. Der Auftrag an HR ist klar: Kandidaten identifizieren, aufspüren und gewinnen. Liest sich wie ein Ermittlungsansatz. Ist es auch. Anders denken bedeutet: Denken wie Ermittler. Was machen die? Sie nutzen konsequent die Methode des Profilings. Der Duden definiert den Begriff so: „Erstellung des Gesamtbildes einer Persönlichkeit aus vielen Einzeldaten, die für sich genommen wenig aussagekräftig sind.“
Wer Krimis liest oder schaut, kennt das Profiling als probate Methode, um einen Unbekannten anhand von Daten möglichst exakt zu beschreiben. Dafür werden feststehende Prozesse genutzt. So schließen die Kriminalisten auf die Persönlichkeit und deren Merkmale. Beim Recruiting ist es umgekehrt. HR hat den Auftrag, bestimmte Persönlichkeiten mit definierten Merkmalen zu finden. Die Frage: Wer passt zum Profil? stellen sich am Ende Ermittler und Personaler gleichermaßen.
Oliver Gerrits, Leiter Marketing und Kommunikation bei MEWA, Wiesbaden
„HR-Kommunikation muss ein wichtiges Differenzierungsmerkmal von Unternehmen sein. Und Arbeitgeber müssen lernen, Bewerber noch differenzierter zu sehen. Profiling ist ein Modell, das künftig unser Recruiting effizienter machen wird. Der scharfe Blick auf die Lebenswelten von potenziellen Kandidaten, eröffnet dem Personalmarketing neue Zugänge in der konkreten Bewerberansprache: Individualisierung aufgrund von verbesserter Datenlage, statt „Gießkannenprinzip“ und „Einheitsbrei“. Candidate Profiling bringt MEWA weiter.“
Das Leben im Blick
Spätestens jetzt kommt die Erkenntnis vieler HR-ler: Profiling machen wir doch! Bei der Stellenbesetzung setzt HR tatsächlich vielfach auf die persönlichkeitspyschologische Begutachtung der Bewerber (Stichwort „Cultural Fit“). In der aktuellen Diskussion taucht Profiling schon mal auf, wenn es um die Personalauswahl geht. Letztlich werden Anforderungen an die Person mit Kenntnissen über sie kombiniert und daraus ein Fazit in Bezug auf die Passung zum Arbeitgeber gezogen. Profiling ist damit ein Werkzeug zur Beurteilung des Kandidaten und Bestandteil des Skill-Managements.
Wir sehen aber noch eine zweite, ebenso wichtige semantische Bedeutungskomponente bei „Profiling“. Nach diesem Verständnis werden die Lebensentwürfe von Kandidaten berücksichtigt und die Lebenswelten der Menschen. In diesem Sinne schaut Profiling hier mehr auf das Leben, nicht auf die Skills.
Kriminaler erheben zunächst Daten, indem sie mit Menschen sprechen, die entscheidende Informationen liefern können. Doch während sich die polizeilichen Profiler dazu mit üblen Gesellen in enge Besuchszellen setzen müssen, können die Recruiter ihre Daten bei sich im Besprechungsraum erheben. Eintrittsinterviews geben z.B. wichtige Hinweise darauf, wie Menschen tatsächlich ticken. Wer mit einer fein abgestimmten und psychologisch durchdachten, standardisierten Fragestellung hier Muster erkennt, Verhalten abgleicht und daraus Schlussfolgerungen zieht, gewinnt verwertbare Daten für das Personalmarketing und die Arbeitgeberkommunikation. Die Merkmalsinterpretation zum Verhalten von bestimmten Bewerberzielgruppen führt zu weiterführenden Erkenntnissen, wie potenzielle Kandidaten von Recruitern besser anzusprechen sind. Aus dem Pulk von Informationen gewinnen Recruiter und HR-Kommunikatoren zielführende Einsichten, um die Bewerberansprache kreativer und damit effizienter zu gestalten.
Thomas Teetz, Leiter Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting bei ROHDE & SCHWARZ, München
„Candidate Profiling ermöglicht das Erkennen von Mustern, wo und wie Arbeitgeber auf erfolgskritische Zielgruppen treffen – abseits der immer gleichen Suchalgorithmen. Es geht im Ergebnis darum, andere Zugänge zu potenziellen Kandidaten zu finden, die man ansonsten heute nur schwer erreicht. Die Time-to-hire kriegen wir sicher nicht dadurch in den Griff, wenn wir uns weiter im Club der Gleichen tummeln. Neue Wege gehen bedeutet immer auch, sich weitere Chance zu eröffnen. Kreativere – und mutigere – Suchstrategien mit gründlichen Fallanalysen führen uns näher an unsere Wunschkandidaten heran.“
Augen auf die Details
Der Input bei Mitarbeiterinterviews wird ebenso bunt und vielfältig sein wie ein Menschenleben eben ist. Wer sich daran macht, das persönliche Drehbuch potenzieller Kandidaten zu ergründen, muss ins Detail gehen. Der Schlüssel fürs Profiling liegt darin, Merkmale zu identifizieren: Ihre Ankerpunkte können der Wohnort, der Musikgeschmack oder Freizeitgestaltung heißen. Aber auch Werte, Wünsche oder Lebenseinstellungen lassen sich erfragen. Anders denken und agieren heißt also auch: Anders fragen.
Profiling sollte künftig im Personalmarketing prozessual mitgedacht werden. Das Ziel ist die Antwort auf die Frage: Wo treffen wir unsere kritischen Zielgruppen? Durch standardisierte interne Befragungen lassen sich für Arbeitgeber Verhalten und Vorlieben von bedeutsamen Bewerberzielgruppen ermitteln.
Eine Erkenntnis kann sein, dass sich potenzielle Versicherungsmathematiker gerne Star-Wars-Filme ansehen oder die Absolventen von MINT-Studiengängen z.B. bevorzugt Internetportale für Campingbedarf aufsuchen. Damit ist der Anker für eine zielgruppengerichtete und zugleich passgenaue Kommunikation gesetzt. Die Erkenntnisse aus dem Candidate Profiling lassen sich so in den unterschiedlichsten Kanälen nutzen: für das Medienformat oder die Tonality, für den Ort der Imagewerbung. Profiling hilft, die „Sichtbarkeit“ von Kandidaten zu erhöhen. Wer weiß, wo sich die Zielgruppe aufhält und auf welche Muster sie reagiert, kann seine Arbeitgeber- kommunikation zielgenauer und passgenauer ausrichten.
Vielfalt konsequent denken
Candidate Profiling ist kein Anzug von der Stange. „One fits for all“ funktioniert nicht, weil sowohl die Bewerber als auch die Unternehmen per se höchst heterogen sind. Es bedarf einer unternehmensspezifischen und auf das Anforderungsprofil abgestimmten Agenda bei Mitarbeiterinterviews, die vorzugsweise in der Onboarding-Phase zu führen sind, weil in dieser Phase die Mitarbeiter i.d.R. spontan – und damit authentisch – antworten.
Anders denken und fragen. Also: Welche Medien nutzen Lkw-Fahrer? Welche Idole haben Schüler? Was treiben Biochemiker in ihrer Freizeit? Nach welchen Präferenzen bewerben sich Frauen über 40? Wie denken Studienabbrecher? Danach fragen Candidate-Profiler mit der klaren Absicht, künftig die differenzierte Zielgruppenkommunikation mit Bewerbern und Talenten differenzierter auszurichten.
Unter dem großen Dach der Arbeitgebermarke ist zudem reichlich Platz für viele zielgruppenspezifische Ausprägungen der Arbeitgebermarke. Deshalb zeigt auch das Modell „Employer Branding“ heute gewisse semantische Verschleißerscheinungen. Das Mantra von dem einen Brand, muss neu gedacht werden. Hier führt uns das Modell der „Employer Reputation“ weiter: Es gibt einen „guten Ruf“ als Arbeitgeber, aber unterschiedliche HR-/ Zielgruppen-Sub-Brands, die synergetisch parallel existieren. Das Denken in Sub-Brands trägt dem Umstand Rechnung, dass HR der zunehmenden Vielfalt adäquat begegnen muss – die Methode des Candidate Profilings hilft dabei.
Handlungsfelder abdecken
Sobald die Auswertungen und Interpretationen aus dem Prozess des Candidate Profilings vorliegen, werden sich Kommunikations- und Rekrutierungsverantwortliche den folgenden Aufgaben zuwenden müssen: Themen und Inhalte, Botschaften und Claims, Visionen und Werte, Bildwelten und Visuals, Formate und Medien, Stil und Tonality. Wenn Interviews z.B. ergeben haben, dass „Vertriebler“ gerne nach Wacken zum Open Air fahren, warum soll dann nicht ein Unternehmen eben dort als Sponsor auftreten und sich bei der Zielgruppe „Vertriebler“ als potenzieller Arbeitgeber ins Bewusstsein rücken? „Creative Recruiting“ könnte man das nennen – auf Grundlage des Candidate Profilings.
Ist das Generationencluster also tot? War das Recruiting in den vergangenen Jahren vielleicht damit auf dem falschen Dampfer unterwegs? Die Fragen seien zumindest erlaubt, denn wir haben gesehen, dass wir immer wieder an Grenzen stoßen und die Schwierigkeiten zunehmen, zukunftskritische Positionen in Unternehmen zeitnah zu besetzen. HR soll agieren wie ein mutiger Entdecker mit einem „kriminalistischen Gespür“ für Kandidaten, die man in deren – manchmal verborgenen – Lebenswelt direkt abholen muss.
Menschen gehen Wege
Human Resources tut gut daran, den Weg mit zu gehen, den Menschen tatsächlich gehen. HR soll dort sein, wo das Leben sich abspielt – deutlich näher dran an den Kandidaten. Vielleicht stimmt es, wenn Berater vom „Mythos Fachkräftemangel“ reden, vielleicht nutzen wir einfach oft nur die falschen Zugänge zu den Zielgruppen? Candidate Profiling zeigt uns einen guten Weg, die präferierten, potenziellen Bewerber zu identifizieren und diese dann auch kommunikativ zu erreichen. In der Konsequenz dessen, was „Profiling“ für Arbeitgeber und deren Suchstrategien bedeutet, wird sich das Recruiting künftig stark verändern.
Bernhard Schelenz ist seit 2001 geschäftsführender Gesellschafter der Schelenz GmbH.
Die Kommunikationsberatung für Arbeitgeber hat ihren Sitz in Großkarlbach, Vorderpfalz.
www.schelenz-gmbh.de