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Monster Recruiting Trends 2017: Prof. Dr. Tim Weitzel und Marc Irmisch-Petit stehen Rede und Antwort

Kaum eine andere Studie hat empirisch-fundierte Fakten über die Entwicklung des Recruiting erhoben, analysiert und präsentiert wie die Monster Recruiting Trends, die nun im 15. Jahr seit Beginn präsentiert wurden. Die Köpfe und Initiatoren der Studie, Prof. Dr. Tim Weitzel und Monster-Geschäftsführer Marc Irmisch-Petit, haben sich im Doppel-Interview mit Crosswater Job Guide den Fragen gestellt.

Tim Weitzel
Tim Weitzel

Crosswater: Im 15. Jahr der Recruiting Trends müssten Sie ja eigentlich alles gesehen haben, was Recruiting bewegt. Welche Entwicklungen waren eigentlich zu erwarten? Welche Trends haben Sie rückblickend gesehen überrascht?

WEITZEL: Große interne Entwicklungen wie die zunehmende Digitalisierung, Standardisierung und Optimierung der HR-Prozesse mit allem, was dazu gehört – von Zielgruppen- und Prozessorientierung über Rekrutierungs-Controlling bis Spezialisierung und Outsourcing – sind keine Überraschung. Dies haben andere Unternehmensbereiche schon viele Jahre lang vorgelebt und Entwicklungen in der IT und im Prozessmanagement für sich genutzt. Es ist eher erstaunlich, wie lange das Recruiting ohne nennenswerte Systemunterstützung und Prozessmanagement auskam. Wirklich neu und kaum erwartbar war, wie Social Media in der Kandidatenansprache den klassischen Monolog oder Broadcast zu einem Dialog gewandelt hat. Zusammen mit den konstanten Besetzbarkeitsproblemen hat das die ernsthafte Hinwendung zum Kandidaten bewirkt. Die Folge sind die gestiegenen Bemühungen im Employer Branding, der zielgruppenpassenden Ansprache, Netzwerkrekrutierung oder die beginnende Diskussion um Work-Life-Balance und wie man Mitarbeiter gesund und glücklich halten kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Wandel von harten Anforderungen an Jobs wie Gehalt und Jobsicherheit vor 15 Jahren zu Betriebsklima, Home Office und anderen Mitarbeiterbedarfen durch alle Generationen hinweg heute. Überraschen finde ich auch, dass Themen wie internationale Rekrutierung, Rekrutierung älterer Personen oder antizyklisches Rekrutieren sowie die viel stärkere Kooperation mit externen Spezialisten bislang eher vergleichsweise kleine Randthemen geblieben sind.

 

Crosswater: Human Resources sind in den letzten Jahren einem intensiven Hype ausgesetzt gewesen. Demografiewandel, Fachkräftemangel und die agile disruptive digitale Transformation. Insbesondere der Technologiefortschritt wird zitiert und strapaziert, um die notwendigen Innovationen im Recruiting herbeizuführen. Welches waren denn aus Ihrer Sicht die relevanten Innovationen?

 

WEITZEL: Eine disruptive Innovation waren Internet-Stellenbörsen, die das „E“ in „E-Recruiting“ und damit höhere Reichweite zu geringeren Kosten in die Anzeigenschaltung brachten. Das änderte die Verwendung der Personalmarketingbudgets und brachte viele zusätzliche Bewerbungen. Um damit umzugehen half dann die nächste Innovation, das Bewerbermanagementsystem. Dann kam mit Social Media der Kandidat näher an das Unternehmen, wobei die Innovation im Kern weniger technisch war und vielmehr neue Arten und Inhalt der Kommunikation betrifft.

 

Crosswater: Die Mobile Bewerbung ist in aller Munde und wird zum Heilsbringer des Recruiting hochstilisiert. Zwei Dinge sind dabei unübersehbar: Mobile Jobsuche funktioniert, mobile Bewerbung funktioniert (noch) nicht. Wo sehen Sie den Handlungsbedarf, dass endlich mobile Bewerbungen von Bewerbern und Arbeitgebern akzeptiert werden?

 

WEITZEL: Recht viele Kandidaten wollen sich auch mobil bewerben, und die Unternehmen wollen keine Bewerber verlieren. Dabei sind mobile Endgeräte in der Regel schlecht geeignet, Webformulare auszufüllen oder viel zu schreiben. Bedauerlicherweise haben Standardisierungsbemühungen von einzelnen Firmen oder Konsortien wie HR-XML bislang keine relevante Hilfe bringen können. Eine Lösung wäre, die Bewerbung selber zu verändern. So gibt es Erwartungen, dass individuelle Anteile wie Anschreiben wegfallen könnten oder One-Click-Bewerbungen das einfache Übertragen von Lebenslaufdaten unterstützen. Das hat aber auch Grenzen. Unternehmen wie Kandidaten sehen Nachteile in einer zu geringen Individualisierung. Die Hälfte der Unternehmen sieht dadurch die Selektion geeigneter Kandidaten erschwert, und die Hälfte der Kandidaten befürchtet, sich nicht positiv von Mitbewerbern abgrenzen zu können.

Marc Irmisch
Marc Irmisch-Petit

ERGÄNZEND dazu Marc Irmisch-Petit: Wir kommen nicht umhin, uns intensiv mit der mobilen Bewerbung und der mobilen Kandidatensuche auseinanderzusetzen. Die Nutzungszahlen für Smartphones sprechen für sich. Jetzt geht es darum, neue Methoden und Prozesse auszuprobieren und so zu gestalten, dass sich sowohl die Kandidaten als auch die Personalverantwortlichen wohl damit fühlen und einen Effizienzgewinn darin sehen. Denn das ist klar – ein neuer Bewerbungsweg funktioniert nur, wenn er von beiden Seiten akzeptiert und für sinnvoll erachtet wird. Wir haben bereits letztes Jahr begonnen unsere Kunden auf diese neuen Prozesse einzustellen und arbeiten basierend auf ihrem Feedback an Lösungen. Ebenso analysieren wir die Mediennutzung und Bedürfnisse der Kandidaten, um ihren Anforderungen bestmöglich gerecht zu werden.

Hallo Opa, kannst Du mir mal bei meiner mobilen Bewerbung helfen?
Hallo Opa, kannst Du mir mal bei meiner mobilen Bewerbung helfen?

Crosswater: Wenn schlechte Prozesse digitalisiert werden, bleiben am Ende schlechte digitale Prozesse übrig. Welche Veränderungen in den Recruiting-Prozessen sind dringend notwendig, welche Voraussetzungen müssen dazu geschaffen werden?

 

WEITZEL: Für Recruiting-Prozesse gilt genau dasselbe wie für Supply-Chain-Prozesse, EDI-Systeme oder Datenbanken das alte Sprichwort: Garbage in, garbage out. Der einzige Weg zum Erfolg ist ein systematisches Geschäftsprozessmanagement, das Altes hinterfragt, aktuelle Anforderungen sorgsam erhebt und systematisch lernt, um jeden Tag ein wenig besser zu werden. Dies setzt neben dem Mut zu Prozessveränderungen auch Controlling voraus, denn ohne gute Kennzahlen kann man nicht wissen, wo man ist, wo man sein will, und wie weit das auseinander ist. Das ermöglicht dann auch die überfällige Integration verschiedener Systeme und Prozesse zu einem Portfolio, in dem man zB. lernen kann, welche Maßnahmen funktionieren und welche nicht.

Crosswater: Sind eigentlich Jobsuchmaschinen im Recruiting unterschätzt? Sind sie mehr als nur ein Sammelbecken von einer großen Masse von Stellenanzeigen? Wie können Jobsuchmaschinen aus ihrer Rolle als Traffic-Beschaffer herauswachsen?

 

IRMISCH-PETIT: Das ist eine Frage, die zuallererst die Betreiber dieser Jobsuchmaschinen beantworten müssen. Als Karriereplattform sieht Monster sich sicher zuallererst in der Rolle, die besten Jobs für die Kandidaten bereit zu stellen. Aber darüber hinaus haben wir für uns auch den Auftrag formuliert, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über ihre gesamte berufliche Laufbahn hinweg als Partner zu begleiten. Sei das bei der Suche nach dem nächsten Job, bei der Vorbereitung von Bewerbung und Bewerbungsgespräch sowie bei allen wichtigen Fragen rund um die Karriere. Somit schaffen wir über unser Motto „Jobs, Tipps, mächtig Support“ eine besondere Aufmerksamkeit für die Stellenangebote unserer Kunden und eine langfristige emotionale Bindung der Kandidaten an die Marke.

 

Crosswater: Mit Jobsuchmaschinen verbinden Recruiter im Allgemeinen auch das Abrechnungsmodell „Pay-per-Click“, klassische Jobbörsen halten noch unbeirrt am Bezahlmodell „Post-and-Pray“ fest. Wohin geht die Reise?

 

IRMISCH-PETIT: Wie auch in vielen anderen Bereichen – z.B. beim mobilen Recruiting – ist die HR-Branche auch bei der Gestaltung von Bezahlmodellen in einer Phase des Umbruchs. Sicher wird in Deutschland geschaut, was in anderen Ländern wie den USA und was in anderen Branchen wie der Online-Werbung neues entwickelt wird. Mit Verzögerung kommt das hier an und wird ausprobiert. Wir beobachten die Entwicklung genau und sind in engem Kontakt zu unseren Ansprechpartnern in den Unternehmen. Sollten wir alternative Abrechnungsmodelle einführen, werden wir umgehend informieren.

Crosswater: Die digitale Werbebranche befindet sich in einem dynamischen Wandel hin zu automatisierter Einblendung von Digital Advertisements. Das Thema war früher als „Retargeting & Real-Time Bidding“ bekannt, jetzt wird es eher vereinfachend als „Programmatic Advertising“ bezeichnet. Im Mittelpunkt steht die vereinfachte und automatisierte Schaltung von Display Advertising, wobei die Preisfestsetzung nach einem Angebot/Nachfrage-Modell erfolgt. Wäre ein solches Prozessmodell auch für Recruiting denkbar? Könnte das Modell insbesondere für fortschrittliche Arbeitgeber sich zu einer Alternative des „Post & Pray“-Verfahrens entwickeln?

 

IRMISCH-PETIT: Programmatic Advertising ist bereits ein Bestandteil unseres Media- Mix. Damit erreichen wir ein größeres Publikum über diverse digitale Touchpoints und auch sogenannte „Lookalikes“, also Personen die bereits erreichten „bekannten“ Kandidaten ähneln. Dass allerdings zukünftig ausschließlich über dynamische Marktplätze rekrutiert werden wird , ist nicht nur seit der jüngsten Debatte um Brand Safety fraglich – also der Ausspielung von Anzeigen in markenkonformen Umfeldern. So bleibt z.B. klassische Umfeld-Planung ebenfalls ein fester Bestandteil unserer Marketing Aktivitäten. Der richtige Mix abhängig von der jeweiligen Zielsetzung – ob bei Bezahl-oder Planungsmodellen – macht es.

 

Crosswater: Findet die agile disruptive Digitaltransformation angesichts des nachhaltigen Fachkräftemangels bei den IT-Experten überhaupt statt? Mehr Frauen für MINT-Berufe zu begeistern und auszubilden ist sicherlich eine sinnvolle Strategie, aber reichen die personellen Ressourcen überhaupt aus?

WEITZEL: Nicht nur bei IT-Experten tobt der Fachkräftemangel. In den letzten Jahren ist es auch immer schwieriger geworden, gute Recruiter zu finden. Und hier ist das eigentliche Problem. Einerseits gibt es in absoluten Zahlen immer weniger bewerbungsfähige Menschen, andererseits gibt es immer mehr neue und anspruchsvollere Jobs. 1960 gab es in Deutschland etwa 1,5 Millionen 20-jährige, 2010 waren es weniger als eine Million und die Prognose für 2050 ist unter einer halben Million. Aber jetzt brauchen wir zusätzlich Data Scientists, Mechatroniker und viele Wirtschaftsinformatiker. Bevor die digitale Transformation im Recruiting an fehlenden IT-Fachkräften stehen bleibt, gibt es genug Hausaufgaben und Herausforderungen zB. im Prozess- und Changemanagement. Dann allerdings wird es höchste Zeit, sich dem Robo-Recruiting zuzuwenden. Und auch hier zeigt die Erfahrung, dass der wahre Erfolgsfaktor nicht so sehr die IT an sich ist, sondern die Bereitschaft und Fähigkeit des Unternehmens, sie auch einzusetzen.

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Crosswater: Dem Technologiefortschritt im Recruiting stehen unverändert langwierige und mit Medienbrüchen durchzogene Prozesse gegenüber. Fast scheint es, dass Recruiting mehr auf „auf Halde“ und weniger „Durchsatz“ arbeitet. Welche unternehmerische Priorität sollte die Beschleunigung der Recruiting-Prozesse eigentlich haben?

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WEITZEL: Wenn das Diktum vom König Kandidat ernst genommen wird, müssen alleine die Reaktionszeiten bei Bewerbungen besser werden und die Unternehmen ihren Kandidaten eine Transparenz anbieten, die sie etwas aus ihren täglichen Bestellungen bei Amazon kennen, wo man jederzeit Bestell- und Lieferstatus einsehen und verfolgen kann. Nach unseren Zahlen hat sich die Zeit zwischen Bewerbungseingang und erster Entscheidung in Unternehmen in den letzten 15 Jahren kaum verändert, und ein Drittel der Kandidaten klagt derzeit, gar keine Rückmeldungen zu erhalten.
Damit hat eine Verbesserung und Integration der HR-Systeme und Prozesse oberste Priorität, ist Bedingung für eine erträgliche Candidate Experience und ein erster Schritt in Richtung Automatisierung und datengetriebenes Identifizieren und Rekrutieren.

 

Vielen Dank, Herr Dr. Weitzel, Herr Irmisch-Petit für dieses Interview.

 

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