Gasthörerin
„Ist es zulässig und vielleicht sogar ratsam, im Lebenslauf anzugeben, dass man als Gasthörer irgendwelche Vorlesungen an einer Universität besucht hat?“
Von Gerhard Winkler, Bewerberberater jova-nova.com
– Von einer Person mit erhöhtem Nachrichtenwert existiert eine Online-Vita, die auch eine Gasthörerschaft verzeichnet. Ein Erregungskurvenmaler im schwarzen WamS kam bei seiner Suche nach der nächsten, Sales-fähigen Empörungsspitze unlängst auf die Idee, bei der in der Vita genannten Universität fix anzufragen, ob dieser Eintrag denn auch rechtens sei. Es folgte das übliche Konzert der Meinungszikaden.
Falls auch Sie nicht hören wollen, nicht sehen können und für mieses Schreiben schlecht bezahlt werden, falls Sie also beruflich irgendwas in den Medien pfuschen, dann passen Sie jetzt auf: Gasthörer sind Menschen, die sich im Gegensatz zu Ihnen Zeit genommen haben.
Ein Diplom-Physiker überbrückt die Zeit zwischen Studienabschluss und Postgraduate Studies als Hospitant an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Ein Berater für internationale Bauprojekte hat drei Jahre lang als Hospitant an der Architekturfakultät der ETH Zürich bei Prof. Dolf Schneebli und Prof. Hans Kollhoff Entwurf und Städtebau gelernt.
Eine Kunsthistorikerin hat ein halbes Jahr in Rom unter anderem damit verbracht, an der Pontificia Universitas Gregoriana in Rom Vorlesungen zu hören.
Diese Menschen (die übrigens alle ihren Job fanden) hatten gute Gründe, ihre Hospitation auch im Lebenslauf anzugeben, da ihre zusätzliche und freiwillige Lernverpflichtung nicht all zu lange zurück lag und sie damit ihren Wissenshorizont so erweitert haben, dass dies auch der Rede im Jobinterview wert war.
Sie waren – formlos, aber absichtsvoll – an einer guten Uni. Sie haben guten Leuten zugehört. Sie waren nicht eingeschrieben, aber auf ein Thema eingeschworen. Sie haben etwas mitgenommen. Und falls sich zum Beispiel jemand um eine Einführung in die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners bemüht hat, dann hat der damit nicht für die Redaktion, aber fürs Leben gelernt.
Es liegt am Jobanbieter, und nur an ihm allein, diese im Lebenslauf verzeichneten Aktivitäten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu hinterfragen, ihnen die angemessene Bedeutung zu geben, sie zur Entscheidungsfindung heranzuziehen oder auch nicht.
Für eine Hospitation gibt es keinen Schein, aber längst nicht alles, was man im Leben gemacht, ist durch ein gestempeltes Blatt Papier dokumentiert, weshalb jeder Jobanbieter schon selber weiß, auf welche Nachweise er nicht verzichten kann, und welche Angaben er besser kritisch prüft.
Darum greift der Einwand zur kurz, dass ja jeder Betrüger leicht angeben könne, als Gast an der CAL oder UCLA, an der SHU oder an der Uni Paderborn die Ohren gespitzt zu haben. Dass Trickser tricksen, enthebt die Ehrlichen nicht von der Pflicht, getreulich alles zu notieren, was sie als Kompetenznachweis ansehen.
Sein Erscheinen als Gast und sein aufmerksames Hören unter Studierenden auf Treu und Glauben anzugeben, ist legitim. Jede Frage, die sich für einen Jobanbieter daraus ergibt, beantwortet ein Bewerber gewiss um einiges leichter, als die Standardfragen nach den eigenen Stärken, den Schwächen, der Motivation, und was man am Springer-Verlag als Arbeitgeber so faszinierend findet.
Keine Hochschule der Welt, auch nicht eine Stanford University, kann einem verbieten, dass man einen regelmäßigen, jedoch nicht mit dem Erwerb von Leistungsnachweisen verbundenen Besuch von Lehrveranstaltungen in seinem Lebenslauf notiert.
Ist man im Leben erfolgreich gewesen, hat man es zu einer Position gebracht, in der der eigene Werdegang ein allgemeines Interesse findet, ist man darüber bereits etwas älter geworden, dann wird man diese Gasthörer-Episode aus früheren Tagen vielleicht sogar als Reminiszenz stehen lassen. Für sich selbst und für die paar Glücklichen, die ebenfalls vor dem Stanford University Bookstore in der Sonne saßen.
Sie finden so etwas nicht gut? Armer Redakteur. Sie waren wohl nie an der Sonne.