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Retention ist wichtiger als Recruiting

Gerhard Kenk
Gerhard Kenk

Von Gerhard Kenk, Crosswater Job Guide.

Wenn die Ergebnisse einer Mitarbeiterumfrage das Licht der Öffentlichkeit erblicken, ist das wie eine seltene Sternschnuppe am großen Firmament der Personalpolitik. Und wenn es sich dabei um einen bekannten DAX-Konzern wie die Deutsche Bank handelt, werden die Ohren gespitzt. So war sichergestellt, dass der Bericht von Markus Frühauf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die Ergebnisse der Befragung von Konzernmitarbeitern die höchste Aufmerksamkeit erzielte.

Schlechte Stimmung, ohne Leidenschaft, Konzernumbau ohne Ende, Sparmaßnahmen, Skandale und Rechtsstreitigkeiten mussten sich zweifellos auch in den Meinungsbildern der Mitarbeiter niederschlagen. Die wirkliche Brisanz liegt jedoch in den Schlussfolgerungen, die sich aus der Loyalitätsfrage ergeben.

Wie verschiedene Medien berichteten, nahmen an der Mitarbeiterbefragung knapp 57.000 von derzeit rund 98.000 Konzernmitarbeitern teil.  Schon vor Jahresfrist deuteten Berichte über die damalige Mitarbeiterbefragung ein düsteres Stimmungsbild der Belegschaft:

Die Deutsche Bank kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nun hat die Bank eine interne Mitarbeiterbefragung veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass nur die Hälfte der Belegschaft gerne für die Bank arbeitet. Offiziell redet man von „stolz für die Bank zu arbeiten“. Hier im Originalzitat:

„Im Vergleich zum Vorjahr fühlen sich noch einmal weniger von Ihnen mit der Deutschen Bank verbunden und nur noch knapp die Hälfte von Ihnen ist stolz darauf, für diese Bank zu arbeiten. Das ist ein Befund, der uns nicht zufrieden stellen kann. Er kommt allerdings auch nicht unerwartet. Es ist uns bewusst, dass der Umbau und der damit verbundene Stellenabbau viel Unruhe und Unsicherheit verursachen.“

Natürlich werden nicht 50 % der Mitarbeiter entlassen. Also gibt es auch jede Menge sonstige Mitarbeiter, die nicht glücklich sind. Woran mag das wohl liegen? Vielleicht an den merkwürdigen Aussagen des neuen Chefs, die wenig vertrauensbildend sind und erstaunliche Erkenntnisse zu Tage fördern?
Quelle: https://finanzmarktwelt.de/deutsche-bank-2-36642/

 

Der Deutsche-Bank-Personalbericht 2016 bestätigt diesen Trend.

chart_deutsche_bank_Personalbericht_2016_Commitment_Index
Mitarbeiterbefragung 2016  In % Commitment-Index Enablement-Index Engagement mit Werten und Überzeugungen Die Ergebnisse von 2016, 2015 und 2012 sind ausschließlich der Postbank. Ergebnisse 2014 ebenfalls ohne Postbank, mit Ausnahme der Mitarbeiter von deren Banking Services-Einheiten (entspricht ca. 5 % der zur Befragung eingeladenen Population). Umfrage im Jahr 2013 nicht durchgeführt. Die Rücklaufquote lag 2016 bei 47 % (2015: 63 %; 2014: 58 %) Hellblau: Commitment-Index, Blau: Enablement-Index, Dunkelblau: Engagement mit Werten und Überzeugungen

Im Personalbericht 2016 kommentiert die Deutsche Bank den Rückgang des Commitment-Index wie folgt:

Der Commitment-Index, der abbildet, wie verbunden sich die Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen fühlen, ging jedoch auf 58 % zurück – was auf die Verunsicherung der Mitarbeiter mit Blick auf den laufenden Umbau der Geschäftsbereiche und den daraus resultierenden Stellenabbau zurückzuführen ist.

 

Vordergründig dreht sich die Frage der Verbundenheit mit der Deutschen Bank um Loyalität und Commitment. Die Intention der Fragestellung besteht jedoch darin, ob sich ein Mitarbeiter vorstellen könnte auch in drei Jahren noch bei der Bank zu arbeiten.

Am sinkenden Commitment der Mitarbeiter trägt die Bank eine gehörige Portion Mitschuld und das nicht nur in jüngster Zeit. Es sind vor allem zwei Merkmale, die das Management der Bank wie ein Mantra ständig wiederholt. Erstens: Kein Bankvorstand von Rang und Namen lässt eine Gelegenheit aus, über das hohe Kostenniveau zu lamentieren, obwohl die Verantwortung dafür letztendlich selbst beim Vorstand liegt.

Zweitens: Die nahezu permanente Restrukturierung der Geschäftsbereiche führt zu Unruhe unter den Mitarbeitern, die sich durch Verlust ihres oft langjährig erworbenen Know-hows bedroht fühlen und Angst vor einem eventuellen Wegfall des Arbeitsplatzes haben.

Insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahme von anderen Banken (Morgan  Grenfell, Bankers Trust, Postbank, Sal. Oppenheim). Die dabei notwendige Integration der Geschäftsbereiche und Kundenbeziehungen wurde insbesondere im IT-Bereich durch eine eher halbherzige Transformation fortgesetzt. Anstatt einer kompletten Abschaltung der Alt-IT-Systeme verfolgte man eine teils mühsame Integration der IT-Systemlandschaft, was in der Folge zu Unruhe unter den Know-how-Trägern bei den IT-Spezialisten führte und letztlich die Heterogenität der IT-Systeme gravierend ausdehnte. Doch auch intern erlag das Management der Geschäftsbereiche dem Symptom der nahezu permanenten Reorganisation. Unruhe unter den Mitarbeitern und Arbeitsplatzängste waren an der Tagesordnung.

 

Ein typisches Beispiel war die Neugründung der Konsumenten-Bank „Deutsche Bank 24“, die mit dem Transfer von Kundenbeziehungen des Mittelstands und der Umgestaltung zahlreicher Filialen einherging. Es dauerte jedoch nur wenige Jahre, bis der Spuk vorbei war und die Neugründung wieder ad acta gelegt wurde. Es wäre sicherlich wünschenswert, wenn das Management der Bank bei jeder Reorganisation ein besonderes Datum bekanntgegeben würde: „Mindestens haltbar bis …..“. Oder John Cryan, der sonst so konsequent agierende Vorstandsvorsitzende könnte einfach ein Moratorium bei der Selbstbeschäftigung mit Restrukturierungen verhängen.

Investoren sorgen sich, dass die Deutsche Bank im Tagesgeschäft von der Konkurrenz abgehängt wird, weil sie sich zu lange mit sich selbst beschäftigt hat. (Anne Kunz in der WELT)

Aus schlechten Mitarbeiter-Loyalitäts- und Commitment-Zahlen leitet sich eine hypothetische Konsequenz ab. Wenn knapp die Hälfte der Konzernmitarbeiter keine Loyalität empfinden, werden sie sich früher oder später nach einem neuen Arbeitgeber umsehen oder schlimmer noch Dienst nach Vorschrift schieben oder in die innere Kündigung migrieren. Wer entlassen wird (die Rede ist von einem Stellenabbau von etwa 8.000 Mitarbeitern), macht das unfreiwillig, andere davon nicht betroffene Mitarbeiter können in Ruhe den Markt sondieren.

Daraus ergibt sich die brutale Konsequenz, dass es zu einer höheren Fluktuation kommen könnte und das Recruiting mit Neueinstellungen alle Hände voll zu tun hätte. Wenn nur die Hälfte der problembehafteten Mitarbeiterbindungsfälle ihre Meinung tatsächlich umsetzen sollte, wären das konzernweit knapp 50.000 Mitarbeiter in den nächsten drei Jahren – Doch die Realitäten lassen sich nicht so einfach hochrechnen.

Eine weitere Konsequenz lässt sich allerdings aus diesem Szenario ableiten: Die Unternehmensführer müssen ihre Prioritäten verstärkt auf die Retention, die Mitarbeiterbindung, legen und eine positive Unternehmenskultur schaffen und nachhaltig aufrechterhalten. Vermeidbare Personalfluktuation ist vermeidbares Recruiting.

Arbeitgeberattraktivität ist für neue Mitarbeiter ein wichtiges Entscheidungskriterium

Längst pfeifen es die Spatzen vom Dach vieler Personalkonferenzen, dass Mitarbeiter wegen des positiven Employer Branding kommen – und wegen der mangelhaften Personalführung des Vorgesetzten das Unternehmen wieder verlassen. Die Erfahrung zeigt, dass zusätzlich auch die so scheinheilig umschriebene „Unternehmenskultur“ eine wichtige Rolle spielt.

Unternehmenskultur Deutsche Bank

John Cryan
John Cryan

Die Unternehmenskultur der Deutschen Bank ist schon seit Jahrzehnten ein Zankapfel.

  • Viele Übernahmen (u.a. Morgan Grenfell, Bankers Trust, Postbank) verfehlten ihre Synergieziele und hinterließen eine IT-Systemlandschaft, die eher wie ein Flickenteppich als eine homogene Digital Engine aussah.
  • John Cryan monierte zu Recht schon kurz nach seinem Antritt als Vorstand, dass die lausigen IT-Systeme viel zu den Problemen der Bank, u.a. bei den Reporting-Anforderungen an die Aufsichtsbehörden, beigetragen hätten. Er sei angetreten, um die knirschenden Computersysteme herauszureißen und diese durch neue Systeme zu ersetzen. Das totale Durcheinander ist ihm ein Dorn im Auge. (Financial Times vom 26. 10. 2015).
  • Dabei verschweigt er die Tatsache, dass eine solche vielfältige IT-Landschaft nicht einfach vom Himmel fällt, sondern das Ergebnis einer nur unzulänglich kontrollierten Entwicklung ist. Jahrzehntelang versäumten es die Vorstände der Bank, dringend notwendige Investitionen in die Erneuerung der Alt-Systeme zu genehmigen, die Durchsetzung von konzernweiten IT-Standards existierte so gut wie nicht und die unterschiedlichen Geschäftsbereiche entschieden sich für ihre eigene Darling-IT, ungeachtet der Konsequenzen, die sich dadurch für Kompatibilität und Konsistenz ergaben.
Dichter - Denker - Konzernlenker
Monumente in der Frankfurter Taunusanlage: Dichter – Denker – Konzernlenker

 

Medien berichten hingebungsvoll über teils alarmierende Zustände der Unternehmenskultur, aber die wirklichen Konsequenzen auf die Personalpolitik der Konzerne werden höchstens hinter vorgehaltener Hand diskutiert.

VW-Dieselgate

Manipulieren, betrügen, täuschen – im Mittelpunkt des VW-Dieselskandals stand häufig die Frage, welcher Manager wann und was wusste. Die eigentliche Verantwortung der Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter wurde hingegen zu wenig diskutiert. Es ist eine Frage der Ethik und Moral der Management-Riege.

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Lufthansa

Die Einhaltung von rechtsgültigen Verträgen haben den Fluglinien-Konzern in ein Kostenkorsett gezwängt, aus dem der Vorstand seit Jahren auszubrechen versucht. Verlagerungen von Betriebsteilen in das kostengünstigere Ausland gehören dabei zu den Routine-Maßnahmen, bei den Verhandlungen über neue Tarifverträge mit Piloten wurde fast unnachgiebig verhandelt, was der Kranich-Airline den fragwürdigen Titel eines Streik-Europameister einbrachte.

United Airlines

Der Umgang der US-Fluglinie mit Passagieren in überbuchten Flugzeugen ist zwar auch bei anderen Fluglinien ein Ärgernis, aber die Art und Weise, wie Passagiere „unsanft“ aus dem Flugzeug befördert wurden, machte nicht nur in den sozialen Medien Schlagzeilen, sondern sie beschädigten auch die Arbeitgeber-Marke ganz nachhaltig.

Uber

Der Absturz des Uberfliegers, nämlich der Rausschmiss des CEO und Unternehmensgründer Kalanick zeigte auf, wie stark die sexuelle Diskriminierung von weiblichen Mitarbeitern auf der Tagesordnung stand.

Google Equal Pay

Das US-Arbeitsministerium wirft dem Internet-Giganten Google (Konzernmotto: Do no evil) vor, Frauen für die gleiche Arbeit weniger Gehalt zu zahlen als Männern. Das US-Ministerium will die genaue Bezahlung der Mitarbeiter einsehen, der Suchmaschinen-Konzern verweigert sich diesem Wunsch.

SEO-Consultant in Italien
Equal pay for equal size

 

Jobzufriedenheit im Zeitverlauf

Eine Umfrage zum Thema „Glücklich im Beruf“, die von Prof. Dr. Martin-Niels Däfler und Ralph Dannhäuser initiiert wurde, zeigt spannende Zusammenhänge zwischen der Jobzufriedenheit und der Dauer der Betriebszugehörigkeit auf.

Die anfängliche Euphorie bei Arbeitsbeginn nimmt den Umfrageergebnissen zufolge jedes Jahr stetig ab, bis sie im 4. Jahr der Betriebszugehörigkeit auf dem Tiefpunkt ist. Es ist zu vermuten, dass spätestens dann das Gespenst der Fluktuation hervortritt und sich engagierte Mitarbeiter aus Enttäuschung über ihre mangelnde Wertschätzung zur Kündigung entschließen.

Quelle: Glücklich im Beruf
Quelle: Umfrage Glücklich im Beruf (N=1649)

 

Neben den individuellen Ursachen der Mitarbeiterenttäuschung, wie z. B. mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, interessante Tätigkeit, angemessenes Gehalt und Weiterentwicklung kommen nun auch noch Faktoren hinzu, die in der unzufriedenen Unternehmenskultur anzusiedeln sind. Häufige Reorganisationen, mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte bei wichtigen Projekten, mangelnde Wertschätzung, fehlende Investitionsbereitschaft oder viel zu späte Reaktionen auf die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt (Stichwort: Digitalisierung, New Work) tragen weiter dazu bei, dass die Mitarbeiterbindung eine der Top-Prioritäten der Unternehmensleitung sein sollte. Retention ist eben wichtiger als Recruiting.

 

Weiterführende Links

John Cryan und Karl von Rohr kommentieren die Ergebnisse der Mitarbeiterumfrage der Deutschen Bank

Französische Arbeitgeber sind radikaler

Zeitbombe Prekariat: Die Lunte glimmt

Arbeitskampf bei der Lufthansa: Teure Streiks

Google hat ein Problem mit Frauen

Glücklich im Beruf: Eine Fata Morgana?

 

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